Schweitzer Fachinformationen
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Das zweite Jahr
Antonia und Nikolaus
Profit
Balthasar kauert auf dem Boden und richtet sich auch nicht auf, als sich die Tür zu seinem Oberstübchen öffnet. Seine ganze Aufmerksamkeit ist auf die Komposition zu seinen Füßen geheftet. Die Hitze hier oben entspräche der Schwüle seiner Landschaftsdarstellung. Er ist dabei, seine Nymphen, wie er die Akte von Friederike nennt, in eine Landschaft einzufügen. Einige Farbstudien in Öl hat er auf lavierten Karton angefertigt. Da Blautöne verboten sind, muss er seinen Tümpel auf eine Waldlichtung platzieren, das Wasser würde das Grün der Bäume spiegeln. Kein Himmel, nichts Blaues.
»Würdest du die Tür zumachen? Es zieht«, murmelt er und lauscht auf das Schlagen der Tür.
Der, der da bei der Tür steht, rührt sich nicht, aber Balthasar erkennt Nikolaus' Silhouette, seine Haltung die Note seines Schweißes unter Hunderten. Nikolaus' Schritte nähern sich. Eine Weile steht er hinter Balthasar, schaut ihm über die Schulter. Balthasar hat sich zwei Monate lang überlegt, wie ihr Wiedersehen sein würde. Jetzt hat er keine Lust mehr, Nikolaus wiederzusehen.
»Es ist großartig.«
»Ist es nicht. Was willst du?«
Stille.
Balthasar erkennt aus den Augenwinkeln, wie sich Nikolaus neben ihn kauert. Er schaut nicht die Studie auf dem Boden an, sondern in Balthasars Profil. »Es tut mir leid.«
»Vergiss es.«
Wieder aus den Augenwinkeln sieht er, dass sich Nikolaus durchs Haar fährt. »Ich wollte dir schreiben jeden Tag .«
»Ich sagte, vergiss es. Geh mir aus dem Licht bitte.«
Nikolaus erhebt sich und streunt in der kleinen Kammer umher, besieht sich die vielen Skizzen und Notizen.
Jetzt, da die Spannung zwischen ihnen unerträglich geworden ist, dreht sich Balthasar zu ihm um. Nikolaus sieht nach zwei Monaten Italien verändert aus. Seine Kleider stinken vor Geld. Er lässt sich einen Vollbart stehen. Balthasar erhebt sich aus der Hocke, wischt seine Finger an einem Lappen sauber, den Schweiß von den Schläfen. Durchs Dachfenster weht kein Lüftchen. Er lehnt sich gegen die den Raum teilende Esse. Er weiß, dass Nikolaus diese Stille nicht lange aushält. Stumme Vorwürfe kann er nicht ertragen. Er behält recht: Nikolaus wirbelt herum, die Hände ratsuchend erhoben. »Ich weiß, ich bin eine treulose Tomate, Balthasar, aber du darfst mich nicht abstrafen.«
»Sag schon.« Balthasar kennt ihn zu gut, als dass er Nikolaus' fehlende Post mit purer Faulheit erklären könnte. Es bedarf keines Wortes; so sehr Nikolaus bemüht ist, seinem Blick auszuweichen, weiß Balthasar Bescheid. Die Erkenntnis sticht in der Brust, aber es ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den er die ersten Ferienwochen über verspürt hat. Vergleichsweise abgebrüht schaut er Nikolaus jetzt zu. Dessen Blick irrt in der Kammer umher, ohne Halt zu finden. Dann schaut er ihn wieder so ratsuchend an und zuckt die Achseln. »Wirst du ihn wiedersehen?«, fragt Balthasar ihn.
Nikolaus schluckt, fährt sich über die Augen, wo er sich vielleicht eine Träne verdrückt. Balthasar lässt die späte Reue kalt. Nikolaus schüttelt den Kopf.
»Hat er dich ausgehalten?«, deutet Balthasar mit dem Drecklappen auf Nikolaus' feine Garderobe.
»So ist das nicht gewesen . lass mich das erklären, bitte.«
Balthasar hebt abwehrend die Hand. Er will nichts über Nikolaus' florentinische Abenteuer wissen, beileibe nicht. Er schnappt sich die angebrochene Weinflasche, die am Fuße der Chaiselongue steht und prostet Nikolaus zu: »Willkommen daheim, mein Schatz.« Sein Zynismus ist nicht zu überhören.
