Schweitzer Fachinformationen
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They say I do it, ain't nobody caught me
Sure got to prove it on me;
Went out last night with a crowd of my friends
They must've been women, 'cause I don't like no men.
(Ma Rainey, "Prove It On Me Blues")
Die Geschichte der LGBTQ Bewegung wirkt oft wie eine einfache, lineare Entwicklung der sukzessiven Erlangung von Rechten, und generell gesprochen: wie eine Fortschrittserzählung. Und dennoch ist die Realität komplexer. Geschlechter- und Sexualitätspolitiken waren immer schon ein vielschichtiges, spannungsreiches Politikfeld, in dem die unterschiedlichsten Identitäten, Perspektiven und Ideologien aufeinandertrafen und -treffen. Dabei spielen sowohl Staat als auch Gesellschaft eine gewichtige Rolle. Staatliche Regulierungsformen der Sexualität sind nicht nur historisch bedingt und in diesem Sinne Veränderungen unterworfen, sondern sie sind auch eingebettet in politische, soziale, kulturelle und rechtliche Auseinandersetzungen um ihre gesellschaftliche Bedeutung und Definition. Das folgende Kapitel gibt einen kurzen historischen Überblick über den rechtlichen und politischen Hintergrund der LGBTQ Bewegung in Deutschland und Österreich, um die heutigen politischen und gesellschaftlichen Debatten besser zu verstehen.
Vor mehr als 20 Jahren, im Juni 2002, wurde das letzte Gesetz in Österreich abgeschafft, mit dem gleichgeschlechtlich liebende Menschen strafrechtlich verfolgt wurden. Damit war Österreich, wie in vielen anderen Gleichstellungsfragen, einmal mehr das Schlusslicht in Europa. In Deutschland war es vor allem Paragraf 175 Strafgesetzbuch (StGB), der über 123 Jahre lang Homosexualität kriminalisierte und staatliche Verfolgung von schwulen und bisexuellen Männern legitimierte. Erst am 11. Juni 1994 wurde Paragraf 175 StGB endgültig abgeschafft und seither gibt es in Deutschland keine strafrechtliche Verfolgung von homosexuellen Handlungen mehr. In einem weiteren Schritt hob der Deutsche Bundestag im Jahr 2000 die auf Grundlage des Paragrafen 175 gefällten Urteile aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Die strafrechtliche Verfolgung nicht heterosexueller Menschen hat in ganz Europa eine lange und tragische Tradition. Schon seit dem ersten gemeinsamen Strafrechtskatalog aus der Zeit Maria Theresias wurde "Unzucht wider die Natur", also gleichgeschlechtlicher Sex, im Habsburgerreich strafrechtlich verfolgt. Und das war erst der Anfang. Verhängnisvoll war diese Regelung vor allem deshalb, weil sie bis in die Zweite Republik hinein wirksam war und - auch das ein österreichisches Unikat - nicht nur Männer, sondern ebenso Frauen verfolgt wurden. Auch im Deutschen Kaiserreich war die Situation ähnlich, sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts wurden unter Strafe gestellt.
Die 1990er und 2000er erleben ja im Moment musikalisch und modisch ihr Revival. Viele junge Menschen, die heute zu den Spice Girls oder Backstreet Boys tanzen, können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass zu der Zeit, als die beiden Bands populär waren, manche Aspekte des queeren Lebens immer noch stigmatisiert und kriminalisiert wurden.
1945 endete die nationalsozialistische Herrschaft. Mit dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes endete jedoch weder die Verfolgung queerer Menschen noch deren Diskriminierung. Selbstverständlich ist die Verfolgung nach 1945 nicht mit den Repressionen davor zu vergleichen, sie vollzog sich vielmehr im rechtlichen Rahmen der Strafjustiz und die Diskriminierung bewegte sich zwischen Schweigen und Spott. In puncto Emanzipation brachten die Jahrzehnte nach der NS-Diktatur für queere Bürger:innen zunächst wenig Erfolg. LGBTQ Bürger:innen blieben in (beiden) deutschen und in der österreichischen Gesellschaft auch in der Nachkriegszeit weitgehend unsichtbar und die staatliche Regulierung von Homosexualität war durch Kriminalisierung und Diskriminierung geprägt. Allerdings verliefen die Entwicklungen in Österreich sowie in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)20 und der Bundesrepublik Deutschland (BRD)21 sehr unterschiedlich. Dabei richtete sich die Regulierung in Deutschland - bzw. in beiden deutschen Staaten - vor allem gegen schwule Männer; weibliche Homosexualität dagegen wurde weitgehend ignoriert. Ein kurioses Beispiel der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in diesem Kontext stammt aus dem Jahr 1957. Damals hatte der Berliner Rechtsanwalt Werner Hesse durch eine Verfassungsbeschwerde versucht, den bereits umstrittenen "Homosexuellenparagrafen" abzuschaffen. Der Paragraf 175 verstoße gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes, da er "gleichgeschlechtliche Unzucht" nur bei Männern, nicht aber bei Frauen bestrafe, so Hesses Argumentation. Die Richter (Männer) hielten absurderweise dagegen, dass zwischen einer lesbischen Beziehung und einer zärtlichen Frauenfreundschaft kaum eine Grenze zu ziehen sei.22
