Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
NACHDEM ER AN MIR herumgegrapscht und dann gut Wetter bei Dale gemacht hatte, dem nicht einmal bewusst war, dass gut Wetter bei ihm gemacht wurde, bedurfte es keiner besonderen Geistesschärfe, um zu erahnen, was Bud als Nächstes einfallen würde, nämlich dass er hungrig war und nichts dagegen hätte, irgendwo was zu essen aufzutreiben.
»Heute ist in Ryansville Gemeindeessen, es gibt Wels«, sagte Dale.
»Na«, sagte Bud und rieb mit seinen Pranken über das Lenkrad, »dann nichts wie hin.«
Vor der Kirche in Ryansville standen so viele Fahrzeuge, dass man hätte meinen können, das geplante Lynchen würde dort stattfinden. Autos und Pritschenwagen parkten eine Viertelmeile entlang der Straße, und ich sagte, so dringend sei mir das nicht mit dem Essen, aber Bud hielt den Wagen an.
»Du musst Kraft tanken für das, was wir heute Abend vorhaben«, sagte er.
»Ich möchte noch ein bisschen Kraft übrig behalten, damit ich meinen Spaß haben kann, so sehe ich das«, sagte ich.
»Steig aus, Ottie Lee«, sagte Dale.
Ich rührte mich nicht vom Fleck, bis er nachschob »bitte«, und wahrscheinlich wäre ich trotzdem sitzen geblieben, bis sie mich entweder in Ruhe gelassen oder aus dem Auto gezerrt hätten, wäre nicht in diesem Moment der Geruch von frittiertem Wels durchs Fenster hereingeweht und hätte meinen Magen gekitzelt. Ich hatte seit dem Frühstück genau zwei Kräcker und ein Karamellbonbon zu mir genommen, und der Wels roch so gut, dass ich die Autotür aufriss und Dale und Bud zur Seite stieß.
Ich war bereit, das auch mit allen anderen so zu machen, die mir im Weg standen, aber als ich zur Kirche kam, sah ich, dass es nicht nötig sein würde. Alle drängten sich draußen auf dem Rasen, und diese Knallköpfe aßen gar keinen Wels. Ein feister Bursche in einem nicht sehr vorteilhaften braunen Anzug stand auf einer Getränkekiste und ließ eine Rede über Freiheit, Demokratie, Feldfrüchte und frische Blumen in die rauchige Luft ab, das jedenfalls war es, was ich aufschnappte, während ich über den Rasen ging und in die Kirche trat.
Man hätte erwarten können, dass wenigstens ein paar Leute da drin wären, aber ich sah keine Menschenseele, als ich dem Schild mit der Aufschrift IHRCHRISTEN, HIERGIBT'SDENBESTENWELSAUFERDEN! folgte, das in den Keller wies. Es dauerte einen Augenblick, bis meine Augen sich an das Licht der kleinen Glühbirnen, die dort unten von der Decke hingen, gewöhnt hatten, aber die Berge von Fisch hatte ich schnell entdeckt. Es gab solche Mengen von Wels, dass ich einen Moment lang stehen blieb, um das alles auf mich wirken zu lassen. Und es war nicht nur Wels - es gab auch Krautsalat und Brötchen und Kartoffelsalat, und dann noch zwei Tische voll Kuchen. Dampf hing in der Luft, und alles glitzerte. Es sah aus, als wäre man in eine dieser alten Geschichten geraten, die wir bei den Spitzers immer erzählt bekommen hatten, wo Jesus in Wallung gerät und ein Wunder wirkt. Mr. Spitzer breitete gern die Arme aus, wenn er zu dieser Stelle der Geschichte kam. Hob die Arme und ließ sich das Haar ins Gesicht fallen. In der Kirche gab es ein Weckglas, wo man das Geld hineinwerfen sollte, und ich zog ein paar Münzen aus der Tasche. Dann richtete ich den Blick auf die Servierplatten und hielt direkt auf sie zu. Erst jetzt sah ich, dass dort Frauen standen, die das Essen ausgeben sollten. Drei waren es, jede so alt wie Methusalems Onkel. Sie trugen blaue Kattunkleider und hatten sich vor den Kleckerbereich Schürzen gebunden.
»Allein zum Essen da?«, fragte die eine.
»Nein, wir sind zu dritt«, sagte ich.
»Die anderen hören sich wahrscheinlich die Rede an«, sagte eine andere.
»Es wundert mich, dass Sie das nicht auch tun«, sagte die dritte.
»Ich habe Hunger«, sagte ich. »Hunger, Hunger, Hunger.«
»Ich glaube, Hunger haben die alle, da oben«, sagte die erste.
»Gibt es irgendeinen Grund, warum Sie mir nichts auftun? Ich habe bezahlt und stehe mit leerem Teller vor Ihnen«, sagte ich.
»Gibt es denn einen Grund, warum wir Ihnen nichts auftun sollten?«, fragte die zweite.
Ich sann einen Moment lang darüber nach. Natürlich gab es Gründe. Mir fielen jede Menge ein, aber wem würde das nicht so gehen.
»Ich bin eine Sünderin. Und wie steht's mit Ihnen?«
»Oh, wir sind mit der Sünde durchaus vertraut.«
»Aber Sie haben Ihren Weg hierher gefunden.«
»Genau.«
Während die dritte das sagte, stieß die Menge draußen ein großes Gebrüll aus, und im nächsten Moment klang es, als kämen die Heerscharen der Apokalypse die Treppe heruntergestürmt.
