Schweitzer Fachinformationen
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Alexander Schönleben ist ein erfolgreicher Unternehmer, der sich in Osthofen niedergelassen hat. Neues Geld, aber davon reichlich, nach allem, was man so hört, gemacht mit irgendwelchen Spekulationen.
Was die Stadtväter so begeistert, ist, dass er sein Geld offenbar in Osthofen ausgeben will. Schönleben hat Interesse an der alten Bauschuttdeponie gezeigt, um deren weitere Nutzung es seit Jahren Streit gibt. Er hat in dieser Angelegenheit um ein »informelles Treffen« gebeten, was übersetzt heißt, dass etwas ausgekungelt werden soll. Normalerweise kein Fall für den Sachbearbeiter Lorenz Brahmkamp. So was läuft auf Dezernenten-Ebene. Aber Kleinert fällt mit Grippe aus, genauso wie seine Stellvertreter. Selbst die Stellvertreter der Stellvertreter liegen flunderflach in ihren Betten und niesen, husten und schwitzen. Schönleben hat aber offenbar gedrängelt. So muss also Brahmkamp das Treffen absolvieren. Eigentlich hat er die Unterlagen der Bauschuttdeponie am Vortag sogar mit an den Hellersee genommen, war aber dann zu genervt von der Verliebten-Epidemie auf dem Rasen rund um den See. Überall lagen sinnlos kichernde Teenager und hatten ihre Gesichter ineinander verkeilt. Auch Pärchen in seinem Alter turtelten wie Statisten in einer Reklame für Glück oder Eiscreme. In dieser Situation konnte er keinen Aktenordner auspacken, ohne sich vollends einsam zu fühlen. Jetzt ist er auf das Treffen nicht vorbereitet, mit dem er sich im Büro etwas Luft verschaffen könnte.
Die Franz-Marc-Allee liegt in Osthofen-Tannbusch, dem Nobel-Stadtteil. Hohe Hecken, hohe Decken, tolle Autos, kleine Läden, in die die beschäftigungswilligen Ehefrauen der Besser-und Bestensverdiener abgeschoben werden. Hier gibt es mehr Hunde als Kinder und mehr Golfspieler als Arbeitslose. Das Gute an diesem Stadtteil ist, dass man keinen Parkplatz suchen muss. Auch Schönlebens Haus hat eine Auffahrt, in der schon ein roter Porsche parkt, und eins dieser Allradmonster, die nur in schwer zugänglichen Gebieten sinnvoll sind, aber immer in Gegenden wie Osthofen-Tannbusch stehen. Glänzend zeigen sie Brahmkamps eingedelltem Corsa ihre makellosen gelackten Karosserien. Alles an Schönlebens Haus ist ordentlich, aufgeräumt, rechtwinklig und kühl. Ein Gegenentwurf zur gemütlichen Verwahrlosung in Lorenz' Wohnung. Sauber ausgerichtete Grashalme, arrogante Schieferplatten, die einem den Weg zum Haus vorschreiben. Hier gibt es sicher niemanden, der einem telefonisch ins Rührei quatscht.
Lorenz hat in seinem Beruf oft mit viel Geld zu tun, aber nur als Zahlen in Excel-Tabellen und Formularen. Hier dagegen wohnt das Geld. Die Autos sagen »Geld«, der Springbrunnen vor dem Haus sagt »Geld«, die modernen Laternen längs der Auffahrt sollen in erster Linie Geld ausstrahlen und erst in zweiter Linie Licht. Das Haus ist ein Protzklotz. Neureich in Osthofen. Lorenz kennt diesen Typus, während er selber jetzt eher neuarm ist, seit Katrin ihm nicht nur im Bett, sondern auch auf dem Konto fehlt. Katrin, die schon lange aus der »Villa Hechtsuppe« ausziehen wollte, wie sie ihre gemeinsame Wohnung getauft hat, bei der es im Winter durch die undichten Fenster zieht. Katrin, die immer hoch hinauswollte. Wie ein Echo seiner eigenen Gedanken hört Lorenz jetzt ein heiteres Frauenlachen aus Richtung des Hauses. Vielleicht, denkt Lorenz, wäre Katrin in so einem Haus nicht auf den Gedanken gekommen, ihn zu verlassen. Lorenz latscht absichtlich direkt neben den Schieferplatten über den Rasen auf den Eingang zu.
