Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Zuerst ging das Licht rund ums Haus an und hüllte den ganzen parkähnlichen Garten in gleißende Helligkeit. Kurz darauf öffnete sich die Haustür, und auf der Schwelle erschien der alte Friedhelm Hartung. Er trug einen roten Morgenmantel aus Samt, auf der linken Brustseite leuchtete in Gold das gestickte Monogramm FH. Der alte Mann stand hoch aufgerichtet da. Mit der rechten Hand hielt er den Türgriff fest. »Ja, was ist?«
»Kriminalpolizei!«, sagte Nadja, »Kriminaloberkommissarin Zeughoff. Das ist mein Kollege, der leitende Hauptkommissar Peter Heiland.«
»Heiland? Wir kennen uns.« Der alte Herr fixierte Peter Heiland mit seinen kalten grauen Augen. Das gebräunte Gesicht war von Falten durchzogen. Unter der großen Hakennase zog sich ein schmaler Mund hin wie ein Strich. Die eisgrauen Haare standen wirr vom Kopf ab. Hartung hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich zu kämmen. »Also was gibt's?«
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Peter Heiland dagegen. »Wir haben eine Nachricht, die man nicht zwischen Tür und Angel weitergibt.«
Der alte Mann machte Platz. Die beiden Beamten gingen an ihm vorbei. Nadja nahm den Geruch eines teuren Rasierwassers wahr. Sie traten in eine geräumige Halle, in der zwei Treppen links und rechts in elegantem Bogen zu einer Galerie hinaufführten. Dort oben stand, beide Hände auf das Geländer gestützt, die Schwiegertochter des Patriarchen, Anneliese Hartung. Sie trug ein weißes Kleidungsstück. Peter Heiland fragte sich im Stillen, ob man das ein Negligé nannte. Auf jeden Fall war es mehr als nur ein Nachthemd, denn im Licht der hellen Lampe über der Frau war zu erkennen, dass dieses weiße Etwas in vielen Schichten ihren schmalen Körper umfloss, der darunter gleichwohl noch zu erkennen war.
»Nun reden Sie schon«, sagte der alte Herr. »Etwas Gutes kann es ja nicht bedeuten, wenn Sie zu dieser nachtschlafenden Zeit hier eindringen.« Zu seiner Schwiegertochter rief er hinauf: »Die Herrschaften sind von der Polizei!«
Anneliese Hartung schlug die Hand vor den Mund, sodass man kaum hören konnte, wie sie ausrief. »Um Gottes willen! Doch nicht schon wieder!«
»Sind Ihr Sohn und Ihre Enkelsöhne im Haus?«, fragte Peter Heiland den alten Mann.
»Woher soll ich das wissen?«
»Sven ist noch nicht wieder da«, sagte seine Schwiegertochter, die jetzt die Treppe herabstieg.
Es stellte sich heraus, dass weder Karsten noch Sven im Haus waren. Und als dies geklärt war, fragte der Hausherr noch mal: »Also was ist los?«
»Sylvia, die Frau Ihres Enkels, .« Peter Heiland brach ab.
»Sie ist tot. Ermordet worden. Vermutlich kurz nach der Vorstellung in der Deutschen Oper!«, übernahm Nadja Zeughoff.
»Nein!« Anneliese Hartung schlug beide Hände vor's Gesicht. Sie stand noch unter der Tür, während sich ihr Schwiegervater gerade in seinen Sessel setzte. Ein paar Augenblicke schien es, als habe der alte Mann nichts von dem, was die Beamten gesagt hatten, verstanden. Er saß nur da und fuhr sich ein paar Mal mit der flachen Hand über die Augen. Schließlich sagte er mit brüchiger Stimme: »Wie kann so etwas passieren?«
»Das versuchen wir grade herauszubekommen«, antwortete Peter Heiland. »Ihr Enkel Sven ist heute aus der Haft entlassen worden. Wissen Sie, wo er sich aufhält?
»Nein. Er wollte noch mal weggehen. Versteht man ja, wenn einer so lange eingesperrt war.«
»Er war mal der Verlobte der Ermordeten.«
»Das ist lange her. Sylvia hat später meinen Enkel Karsten geheiratet.«
»Ja, wir haben das erfahren, und wir waren einigermaßen darüber verwundert«, sagte Peter Heiland.
Frau Hartung, die inzwischen in ihrem Schlafzimmer gewesen war, um sich einen Morgenrock anzuziehen, kam herein. Sie hatte die letzten Sätze gehört. »Das war eine sehr gute Entscheidung«, sagte sie. »Karsten hat lange um sie geworben, schon bevor sie sich Sven zugewendet hatte. Und das Verbrechen, das Sven begangen haben soll, hat Sylvia doch sehr schockiert.«
»Begangen haben soll?«, fragte Nadja scharf.
»So sagt man doch, oder?«
»Aber nur, wenn man nicht glaubt, dass er es war.«
»Ich kenne meinen Sohn besser als irgendwer anderer. Er ist kein Mörder!«
Der Hausherr griff überraschend ein: »Es geht hier ja wohl nicht um den Mord an Oswald Steinhorst damals, sondern um den an Sylvia!«
Peter Heiland, der sich im Unterschied zu seiner Kollegin nicht hingesetzt hatte, sondern in kleinen Kreisen im Zimmer herumgegangen war, blieb stehen, kratzte sich am Kopf und sagte: »Wer weiß? Vielleicht hätte es ohne den ersten Mord den zweiten nicht gegeben.«
»Was soll denn der Schwachsinn?«, fuhr der alte Hartung auf. »Unsere Familie hat mit dem Verbrechen nichts zu tun.«
Im gleichen Augenblick hörte man die Haustür zuschlagen. Nadja ging schnell aus dem Zimmer und kehrte in Begleitung von Karsten Hartung zurück.