In West- wie in Ostdeutschland fällten damals viele Gerichte Entscheidungen in der Tradition des NS-Rechts, bevor der Oberste Gerichtshof der Deutschen Demokratischen Republik 1950 entschied, dass die Weimarer Fassung des Paragrafen anzuwenden sei. Anstatt eine fortschrittliche Gesetzgebung zur Öffnung der Gesellschaft voranzutreiben, wurden bestehende Ressentiments geschürt und auch rechtlich sehr konservativ gedacht. Das Klima war geprägt von medialer Verleumdung, staatlicher Überwachung und polizeilicher Verfolgung, ähnlich der Situation in der UdSSR. Die DDR war praktisch ein Land ohne öffentliche Räume für nichtheterosexuelle Bürger:innen. Ab Ende der 1950er Jahre wurden homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen in der DDR nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Um die ostdeutsche Gesellschaft von jener des Westens abzugrenzen, nutzten die Medien etablierte Feindbilder wie Kriminalität, Drogenmissbrauch und eben Homosexualität, die als "feindlich-kapitalistische" Phänomene dargestellt wurden. Hier werden ähnliche Muster deutlich, die wir auch heute in vielen osteuropäischen Staaten beobachten können.
In den späten 1960er Jahren wurden dann sowohl in Österreich als auch in beiden deutschen Staaten wichtige rechtliche Schritte in Richtung Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen gesetzt. Nach dem Nationalsozialismus und dem anhaltenden Strafverfolgungsdruck Ende der 1940er bis Ende der 1960er Jahre stellte das eine wichtige Wendung dar. Wie Verena Kettner darlegte, bewegte sich die LGBTQ Bewegung stets in einem Spannungsfeld zwischen Liebe und Sexualität, was auch politische Konsequenzen hatte.23 Während die Bewegung der 1950er und 1960er Jahre das Gefühl - die Liebe - zwischen Personen des gleichen Geschlechts betonte und die Sexualität in den Hintergrund rückte, kehrte die Schwulenbewegung in den 1970er Jahren die Strategie um und eignete sich das Stereotyp des hypersexualisierten "Perversen" an, um die Sexualität wieder ins Zentrum zu stellen. In feministischen Bewegungen lässt sich dieselbe Dynamik feststellen. Noch in den 1970er Jahren galten Feministinnen, insbesondere lesbische Feministinnen, als lustfeindlich, worauf sexpositive Rebellinnen mit einer exzessiven Bejahung der körperlichen Lust reagierten.
Im Jahr 1968 führte die Deutsche Demokratische Republik ein neues Strafgesetzbuch ein, in dem der alte Paragraf 175 durch einen neuen Paragrafen 151 ersetzt wurde, der männlichen und weiblichen Minderjährigen, nicht jedoch Erwachsenen, die Ausübung gleichgeschlechtlicher Beziehungen verbot. Am 1. September 1969 trat in der BRD eine - für schwule Männer entscheidende - Strafrechtsreform in Kraft. Homosexuelle Handlungen von Erwachsenen unter 21 Jahren waren zwar weiterhin strafbar, aber die grundsätzliche Aufhebung der Strafverfolgung homosexueller Handlungen war ein Erfolg.
Die strenge Verfolgung gleichgeschlechtlicher Handlungen beförderte Österreich schon in den 1960er Jahren in eine internationale Sonderrolle.24 Während die meisten westeuropäischen Staaten Homosexualität längst entkriminalisiert hatten, machten in Österreich insbesondere katholische Kreise und die ÖVP gegen entsprechende Reformen mobil. Für eine große Strafrechtsreform, über die schon seit 1954 diskutiert wurde, fanden sich weder in den Großen Koalitionen noch unter der ÖVP-Alleinregierung ab 1966 Mehrheiten. Ein entscheidender Moment für die rechtliche Situation von LGBTQ Personen in Österreich war der Wahlsieg von Bruno Kreisky im Jahr 1970. Die SPÖ-Minderheitsregierung, die im folgenden Jahr regierte, brachte viele wichtige Weichenstellungen auf den Weg: Insbesondere die Kleine Strafrechtsreform, mit der das Totalverbot von Homosexualität endlich beendet wurde, war ein Meilenstein der österreichischen Gleichstellungspolitik. Sie ermöglichte in den folgenden Jahren das Entstehen einer sozialen Bewegung für die Rechte von LGBTQ Bürger:innen in Österreich. Es war aber keineswegs auf einen Schlag alles gut. Im Rahmen der Kleinen Strafrechtsreform wurden vier neue...
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