Schweitzer Fachinformationen
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An dem Morgen, an dem ich sterben werde, habe ich es eilig. Gestern Abend war ich zu aufgewühlt, um einzuschlafen, weil mir nicht aus dem Kopf gehen wollte, was vorgefallen ist, deshalb habe ich heute Morgen prompt den Wecker überhört. Jetzt finde ich den blöden Schlüssel nicht, der lösliche Kaffee ist aus, und ich habe keine Zeit mehr, mir einen richtigen zu machen. Mit einem Blick auf die Uhr auf meinem Handy laufe ich in unsere winzige Küche und fluche, wenn auch ganz leise, um Evie nicht zu wecken. Wenn ich so weitermache, komme ich zu spät zu meinem Termin in der Nähe von Borough Market, und verschieben kommt nicht infrage. Der ganze verdammte Tag ist vollgestopft bis zu der Party heute Abend, bei der ich fit sein muss, weil Jason Investoren eingeladen hat, die Interesse an meiner Idee für ein neues Label haben.
Jason. Nein, ich werde jetzt nicht an ihn denken. Auf keinen Fall. Ich habe mir geschworen, nicht an ihn zu denken, zumindest nicht heute Vormittag. Außerdem geht es bei der Party nicht um ihn, die Leute kommen wegen mir. Wegen meiner Idee. Ich will recyclingfähige Materialien verwenden, was im Augenblickt total angesagt ist, und meine Entwürfe haben ihnen auch gefallen, ihre »Kühnheit«, wie es hieß. Das wäre so was von cool. Etwas ganz allein zu erschaffen. Das würde mich für die langen Arbeitszeiten bei lausiger Bezahlung entschädigen, dafür, wichtigen Leuten ständig Honig ums Maul schmieren zu müssen.
Ich unterbreche die Suche nach meinem Schlüssel in der Obstschale - so absurd es klingen mag, aber Evie hat sie tatsächlich mal dort gefunden - und atme tief durch. Eigentlich brauche ich sie nicht, Evie kann mir auch aufmachen, wenn ich heimkomme. Als ich mich umdrehe und das magnetische Whiteboard und den Stift vom Kühlschrank pflücke, quietschen meine Sohlen auf den Pseudo-Terrakottafliesen, die in Wahrheit aus Kunststoff bestehen und sich in den Ecken und an der Kante des Küchenschranks wellen. Evie hat die kleine Tafel vor ein paar Jahren gekauft, weil ich ständig die gelben Haftzettel verliere. Seit unserem Umzug nach London ist es zur Tradition geworden, einander Nachrichten zu schreiben. Anfangs hatte ich einen Job als Praktikantin, was gleichbedeutend mit endlos vielen Arbeitsstunden bei null Bezahlung war, während Evie häufig unterwegs sein musste, um bei einem der zahllosen Amateurorchester vorzuspielen. Folglich waren wir nur selten zur selben Zeit zu Hause, weswegen Evie die Idee mit den Nachrichten am Kühlschrank aufbrachte. Damit fühlten wir uns beide weniger einsam und hielten uns gegenseitig auf dem Laufenden.
Inzwischen verwendet sie das Board nicht mehr oft. Ich weiß, dass es sie an manchen Tagen überfordert, überhaupt etwas zu schreiben, an anderen hat sie einfach nichts zu sagen - an jenen, wenn sie sich nicht einmal überwinden kann, einen Fuß aus der Wohnung zu setzen. An guten Tagen wiederum hinterlässt sie mir ein paar Worte oder sogar eine kleine Skizze, was ich als Zeichen werte, dass es ihr gut geht. Aber meistens überlässt sie die Kommunikation gänzlich mir.
Am Kühlschrank sind immer noch die Fotos zu sehen, die wir bei unserem Einzug aufhängten: Evie und ich direkt nach dem Schulabschluss am Strand von Kreta, wie wir Arm in Arm dastehen und in die Kamera grinsen wie Idiotinnen. Ich mit einer Champagnerflasche, die Evie mir nach dem Uniabschluss geschenkt hat. Wir beide an meinem einundzwanzigsten Geburtstag inmitten von Leuten, zu denen wir längst den Kontakt verloren haben. Früher hing dort auch eine Aufnahme von Evie bei ihrem Abschluss mit ihrer Geige im Arm, doch das hat sie an einem ihrer schlechten Tage vor einem halben Jahr heruntergerissen. Beim Anblick der Fotos verkrampft sich mein Magen, weil ich wieder an gestern Abend denken muss. Mir ist bewusst, dass ich zu weit gegangen bin.
Ich verdränge den Gedanken und lege das Whiteboard auf die Arbeitsplatte, zwischen die Obstschale, in der ohnehin nie Früchte liegen, und den schmutzigen Geschirrstapel. Eigentlich hätte ich gestern Abend noch abwaschen sollen, aber nach unserem Streit bin ich einfach in mein Zimmer gestürmt, sodass mich das mit Krümeln übersäte Schneidbrett mit dem butterverschmierten Messer und die leeren Müslischalen vorwurfsvoll ansehen. Ich muss den Blick abwenden.
Lass den Abwasch ruhig stehen, schreibe ich auf das Board. Ich erledige es später. Ich halte inne. Vielleicht kriegt sie meine Nachricht in den falschen Hals und glaubt, ich schreibe es nur, weil ich denke, sie kriegt es nicht hin oder so. Vor allem nach gestern. Ich wische das Board ab und fange noch mal an. Heute wird es spät, warte also nicht auf mich. Großer Abend!! Ich gebe Bescheid, wie es läuft. Aber morgen Abend Curry und Wein, okay? Dabei belasse ich es. Es würde nichts bringen, das Ganze noch breitzutreten. Morgen Abend reden wir, und dann ist alles wieder in Ordnung. Es gibt nichts, was Evie und ich nicht hinkriegen würden.
