Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin mir sicher, dass du es in der Hand hast, die Gefährdung für dein Kind zu verringern und davon mittelfristig auch selbst zu profitieren: Weil du Verantwortung da übernimmst, wo es sein muss, und dein Kind an anderen Stellen in Eigenverantwortung schickst. Du musst nicht alle unangenehmen Gefühle sofort für dein Kind beseitigen. Doch du solltest erkennen, wo dein Kind normalen Stress erlebt, und wie es lernen kann, damit immer selbstständiger und eigenaktiver umzugehen. So entsteht Bewältigungskraft.
Stressgefühle entstehen dort, wo Menschen über- oder unterfordert sind, wo sie also das Gefühl haben, ihre Möglichkeiten zur Bewältigung passen nicht zu den Anforderungen. Kinder äußern selbst, dass sie Stress vor allem durch schulische Anforderungen verspüren. Die machen nämlich wenig Spaß. Aber wenn du dein Kind beobachtest, wirst du noch etliche weitere Momente bemerken, in denen es Stress und Unwohlsein spürt: Die Umgebung ist zu laut oder zu warm, es scheitert ständig, es wird viel kritisiert und vieles mehr.
Ein typischer Moment für viele Kinder ist auch Langeweile, mit sich selbst allein sein, auf sich selbst zurückgeworfen sein. Und machen wir uns nichts vor: Erwachsene kennen das genauso. Wie gut kannst du zwei Stunden im Wartezimmer einer Arztpraxis zu sitzen, bevor du dich unwohl fühlst oder ohne konkreten Plan zum Handy greifst? Wie lange kannst du auf einem Liegestuhl bleiben und einfach nur in die Wolken gucken, bevor es dich zwickt und drückt, weil dir deine To-dos einfallen?
Alle Menschen kennen das, und doch ist individuell verschieden, wie gut jeder von ihnen mit Langeweile umgehen kann. Das hat einerseits mit der angeborenen Wesensart zu tun, andererseits auch mit dem, was jeder und jede in diesem Bereich lernen kann oder konnte. Manche Erwachsene proklamieren "Langeweile müssen wir uns heute nicht mehr antun!" Aber dieser Blickwinkel ist zu einfach, zu hedonistisch.
Aus eigener Kraft etwas Nachhaltiges gegen Langeweile zu tun, ist ein Learning, das auch psychisch fürs Leben stark macht.
Wenn Kinder sich langweilen, sind sie schnell dabei, sich Unterstützung von den Großen zu holen: "Mach was mit mir!", "Sag mir, was ich machen soll!", "Gib mir was, was mich schnell wieder fröhlich macht!" Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Alltag der meisten Kinder größtenteils klar strukturiert und durchgetaktet ist. Oder wenn sie es gewohnt sind, dass ihre Eltern ihnen derlei unangenehme Gefühle nicht zumuten. Jede Lücke in der To-do-Liste schmerzt dann.
Gerade Kinder, die ohnehin etwas wilder und impulsiver sind, die nicht so gut abwarten können und schnell in motorische Unruhe fallen, können hier sehr fordernd und regelrecht nervtötend sein. Besonders wenn diese Kinder vor Langeweile anfangen zu zanken, zu verletzen oder anderen Unfug zu machen. Eltern solcher Kinder, die gefühlt den halben Tag begleitet und gebremst werden müssen, haben weniger Ressourcen, den Forderungen ihrer Kinder nicht nachzugeben: "Du willst gegen die Langeweile ein Eis? Mein Handy? Dass ich jetzt sofort alles liegen lassen und mitspiele? Okay."
Das macht den Tag dann schaffbar, ist aber eine Gefährdung, wenn es nicht nur ab und an, sondern ständig so läuft. Diese Kinder agieren vermutlich noch ungeduldiger, können Stress durch unangenehme Gefühle wie Langeweile noch schlechter aushalten und können in ein sehr lustgesteuertes, undiszipliniertes Verhalten fallen. Ihr Stresserleben reguliert sich nicht. Sie brauchen etwas oder jemanden von außen zur Regulation und das gern immer schneller. Die Belastbarkeit dieser Kinder sinkt.
Das wiederum kann sich auf ihr Selbstwertgefühl auswirken und auf die gesamte psychische Gesundheit, womit wir wieder bei den Zahlen aus der Einleitung dieses Buches sind.
Du kannst das mit etwas vergleichen, was dir kurzfristig den Tag netter macht: Sahnetorte zum Mittagessen vielleicht. Aber wenn du das jeden Tag so handhabst, wird es dir wahrscheinlich schaden.
Und nein, zum Glück heißt das nicht: "Helft den Kindern nie wieder bei Langeweile!", "Nehmt ihnen alles weg, was Langeweile rasch betäubt!", "Seid endlich streng und verbietet mehr". Denn so lernt kein Kind Regulation. Stressbewältigung muss begleitet und Schritt für Schritt gelernt werden. Nur dauert es deutlich länger als das Reifen in anderen Lernfeldern und ist über Jahre immer wieder Thema. Das macht es so mühsam und bringt Eltern leicht in Phasen, in denen sie denken: "Scheiß doch drauf, mach einfach jeden Tag dein Videospiel, solange du willst."
