Schweitzer Fachinformationen
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Die frühen Sonnenstrahlen hatten schon die wärmende Kraft, die Felix Licht so lange vermisst hatte. Sie saugten die Feuchtigkeit des Morgentaus aus der Erde, dem Laub, dem Moos, leichter Dunst stieg in die Höhe. Der Waldweg war bereits so trocken, dass der Hund, wie immer, wenn er gerade von der Leine gelassen worden war und ungestüm in Richtung neuer Abenteuer rannte, feinen Sand aufwirbelte.
Ein Schwan, der im Unterholz beim Ufer nach einem Platz für den Nestbau suchte, wurde aufgescheucht und floh mit weitem Flügelschlag an das Ufer des Baches, der hier fast breit wie ein See war. Diese unerwartete Bewegung erschreckte die Kolonie von schwarzen Kormoranen, die sich empört in die Luft erhoben und mit kehligem Geschrei zu einem anderen Ort flogen. Der Hund schaute ihnen hinterher, überrascht von der Kettenreaktion, die er ausgelöst hatte. Dann trabte er weiter und blieb schließlich an einer Wurzel stehen, um daran erst zu schnuppern und sich dann zu reiben. Alles kam wieder zur Ruhe, der Gesang der Vögel im Unterholz setzte wieder ein. Das monotone Surren der ersten Insektenschwärme war zu hören, sehr früh in diesem Jahr.
So ging Felix weiter die gewohnte Runde, die sie jeden Morgen nahmen, seit der Hund bei ihnen war. Das Tier, es hieß Jerry, lief nach einem kurzen Befehl an seiner Seite. Das war ein großer Erfolg, sie hatten den ganzen Winter über trainiert, und es war schwieriger gewesen, als er und Sarah es sich vorgestellt hatten. Der Hund war jung, er verstand nicht, was man von ihm verlangte. Er wollte nicht folgen, sondern rennen, toben, spielen, schnuppern, sich kratzen, im Dung der Wildschweine wälzen oder in einem verwesenden Fisch. Für Jerry hätte jeder Spaziergang Stunden dauern können, und alles, was den Hund ablenkte, war ihm willkommen. Er lebte ganz im Moment, in dieser Welt voller Gerüche und Geräusche, in der es alles zu erkunden galt: die Käfer, die Äste, die Hinterlassenschaften anderer Tiere, ihre Kadaver; der Hund musste alle Böschungen hinaufrennen und dann gleich wieder hinab, er strotzte vor ungezügelter Energie. Seine nadelspitzen Zähne bissen sich in allem fest, er zerrte und zurrte, oft raste er zwischen den Bäumen umher und kam dann japsend zurück zu Felix. Manchmal musste er Jerry nach Hause tragen, so erschöpft war das Tier. Aber es war ja erst fünf Monate alt.
Die Spaziergänge am frühen Morgen und das Training mit Jerry, so hatte Sarah gedacht, würden Felix guttun und ihn ablenken. Er dachte zu viel nach und immer nur über die falschen Dinge, nämlich die, die in der Zukunft lagen. Er brauchte mehr Gegenwart. Bei einem Züchter hatten sie sich die Welpen präsentieren lassen und sich für den entschieden, der ihnen als Erster des Wurfes entgegentrottete und zögerlich an Sarahs Hand leckte. Auf der Rückfahrt suchten sie nach einem Namen und konnten sich nicht einigen. Felix wollte, dass der Hund bis auf Weiteres einfach Hund heißen würde. Sarah wusste, dass sich das dann niemals mehr ändern würde. Schließlich entschied Emilia für sie: »Er heißt Jerry.«
Erst seit ein paar Tagen gehorchte der Hund. Befahl Felix »Bleib!«, blieb Jerry auf der Stelle stehen, rief er »Komm!«, kam der Hund, jede Tätigkeit unterbrechend, aus dem Unterholz geschossen; und wenn Felix »Fuß!« flüsterte, ließ Jerry sich zurückfallen und ging an seiner Seite. Heute lief es besonders gut. Denn für Felix bedeutete der Gehorsam des Hundes, dass er die Zeit, die sie unterwegs waren, nicht mehr damit verbringen musste, auf das Tier aufzupassen. Er hatte diese Stunde nun für sich, ungestörte, unberührte Zeit, in der er ganz den Gedanken nachhängen konnte, die ihn wirklich beschäftigten: wie es weitergehen würde mit ihm und dem Magazin und seiner Karriere. In den Wochen, in denen er mit Jerry trainiert hatte, ihn zurechtwies und lobte, ihm einen Leckerbissen zuwarf, wenn er sich gut betragen hatte, hatte er das Tier nie aus den Augen lassen können. Der Wald erstreckte sich weit, auf der Seite in Richtung des Dorfes gab es eine viel befahrene Straße, und in den Senken zwischen den Hügeln lagen die Sauen, die selbst großen Hunden nachjagten und schon einige zur Strecke gebracht hatten.
Doch nun hatten sich Herr und Hund arrangiert, sie konnten sich aufeinander verlassen, und das bedeutete mehr Freiheit für beide. Der Welpe erledigte seine Hundedinge und Felix sein Nachdenken. Das war vor allem heute ein Geschenk, denn die E-Mail aus Bergs Büro war am Abend vorher gekommen, ohne Text, sondern nur mit Einladung zu einem Gespräch. Am nächsten Tag um 17 Uhr wollte Berg ihn sehen. Es konnte sich nur um den Termin handeln, auf den er nun schon seit Wochen wartete: seine Berufung durch Berg zum Chefredakteur des Magazins. Richard Leck, der jetzige Chef, hatte sich mit seinem Kommentar über die Ministerin endgültig ins Aus befördert. Die perfekte Gelegenheit, seine Ära zu beenden und das, was Berg und Felix planten, umzusetzen.
