Schweitzer Fachinformationen
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Vorderbach hatte nur zwei Straßen, die rechtwinklig aufeinanderstießen: die Hauptstraße und die Talstraße. Die Häuser standen in ungeordneten, lockeren Reihen.
»Man könnt meinen, um das Nest hätt der Wohlstand einen großen Bogen g'macht«, sagte Bienzle zu Gächter, der neben ihm ging.
»Ich bin mir immer noch nicht klar, was du eigentlich willst«, sagte Gächter.
»Schnuppern, zuhör'n, das Dorf verstehen.«
»Klingt ein bisschen allgemein.«
»Wahrscheinlich schaffen die meisten aus dem Dorf im Sägewerk.«
»Und diese Elke Maier .?«
»Die muss für das Nest hier eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein - so was wie ein Star.«
»Ob sie Geld genommen hat?«
»Kaum - im Übrigen glaub ich sowieso, dass die Männer sich bei ihr nur den Appetit geholt haben .«
». und zu Hause haben sie gegessen?«
»Du sagst es.«
Sie waren bei ihrem Dienstwagen angelangt, der an der Kreuzung stand.
»Also denn .«, sagte Gächter.
»Du könntest noch am Eichenhof vorbeifahren, dir eine Liste der . Insassen, oder wie sagt man da . halt von denen, die da wohnen, geben lassen und daheim durchchecken, ob ein Verdächtiger dabei ist.«
»Und ich dachte schon, ich könnt 'ne ruhige Kugel schieben.« Gächter stieg ein und fuhr schnell davon. Er warf noch einen Blick in den Rückspiegel. Breitbeinig stand Bienzle auf der Kreuzung, unbeweglich. Die Haare hatte er noch immer nicht gekämmt.
Bienzle löste sich aus seiner Erstarrung und ging die Talstraße hinunter, die sich in zwei großen Kurven zum Flüsschen hinabschwang. Ein großer Leiterwagen mit Mist, gezogen von zwei Ochsen, kam ihm entgegen. Der Bauer hatte ein Brett auf den dampfenden Mist gelegt, um sich so einen Kutschbock zu machen. Er grüßte, indem er den Peitschenstiel zum Mützenrand hob.
Bienzle blieb stehen. Der Bauer machte: »Ööööha!« Die Ochsen standen sofort.
»Sie sind der Kriminaler aus Stuttgart?«
Bienzle nickte.
»Ja, dann«, sagte der Bauer, »bis bald! Hüh!« Die Mistfuhre ruckte an.
Bienzle hätte gerne nachgehakt, aber zugleich wusste er, dass das in diesem Augenblick verfrüht gewesen wäre. Er schritt weiter. Es war nicht schwer auszumachen, wo der Bauer zu Hause war. Denn im ganzen Dorf gab es überhaupt nur zwei landwirtschaftliche Anwesen. Eines davon lag am unteren Ende der Talstraße. Vor dem Stall türmte sich ein großer Misthaufen, auf dem ein Mann stand. Er schichtete die dampfende Masse mit einer Gabel um. Das Erste, was Bienzle dachte, als er ihn dort sah, war: Der passt da nicht hin!
Bienzle sagte freundlich: »Grüß Gott.«
Der Mann antwortete mit »Guten Tag«. Er stieg von dem Misthaufen herunter - ein hochgewachsener, schlanker Kerl, etwa dreißig Jahre alt, mit einer hohen Stirn und lichtem blonden Haar. Die dunklen Augen schauten Bienzle durch eine Brille mit kreisrunden Gläsern ernst an. Er trug eine Latzhose, die früher vielleicht einmal weiß gewesen war.
»Sie sind nicht von hier?«, sagte Bienzle; es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Nein.«
Bienzle wartete, aber der andere schwieg.
»Ich untersuche den Mord an Elke Maier .« Der Satz kam ihm selber gestelzt vor.
»Ja.«
»Nach und nach werde ich mit jedem im Dorf sprechen müssen. Waren Sie gestern Abend im Rössle?«
»Nein, ich geh da nicht hin.« Es klang, als wollte er sagen, ich bin gewohnt, in anderen Kreisen zu verkehren.
Bienzle lächelte: »Mir gefällt's.«
Der Mann stieß die Gabel mit geübtem Schwung in den Misthaufen, ging zu einem kleinen Anbau und kam mit einer Sense wieder. »Ich geh Grünfutter schneiden«, sagte er und öffnete ein kleines Tor im Zaun hinter der Scheune.
Ein schmaler Weg führte zu einer steil zum Tal abfallenden Wiese. Bienzle folgte ihm zögernd. »Ich hab vorhin den Bauern getroffen.«
»Mhm.«
»Viel hat er nicht gesagt, aber ich hatte den Eindruck, als ob er erwartete, dass ich früher oder später .« Weiter kam er nicht.
»Sicher, sicher«, sagte der Mann, »früher oder später . Ich hab nämlich schon mal so was gemacht.«
Bienzle blieb abrupt stehen.
»Es ist zehn Jahre her und - wie sagt man - verbüßt. Mord im Affekt haben die einen gesagt. Lustmord die anderen.« Er sprach völlig teilnahmslos. »Ich stehe in den Akten, das heißt, ich bin im Computer. Es wäre tatsächlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Sie auf mich gekommen wären.«
Bienzle sagte bedächtig: »Ich hab einmal in einem Verhör einen Verdächtigen geschlagen - einmal, aber dann nie wieder.«
Der Mann begann mit Schwung Gras zu mähen.
»Worauf hat denn der Richter erkannt?«, fragte Bienzle.
