Schweitzer Fachinformationen
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Der Blick durch die angelehnte Scheunentür eröffnet der Legehenne Sprosse eine sehnsuchtsvolle Perspektive: Ihr Traum ist es, in die Freiheit zu entkommen und endlich ein Ei ausbrüten zu können. Schwach und krank von ihrem monotonen Dasein im Hühnerstall, gelingt ihr schließlich der Ausbruch. Doch das Leben in Freiheit ist viel härter und unbarmherziger, als sie es sich vorgestellt hat - bis sie in einem verlassenen Nest ein Ei findet und neue Hoffnung schöpft: Die Freiheit birgt nämlich auch das größte Glück.Eine wunderschöne Geschichte über das Träumen und die Liebe - und den Mut, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen. »Ohne Kitsch zeigt die Autorin aus Seoul, wie hart das Leben und wie stark die Liebe ist. Fabelhaft.« Jolie »Eine Hymne auf das Leben, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen begeistern wird.« Bücher »Kein Roman über die Liebe und rührende Aufopferung einer Mutter zu ihrem Kind könnte diese zu Herzen gehende Fabel besser erzählen. Eine wunderschöne Lektüre, die lange nachklingt.« Freiburger Nachrichten»Ein wunderschöner Roman an der Schnittstelle von Fabel, Philosophie und Naturbeobachtung. « Adam Johnson, Pulitzer-Preis-Gewinner
Sprosse schaute gern in den Scheunenhof hinaus. Sie schaute sogar lieber zu, wie die Enten vor dem Hund flüchteten, als nach Futter zu picken. Sie schloss die Augen, stellte sich vor, frei durch die Gegend zu streifen und gab sich Tagträumen hin, in denen sie auf einem Nest ein Ei ausbrütete, sich mit dem Hahn auf die Felder hinauswagte oder den Enten folgte. Sie seufzte. Es war sinnlos, Träumen nachzuhängen, die sich doch nie erfüllen würden. Seit Tagen hatte sie keine Eier gelegt, was wenig überraschend war, immerhin konnte sie sich kaum auf den Beinen halten.
Als sie am fünften eierlosen Tag aus einem tiefen Schlaf erwachte, hörte sie die Bäuerin schimpfen: »Wir nehmen es aus dem Stall. Es muss gekeult werden.« Sprosse hätte nie erwartet, dass sie den Stall noch einmal verlassen würde. Sie wusste zwar nicht, was »keulen« bedeutete, aber der Gedanke, dem Stall zu entkommen, verlieh ihr neue Kraft. Mühsam rappelte sie sich auf und trank einen Schluck Wasser. Auch am nächsten Tag legte sie kein Ei. Sie spürte, dass ihr Körper keine Eier mehr bilden konnte, trotzdem nahm sie wieder Wasser und Futter zu sich. Sie konnte es kaum abwarten, ihr neues Leben zu beginnen. Wenn sie es nur irgendwie schaffte, in den Hof zu kommen, könnte sie auch ein Ei ausbrüten und ein Küken aufziehen. Ungeduldig wartete sie auf den nächsten Morgen. Sie schlief unruhig und malte sich aus, wie sie mit dem Hahn auf den Feldern spielen und im Boden scharren würde.
Am folgenden Tag öffnete sich die Tür, und der Bauer und seine Frau kamen mit einer leeren Schubkarre in den Stall. Sprosse war zu schwach, um aufzustehen, aber geistig hellwach wie nie zuvor. Zum ersten Mal seit Langem sprach sie wieder. »Ich komme aus dem Stall raus!«, gackerte sie. Der neue Tag brach an, und es war der schönste, seit man sie in den Hühnerstall gesperrt hatte. Die Luft war von Akazienduft erfüllt.
»Vielleicht kriegen wir noch was für das Fleisch, was meinst du?«, fragte die Bäuerin ihren Mann.
