Schweitzer Fachinformationen
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Ernst Bienzle sitzt missmutig am häuslichen Küchentisch und stochert mit dem Kaffeelöffel in seinem Joghurtbecher herum. Er blinzelt zu Hanna, seiner Frau, hinüber. Den Bademantel hat sie nun schon seit mindestens zehn Jahren. Ich sollte ihr mal einen neuen schenken, denkt er und dann gleich: Wozu auch? Ein neuer Bademantel würde sie auch nicht verändern . Ernst Bienzle schiebt den Löffel in den Mund. Da lässt er ihn stecken, ohne den wabbeligen Joghurt hinunterzuschlucken.
»Guck net so«, mümmelt seine Frau, »du träumst. Ein Kriminalkommissar, der träumt .«
Er schaut sie unverwandt an und murmelt den Löffelstiel entlang: »Von wegen träumen .« Dann nimmt er den Löffel aus dem Mund, stößt ihn in den Plastikbecher zurück, steht auf, greift seinen Trenchcoat und eine abgewetzte angeschmutzte Aktentasche, imitiert einen Kuss aufs ungeordnete Haar seiner Ehefrau, verlässt das Häuschen am Stadtrand von Stuttgart, klettert in seinen VW-Variant, fährt, ohne zurückzusehen, los, hält drei Straßenecken weiter vor der Metzgerei Schäuffele, verlangt »ein Viertelpfund warmen Leberkäs«, erfährt, dass es um diese Zeit noch keinen warmen Leberkäse gibt, verlangt daraufhin »dreihundert Gramm kalten Leberkäs und ein Brötchen«, verbittet sich, dass die Metzgersfrau das Vesper einwickelt, schiebt das Stück Leberkäse mit einer Hand in den Mund, zahlt mit der andern, wirft der Frau hinter der Theke einen wütenden Blick zu, als sie sagt: »Sie sind wohl zur Zeit gerade wieder auf Diät gesetzt, Herr Bienzle?«, und macht sich auf den Weg ins Büro.
Im Autoradio hört er Nachrichten. Atomgegner haben wieder einmal erfolgreich das Gelände für ein geplantes Kernkraftwerk besetzt, die Polizei ist nach heftigen Auseinandersetzungen abgezogen. Die Besetzer richten sich auf längere Zeit ein, bauen jetzt ein Gemeinschaftshaus .
»Gut so«, murmelt der Kommissar. Vor einem Jahr hatte er den Diebstahl radioaktiven Mülls aus dem Kernkraftwerk in Weihersbronn und einen damit zusammenhängenden Mordfall zu klären. Seitdem sind seine Vorurteile gegen Atomkraftwerke womöglich noch gewachsen. Dann plötzlich richtet er sich hinter seinem Steuer ruckartig um wenige Zentimeter auf.
Knut Jarosewitch, ein in Stuttgart wohlbekannter Schmuckkaufmann, sagt die teilnahmslose Stimme des Sprechers, ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Am Hochtauern in Österreich haben Autofahrer den auf mehrere Millionen Vermögen geschätzten Kaufmann erschossen in seinem Wagen aufgefunden.
»Es gibt doch nichts Ungenaueres als solche Radionachrichten«, schimpft Bienzle. Knut Jarosewitch, der wohlbekannte Stuttgarter Schmuckhändler, der Hehler, den man nie zu fassen kriegte . Jetzt hatte ihn wohl einer zu fassen bekommen.