Nicht nur zu Hause geht es Kindern so. Auch in Kitas und Schulen mit Personalknappheit übt dein Kind Belastbarkeit nicht Schritt für Schritt. Auch hier sollte sich etwas verändern, strukturell. Solange es noch nicht so weit ist, kannst du erst einmal schauen, was bei dir in der Familie anders geht.
Spannend ist außerdem: Warum fällt Eltern gerade dieser Bereich der Begleitung und Verantwortungsübernahme so schwer? Warum sind Eltern hier oft nicht so belastbar? Die typischen Belastungen für Familien, die mit dazu beitragen, habe ich bereits aufgezählt. Doch es kommt noch mehr hinzu. Hier muss ich ein bisschen ausholen, damit du auch dich selbst und deine Gründe gut erkennen kannst.
Es heißt immer, Kinder litten nicht an zu viel Beziehung, sondern an zu wenig. Und das ist sicher auch richtig: Wenn es ihnen nicht gut geht, ist oft etwas schräg in der Eltern-Kind-Beziehung. Eltern sind dann zu wenig in Beziehung, sie sehen ihre Kinder nicht gut. Den Kindern fehlt etwas. Sie werden vernachlässigt.
Andererseits gilt aber auch: Es kann nur 100-Prozent-Beziehungen oder weniger geben - keine 120 Prozent. Es gibt also gar kein "zu viel an Beziehung". Sie kann bloß gut (hundertprozentig) sein oder schlecht (deutlich unter 100 Prozent). Das Gleiche gilt übrigens für Bindung: Auch dabei gibt es kein "zu viel", nur a) 100 Prozent und sicher oder b) darunter und irgendwann unsicher oder gar gestört.
Hört man "schlechte Beziehung", hat man ganz schnell Bilder von Härte oder Vernachlässigung durch distanzierte, abwesende Eltern im Kopf. Doch auch Überfürsorglichkeit ist Vernachlässigung, wie ich dir eingangs erklärt habe. Ein übertriebener Fokus aufs Kind stellt also keinesfalls eine hundertzwanzigprozentige Beziehung dar, sondern eigentlich eine schlechte und ein "zu wenig". Denn bei Kind-Überhöhung nehmen Eltern nicht wahr, was ihr Kind wirklich braucht, packen nur alles hübsch rosarot ein. Im Grunde ließe sich der untere Kreis in der Abbildung auf der vorigen Seite rosa verpackt als vollständig darstellen; du würdest die fehlende Ecke nicht bemerken - das entspräche dieser Art der Beziehung.
Es gibt kein "zu viel" an Beziehung, aber ein "zu wenig" auf unterschiedliche Art.
Eltern drehen sich dann um ihr Kind, aber ohne es selbst wirklich zu sehen. Damit ist man nicht gut in Beziehung. Es sieht höchstens nach außen ganz wundervoll und engagiert aus.
Gut ist Eltern-Kind-Beziehung dann, wenn .
du als Elternteil dein Kind gut in seinen Bedürfnissen wahrnimmst und versuchst sie zu erfüllen. Feinfühligkeit und Responsivität sind hier die Schlagwörter, wobei das Zweite meint, abgestimmt aufs Kind zu agieren - eben echt kindorientiert.
du dich andersherum auch ihm umfassend zeigst und für deine Bedürfnisse sorgst.
ihr streiten und Konflikte lösen könnt.
ihr miteinander wachst.
Das ist Kind- plus Beziehungsorientierung. Und das ist der Weg, den ich hier im Buch für dich ebne und schärfe.
Schlecht ist Eltern-Kind-Beziehung dann, wenn du beispielsweise nur dein Kind siehst, nur seine Wünsche wahrnimmst (und sie für Bedürfnisse hältst) sowie ihm möglichst keine Konflikte zumutest. Dann werden daraus keine 120 Prozent, sondern vielleicht nur 80 Prozent. Die Beziehung verschlechtert sich. Das kann bei falsch verstandener Bedürfnisorientierung in Form von Kind-Überhöhung der Fall sein.
Das, was das Kind nachhaltig für seine Entwicklung benötigt, bekommt es nicht.
Das ist ungute Kind-Überhöhung und am Ende oft auch Überanimation - wovor ich eindringlich warne, weil es Kinder in ihrer psychischen Gesundheit gefährden kann. Ich wiederhole das hier noch mal etwas deutlicher, damit du das Dilemma falsch verstandener Beziehungs- und Bindungsorientierung wirklich verstehst.
Die großartige Initiative von Pädagoginnen und Journalistinnen wie Susanne Mierau, Danielle Graf, Katja Seide oder Nora Imlau und später auch meine Arbeit hat zwar Kind- und Beziehungsorientierung, Bindung und Bedürfnisse endlich in den Blick von Eltern und Fachkräften gerückt. Doch gerade die Bindung hat dadurch im Denken von Eltern...
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