Schweitzer Fachinformationen
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Bis sie zu Hause ankam, hatte der Regen nachgelassen. Ihr Vater jätete im Vorgarten Unkraut. Er trug immer noch Hemd und Krawatte, hatte aber die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt.
»Ich bin wieder da«, verkündigte sie unnötigerweise. »Wie war's auf dem Friedhof?«
Er wischte sich über die Augenbrauen und schmierte sich dabei ein wenig Erde auf die Stirn. »Nicht schlecht. Ich hab den Grabstein abgeschrubbt, ein bisschen Dreck ist sogar runtergegangen. Diese verdammten Vögel haben kreuz und quer ihr Geschäft darauf verrichtet.«
Sie hatte sich schon zum Haus umgewandt, blieb aber stehen, als er ihr nachrief:
»Sarah, hast du inzwischen mal drüber nachgedacht, wann du wieder in deine Wohnung ziehst?«
Sie zögerte kurz und versuchte, zwischen den Zeilen herauszuhören, was er wirklich meinte. »Na ja, ich bin mir nicht sicher. Ich dachte, du findest es gut, wenn ich eine Weile bei dir wohne. Willst du mich loswerden?«
Seine Antwort klang nüchtern, wenn nicht sogar abweisend. »Tja, du kannst ja nicht für immer hierbleiben, nicht wahr? Ich muss allmählich lernen, allein klarzukommen.« Er lockerte seinen Krawattenknoten. »Und du ebenfalls.«
Es war das erste Mal, dass er sie derart unverblümt auf die Wohnsituation ansprach. Er wusste nur zu gut, wie sehr sie es hasste, allein in ihrem seelenlosen Apartment zu wohnen. Aber im Augenblick wollte sie nicht darüber sprechen. Sie blickte ihn nur kurz an und wechselte dann das Thema.
»Ich habe heute Vormittag in Ambergate etwas wirklich Faszinierendes entdeckt.«
Er reagierte sichtlich gereizt. »Sarah .«
»Ach was, schon gut. Ich weiß, dass du damit nichts mehr zu tun haben willst. Ich wollte es nur erwähnt haben. Ich habe einen Haufen alter Koffer auf dem Dachboden aufgestöbert und will den Inhalt für mein Buch katalogisieren.«
Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern verschwand im Inneren des Hauses und ließ ihn gedankenversunken und mit einem besorgten Stirnrunzeln im Vorgarten stehen.
»Kennst du dich mit Excel aus?« Sarah klappte den Laptop auf und setzte sich dann im Schneidersitz neben Nathan auf den Fußboden.
»Ich bin vielleicht obdachlos, aber nicht blöd.«
Sie hatte in jede Ecke der Dachkammer eine batteriebetriebene Gartenleuchte gestellt. Die vier Lampen spendeten genügend Licht, so dass sie loslegen konnten.
»Sorry. Aber guck mal, ich hab schon ein Arbeitsblatt angelegt: Nummer auf dem Kofferschild, Beschreibung des Koffers, Inhalt. Jetzt müssen wir die Tabelle nur noch befüllen.«
»Klingt simpel. Her damit.«
Sie drückte ihm den Laptop in die Hand und kroch dann auf den Koffer zu, den sie tags zuvor geöffnet hatten. »Fangen wir einfach mit diesem hier an, nachdem er sowieso schon offen ist. Ich ruf dir zu, und du schreibst, einverstanden?«
Er salutierte. »Klar, Boss.«
»Okay. Kofferschild 43/7.«
Nathan fing an zu tippen.
»Beschreibung des Koffers«, fuhr sie fort. »Marineblau, Eckenschutz aus braunem Leder. Inhalt: ein weißes Brautkleid aus Seide, ein Schwarz-Weiß-Foto eines jungen Mannes in Uniform.« Sie nahm einen weiteren Gegenstand aus dem Koffer und hielt ihn auf Armeslänge von sich weg. »Und eine .« Sie spähte über den Kofferrand. »Nein, mehrere Unterhosen, alle weiß . also, früher mal weiß.« Sie seufzte. »Gott, was für ein glamouröser Job!«
Nach zwei Stunden hatten sie etwa die Hälfte der Koffer geöffnet, die Inhalte dokumentiert und abfotografiert. Keines der Gepäckstücke hatte bislang etwas Spannenderes als Kleidungsstücke, Bücher und Toilettenartikel enthalten, aber selbst diese banalen Sachen waren für sich genommen schon vielsagend. Denn was packte man ein, wenn man in eine Nervenklinik eingewiesen wurde? Und warum hatten die Besitzer der Koffer ihre Habseligkeiten hier zurückgelassen?
Sarah rieb sich übers Gesicht und streckte sich dann nach der Kühltasche aus, die sie mitgebracht hatte. »Zeit für eine kleine Stärkung, finde ich.« Sie zog eine Chipstüte heraus und warf sie Nathan zu. »Bitte schön.«
Er fing die Tüte auf. »Danke.«
»Hast du die Datei gespeichert?«
Er schnaubte missbilligend. »Alter. Ich bin doch nicht bescheuert.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Dann bist du also zur Schule gegangen? Früher, meine ich?«
Er stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund. »Hin und wieder«, sagte er nach einer Weile. »Manchmal hab ich auch geschwänzt.«
»Und wo?«
»Wo was?«
»Wo bist du zur Schule gegangen?«
»All Hollows. Ist eine Gesamtschule, aber nicht in der Gegend.«
»Dann bist du katholisch?«
»Was? Nein. Himmel, Sarah, soll das ein Verhör werden?«
Sie griff zu einer Thermoskanne und befüllte zwei Becher mit Tee. »Es ist einfach nur eine Unterhaltung, Nathan. Kein Grund, patzig zu werden.«
Er nahm ihr den Becher ab, den sie ihm hinhielt. »Tut mir leid. Ich will einfach nicht über die Zeit reden. Ich bin . an der Schule gemobbt worden. Es sind schlechte Erinnerungen.«
»Muss schwer für dich gewesen sein.«
»Ja, war es auch.«
Schweigend sah sie ihn an, während er an der Nagelhaut seines Daumens knabberte.