Bienzle empfindet keine Genugtuung. Er weiß, dass seine Kollegen oft versucht haben, den Juwelier zu überführen. Jeder in Stuttgarts Altstadt wusste, dass er Schmuck aus Einbrüchen aufkaufte, zerlegte, neu fasste und weiterverkaufte. Einmal im Sommerurlaub hatte Bienzle die Weiße Wolke, einen wegen seines Captagon-Verbrauchs so genannten Kleingangster, auf Mallorca getroffen. »Wie kommen Sie denn in so a feins Hotel?«, hatte Bienzle ihn gefragt. Nach drei Abenden und diversen Pernods an der Hotelbar wusste der Kommissar, dass dies erstens kein feines Hotel sei, gemessen an ., und dass zweitens >eine Reisetasche voller Klunker bei Jarosewitch< noch alle Mal einen runden Pauschalbetrag von siebeneinhalb Riesen einbringe. Einzige Bedingung des Schmuckhändlers: der Lieferant müsse für zwei bis drei Monate verschwinden, am besten auf eine Insel weit weg, und da gebe es doch so billige Flüge mit Reisebüros nach Teneriffa oder Mallorca.
Ein paar Wochen später, daheim in der Weltstadt zwischen Wald und Reben, wollte die Weiße Wolke nichts mehr davon wissen. Der kleine Ganove war in die Polizeidirektion in der Dorotheenstraße gekommen, weil er im Vollrausch versucht hatte, einen Taxifahrer mit vorgehaltener Pistole dazu zu zwingen, einen Zwergesel, den er im Remstal auf einer Jugendfarm gestohlen hatte, in die Stadt zu fahren. Das war das einzige Mal, dass man bei der Weißen Wolke eine Waffe gesehen hatte.
Bienzle schiebt das letzte Stück Brötchen zwischen die Zähne und wischt seine Finger an der Seite seines Fahrersitzes ab. Missmutig schaut er auf seinen Bauch, über dem sich das weiße, jetzt mit Krümeln übersäte Hemd spannt.
Im Büro wirft er den Mantel über die offene Hängeregistratur, schiebt den Aktenberg von der rechten auf die linke Schreibtischseite, stellt das Radio an, sucht, bis er ein klassisches Konzert findet, und fixiert Karl Gächter, den schlaksigen Kriminalmeister, der ihm gegenübersitzt.
»Schon gehört?«, fragt der.
»Mhm, der Jarosewitch . Weiß man schon was?«
»Das ist wohl der verrückteste Mord seit langem«, grinst Gächter, der um nichts in der Welt bereit gewesen wäre, seine Story anders zu erzählen als so, wie er sie sich zurechtgelegt hat.
»Na dann, wenn du mal Zeit hast, kannst du's mir ja erzählen«, sagt Bienzle, der um nichts in der Welt seine Neugierde eingestanden hätte, und griff nach der Akte Pedro Calvari.
»Pass auf«, sagt Gächter, »der Jarosewitch war wohl auf der Fahrt nach Bologna zum Boxkampf.«
»Alle Ganoven treffen sich bei den Boxkämpfen, das ist nicht neu«, mault der Kommissar.
»Richtig. Also, er fährt mit seinem Mercedes 450 SE von Badgastein zur Autoverladestation am Tauerntunnel - was weiß ich, warum er den Umweg gemacht hat; durch die Schweiz nach Mailand und von da Autobahn ist viel näher . Na ja; Geschäfte wahrscheinlich. Jedenfalls, irgendwo kurz vor der Verladestation muss ihn der Täter überholt haben.«
»Du hast den Fall wohl schon gelöst? Woher willst du das denn wissen?«
»Weil ich da auch schon gefahren bin. Also: Jarosewitch zahlt seine Gebühr und fährt auf den Autozug . Verstehst du mich?«
»Nein, das ist mir zu kompliziert. Aber nimm keine Rücksicht.«
»Also: Er fährt da rauf, macht seinen Liegesitz lang und streckt sich aus. Der Zug fährt los, und zwar so, dass die Autos sozusagen rückwärts fahren.«
