1 AUSSEN - AUTOBAHN - NACHT
Dunkle Nacht. Von weit oben nähern wir uns einer Autobahn. Das Bild wird nur von Autoscheinwerfern und Blaulicht beleuchtet.
Wir sehen: einen großen Unfall. Ein umgekippter Schweinelaster. Ein schwarzer Lada Niva mit blauem Dach, der seitlich in den Laster gerutscht ist.
Einige Schweine liegen verletzt oder tot auf der Straße, andere rennen durch die Gegend. Polizisten jagen hinterher.
Wir nähern uns von hinten. MAIK KLINGENBERG (14), der langsam über die Autobahn humpelt. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und schmiert dabei Blut von seiner Stirn in die Haare, als wäre es Haargel.
Er dreht sich um und schreit einmal laut:
MAIK
Tschick!
2 INNEN - KRANKENWAGEN - NACHT
Maik liegt auf der Bahre. Ein SANITÄTER schneidet ihm mit einer Schere sein Hosenbein auf. Er faltet das Hosenbein auf, darunter kommt eine schwere Wunde zum Vorschein, die Wade ist zerfetzt.
Bei dem Anblick kippt Maik in Ohnmacht.
MAIK (VOICE OVER)
Eigentlich wäre ich gar nicht hier, wenn es Tatjana nicht gäbe.
3 INNEN - KLASSENZIMMER SCHULE - TAG
Maik sitzt an seinem Schulpult und hat nur Augen für TATJANA (14). Tatjana sieht umwerfend schön aus. Sie trägt ein T-Shirt mit Drachenmotiv.
MAIK (VOICE OVER)
Obwohl sie mit der ganzen Sache nichts zu tun hat. Ist das unklar, was ich da rede? Ja, tut mir leid. Tatjana Cosic kommt in der ganzen Geschichte überhaupt nicht vor. Das schönste Mädchen der Welt kommt nicht vor.
Als Tatjana in Maiks Richtung schaut, senkt er sofort den Kopf, damit sie seinen Blick nicht bemerkt.
Der Lehrer WAGENBACH (55) steht an der Tafel, auf der die Worte «Urlaub», «Wasser», «Rettung» und «Gott» stehen.
Auf dem Pult steht ein Korb, der mit Handys gefüllt ist. Die Handys scheinen ein Eigenleben zu haben, die Displays blinken, es brummt mal hier, mal da.
Vorne steht JUSTIN (14), der gelangweilt eine Geschichte vorträgt.
Maik beobachtet, wie Tatjana etwas auf einen Zettel schreibt, den sie einmal knickt und dann nach hinten reicht. Der Zettel geht durch die Reihen, auch an Maik vorbei, der ihn an Natalie reicht.
Natalie schreibt eine Antwort und reicht den Zettel wieder nach vorne.
Maik hat nur Augen für Tatjana, schaut aber sofort weg, als ihr Blick ihn einmal streift.
Tatjana schreibt auf den Zettel und reicht ihn nach hinten. Als der Zettel bei Maik ist, dreht sich Wagenbach zur Klasse.
JUSTIN
So saßen wir dann auf unserem Schlauchboot. Die Ruder waren im Wasser, und es wurde ziemlich heiß in der Sonne. Zum Glück kam dann die Küstenwache, die uns vom Wasser holte. Das war unsere Rettung, Gott sei Dank.
Wagenbach schaut Justin enttäuscht an.
WAGENBACH
Das grenzt schon an Arbeitsverweigerung, Justin. Setz dich.
Maik versteckt den Zettel schnell unter dem Tisch.
WAGENBACH
Niemand?
Unter dem Tisch entfaltet Maik heimlich den Zettel. Er hört vor Aufregung nicht, was in der Klasse gesprochen wird. Er schielt nach unten und liest:
Hey Natalie, in 3 Wochen feiere ich meinen Geburtstag. Erster Samstag Sommerferien. PARTY!!!! Einladungen kommen noch. Tatjana.
Wagenbach dreht sich wieder zur Tafel.
WAGENBACH
So, wer will denn jetzt als Nächstes? «Urlaub», «Wasser», «Rettung» und «Gott».
Maik reicht den Zettel zusammengefaltet nach vorne. Wagenbach hat das bemerkt! Er will Maik für diese Aktion bestrafen.
WAGENBACH
Maik Klingenberg! Darf ich bitten.
Maik verdreht die Augen. Er will eigentlich nicht.
WAGENBACH
Maik. Heute noch.
Maik schaut in die gelangweilte Klasse, dann räuspert er sich.
MAIK
Meine Mutter und die Beautyfarm. Von Maik Klingenberg.
Wagenbach verschränkt die Arme vor der Brust und blickt abwartend zu Maik.
MAIK
Ich mag meine Mutter. Sie ist nicht so wie andere Mütter. Sie kann zum Beispiel sehr witzig sein, das kann man von den meisten Müttern ja nicht gerade behaupten.
Einige Schüler schauen irritiert, fragen sich: Ist meine Mutter eigentlich witzig?
MAIK
Meine Mutter spielt viel Tennis. Sie ist der Tenniscrack in meiner Familie.