»Schwer zu sagen. Es sieht krank aus .«
Der Gedanke, endlich im Hof leben zu dürfen, versetzte Sprosse in solche Aufregung, dass sie nichts von der Unterhaltung mitbekam. Der Bauer packte ihre Flügel und hob sie aus dem engen Käfig. Mit einem dumpfen Aufprall landete sie in der Schubkarre, zu schwach, um sich zu wehren oder auch nur mit den Flügeln zu schlagen. Sie reckte den Hals, aber nur kurz, denn gleich darauf wurden weitere kranke Hühner auf die Schubkarre geworfen, sodass Sprosse fast erdrückt wurde. Die alten Legehennen, die ihre eierlegenden Jahre hinter sich hatten, aber ansonsten gesund waren, steckten der Bauer und seine Frau in einen separaten Drahtkäfig, der von einem Laster abgeholt wurde. Sprosse dagegen blieb in der Schubkarre zurück, begraben unter einem Berg anderer Hühner an der Schwelle des Todes. Das letzte Huhn landete direkt auf Sprosse. Sie fürchtete sich, kämpfte darum, wach zu bleiben, und fragte sich, was jetzt mit ihr geschehen würde. Das laute Gackern war verstummt, und bald war kein Laut mehr zu hören. Sie konnte nicht mehr atmen. Das heißt es, gekeult zu werden? Die Augen fielen ihr zu. So will ich nicht sterben. Sie versuchte, all ihren Mut zusammenzunehmen, bekam aber nur noch größere Angst. Verzweiflung wallte in ihr auf: Sie durfte nicht sterben, bevor sie in den Scheunenhof kam. Sie musste fliehen, aber die Hühner über ihr zerquetschten ihr alle Knochen.
Sprosse konzentrierte sich auf das Bild der blühenden Akazie, die Blüten, die grünen Blätter, den betörenden Duft und die glücklichen Tiere im Hof und hatte nur einen Wunsch: ein Ei auszubrüten und die Geburt eines Kükens mitzuerleben. Es war ein ganz gewöhnlicher Wunsch, aber jetzt würde sie sterben, ohne dass er sich erfüllte. Während sie das Bewusstsein verlor, fing sie an, Dinge zu sehen. Sie sah sich auf einem Nest sitzen und ein Ei wärmen. Der stattliche Hahn hielt an ihrer Seite Wache, und um sie herum fielen Akazienblüten wie Schneeflocken. Ich wollte doch nur ein Ei ausbrüten. Ein einziges Ei, ganz für mich allein. Ich wollte flüstern: »Komm, zerbrich die Schale, damit ich dich kennenlernen kann. Hab keine Angst!« Und nach dem Schlüpfen mein Küken an mich drücken. In dem Glauben, tatsächlich ein Ei auszubrüten, verlor sie lächelnd das Bewusstsein.
Sprosse schlug die Augen auf. Wie viel Zeit war vergangen? Es regnete, und sie war nass bis auf die Haut. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Tot bin ich anscheinend nicht. Ihr war kalt. Doch auch, als ihre Gedanken langsam wieder klar wurden, konnte sie sich nicht rühren. Sie würde sich besser fühlen, wenn sie ihre Federn ausschüttelte, aber selbst dazu fehlte ihr die Kraft.
Da hörte sie, wie jemand etwas sagte, doch sie verstand es nicht.
»He, du. Kannst du mich hören?«, rief die Stimme zum zweiten Mal.
Mühsam hob Sprosse den Kopf. Es stank bestialisch, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
»Du lebst noch. Ich wusste es!« Die aufgeregte Stimme wurde lauter. »Steh auf! Beweg dich!«
»Ich kann nicht. Es ist zu schwer.« Sprosse sah die Bäume auf der dunklen Anhöhe über sich und das Gras, das auf dem Erdwall im Wind tanzte. Von oben hörte sie erneut die Stimme.
»Du bist nicht tot. Komm schon, steh auf!«
»Natürlich bin ich nicht tot.« Sie spreizte die Flügel, streckte die Beine und bewegte den Kopf vor und zurück. Alles funktionierte einwandfrei; sie war einfach nur schwach. »Wer bist du?«
»Red nicht so viel. Du musst wegrennen. Lauf!«
Sprosse rappelte sich mühsam auf. Sie musste all ihre Kraft sammeln, um ein paar Schritte auf die Stimme zu-zugehen. Wann war sie zuletzt gelaufen? Ein Schritt, zwei Schritte. Dann erstarrte sie und sank wie betäubt zu Boden. »Mein Gott. Wo bin ich hier?«
Überall um sie herum lagen tote Hühner. Sogar unter ihr. Sie war in einem riesigen offenen Grab gefangen.
»Aber ich lebe noch! Wie kann das sein?« Sie sprang auf und rannte panisch gackernd im Kreis, doch es gab kein Entkommen. Bei jedem Schritt trat sie auf Leichen. Sie traute ihren Augen kaum. Ihre Angst steigerte sich ins Unermessliche.