»Sozusagen?«
»Rein in den Tunnel. Und da ist es stockfinster.«
»Was du nicht sagst!«
»Der Täter sitzt drei oder vier Autos vor Jarosewitch. Jetzt macht er vorsichtig die Deckenbeleuchtung aus, öffnet die Tür, lässt sich hinausgleiten, schleicht an den Wagen entlang, unterhalb der Fenster, sodass man ihn nicht sehen kann, bis zum Mercedes von unserem Schmuckmillionär. Dann schnellt er plötzlich hoch, richtet seinen Revolver auf Jarosewitch, drückt ab, lässt sich fallen, kriecht zurück, schlüpft wieder in sein Auto und lässt sich gemächlich in die Polster sinken und nach Mallnitz kutschieren.«
Bienzle schaltet das Radio aus. »Spannend, spannend . Und wie sieht er in der Dunkelheit, wo er hinschießen muss?«
»Taschenlampe.«
»Sieht man doch. Fällt auf.«
»Ach, das merkt doch niemand. Ich meine, da macht doch jeder mal Licht.«
»Mündungsfeuer?«
»Das Gleiche. Da hat sich jemand 'ne Zigarette angesteckt.«M
»Und den Schuss hat keiner gehört?«
»Mitten im Tunnel? Und vielleicht hat er sogar noch einen Schalldämpfer gehabt.«
»Mhm .«
»In Mallnitz auf der anderen Seite des Tunnels wird die Rampe wieder angebracht; die Autos fahren nach vorne runter. Der Täter fährt, dann der Nächste, dann der Übernächste und so weiter. Und dann wäre Jarosewitch dran. Aber der fährt nicht. Liegt da ruhig in seinem zurückgestellten Sitz und fährt nicht. Der Hintermann hupt. Hupt einmal, zweimal - der Mercedes rührt sich nicht von der Stelle. Jetzt steigt der Fahrer aus, und von vorn kommt ein Bahnbeamter. Sie erreichen den Mercedes zur gleichen Zeit und sehen den Toten. Da liegt er mit einem Loch im Kopf, und das Blut rinnt ihm am Nasenbein entlang.«
»Du solltest vielleicht Krimischreiber werden«, brummt Bienzle.
»Der Chef hat gesagt, du sollst gleich rüberkommen, wenn du da bist«, antwortet Gächter unbeeindruckt.
»Das fällt dir jetzt erst ein?«, schimpft Bienzle, und dann brüllt er: »Mensch, iss nicht, solange ich zugucken muss!«
»Du gehst ja jetzt zum Chef«, grinst Gächter und beißt von seinem Leberwurstbrot ab. Und dann: »'tschuldige, ich hab ganz vergessen, dass du wieder mal erfolgreich hungerst.«
An der Tür dreht sich Bienzle noch einmal um und fragt: »Und der Täter?«
»Was ist mit dem Täter?«
»Ja eben - was ist mit ihm? Hat man ihn gefasst?«
»Das sollst ja wohl du tun. Bis die auf dem Zug gemerkt haben, was los war, ist der doch längst davongefahren.«
»Oh, du liabs Herrgöttle von Biberach, wia hent di d' Mucke verschissa!«
Mit diesem seinem Lieblingsspruch zieht Bienzle die Tür leise hinter sich zu.
Der Chef der Kriminalpolizei, Direktor Karl Hauser, Schwabe wie Bienzle, kennt den Leiter der Mordkommission seit gemeinsamen Schultagen. Sie waren beide im traditionsreichen Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasium >erzogen< worden - Bienzle bis zur mittleren Reife, Hauser bis zum Abitur. Trotz allem macht Bienzle mit Hauser eine Ausnahme in seiner abgrundtiefen Abneigung gegen alle >Schtudierte<.
»Sie haben mich rufen lassen, Herr Direktor.«
»Ich hab g'sagt, do sollscht rüberkomme«, sagt der und stellt damit die zwischen ihnen üblichen Gesprächsbedingungen her. »Du hast ja sicher die Jarosewitch-Sache schon gehört.«
»Ja, aber die spielt in Österreich.«
»Die Sache...
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