Nikolaus nickt bitter, nimmt die Flasche, die Balthasar ihm reicht und trinkt einen kräftigen Schluck, von Balthasar nicht aus den Augen gelassen. Er hat nicht vor, um den heißen Brei zu reden und ist froh, dass Nikolaus' Umtriebe ihm ein Geständnis leicht machen. »Ich hab mit Friederike geschlafen.«
Nik verzieht angewidert das Gesicht. »Musste das sein?«
»Ja. Ich würde sagen, wir sind quitt.«
»Und? Bezahlst du sie dafür?«
Balthasar schüttelt knapp den Kopf. »Nein, wieso?« Er beobachtet, während er die Weinflasche von ihm entgegennimmt, wie Nikolaus hin- und hergerissen ist zwischen Ekel und Eifersucht. Er wiegt seine gekränkte Eitelkeit mit dem eigenen Vergehen auf. Eine Weile sagt keiner von beiden etwas.
Nikolaus ergreift schließlich das Wort. »Ich weiß, ich kann es nicht wiedergutmachen.«
»Erspar uns das, bitte.«
»Nein, Balthasar, hör zu. Das mit Fabricio .«
»FABRICIO«, stößt Balthasar verächtlich hervor, »Oh bitte!«, und ertränkt seine in Anbetracht des Wort gewordenen Fehltrittes aufsteigende Wut mit Wein.
»Er bedeutet mir nichts.«
»Na, lass den Ärmsten das mal nicht wissen«, lacht Balthasar schnaubend auf. Noch nie hätte er einen Menschen so gern geschlagen wie Nikolaus jetzt in diesem Moment. Und ihm wird bewusst, wie sehr er an ihm hängt, wie sehr er verletzt ist und wie sehr er sich wünscht, diese abenteuerliche Geschichte zwischen ihm und Nikolaus sei nie passiert. »Wie weit gingst du mit ihm?«
Nikolaus' Schweigen und der umherirrende Blick sind Antwort genug. Balthasar schüttelt verächtlich den Kopf.
»Und diese Hure?«, ereifert sich Nikolaus jetzt im Bemühen, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.
»Die kam, nachdem du dich entschieden hast, dich zwei Monate lang nicht zu melden.«
Das hängt einen Moment zwischen ihnen.
»Liebst du sie?«, näselt Nikolaus zwischen den hinuntergeschluckten Tränen hervor, womit Balthasar nicht gerechnet hat. »Ich liebe dich so sehr, Balthasar, weißt du? Liebst du sie?«
Er stutzt. Vielleicht wäre jetzt Zeit, sich mit ihm auszusöhnen, ihn in die Arme zu nehmen. Aber nein. Balthasars Wut und seine Enttäuschung sind zu groß. Wenn er in den vergangenen Wochen etwas gelernt hat, dann, dass er Treue und klare Verhältnisse braucht. So klar wie das Arrangement zwischen ihm und Friederike. »Nein.« Nein, er liebt Friederike nicht. Er mag sie sehr, sie bringt ihn zum Lachen, sie unterhält ihn, sie ist ihm Gesellschaft und Muse, er begehrt sie, aber er liebt sie nicht. »Nein.«
Balthasar kauert sich wieder vor seine Arbeit und setzt den Kohlestift aufs Papier, von Nikolaus noch einen Moment beobachtet. Bald aber sieht der ein, dass es nichts mehr hinzuzufügen gibt und wendet sich zum Gehen. »Bis Montag.«
»Nein, Nik«, seufzt Balthasar, »Ich muss zur Messe nach Leipzig. Danke der Nachfrage.«
Am Augenaufschlag, den beide tauschen, erkennt Balthasar, dass im anderen etwas zusammenzubrechen scheint. Nikolaus geht, zurück bleibt Leere.
Es ist gut, mit Schwägerin Luisa zusammenzusitzen, sich die Neuigkeiten von zu Hause anzuhören, aber es ist doch eben etwas anderes als daheim zu sein. Sie sitzen im Salon, der die beiden Zimmer in ihrer Leipziger Pension miteinander verbindet und besprechen alles Alte und Neue, was sie noch nicht auf der dreistündigen Zugfahrt beredet haben. Die alternde Magd Bettine wieselt hierhin und dorthin, um Luisa alle Annehmlichkeiten zu bereiten. So sehr Balthasar auch froh ist, seine Schwägerin wiederzusehen, so belanglos erscheinen ihm die Angelegenheiten von Zuhause.
Tagsüber kriecht die Messe in gähnender Langeweile an Balthasar vorüber, abends ist es noch schlimmer. Vor seinem inneren Auge spukt der letzte Augenblick, den Nikolaus ihm geschenkt hat; diese Mischung aus Trauer und Enttäuschung. Balthasar ist mit jedem Gedanken bei ihm. Die Gegenwart nimmt er lediglich wie durch einen Schleier wahr.
Luisa, die ihn so gut kennt, dringt in ihn, aber Balthasar mag sich ihr nicht mitteilen. »Mädchen?«
Balthasar nickt, weil es das Einfachste ist.
Als dann am Wochenende Nikolaus' Vater auf der Messe anreist, ist es für ihn kaum auszuhalten: dieses endlose Gerede über Kunst, Damaste, Fabrikation und so weiter....
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