Schweitzer Fachinformationen
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Johanna
Mit verschränkten Armen stehe ich auf dem Gelände der Gamescom in Köln. Die pralle Mittagssonne brennt auf mich herab, und ich widerstehe dem Drang, mir das knöchellange schwarze Kleid vom Leib zu reißen. Jedes Mal, wenn der Ticketverkauf startet, hoffe ich, dass es im August bloß zwanzig Grad statt dreißig sind. Und am Ende werde ich jedes Mal aufs Neue enttäuscht. Was soll das überhaupt, so eine Veranstaltung im Hochsommer stattfinden zu lassen?
»Ich sehe aus, als ob ich auf eine Beerdigung müsste. Lass mich die Haare wenigstens offen tragen«, murre ich.
»Nein, wir haben das besprochen. Der Zopf in Kombination mit dem roten Lippenstift verleiht dir eine gewisse Distanz, und gleichzeitig weckst du Interesse. Du siehst sexy aus.« Louisa mustert mich. »Das bleibt alles so, du kannst mir später danken.«
Auf der weltweit größten Gaming Messe bin ich vollkommen overdressed und werde ungewollt auffallen.
Na super.
Sehnsüchtig sehe ich zum Merch-Stand, der T-Shirts von The Last Of Us und Pokémon verkauft, und seufze.
Meine beste Freundin und Messe-Buddy hat gut reden, denn sie trägt Top, Shorts und Nike Air Force. Auf ihrem blonden Schopf sitzt ein Haarreif, auf dem der klassische grüne Diamant aus Die Sims angebracht ist, der im Spiel den Grad der Bedürfnisse anzeigt. Wenn es danach geht, wäre meiner dunkelrot, was so viel bedeutet wie: kaum noch zu retten.
»Ich hasse dich dafür, dass du mich in dieses Outfit gezwängt hast. Niemand rennt hier so rum.«
Zu schade, dass Nele heute nicht hier ist. Sie macht unser Trio komplett und ist diejenige, die ihr Leben am ehesten im Griff hat. Wenn es nach ihr ginge, dürfte ich einfach mein Ellie-Williams-Fanshirt tragen.
»Niemand hat heute aber auch kein lebensveränderndes Interview«, sagt Louisa bloß, und ich verdrehe die Augen.
Mein Puls läuft auf hundertachtzig, und ich frage mich, ab wann er einen kritischen Stand erreicht hat und ich anfangen muss, mir Sorgen zu machen. Warum kann ich nicht so entschlossen sein wie meine Kindheitsheldin Lara Croft?
Wäre ich nur ansatzweise so mutig wie sie, hätte ich keine Angst davor, heute das wichtigste Interview meiner Karriere zu führen. Denn dieses Interview entscheidet darüber, ob ich mein Dasein als Journalistin an den Nagel hängen kann oder demnächst Stammgast beim Arbeitsamt sein werde. Ich will die Branche wechseln, kreativ arbeiten, und auch wenn ich heute als Journalistin hier bin, könnte das meine große Chance für etwas ganz anderes werden. Auf der Gamescom werden Kontakte geknüpft, was ich dieses Jahr für mich nutzen will.
Hitze steigt in mir auf, und meine Wangen kribbeln, als würden Ameisen mir übers Gesicht laufen.
»Bist du bald fertig mit Sabbern?«, frage ich und tippe ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Die Füße sind beide bereits angeschwollen, weil die High Heels zu klein sind.
»Es tut mir so leid, Jo.« Louisa wirft einen Blick über die Schulter, um das Objekt ihrer Begierde weiter anzuschmachten. »Aber sieh ihn dir doch mal an!«
Darauf antworte ich nichts, schiebe die Unterlippe vor und schmolle, was bedauerlicherweise komplett an Louisa abprallt.
»Ich hoffe, dir ist klar, dass das Verrat ist.«
Seit wir das Gelände betreten haben, stehen wir vor einem überdimensionalen Werbeplakat für einen Energydrink, der überall auf der Messe verkauft wird. Beworben wird er von keinem anderen als dem größten und beliebtesten Game Designer Deutschlands: Lukas da Silva. Nebenbei streamt er regelmäßig auf Twitch, vloggt über seinen Alltag und hat fünf Millionen Menschen, die ihm auf YouTube folgen.
»Du weißt, Lukas ist mein Celebrity-Freifahrtschein. Wenn du willst, führe ich mit ihm das Interview.« Meine beste Freundin seufzt schwer.
Neben mir wird gekichert, als würde Shawn Mendes höchstpersönlich dort stehen, und entnervt wage ich doch einen Blick auf das Plakat.
Lukas da Silva.
Für die Öffentlichkeit ist er der attraktive Charmeur, der den Leuten seinen Alltag als Game Designer näherbringt, abends ins Gym geht und das Nine-to-five-Leben lächerlich einfach erscheinen lässt. Er hat lange in den USA gearbeitet und ist seit einigen Jahren für das größte Spieleentwicklungsunternehmen in Deutschland tätig - Exeoh. Die Firma ist nur dank ihm so erfolgreich geworden. Zumindest sind das die Informationen, mit denen mich Louisa regelmäßig updatet, auch wenn ich nie danach frage.