»Krieg ich jetzt meinen Wels oder nicht?«, fragte ich.
»Aber natürlich, meine Liebe«, sagte die erste.
»Was darf's denn sein?«, fragte die zweite.
»Nehmen Sie sich ein Stück Kuchen, und vergessen Sie nicht, den Herrn zu preisen, bevor sie es essen!«, sagte die dritte.
Ich bekam mein Essen und ging durch die Seitentür wieder nach oben, während die Horde sich hereinwälzte, was mich an die Schweine erinnerte, in die Jesus die Dämonen hat fahren lassen, und an die kalte Flanke von Dales Sau, und dann setzte ich mich an einen der langen Tische, die man am hinteren Ende der Rasenfläche aufgestellt hatte. Es war ein schönes Fleckchen. Überall standen große, Schatten spendende Bäume, und ringsum erstreckten sich die sommerlichen Felder. Kein Lüftchen regte sich, aber man hatte Raucheimer aufgestellt, gegen die Fliegen und Moskitos. Überall blühte Schwarzäugige Susanne, und hinten auf dem Grundstück stand ein großer Straucheibisch. Mein Blick verweilte etwas darauf. Es sah so aus, nur ein bisschen und nur einen Moment lang, als wäre der Strauch nicht von robusten rosafarbenen Blüten übersät, sondern von lauter Augen.
Zu den Dingen, die wir hatten tun müssen, um uns den Aufenthalt bei den Spitzers zu verdienen, während wir darauf warteten, dass unsere miesen, unberechenbaren Eltern wiederkamen, gehörte auch das allwöchentliche Gemeindeessen in der Baptistenkirche, immer Bohnen mit Schinken. In den Sommermonaten hatte ich zahllose Male die Tische gedeckt, und das hatte bedeutet, in einem Garten zu arbeiten, der diesem hier sehr ähnlich war. Womöglich stand sogar ein Straucheibisch darin. In meinem letzten Sommer dort hatte ich zwei- oder dreimal beim Tischdecken das Gefühl gehabt, ich würde beobachtet, aber soweit ich es erkennen konnte, war niemand da. Das Gefühl war jetzt nicht weniger sonderbar als damals, aber ich hatte Appetit und einen Teller mit Wels vor mir, also wandte ich den Blick von dem Strauch ab und richtete ihn auf meinen Teller, und was ich da sah, gefiel mir. So ein Stück frittierter Wels hat eine sehr ansprechende Krümmung. Sie führt einen gedanklich zu dem Schilf und den Steinen des Flusses, in dem er einmal schwamm. Ich setzte gerade das Messer in der Mitte dieser Krümmung an, da pirschte sich von hinten eine leise, leiernde Stimme heran.
»Darf ich auf Ihre Stimme zählen, Madam?«
Nicht nur stand ihm der Anzug kein bisschen, sondern er trug trotz seines jugendlichen Alters auch noch falsche Haare. Er hatte wohl meinen Blick bemerkt, denn er fasste sich schnell an den Kopf und rückte sie zurecht.
»Aber sicher«, sagte ich.
»Sehr verbunden«, erwiderte er.
Ich hatte das gesagt, weil ich anfangen wollte zu essen und hoffte, er würde dann zu anderen Leuten gehen, die jetzt mit Tellern herauskamen, aber er zog einen Stuhl heran und setzte sich neben mich.
»Eine hübsche Frau wie Sie«, sagte er.
»Danke.«
»Sind Sie allein hier?«, fragte er.
»Was?«
»Sind Sie allein zum Gemeindeessen gekommen?«
Ich deutete mit der Gabel auf die Kellertür und sagte, ich hätte Ehemann und Chef dabei. Er überkreuzte die fetten Beine und sagte, das sei sehr bedauerlich, das Schicksal sei doch zu den Gütigsten immer am grausamsten und so weiter. Dann sagte er: »Ich nehme an, Sie wollen sich auch das Lynchen anschauen?«
»So ist es«, sagte ich.
»Wissen Sie schon, wie Sie hinkommen?«
»Wir fahren mit dem Auto von meinem Chef.«
»Der Glückliche.«
Ich kniff das eine Auge leicht zusammen, dann schaute ich auf meinen Fisch hinunter. Er lag erschlaffend im Fett und verlor langsam seine Krümmung.
»Ja wirklich, der Glückliche«, sagte er und klopfte mit dem Finger auf die Tischplatte. Es war ein schöner Finger, lang und zierlich wie der einer Frau. Ich sah zu, wie dieser Finger und seine Genossen sich anspannten und fast abzubrechen schienen, als der Mann sich vom Tisch abdrückte.
»Ich mache mich besser mal auf den Weg«, sagte er. »Ich habe ein paar Busse bestellt, damit die Leute zur Show gelangen, und das muss ich jetzt organisieren, vielleicht muss ich sogar selbst einen lenken. Die Busse fahren übrigens auf meine Rechnung. Die Fahrt wird niemanden auch nur einen Nickel kosten. Auf meine bescheidene Art habe ich in meinem Leben großes Glück gehabt. Der große Gouverneur im Himmel ist gut zu mir gewesen.«
Ich nickte. Ich sah, dass mein Fisch nicht mehr dampfte. Dass sich der Saft aus dem Krautsalat über den Teller verteilt hatte.
»Es ist patriotisch, was Sie da tun, Madam«, sagte er und neigte den Kopf ein wenig,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.