»Mord im Affekt - aber für die Leute .«
»Wissen die 's denn? Ich meine, die Leute hier?«
»Ich war auf dem Eichenhof. Mich rehabilitieren.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und da es der Heimdirektor wusste, haben es auch alle anderen erfahren.«
»Sie sind dort nicht geblieben?«
»Auf dem Eichenhof bleibt man nicht.«
»Aber in Vorderbach?«
»Ja, wenn man Glück hat und auf einen Menschen trifft.«
Wie der Mann hieß, erfuhr Bienzle abends im Rössle, wo er sich einen kleinen Tisch neben der Theke ausgesucht hatte. Die Stammgäste beobachteten den Stuttgarter Kommissar mit unverhüllter Neugierde.
»Der Sparczek«, sagte ein junger Mann viel zu laut und in Bienzles Richtung, »der Sparczek ist ja zu blöd, um eine gebührenpflichtige Verwarnung auszustellen.«
»Scho bei der Häberlein hätt mr da hinlange müsse, wo's heiß ischt«, trompetete ein anderer.
Und dann war es so weit: »Der Kasparczek Franz - klingt doch genau wie Sparczek - oder? Kei Wunder, dass der den in Schutz nimmt. Der Kasparczek hat doch hinter Hannover scho mal oine vergewaltigt - ond abg'stoche!« Und dann: »Das ist doch sowieso ein Außenseiter.«
»A Luschtmörder ischt ja au was Bsonders«, rief ein anderer, »für den send mir koi Umgang!«
»Der Stuttgarter Kriminaler wird sich den schon greifen - der hat doch ein ganz anderes Gespür für so was!« Das war ein braungebrannter, vielleicht vierzigjähriger Mann, der offenbar das große Wort führte. Er trug eine modische Frisur und ein elegantes Tennishemd, dazu eine helle Leinenhose und leichte Stoffschuhe.
Bienzle winkte der Wirtin. Sie rutschte zu ihm auf die Bank.
»I bin, scheint's, so was wie a Attraktion in Ihrem Lokal«, sagte er.
»Aber dafür gibt's keine Prozente!«
»Aber eine Auskunft: Wer ist denn der Platzhirsch da drüben?«
»Der? Der Jürgen? Das ist der Jürgen Pressler, der Juniorchef vom Sägewerk.«
»Ich lass mei Frau nicht mehr nachts auf d' Straß«, sagte am Stammtisch einer laut.
Ein anderer rief: »Das kommt dir grad recht, was? Jetzt heißt's: Ich geh aus - du bleibst z' Haus!«
Gelächter am Stammtisch.
Die Tür wurde zögernd aufgestoßen. Ein kleiner, stämmiger Mann in einem abgetragenen grünen Anzug kam mit allen Anzeichen der Unterwürfigkeit herein. Bienzle empfand auf Anhieb so etwas wie Mitleid mit ihm. Der Mann ging zum Tresen und stellte sich mit gesenktem Kopf hin.
Die Wirtin, die noch immer neben Bienzle saß, sagte: »Eins von meinen Flaschenkindern .« Sie erhob sich ächzend. Wortlos schob sie vier Bierflaschen über die Theke, die der Mann blitzschnell in seinen Jacken- und Hosentaschen versenkte. Münzen klimperten auf dem blanken Nirostastahl der Theke.
»Danke«, sagte der Mann leise.
Im ganzen Lokal wurde es einen Moment lang still.
»Du solltest denen nichts mehr geben, Emma!«, rief der Platzhirsch. »Zuerst saufen sie sich einen an, und dann stechen sie unsere Frauen ab.«
Der Mann im grünen Anzug drehte sich langsam um. Seine rechte Hand umklammerte die Bierflasche in der rechten Jackentasche. Er schwankte bereits ein wenig. »Ich war fünfunddreißig Jahre vor Kohle«, sagte er leise. Seine linke Hand zitterte. Er presste sie gegen den Oberkörper.
Bienzle sah jetzt erst, dass diese Hand verkrüppelt war.
»Fünfunddreißig Jahre war ich vor Kohle.«
»Ja, ja - lass jucken, Kumpel«, rief Pressler und erntete stolz das dankbare Gelächter seines Publikums.
Bienzle ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, Pressler hätte das Mädchen umgebracht.
»Ihr habt ja keine Ahnung«, sagte der Mann leise.
»Aber du, was?«, schrie der Platzhirsch.
Auf einmal bekam der Mann im grünen Anzug schmale Augen. Er ruckte in den Schultern und drückte das Kreuz durch. »Vorsicht, Pressler!«, zischte er. »Ich hab dich gesehen!«
Plötzlich war es ganz still. Alle sahen Pressler an, und der war erkennbar bleich geworden.
»Sieh bloß zu, dass du Land gewinnst!«, stieß er endlich hervor.
Der Mann im grünen Anzug breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben; dann drehte er sich fast tänzerisch auf dem Absatz und ging in Richtung Tür.
Mit einem Satz sprang Pressler auf, und mit ein paar schnellen Schritten war er bei dem Mann. Einen Augenblick lang hatte es so ausgesehen, als ob der Mann im grünen Anzug die Oberhand gehabt hätte, aber jetzt hatte sich das Verhältnis schlagartig wieder umgekehrt. Pressler packte ihn an der Schulter und wirbelte ihn herum.
Bienzle stand auf.
Pressler brüllte: »Was sollen wir uns von euch Asozialen eigentlich noch alles gefallen lassen?« Er holte aus.
Bienzle sagte scharf:...
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