Statt bei seinem Anblick Herzchenaugen zu kriegen, würde ich ihn lieber als Sim erstellen und im Pool ertrinken lassen. Ich wollte ihn nie wiedersehen, und doch ist er derjenige, der heute darüber entscheidet, wie es mit meiner beruflichen Laufbahn weitergeht. Ob ich endlich den Absprung schaffe und eine Chance bekomme, als Narrative Designerin in der Gamingbranche zu arbeiten. Oder ob ich für immer Journalistin bleibe und es nur ein Traum bleibt, für das Storytelling in Videospielen verantwortlich zu sein. Ich hasse es, dass ich ihm ausgeliefert bin und es nichts gibt, was ich dagegen tun kann. Es ist praktisch unmöglich, über den normalen Bewerbungsweg eine Chance bei Exeoh zu bekommen, alles läuft nur über Vitamin B.
Automatisch greife ich nach meiner Tasche, um zu überprüfen, ob noch alle Dokumente da sind. Zwischen meinen Interviewfragen verbirgt sich etwas viel Wichtigeres, etwas, woran ich seit Jahren arbeite und in dem mein ganzes Herzblut steckt.
»Du schaffst das, Johanna. Du ziehst dieses Interview mit ihm durch, und dann stellst du ihm deine Idee vor. Exeoh arbeitet doch gerade selbst an einem Fantasyspiel. Er wird Anima lieben.«
Ich verziehe das Gesicht und schlucke meinen Gedanken im letzten Moment herunter, bevor er aus mir herausplatzen kann. Natürlich wird er Anima lieben, weil er die Idee kennt. Er ist derjenige, der mich einst dazu ermutigt hat, daran zu glauben und nicht aufzugeben, bevor ich überhaupt wusste, was Storytelling in einem Videospiel überhaupt bedeutet.
Aber davon ahnt Louisa nichts. Lukas ist ein abgeschlossenes Kapitel in meinem Leben, das ich nur aufschlage, wenn es nicht anders geht. So wie heute.
»Erst mal muss ich das Interview hinter mich bringen. Es ist immer noch ein Wunder, wie mein Chef es geschafft hat, einen Termin mit Exeoh zu bekommen, so arbeitsscheu, wie er sonst ist.«
»Dein Chef wird dich noch vermissen, wenn du endlich bei ihm kündigst. Alles wird gut, okay? Es muss gut werden. Ansonsten habe ich Angst, dass aus dir Garados wird.«
Ich verziehe das Gesicht. »Wenn es nicht klappt, war's das.«
Seit Monaten bewerbe ich mich überall, versuche in jede noch so kleine Nische zu kommen und werde am Ende doch immer abgelehnt. Exeoh ist mein allerletzter Strohhalm. Ich habe Journalismus studiert und anschließend ein Fernstudium in Game Development mit dem Schwerpunkt Narrative Design absolviert, aber anscheinend reicht das nicht für ein Jobangebot in der Branche.
Ich brauche diesen Tag heute, damit Anima eine Chance bekommt. Damit ich endlich einen Platz in der Spielebranche bekomme. Zumal ich nicht die beste Journalistin bin - ich liebe es, Artikel zu schreiben, doch Interviews zu führen, ist nicht mein Ding. Wenn ich es also vergeige, wird Ed keinen Grund haben, mich länger in der Redaktion zu behalten. Nicht, dass ich unbedingt traurig über eine Kündigung wäre, nur bin ich leider auf das Gehalt angewiesen.
Erneut blicke ich zu dem überdimensionalen Lukas da Silva. Direkt in die tiefbraunen Augen, auf das dunkle Haar und die feinen Sommersprossen, die durch die Größe des Plakats besonders auffallen. Früher hat er sich für sie geschämt.
Ich hasse es, dass ich mich an diese Details erinnere, und schüttle den Kopf. Das mit uns ist vorbei. Die Vorstellung, Lukas und ich könnten Kollegen werden, ist schwer genug zu ertragen, auch wenn dieser Job mein Traum ist.
Schnell wende ich den Blick ab und beobachte die Menschen, die in die Hallen strömen, um die neuesten Spiele zu testen. Sehe die Cosplayer, die Stunden damit verbracht haben, um wie ihr liebster Manga-, Anime- oder Videospielcharakter auszusehen. Wärme durchströmt mich, und die Zweifel werden kurz von dem Anblick der bunten Menge zurückgedrängt. Hier schlägt jedes Herz für das Gaming, das Abtauchen in fremde Welten und Geschichten, die einen nicht mehr loslassen. Die einen nachts wach halten, weil man es nicht abwarten kann, den Controller wieder in die Hand zu nehmen, um mehr davon zu erleben. Ich will diejenige sein, die genau das erreicht, ihnen Gänsehaut verschafft und sie zu Tränen rührt.
»Ich schaffe das«, sage ich zu Louisa und meine es auch so. »Wollen wir los? Du wolltest doch ins Cosplay Village, oder? Ich muss mich noch etwas ablenken, bevor das Interview anfängt.«
Louisa räuspert sich und knibbelt an ihren schwarz lackierten Nägeln, auf die ich neidisch bin. Niemand hat so perfekte Nägel wie sie. »Ich muss dir was sagen.« Sie sieht wieder zu dem Plakat und lächelt dann mit entschuldigender Miene. Und noch bevor sie es laut ausspricht, weiß ich genau, worum es geht.
»Unter gar keinen Umständen gehe ich mit dir zu dem Announcement von Lukas.« Ungläubig starre ich Louisa an. »Weißt du, was in den Hallen los sein wird?«
Bitte, sag, du verzichtest. Bitte, sag, du verzichtest.
»Es ist überall voll. Und wenn...
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