Schweitzer Fachinformationen
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Möwen kreisten über ihre Köpfe hinweg, und die Wellen brandeten am Strand. Golden funkelte die Sonne am strahlend blauen Himmel, und Julia streckte die Beine vor sich aus, während sie sich eine Erdbeere aus dem Picknickkorb stibitzte.
»Julia!«, schimpfte ihre Schwester Christine und ließ ihre Hand auf Julias niedersausen, sodass die Erdbeere zurück in den Korb purzelte. »Du sollst ein paar Erdbeeren für Mutter und Vater übrig lassen.«
Theatralisch verdrehte Julia die Augen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während sie sich auf die Picknickdecke legte. Sie waren nun fast neunzehn Jahre alt, und trotzdem behandelte Christine sie manchmal, als wäre Julia noch ein kleines Kind.
»Du bist so korrekt«, maulte sie und schaute in den blauen Himmel.
Christine schnaubte belustigt und knuffte Julia in die Seite. »In Ordnung, ein paar Erdbeeren kannst du noch essen, aber beschwer dich nicht, wenn Vater nachher beleidigt ist.«
Vater, dachte Julia amüsiert und schloss die Augen. Wie schnell Ole Bergmann, der Mann, der schon immer das Herz ihrer Mutter berührt hatte, zu einem echten Vater für sie geworden war! Ohne Kompromisse, ohne Zweifel. Selbst ihre Schwester Christine, die dem neuen Mann an der Seite ihrer Mutter am Anfang noch skeptisch gegenübergestanden hatte, war seinem Charme und seinen schlechten Witzen erlegen.
»Hörst du mir überhaupt noch zu?«, durchbrach Christine ihre Gedanken, und Julia öffnete wieder die Augen.
»Wie könnte ich dir jemals nicht zuhören?«, fragte sie feixend.
»Du bist unmöglich!«
»Das bemerkst du erst jetzt?« Julia hievte sich hoch und fuhr sich durch ihre roten, widerspenstigen Haare. Sie ließ den Blick über das Meer schweifen, und ein Lächeln zupfte an ihren Lippen. Ihr Zuhause war so wunderschön, dass es ihr beinahe das Herz zerriss.
»Wir sollten uns auf den Heimweg machen.«
Julia zog die Augenbrauen in die Höhe und musterte ihre Schwester eingehend. Christine war eine bezaubernde Schönheit geworden, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Ihr schwarzes Haar war zu einem adretten Zopf geflochten, der über ihre Schulter hing. Das blaue Kleid, welches sie trug, wies keine Flecken auf, und ein sanftes Lächeln huschte über ihre Gesichtszüge.
»Wieso hast du es auf einmal so eilig?«
Christine zuckte schweigend mit den Schultern und fuhr mit ihren Fingern durch den Sand. Neugierig beobachtete Julia sie, bis ihr ein Licht aufging.
»Du willst in die Praxis!«, rief sie und klopfte sich den Staub von ihrem Kleid, während sie sich erhob. »Aber heute ist dein freier Tag.«
Christine seufzte leise und sah Julia an. »Ich möchte Herrn Marks in der Praxis helfen, denn dort finden heute einige Umbauarbeiten statt.«
Julia wollte erwidern, dass ihre Schwester nun wirklich kein Talent für Handwerksarbeiten besaß, denn sie konnte nicht mal einen Nagel richtig in ein Brett hämmern - das war eher Julias Stärke, aber als sie das scheue Lächeln auf Christines Lippen sah, wusste sie, dass diese Worte überhaupt keine Wirkung zeigen würden. Sie hatte ihre Ausbildung zur Krankenschwester vor etwas mehr als drei Jahren begonnen und aufgrund ihrer guten Leistungen schon vorzeitig beendet. Nun arbeitete Christine in Herrn Marks' Praxis, versorgte Patienten und kümmerte sich um die kleinen und großen Wehwehchen der Bürger von Timmendorfer Strand.
»In Ordnung, dann gib mir den Korb mit den Einkäufen, ich gehe allein zum Hotel zurück.«
»Danke!« Erleichtert erhob Christine sich und zog ihre Schwester in eine innige Umarmung.
Julia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Für die meisten Menschen war Christine wie ein unscheinbarer Schatten, eine junge Frau, die sich im Hintergrund hielt und immer fleißig und freundlich war. Aber manchmal schien es, als würde ein Funke von Julias Temperament auf Christine überspringen. Dann war sie wie ein Sommersturm, der übers Land zog.
»Sag bitte Mutter und Vater nichts, sonst sind sie wieder besorgt, dass ich zu viel arbeite.« Christine löste sich von ihrer Schwester, und ein flehentlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
Julia verdrehte die Augen. »Was soll ich ihnen denn stattdessen sagen? Dass du mit einem Burschen anbändelst? Das glauben sie mir noch viel weniger«, antwortete Julia trocken.
»Sei nicht so gemein!« Christine wurde rot im Gesicht und wandte hastig den Blick ab.
»Und du sei nicht so empfindlich.« Julia strich über Christines Arm und schüttelte den Kopf. »Ich hab's nicht so gemeint, das weißt du genau.«
Christine nickte gedankenverloren und schlang die Arme um ihren Körper. Ein Zittern huschte über sie hinweg, und sie presste die Lippen aufeinander.