Zwischen Garage und Haustür stehen Blumen Spalier. Natürlich keine Allerweltstulpen, sondern irgendwelche exotischen Pflanzen mit komplizierten, geschwungenen Köpfen. Auch die Botanik muss hier protzen. Er tritt beiläufig eine der Blumen um, als Rache für die verpassten Rühreier und den Anschiss von Kleinert. Irgendwo bellt ein Hund. Sicher eine vom Aussterben bedrohte Art. Lorenz nimmt ein paar Schritte Anlauf. Er wird Schönleben heimzahlen, dass der so ein Haus hat und solche Autos und nicht von Katrin verlassen wurde. Lorenz kickt eine Reihe besonders leuchtender Blumen mit Vollspann in die dahinterliegende Hecke. 1:0 für Brahmkamp im Blumenfußball. Lorenz reißt automatisch die Arme hoch und streckt seine Zeigefinger in die Luft. »I am the champion, my friend!«. Bei ». no time for losers .« ist er schon leicht außer Atem. Lorenz klappt seine ausgestreckten Arme wieder ein, setzt seinen offiziellen Gesichtsausdruck auf und geht zum Hauseingang.
Die massive Haustür öffnet sich, bevor er sie erreicht hat, und Alexander Schönleben steht im Türrahmen. »Ich wollte gerade . «, fängt Lorenz an.
»Ich weiß«, fällt ihm Schönleben ins Wort, »ich hab Sie schon gesehen!« Er deutet auf einen Monitor, der direkt neben der Wohnungstür in die Wand eingelassen ist. Anscheinend hängen überall Kameras. Eine zeigt direkt die Auffahrt und die umgetretenen Blumen. Der Blumenfußball wurde heute live im Fernsehen übertragen. »Da saß ein Rudel fetter Wespen, auf jeder Blume eine, super aggressiv«, lügt Lorenz los, aber sein Gastgeber unterbricht erneut: »Kommen Sie rein.« Schönleben verschwindet im Inneren des Hauses.
Lorenz könnte sich ohrfeigen. Blumen umtreten fällt sicher nicht in die Kategorie »Job sichern«. »Ich muss mich wirklich entschuldigen.« Lorenz versucht, so zerknautscht wie möglich zu wirken, und Schönleben lacht: »Ich kann das Gemüse auch nicht leiden. Das meiste ist noch von den Vorbesitzern. Auch der Springbrunnen und der ganze Alarm-Tinnef. Ich würde mir so was nie hinstellen, aber die haben mir einen guten Preis gemacht, und ich wollte nicht monatelang 'ne Hütte suchen.«
Lorenz ist überrascht. Vielleicht hat er instinktiv sogar alles richtig gemacht. Schönleben ist schlank, um die vierzig und sagt »Hütte« und »Tinnef«. Er ist deutlich zu braun für den Osthofener Sommer und trägt eins dieser atmungsaktiven Sporthemden und eine Trainingshose mit den drei Streifen. Er schwirrt barfuß durch die Räume, seltsam aufgedreht, wie der Duracell-Hase nach einem doppelten Espresso. Schönleben wirkt ohnehin nicht wie ein Geschäftsmann, sondern wie ein etwas zu alter Animateur im Club Robinson, nur dass er nicht so gut aussieht. Am Hinterkopf lichtet sich das strohblonde Haar, das in kleinen Büscheln absteht und so aussieht, als würde ein Teddy seine Füllung verlieren. Die Nase ist leicht windschief, und auch die Zähne sehen so aus, als hätte eine Klammer ihnen gutgetan. »Machen Sie sich keine Gedanken wegen der Blumen«, sagt Schönleben und hackt auf einem Blackberry herum, während er gleichzeitig den riesigen Fernseher im Auge behält, auf dem stumm Nachrichten und Börsenkurse zu sehen sind. Schönleben strahlt so viel Energie aus, als hätte er eine kleine Turbine verschluckt.