»Was um alles in der Welt treibst du da?«, fragte die Stimme von außerhalb des Grabes, aber Sprosse war zu sehr damit beschäftigt, gackernd im Kreis zu rennen »Pass auf!«
»Ich bin nicht tot! Wie kann das sein?«
»Schau hin. Jemand hat es auf dich abgesehen!«
»Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?«
»Lauf! Siehst du nicht, dass du belauert wirst? Dämliches Huhn! Es hat dich im Visier!«, rief die Stimme.
Erst jetzt kam Sprosse zur Besinnung. Von der anderen Seite des Grabes pirschte sich etwas an sie heran. Zwei Augen blitzten sie an. Ihr lief ein kalter Schauder über den Rücken.
»Wenn du dort bleibst, wirst du es bereuen!«
Sprosse wusste nicht, wer ihr da von außerhalb des Grabes Anweisungen erteilte, aber sie entschied, dass er vertrauenswürdiger war als das funkelnde Augenpaar. »Du musst der Hahn sein!«, rief sie, denn nur der Hahn war mutig genug, im Dunkeln herumzuschreien. Sprosse folgte der Stimme zum Rand des Grabes. Die Grube war dort flacher, sodass sie leichter herausspringen konnte.
»Gut gemacht«, sagte ihr Retter mit ruhiger, freundlicher Stimme.
Sprosse schauderte und betrachtete ihn aus der Nähe. Es war die Wildente vom Hof - der Erpel mit dem außergewöhnlichen grün-braunen Gefieder, der Außenseiter, der immer hinter der Entenfamilie herlief. Allmählich begriff sie, dass sie den Hühnerstall tatsächlich hinter sich gelassen hatte. »Danke, dass du mich gerettet hast!«
»Keine Ursache. Ich konnte ja nicht zulassen, dass es dich erwischt. Es macht mich rasend, wenn es jemanden erwischt, der noch lebt.«
»Wer?«
»Das Wiesel!« Der wilde Erpel schauderte, und sein Nackengefieder sträubte sich.
Sprosse schauderte ebenfalls. Das Wiesel stand, wütend dreinblickend, auf seinen Hinterläufen an der anderen Seite des Grabes.
»Du hast überlebt, und jetzt geh zurück«, sagte der Erpel und watschelte davon.
»Warte. Wohin?« Er hatte nicht vor, Sprosse mitzunehmen! Sie wollte doch in den Scheunenhof mitkommen. »Ich gehe nicht zurück in den Hühnerstall. Ich bin ihm doch gerade erst entkommen! Ich wurde gekeult.«
»Gekeult? Was ist das?«
»Ich weiß auch nicht genau, aber ich glaube, es bedeutet, dass ich frei bin.«
»Hierzubleiben wäre jedenfalls gefährlich. Geh einfach. Ich bin spät dran. Die anderen schlafen bestimmt schon.« Der Erpel watschelte weiter. Er wirkte erschöpft.
Mit einem Blick auf das Wiesel rannte Sprosse ihm nach. »Woher wusstest du, dass ich im Grab war?«
»Auf dem Rückweg vom Stausee habe ich das Wiesel herumschleichen sehen, was hieß, dass eins der Hühner im Loch des Todes noch am Leben sein musste. Ich kenne diese schreckliche Kreatur!« Wieder schauderte der Erpel, und seine Nackenfedern zitterten. »Es hat eine Eigenart: Es jagt nur die Lebenden. Und es ist groß - größer als alle anderen Wiesel. Es jagt nur die Lebenden, um zu zeigen, wie stark es ist. Ein lebendiges Huhn wie du ist eine gute Beute. Manchmal bekommt es, worauf es aus ist. Du hattest Glück.«
»Stimmt. Ich hatte Glück. Und das verdanke ich dir.« Sie trottete hinter dem Erpel her. Der Gedanke, dass sie eine gute Beute war, ließ ihr die Federn zu Berge stehen.
»Ich habe noch nie ein Huhn wie dich getroffen. Gut, dass du so einen Krach geschlagen hast. Das Wiesel hatte wohl Zweifel, ob es mit einer so streitlustigen Beute fertigwird.« Mit schadenfrohem Lachen schaute er zum Grab zurück.
Das Wiesel...
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