Felix war mittlerweile im Wald oberhalb des Wassers angekommen, wo es noch ein oder zwei Grad wärmer war, weil dort kein Wind ging. Jerry stromerte herum, man konnte seine Position daran erkennen, wo die Äste der niedrigen Büsche zitterten. Auf der großen Lichtung setzte sich Felix auf die verwitterte Bank, von der aus er einen weiten Blick über die Niederung hatte, die wie ein matter Spiegel unter ihm lag. Ein Ruderer zog zügig seine Bahn durch das Wasser, der Schwan von vorhin wurde zum zweiten Mal gestört, schwamm aber nur im letzten Moment gelangweilt ein paar Meter von dem Boot weg. Felix nahm das alles wahr, aber in seinem Kopf rasten Wortfetzen und Bilder von dem, was bald geschehen würde, wie ein wilder Videoclip durcheinander. Jedes einzelne Bild vor dem inneren Auge - das Treffen, bei dem seine Beförderung verkündet werden würde, die Berichte darüber in den Mediendiensten, die erste Konferenz, die er leiten würde, die Maßnahmen, die er ergreifen und als die Befreiung des Magazins beschreiben würde, die Party mit den Getreuen am Abend - war zu süß, als dass er sich erlaubte, es sich in allen Details auszumalen. Das war so, wie er sich als Kind verboten hatte, sich das Spielen mit den zu erwartenden Weihnachtsgeschenken vorzustellen. Die Vorfreude war immer gewaltiger als das, was schließlich geschehen würde. Hier, auf der Lichtung, war er ganz bei sich und in seiner grandiosen Zukunft, ganz leicht war alles, noch ohne Verantwortung. Diese Momente waren seine Stunden des Triumphes, auf den er sein ganzes Leben lang hingearbeitet hatte. So saß Felix Licht da, lange, bis ihm klar war, dass es nun weitergehen und Wirklichkeit werden musste. Er sah auf die Uhr. Es war höchste Zeit. Er musste Emilia zur Schule bringen und in gut eineinhalb Stunden im Büro sein. Felix rief Jerry, der sofort kam. Alles war perfekt. Es war der erste warme Tag, und Felix wusste, dass der Winter endlich zu Ende war.
Von der Küche aus sah Sarah ihren Mann vom Wald hinauf durch die hintere Gartenpforte kommen. Er trug einen grauen Hoodie und die alte Jogginghose, wie immer, wenn er morgens auf die Runde mit dem Hund ging. Das dünne Haar unfrisiert, unter der alten Mütze, auf der »Alcatraz« stand, die sie auf dem Felsen vor San Francisco gekauft hatten. Felix hatte das sehr witzig gefunden, Sarah weniger. Später würde er im Anzug vor ihr stehen, mit gegeltem Scheitel. Auch an diesem Morgen wünschte sich Sarah, dass er einfach so bleiben und den ganzen Tag bei ihr sein könnte, ihretwegen auch mit der dummen Mütze. Neben Felix lief Jerry, und Sarah sah zufrieden, dass sich ihr Mann zu dem Tier hinunterbeugte und ihm über den Kopf streichelte. Oben lärmte Emilia. So hatte sich Sarah ihr Leben vorgestellt. Sie steckte eine Kapsel in die Kaffeemaschine, drückte den Knopf, das Gerät begann laut zu gurgeln, und schließlich ergoss sich der Kaffee in einem cremigen Strahl in die Tasse.
»Und? Wie lief es?«
»Gut, wirklich gut.«
»Super«, sagte Sarah und reichte Felix seine Tasse. Er nahm einen Schluck, dann noch einen zweiten und stellte das Getränk auf die Anrichte. »Der Hund gehorcht jetzt immer besser. Er läuft jetzt bei Fuß. Kommt, wenn man ihn ruft.« Felix ging zu einem der Schränke, holte einen Hundekeks hervor, stellt sich vor Jerry und hob den Zeigefinger. »Fein gemacht«, sagte er, warf den Leckerbissen in die Luft, wo der Hund ihn aufschnappte. Er wusste, dass Sarah solche Dinge mochte.
»Nicht der Hund wird immer besser. Der Hund ist nur so gut, wie ihr als Team seid.«
Felix nickte, aber Sarah merkte, dass er nicht länger über das Tier sprechen wollte. Oft hatte sie gedacht, dass ihr Manöver, den Hund als Entschleunigungstherapie für Felix anzuschaffen, zu offensichtlich gewesen war.
»Ich muss mich beeilen, duschen«, sagte Felix und hatte sich schon das Sweatshirt über den Kopf gestreift. Darunter trug er noch das T-Shirt, in dem er geschlafen hatte. Sarah sah seinen Bauch und, als er die Treppe hinaufstieg, die Haare auf seinem Rücken. Sie waren seit zwanzig Jahren verheiratet, und sie kannte ihn noch anders. Schlank, fit, faltenlos. Ob er wohl wusste, wie er nun aussah, mit achtundvierzig Jahren? Und, schmerzhafter: Bekam er eigentlich mit, wie sie, Sarah, aussah, mit über vierzig, nach der Schwangerschaft, nach der Geburt, nach all den Jahren? Sie sprachen nie über solche Sachen.
Sarah hörte, wie Felix oben die Dusche anstellte, und gab Jerry sein Futter, der hastig zu fressen begann. Dann bereitete sie das Schulfrühstück für Emilia zu. Ein paar Stücke Obst, ein Brot mit Mortadella, das war zurzeit ihr Lieblingsessen. Sie legte beides in...
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