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Ein Brief veränderte mein ganzes Leben.
Den ganzen Tag schon hatte ich, versteckt in dem alten Geräteschuppen, auf ihn gewartet, weg von Tía Lorena und ihren beiden Töchtern, der einen, die ich sehr mochte, und der anderen, die mich nicht mochte. Mein Zufluchtsort, der alt war und klapprig, stand nur gerade so noch aufrecht. Ein kräftiger Windstoß, und alles wäre in sich zusammengefallen. Goldenes Sonnenlicht kämpfte sich durch das verschmierte Fenster. Doch ich zog die Stirn in Falten, tippte mir mit meinem Stift auf die Unterlippe und gab mir Mühe, nicht an meine Eltern zu denken.
Es würde noch mindestens eine Stunde dauern, ehe ihr Brief kam.
Falls er überhaupt kam.
Ich schaute auf den Skizzenblock, der an meinen Knien lehnte, und machte es mir in der alten Porzellanbadewanne etwas bequemer. Was noch von der ursprünglichen Zauberkraft an ihr haftete, hüllte mich ein - leider nur spärlich. Der Zauber stammte aus einer lang zurückliegenden Zeit, da hatten schon zu viele Hände zugepackt, als dass ich vollständig darin versinken konnte. Das war das Dumme an den meisten von Zauberhand berührten Gegenständen. Jegliche Spuren des ursprünglichen Zaubers waren schwach und verblassten, je öfter der Gegenstand den Besitzer wechselte. Das hielt meinen Vater allerdings nicht davon ab, so viele magisch angehauchte Sachen zu sammeln, wie er nur finden konnte. Das Herrenhaus war voll von Schuhen, aus deren Sohlen Blumen sprießten, Spiegeln, die anfingen zu singen, wenn man vorüberging, und Truhen, aus denen Seifenblasen quollen, sobald der Deckel aufging.
Draußen rief meine jüngere Cousine Elvira laut meinen Namen. Das wenig damenhafte Gekreische würde Tía Lorena gar nicht gefallen. Sie bevorzugte einen gemäßigten Tonfall, zumindest solange sie nicht selbst sprach. Ihre eigene Stimme konnte erstaunliche Höhen erklimmen.
Vor allem, wenn sie sich an mich richtete.
»Inez!«, rief Elvira.
Ich fühlte mich zu elend für ein Plauderstündchen.
Also rutschte ich tiefer in die Wanne hinein, während vor der Holzhütte meine Prima unter großem Geraschel den üppigen Garten durchkämmte, zwischen dem Farn und hinter einem Zitronenbaum nach mir suchte und dabei immer wieder meinen Namen rief. Doch ich gab keinen Mucks von mir, für den Fall, dass Elvira ihre ältere Schwester Amaranta dabeihatte. Die Cousine, die ich am wenigsten leiden konnte, bei der nie auch nur der kleinste Fleck auf dem Kleid oder eine Haarsträhne verrutscht war. Die niemals kreischte oder in schrillem Ton sprach.
Durch die Schlitze zwischen den Brettern sah ich Elvira über die unschuldigen Blumenbeete trampeln. Ich unterdrückte ein Lachen, als sie in einen Topf mit Lilien trat und dabei einen lauten Fluch ausstieß, der bei ihrer Mutter garantiert auch nicht gut angekommen wäre.
Gemäßigte Töne und keine Flüche bitte!
Ich sollte mich wohl besser bemerkbar machen, bevor sie noch ein weiteres Paar ihrer empfindlichen Lederschuhe ruinierte. Allerdings wäre ich bis zum Eintreffen des Postboten keine besonders gute Gesellschaft.
Jeden Augenblick konnte er hier sein.