Lorenz will Boden gutmachen. »Ich weiß nicht, wie viel Ihnen Herr Kleinert schon von mir erzählt hat .«
»Laufen Sie?« Lorenz kann mit der Frage nichts anfangen. »Laufen, joggen, Sie wissen schon.«
»Ähm .«
»Normalerweise lauf ich immer mit Otto Gassi«, Schönleben läuft auf der Stelle, um zu demonstrieren, was er meint, »aber wenn ich die Wahl hab zwischen Mensch und Hund .«
Der ist als Kind mal in Red Bull gefallen. »Ich hab leider was am Rücken«, lügt Brahmkamp los, prallt aber nur auf Schönlebens unverändertes Lächeln. »Was denn?«
»Bandscheibendings . sehr kompliziert.«
»Da ist Laufen doch das Beste.«
»In meinem Fall nicht. Da ist Laufen das Schlechteste.«
»Wieso?«
»Spinale Karthose.« Lorenz sieht Schönleben herausfordernd an. In Phantasielatein ist er kaum zu schlagen.
Schönleben ist aber nicht im mindesten beeindruckt. »Wir probieren's einfach mal. Wir können ja aufhören, wenn's nicht geht!«
Laufen. Ebenso wenig wird Lorenz sich selbst in die Luft sprengen. »Was haben Sie für 'ne Schuhgröße?«, fragt Schönleben.
Am verwirrendsten ist das Lächeln. Mit dem Lächeln kann man eine Kleinstadt den ganzen Tag lang mit Energie versorgen. »47, 48, eher größer.«
»Kann ich gar nicht glauben.« Schönleben ist nicht Kleinert. Dem kann man so schnell nichts vormachen. »Sieht mir eher nach 43, 44 aus!«
»Oder so«, sagt Lorenz dumpf.
»Wie ich!« Schönleben strahlt jetzt auch darüber, dass sie beide vielleicht gleich große Füße haben, und verschwindet in einem angrenzenden Raum. Lorenz wird nicht schlau aus dem Mann. Ist dieses Laufen vielleicht doch die subtile Rache für das Blumenmassaker?
Der Raum, in dem er steht, ist genauso verwirrend. Von der Größe könnte man locker Squash darin spielen, zumal eine Seite komplett verglast ist. Eine Wand ist mit Natursteinen verkleidet, und in der Mitte ist ein moderner Kamin eingelassen. Die lederne Sitzlandschaft steht aber so, dass man weder auf den Fernseher noch den Kamin sehen kann, sondern auf die Fensterfront, vor der ein professionell gepflegter Garten liegt. In einer Ecke des Raumes thront ein Flügel, der dient aber anscheinend hauptsächlich als Ablage für Gläser, Flaschen und Unterlagen. Der Boden besteht aus großen Granitfliesen, auf denen Teppiche liegen, und ein roter, seidener Hausmantel, der vermutlich zu der Frau gehört, deren Lachen Lorenz vorhin gehört hat. Alles hier ist klar, einfach, gradlinig. Nicht wie bei Lorenz, in dessen Wohnung Beziehungsarchäologen Schicht um Schicht abtragen könnten, um bis zu den Anfängen vorzustoßen, so wie er selbst vorgestern den Kuss-Gutschein gefunden hat.
Schönleben kommt zurück und schwenkt ein Paar Turnschuhe und in der anderen Hand Sporthose, Socken und ein Trikot. »Wir laufen nur die kleine...
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