4 Cut to:
INNEN - HAUS KLINGENBERG, KÜCHE - TAG
Maik betritt die Küche.
MAIK (VOICE OVER)
Auch mit einer Flasche Wodka intus hat sie noch die Vereinsmeisterschaften gewonnen.
Seine MUTTER (40) trägt Tennisklamotten und ist gerade dabei, eine Flasche Wodka in eine leere Flasche Bismarckquelle umzufüllen.
MAIK
Brauchst du Hilfe, Mama?
Seine Mutter schüttelt den Kopf.
MAIKS MUTTER
Geht schon, Maik. Danke.
5 AUSSEN - TENNISPLATZ - TAG
Blauer Himmel füllt das Bild. Ein Tennisball fliegt in Zeitlupe von unten ins Bild und wird von einem Tennisschläger mit einem lauten Plopp getroffen.
Maiks Mutter in weißem Tennisdress spielt Tennis auf einem roten Sandplatz gegen FRAU WEBER (42).
Maik sitzt am Spielfeldrand. Er spielt ein Tennisspiel auf seinem Handy.
Maiks Mutter kramt die Mineralwasserflasche mit dem Wodka aus ihrer Sporttasche und trinkt einen Schluck. Sie läuft wieder aufs Spielfeld, spielt einen längeren Ballwechsel und siegt.
Sie wirft den Ball in die Höhe, verfehlt ihn aber beim Aufschlag.
Sie nimmt noch einen Schluck aus der Flasche.
Sie wirft den Ball noch einmal hoch, trifft ihn dieses Mal perfekt: ein Ass.
6 AUSSEN - TENNISPLATZ TERRASSE - TAG
Etwas später.
Maik sitzt mit seiner Mutter an einem Tisch und isst Pommes. Maiks Mutter hält einen Cocktail in der Hand.
Am Nebentisch sitzen Frau Weber und HERR SCHUBACK (50).
MAIK (VOICE OVER)
Ab und zu gibt es hinterher dann diese Unterhaltung. Frau Weber fragt meine Mutter:
FRAU WEBER
Sehen wir uns beim Sommerturnier, Frau Klingenberg?
MUTTER
Keine Sorge, da fahr ich weg.
Maiks Mutter zieht ein Dekopapierschirmchen aus dem Cocktail, leckt es sauber und faltet es zusammen.
FRAU WEBER
Ach, wo fahren Sie denn hin?
MUTTER
Auf die Beautyfarm.
Sie legt ihn auf den Tisch. Dort liegen bereits fünf andere Schirmchen fächerartig nebeneinander.
MAIK (VOICE OVER)
Und dann kommt immer, immer, immer von irgendwem am Tisch, der das noch nicht kennt, die wahnsinnig geistreiche Bemerkung:
HERR SCHUBACK
Das haben Sie doch gar nicht nötig, Frau Klingenberg.
Maiks Mutter grinst zum Nachbartisch.
MUTTER
War ein Witz. Ist 'ne Entzugsklinik.
Betretenes Schweigen.
Die Mutter zwinkert Maik verschwörerisch zu. Er lächelt.
7 Cut to:
INNEN - KLASSENZIMMER - TAG
Maik steht immer noch vor der Klasse und liest weiter vor.
MAIK
Einmal sind wir Hand in Hand vom Tennisplatz nach Hause, weil meine Mutter nicht mehr Auto fahren konnte. Ich hab ihre schwere Sporttasche getragen, und sie hat zu mir gesagt: «Du kannst nicht viel von deiner Mutter lernen. Aber das kannst du von deiner Mutter lernen. Erstens, man kann über alles reden. Und zweitens, was die Leute denken, ist scheißegal.»
Maik schaut in die Klasse, die sich größtenteils langweilt. In die Pause ruft ein Schüler:
SCHÜLER
Psycho!
Die Klasse lacht auf.
Wagenbach wird unruhig.
WAGENBACH
Ruhe bitte! Danke, Maik.
MAIK
Ich bin noch nicht fertig.
WAGENBACH
Wie lange ist das denn noch?
Maik blättert in den engbeschriebenen Seiten.
MAIK
Sechs Seiten.
Wagenbach steht auf.
WAGENBACH
Danke, Maik, das reicht.
8 INNEN - KLASSENZIMMER - TAG
Wagenbach sitzt am Pult und blättert in Maiks Heft. Maik schaut Wagenbach lächelnd an. Außer ihnen ist niemand sonst im Zimmer.
Wagenbach blickt vom Heft hoch zu ihm.
WAGENBACH
Findest du das auch noch lustig?
Maiks Lächeln gefriert. Damit hat er nicht gerechnet.
Wagenbach steht auf, tritt ans Fenster und blickt raus.
WAGENBACH
Maik.
Er dreht sich vom Fenster zu Maik.
WAGENBACH
Es geht um deine Mutter. Hast du mal darüber nachgedacht? Deine Mutter! Ist dir das klar?
MAIK
Ja, mir ist klar, dass meine Mutter meine Mutter ist.
WAGENBACH...