Julia zog scharf die Luft ein und beobachtete ihre Schwester eingehend. Auch das war Christine. Ihre Schwester zeigte ihre Gefühle nicht gerne, zog sich in ihr Innerstes zurück und schwieg lieber über die Dinge, die sie beschäftigten.
»Was ist los?«, fragte Julia zaghaft, hakte sich bei ihrer Schwester unter und schnappte sich die Picknickdecke, bevor sie mit Christine zur Strandpromenade ging.
Christine kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Herr Marks hat gesagt, dass ich einige Kurse der Medizin in Kiel besuchen kann, wenn ich möchte«, sagte sie dann kleinlaut.
»Aber das ist doch großartig! Wenn dir die Kurse gefallen, könntest du sogar Medizin studieren. Das wolltest du doch immer!«, rief Julia begeistert. »Warum siehst du deswegen so besorgt aus?«
Sie gingen den kleinen Hügel hinunter zum Denkers Kurhotel, und während Christine noch beharrlich schwieg, ratterte ein Karren an ihnen vorbei. Julia erkannte, dass es der Bauer Hubert war, der Gemüse, Obst und Getreide für die Hotels im Kurort auslieferte.
»Die Damen Graff«, grüßte er sie, als der Karren zum Stehen kam und sie daran vorbeigingen.
»Guten Morgen, Herr Hubert«, entgegnete Julia höflich, löste sich von ihrer Schwester und spähte in den Karren.
»Na . haben Sie wieder neue Rezeptideen für dieses Gemüse?«, fragte der Bauer mit einem Grinsen auf den Lippen und sprang vom Karren.
»Ja, sehr viele sogar, Herr Hubert. Ich möchte einen neuen Gemüseeintopf ausprobieren, den ich in einem alten Kochbuch meiner Großmutter entdeckt habe.« Ehrfürchtig strich sie über die Säcke, sog den Duft von frischem Gemüse ein und konnte gar nicht in Worte fassen, wie dankbar sie war, dass die Inflation nun langsam abflachte und niemand im Kurort mehr Hunger leiden musste. Die Läden füllten sich mit frischen Waren, und endlich konnte Julia all die Rezepte ausprobieren, für die ihr so lange die Lebensmittel gefehlt hatten.
»Das klingt vorzüglich, junge Dame. Ich hoffe, Sie lassen mich davon probieren.«
»Aber natürlich, Herr Hubert.« Sie lächelte den Mann höflich an und verabschiedete sich hastig von ihm, denn Christine war ohne ein Wort des Grußes weitergegangen.
Allein dieses Verhalten zeugte davon, dass ihre Schwester tief in Gedanken versunken war. Julia schüttelte irritiert den Kopf und lief ihrer Schwester eilig hinterher. »Tine!«, rief sie und ergriff ihr Handgelenk.
Christine wirbelte herum und starrte Julia beinahe erschrocken an; die Lippen fest aufeinandergepresst, wich sie Julias Blick sofort wieder aus.
»Du bist heute äußerst merkwürdig .«, murmelte Julia und ließ Christines Handgelenk los.
Ihre Schwester zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder ab, aber so schnell würde Julia sich nicht abschütteln lassen. Sie war hartnäckig und konnte ihren Liebsten ungeheuer auf die Nerven gehen, aber so fand sie auch immer heraus, was die Menschen in ihrer Nähe bedrückte.
»Nun rede schon mit mir!«, forderte Julia Christine auf und zog sie mit auf eine Bank nahe der Promenade, bevor sie die Villa Sommerwind ihrer Familie erreichten.
Wortlos setzte Christine sich und verhakte die Finger ineinander. Einige schwarze Haarsträhnen hatten sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst und umrahmten ihr Gesicht wie Schatten. Manchmal beneidete Julia ihre Schwester um ihre Schönheit. Um die feine Haut wie Porzellan, dieses Haar, das schwarz wie die Nacht war und immer glänzte. Um die schön geschwungenen Brauen, die kirschroten Lippen. Christine sah aus wie eine Prinzessin, wie eine schweigende Schönheit inmitten von goldenem Sonnenlicht. Sie, Julia, war dagegen ein Wildfang mit ihren feuerroten Haaren und der sommersprossigen Haut. Ihre Lippen waren trocken, ihre Hände schwielig von der heimlichen Arbeit in der Küche, und doch wusste sie in ihrem tiefsten Inneren, dass sie nicht wie Christine sein musste. Dass sie ihre Schwester immer lieben würde und dieser Neid nur ein Trugbild in ihrem Herzen war.
»Meinst du .«, setzte Christine unsicher an und biss sich auf die Unterlippe. »Denkst du, dass Mama und Papa mir erlauben werden, Kurse in Medizin zu besuchen? Vielleicht sogar wirklich zu studieren?«
Julia hob die Augenbrauen und brauchte einige Zeit, um die Worte ihrer Schwester zu verarbeiten. »Warum sollten sie das denn nicht? Mutter hat dir erlaubt, während des Krieges im Lazarett zu arbeiten. Sie hat deiner Lehre zugestimmt und würde dir auch ein Studium erlauben. Da...
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