Ich drücke den Deckel auf den Stift und gehe ins Wohnzimmer. Auf dem Übergang zwischen den Plastikfliesen zu dem alten beigefarbenen Teppichboden bohrt sich etwas in meine Fußsohle, und ich stoße einen lauten Fluch aus. Ich inspiziere meinen Fuß. Blut quillt durch meine schwarzen Strümpfe, und im Schein der Deckenbeleuchtung glitzert eine winzige Glasscherbe. Auf einem Bein hüpfe ich zum Sofa, ziehe den Splitter heraus und lege ihn auf den kleinen Couchtisch, als ein flüchtiges Bild von gestern Abend in meinem Gedächtnis aufflackert: ein Glas, das klirrend auf dem Küchenboden zerbirst, Wasser spritzt, Scherben fliegen. Evie und ich, fassungslos dastehend, bis Evie steifbeinig zur Spüle tritt, um Schaufel und Besen zu holen.
»Ich mache das schon«, sagte ich schnell.
»Schon gut«, stieß Evie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Aber ich -«
»Schon gut, habe ich gesagt, okay!«
Ich sehe zu Evies Tür. Eigentlich sollte ich nach ihr sehen, aber ich bin spät dran und weiß nicht, wie lange es dauern würde, wenn wir jetzt zu reden anfangen. Ich muss los. Ich will los - vor mir liegt ein so ereignisreicher Tag.
Ich stehe auf, schlüpfe in meine schwarzen Stiefel, ohne den stechenden Schmerz in meiner Fußsohle zu beachten, und hebe meine Handtasche auf, die neben der Haustür liegt. Mein gesamtes Studium habe ich auf diese Tasche gespart und liebe sie heiß und innig, mit ihrem wunderschönen Kroko-Print von einem Designer, der damals gerade angesagt war: das perfekte Gesprächsthema für Interviews in der Zukunft.
In diesem Moment höre ich das Klicken von Evies Tür und drehe mich um. Evie ist immer blass, aber heute wirkt sie noch bleicher, und unter ihren Augen liegen dunkle Ringe. Sie trägt eine Flanellschlafanzughose und dieses potthässliche Shirt von Will, das sie immer noch im Bett anhat, obwohl dieser blöde Drecksack sie verlassen hat. In ihrem Blick spiegelt sich ein Anflug von Misstrauen; schätzungsweise sieht sie dasselbe in meiner Miene - die Nachwirkungen unserer Auseinandersetzung gestern Abend.
Verlegen streift sie ihre Kopfhörer ab. Sie tut so, als höre sie keine Musik mehr - zumindest nicht die Musik, die ihr viel bedeutet. Deshalb trägt sie Kopfhörer, statt sie laut in ihrem Zimmer zu hören. Sie will es nicht zugeben, trotzdem weiß ich, dass sie es tut, und sie weiß, dass ich es weiß, aber keine von uns bringt es zur Sprache.
»Du gehst?« Der leise Vorwurf in ihrer Stimme beschwört ein ungutes Gefühl in mir herauf. Es geht zu sehr in die Richtung von dem, was sie gestern Abend gesagt hat.
Ich räuspere mich. »Ja. Ich habe dir eine Nachricht geschrieben.« Ich deute in Richtung Küche, doch Evie sieht mich weiter direkt an.
»Ich dachte, du musst heute erst später los. Wegen der Party.«
»Ja, das ist richtig.« Wieso klinge ich so förmlich? Du liebe Zeit, ich rede mit Evie. Das ist ja grauenhaft. Evie und ich streiten sonst nie. Sie ist die Konstante in meinem Leben, und das muss sie auch sein. Ich brauche das. Trotzdem fällt mir nichts ein, um es irgendwie besser zu machen. Nicht in der Kürze der Zeit, die mir bleibt.
Sie steht immer noch mit verschränkten Armen da und wartet auf eine Erwiderung. Es gibt einen kurzen Moment, in dem ich die Wahrheit sagen könnte - was ich heute Morgen vorhabe und warum. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Unser Streit ist noch zu frisch, und ich habe keine Zeit, um es ihr richtig zu erklären. Also lüge ich. »Ich muss früh zur Arbeit, um alles vorzubereiten.« Die Worte hinterlassen einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge.
Sie nickt langsam, während ich sie von oben bis unten mustere, wie ich es seit ein, zwei Jahren tue, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ihr geht, was für einen Tag sie heute hat. Evie kneift die Augen zusammen, was mir verrät, dass sie meine Taktik durchschaut.
»Kommst du später auch zur Party?«, frage ich eilig.
»Vielleicht«, antwortet sie nach einer Sekunde. »Ich gebe dir Bescheid. Ist das okay?« Auch sie klingt ungewohnt steif. Bereut sie ebenfalls, was gestern vorgefallen ist? Wahrscheinlich. Sie kann es nicht ausstehen, wenn sie die Beherrschung verliert.
»Klar.« Ich glaube nicht, dass sie kommt. In letzter Zeit verlässt sie so gut wie nie das Haus. Andererseits ist der heutige Abend wichtig für mich, vielleicht überrascht sie mich ja. Oder auch nicht . nach allem, was gestern passiert ist. Wieder verkrampft sich mein Magen.
Ich höre, dass eine Nachricht auf meinem Handy eingeht, und krame es aus meiner Handtasche. Beim Anblick des Namens auf dem Display zieht...
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