»Was hält dich davon ab, wieder nach Hause zu gehen? Ich bin mir sicher, deine Eltern sind schier wahnsinnig vor Sorge. Wenn es mein Sohn wäre, der .«
»Du hast keine Ahnung«, fiel er ihr ins Wort. »Die machen sich keine Sekunde lang Sorgen um mich. Bitte«, sagte er aufgebracht, »lass gut sein, du verschwendest deine Zeit.«
Sie wartete, bis er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. »Warum bist du so wütend?«
»Bin ich doch gar nicht.« Er seufzte. »Entschuldigung, wenn ich dich angeblafft hab, okay? Es ist nur . Ach, weißt du, ich bin's leid, über mich zu reden. Erzähl was von dir, jetzt, da wir so gute Freunde geworden sind. Bist du verheiratet?«
Unwillkürlich massierte sie ihren Ringfinger, an dem einst der Ehering gesteckt hatte. »Nein, nicht mehr.«
»Oh, tut mir leid . äh . Wie lange warst du denn verheiratet?«
»Zehn Jahre.«
»Wow, das ist lange. Was ist passiert?«
Sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Arm. »Da ist aber jemand neugierig!«
»Aber du darfst mich in die Mangel nehmen, ja?«
Sie zog die Knie an die Brust und legte die Stirn darauf. Mit geschlossenen Augen rief sie sich Dans Gesicht ins Gedächtnis. Es tat weh, sich an ihn zu erinnern, aber die Vorstellung, ihn zu vergessen, war noch viel schlimmer.
»Wir hatten es so richtig gut, Dan und ich. Zumindest hat es von außen so gewirkt. Großes Haus, schickes Auto, ein großer Freundeskreis, jährlich zwei Urlaube im Ausland - all diese oberflächlichen Sachen, die andere Leute anscheinend neidisch machen. Wir haben uns wirklich geliebt.«
»Klingt super. Und wo war der Haken?«
Sie lächelte ihn betrübt an. »Uns fehlte etwas, was wir beide uns aus tiefster Seele gewünscht haben.«
Er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und was?«
»Ein Baby.«
»Oh.«
»In der Kinderwunschklinik haben wir ein kleines Vermögen ausgegeben, aber was es uns wirklich gekostet hat . Es war nicht nur das Geld. Das Emotionale war sehr viel schlimmer. Mir ist schon klar, dass ich irgendwann einzig und allein aufs Kinderkriegen fixiert war, und zwar so sehr, dass ich jeden anderen Aspekt unserer Ehe komplett ignoriert habe.«
Nathan verzog das Gesicht und hielt sich die Ohren zu. »Ich weiß nicht, ob ich das hören will .«
Sie musste lachen. »Die Details erspare ich dir, Nathan. Aber vor neun Monaten hat Dan urplötzlich verkündet, dass er nie wirklich Kinder haben wollte und diesen ganzen Befruchtungsblödsinn, wie er es nannte, nur meinetwegen mitgemacht hat.«
»Wow. Was für ein Arsch.«
»Jupp. Ich muss nicht erwähnen, dass unsere Ehe damit im Eimer war. Jetzt bin ich mit achtunddreißig wieder Single, und meine Hoffnung, in diesem Leben noch ein Baby zu bekommen, wird mit jedem Monat geringer.«
»Irgendeine Chance, dass ihr zwei noch mal zusammenkommt?«
»Hm, ich weiß nicht, ob seine schwangere Freundin das so toll fände.«
Nathan verschluckte sich an seinem Tee. »Wie bitte?«
»Oh ja. Dan hat sich ruck, zuck neu orientiert. Hat eine Frau kennengelernt, die gerade mal halb so alt ist wie er, und es allen Ernstes geschafft, sie innerhalb von zwei Monaten zu schwängern.« Sie schüttelte den Kopf. »Könnte man sich gar nicht besser ausdenken.«
»Du triffst auch jemand Neues«, sagte Nathan. »Du bist doch noch ziemlich attraktiv für . ähm .« Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten.
»Ziemlich attraktiv für so eine alte Schachtel, wolltest du sagen?«
Nathan schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Aargh, tut mir leid. Bei so was bin ich einfach nicht gut.«
»Aber wo sollte ich noch jemanden treffen? Ich verbringe meine Zeit entweder bei der Arbeit in der Bibliothek oder in diesem alten Kasten.«
»Man trifft immer dann jemanden, wenn man am wenigsten damit rechnet.«
Sie verstummte, griff nach einem toten Zweig und malte damit Kreise in den Staub am Boden.
»Sarah?«
Sie holte tief Luft und brach den Zweig entzwei. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, noch mal mit jemand anderem zusammen zu sein. Dan und ich waren so lange ein Paar. Merkwürdigerweise ist es egal, wie weh er mir getan hat - ich kann...
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