Heute musste sie doch endlich kommen, die Antwort von Mamá und Papá. Tía Lorena hatte eigentlich mit mir in die Stadt fahren wollen, aber ich hatte abgelehnt und mich den ganzen Nachmittag über verkrochen, damit sie mich nicht mit Gewalt aus dem Haus schleppen konnte. Meine Eltern hatten sie und meine beiden Cousinen dazu ausersehen, mir Gesellschaft zu leisten, während sie monatelang in der Weltgeschichte unterwegs waren, und meine Tante gab sich alle Mühe, nur ging mir ihr strenges Regiment ziemlich auf die Nerven.
»Inez! ¿Dónde estás?« Elvira verschwand weiter hinten im Garten, und der Klang ihrer Stimme verlor sich zwischen den Palmen.
Ich schenkte ihr keine Beachtung mehr - dazu schnürte mich mein Korsett auch viel zu sehr ein - und konzentrierte mich wieder auf die Zeichnung, die ich gemacht hatte. Die Gesichter von Mamá und Papá schauten zu mir hoch. Ich war die perfekte Mischung aus den beiden. Von meiner Mutter hatte ich die haselnussbraunen Augen und die Sommersprossen, meine vollen Lippen und das spitze Kinn. Mein Vater hatte mir seine strubbeligen schwarzen Locken vererbt - die bei ihm inzwischen schon ganz grau waren -, außerdem seine gebräunte Gesichtsfarbe, die gerade Nase und die Augenbrauen. Er war älter als Mamá, verstand mich aber am besten.
Mamá war sehr viel schwerer zufriedenzustellen.
Ich wusste selbst nicht, warum ich sie überhaupt gezeichnet hatte, ich wollte doch gar nicht an sie denken. Denn wenn ich an sie dachte, rechnete ich mir immer gleich die vielen Meilen aus, die zwischen uns lagen. Wenn ich an sie dachte, fiel mir wieder ein, dass sie sich ja am anderen Ende der Welt befanden, während ich hier versteckt in meiner kleinen Ecke auf unserem Landgut hockte.
Mir fiel wieder ein, dass sie in Ägypten waren.
Ein Land, das Mamá und Papá heiß und innig liebten, das für sie ein zweites Zuhause war. Solange ich zurückdenken konnte, saßen sie ständig auf gepackten Koffern, und das Abschiednehmen fiel mir von Mal zu Mal schwerer, auch wenn ich gute Miene zum bösen Spiel machte.
Die Reise sei zu gefährlich für mich, erklärten sie mir immer, die Expedition zu lang und anstrengend. Aber mich, die immer nur an ein und demselben Ort herumsaß, lockte das Abenteuer. Ihnen musste es ganz ähnlich gehen, denn trotz aller Widrigkeiten, die sie unterwegs erlebten, kauften sie sich jedes Mal wieder ein Ticket für den Dampfer von Buenos Aires nach Alexandria. Sie luden mich nie ein, sie zu begleiten.
Tatsächlich verboten sie mir, mitzukommen.
Mürrisch schlug ich das Blatt um und starrte auf die leere Seite hinunter. Dann fing ich an, aus dem Gedächtnis ägyptische Hieroglyphen zu zeichnen. Das übte ich so oft ich konnte, denn Papá kannte Hunderte dieser Schriftzeichen, was für mich ein Ansporn war. Er fragte mich oft, ob ich wieder neue gelernt hatte, da wollte ich nicht mit leeren Händen dastehen. Ich hatte die zahlreichen Bände von Description de l'Égypte und Florence Nightingales Tagebücher über ihre Reisen durch Ägypten verschlungen und auch noch Samuels Birchs Geschichtsbücher über Ägypten gelesen, kannte die Namen aller Pharaonen aus dem Neuen Reich auswendig und konnte eine ganze Menge ägyptische Götter und Göttinnen zuordnen.
Als ich keine Lust mehr hatte, ließ ich den Stift in meinen Schoß fallen und spielte ein bisschen mit dem Goldring an meinem kleinen Finger herum. Der war in Papás letztem Päckchen vom Juli gewesen, ohne einen Kommentar und nur mit seinem Namen und...
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