»Was ist denn hier los?«, fragte der.
»Mein Enkel Karsten«, stellte Friedhelm Hartung vor.
Peter Heiland trat auf ihn zu. »Wo waren Sie in den letzten fünf Stunden?«
»Wie bitte? Was?«
Peter zeigte seinen Dienstausweis.
»Nicht nötig«, sagte Karsten Hartung, »Ihre Kollegin hat schon gesagt, dass Sie von der Polizei sind.« Er wollte sich umdrehen, um auf Nadja zu zeigen, und prallte mit ihr zusammen, weil sie ganz dicht hinter ihm stand.
»Hat sie auch schon gesagt, aus welchem Grund wir hier sind?«, fragte Heiland.
»Sylvia ist tot. Sie wurde ermordet!« Die Stimme des Familienpatriarchen klang kalt und barsch.
Karsten Hartung starrte die Anwesenden nacheinander an, als hoffte er, dass jemand dem Alten widersprechen würde. Dann schien das Gesagte sein Hirn zu erreichen. »Sylvia?« Er taumelte, griff nach einer Stuhllehne, aber sie entglitt ihm, und der Stuhl fiel krachend zu Boden. Seine Mutter eilte zu ihm und griff nach seinem Arm. Behutsam führte sie ihren Sohn zu dem Sofa, das dem ausladenden Sessel gegenüberstand, in dem der Chef des Hauses saß.
»Ich muss leider darauf bestehen, dass Sie meine Frage beantworten!« Heiland war hinzugetreten und beugte sich zu Karsten Hartung hinab, so dass ihre Gesichter ganz nahe voreinander waren.
»Welche Frage?«
»Wo Sie in den letzten Stunden waren?«
»Ich . Ich war bis kurz nach elf Uhr in meinem Arbeitszimmer. Wir haben Probleme mit einer Lieferung, und ich habe versucht dahinterzukommen, wie das passieren konnte.«
»Und danach?«
»Bin ich raus an die frische Luft. Das mache ich oft.«
»Ja, das macht er oft«, echote seine Mutter. »Er rennt dann um den Grunewaldsee herum. Manchmal drei Mal.«
»War es heute auch so?«, fragte Nadja.
»Ja. Aber das ist doch überhaupt nicht wichtig! Sie sagen, Sylvia ist tot?«
»Sie sind nicht um den Grunewaldsee gelaufen«, stellte Nadja kühl fest.
»Natürlich!«
»Dann würden Ihre Schuhe anders aussehen. Es hat geregnet. Ich kenne den Weg rund um den See. Der ist jetzt ziemlich tief und verschlammt. Außerdem riechen Sie nicht nach frischer Luft, sondern nach Alkohol, Zigaretten und einem sehr weiblichen Parfum.«
Karsten Hartung starrte die Polizistin an, räusperte sich ein paar Mal und brummte dann: »Sie müssen eine verdammt gute Nase haben.«
»Ja, das stimmt. Ich habe auch gerochen, dass Ihr Großvater, kurz bevor wir gekommen sind, ein Rasierwasser der Marke >Silverskin< aufgetragen hat. Grade so, als ob er sich für unseren Besuch hätte frisch machen wollen.«
»Stimmt!«, sagte der Alte. »Sogar die Marke ist richtig. Aber im Unterschied zu anderen Männern rasiere ich mich am Abend, bevor ich zu Bett gehe, damit ich morgens keine Zeit verliere.«
»Machen wir hier eigentlich Konversation, oder was?«, schrie plötzlich seine Schwiegertochter. »Sylvia ist tot, sagen diese Leute, und ihr .« Sie unterbrach sich und starrte abwechselnd ihren Sohn und ihren Schwiegervater wütend an.
Peter Heiland hob abwehrend beide Hände. »Es ist immer so, Frau Hartung. Ein Mensch kommt ums Leben, und wir sind gezwungen, ganz banale Fragen zu stellen. Wir werden Sie jetzt in Ruhe lassen. Das heißt, nachdem uns Ihr Sohn gesagt hat, wo er in den letzten fünf Stunden war.«
Karsten Hartung stand vom Sofa auf. »Ich bringe Sie zur Tür.«
Als sie in die Halle hinaustraten, kam Anneliese Hartungs Mann Gregor die rechte Treppe herunter. Er trug einen blauen Blazer, darunter ein weißes Hemd mit einem goldgesprenkelten Einstecktuch, dazu eine weiße Hose und elegante Slipper. »Was ist eigentlich los? Ich höre schon eine ganze Zeit Stimmen im Haus.«
»Lass es dir von Mama erklären«, sagte Karsten. »Sie ist im Wohnzimmer bei Opa.« Er ging voraus zur Haustür und öffnete sie. Als Peter Heiland und Nadja ihn erreichten, begann er: »Ich war bei meiner Geliebten. Wenn es unumgänglich werden sollte, werde ich Ihnen Namen und Adresse geben. Auf Wiedersehen!«
Die beiden Polizeibeamten verließen die Villa. Am Auto blieben sie stehen. »Hast du das wirklich alles gerochen?« Zum ersten Mal duzte Peter Heiland seine Kollegin, die das mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nahm.
»Ja, ich bin tatsächlich mit dieser Begabung geschlagen. Nu los, steig ein.«
»Lass mal, ich bleib hier, bis Sven Hartung nach Hause kommt.«
»Und ich?«
»Du fährst heim, legst dich aufs Ohr und schnüffelst morgen weiter mit deiner wunderbaren Nase.«
Nadja öffnete die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.