3. KAPITEL
DIE RÖMER IN BAYERN
Wie eine schwarze Wolke hatte die Keltengefahr den Aufstieg des römischen Reiches begleitet. Erst Cäsar konnte Gallien erobern, erst Augustus gegen die Alpenstämme vorgehen und das Land bis zur Donau dem Imperium einfügen. Wenn dabei die Noriker die friedliche Unterwerfung vorzogen, die Vindeliker ließen es auf das Schwert ankommen, so daß Tiberius und Drusus, die beiden Stiefsöhne des Kaisers, mit dem Sommerfeldzug des Jahres 15 vor Christus zu einer weiten Zangenbewegung über Bodensee und Alpen ausholen mußten. Damals ist das Oppidum von Manching als der Vorort der Vindeliker für immer untergegangen. Das Ackerland kam an römische Grundbesitzer; die waffenfähige Jugend wurde abexerziert und in weitentfernten Reichsteilen unter die Legionen gesteckt.
Nach der »Befriedung« wurde das Land selber in zwei Provinzen aufgeteilt: in Rätien, das von den Rheinquellen und dem Bodensee bis zum Inn reichte, und in Norikum, das vom unteren Inn bis zum Wienerwald ging. Im Osten dann Pannonien. Nur im Norden biß sich die Grenze an der Donau fest, denn ein großer Aufstand der Völker in Dakien und die Niederlage im Teutoburger Wald verhinderten das Ausgreifen gegen das freie Germanien. Es blieben auch keine Legionen in den beiden neuen Provinzen stehen, und das Land wurde durch bloße Hilfstruppen und ein weitmaschiges Kastellsystem abgedeckt. Erst Kaiser Vespasian ging, um die Grenzlinie zu verkürzen, gegen den einspringenden Landwinkel zwischen Donau und Rhein vor - eine Bewegung, die unter Hadrian (117 bis 138) mit dem Ausbau des Limes ihren Abschluß fand. Über Meilen hin Palisaden, dazwischen feste Wachtürme, dahinter Kastelle, das war der Grenzwall, der Limes. Bei Hienheim oberhalb Kelheim begann er, setzte bei Kipfenberg über die Altmühl, bei Ellingen über die Schwäbische Rezat; bei Lorch an der Rems sprang er im scharfen Winkel zum Main und erreichte dann bei Andernach den Rhein.
Nördlich von Donau und Limes aber saßen die ungebärdigen germanischen Nachbarn: die Chatten und die Hermunduren, die Naristen, die Markomannen und die Quaden. Ihre ganze Gefährlichkeit zeigte bereits der große Markomannensturm von 166, bei dem Marc Aurel, der »Philosoph auf dem Kaiserthron«, fünfzehn Jahre und die Kraft des ganzen Weltreiches brauchte, um die Donaulinie zu sichern. Damals wurde die dritte italische Legion ins rätische Regensburg gelegt, die zweite ins norische Lorch. Regensburg und Lorch deuten nach Norden, doch unter dem schwunglosen Kaiser Commodus begnügte sich Rom endgültig mit der Abwehrstellung, und der Limes wurde nun ausgemauert. Was darüber hinaus zu tun war, überließ man dem feinen Spiel der Diplomatie. Rätien, an sich schon italienferner als Norikum, dazu auch bei der Eroberung schwerer angeschlagen, blieb ein Randgebiet des Reiches, und seine Provinzkultur konnte sich nicht messen mit dem römischen Leben am Mittelmeer oder an Mosel und Rhein.
Von den Städten im Land war Augsburg (Augusta Vindelicum) die wichtigste, »die glanzvollste Koloniestadt der Provinz Rätien«, wie sogar Tacitus sagte. Hier war der Sitz des römischen Statthalters und der Mittelpunkt von Gewerbe und Handel; seit Kaiser Hadrian führte man auch das römische Stadtrecht. Die benachbarten Hermunduren, die auch während des Markomannenkrieges stillgesessen waren, durften sogar bis Augsburg zum Markt kommen. Ein ganz anderes Gesicht als Augsburg muß dagegen die Militärstadt Regensburg (Castra Regina) gezeigt haben, das Standquartier der dritten italischen Legion. Vorher eines jener Donaukastelle, für die das benachbarte Eining (Abusina) als klassisches Beispiel gelten kann, wurde Regensburg seit 179 nach Christus durch den Proprätor Dextrianus großzügig ausgebaut. Außerhalb des Legionslagers aber ließ sich nieder, was durch und mit dem Soldaten lebte: Händler, Schankwirte, Handwerker, Weiber und Kinder.
Auch viele Siedlungen zweiten Ranges gehen auf Kastelle zurück: Günzburg (Guntia) etwa oder das wichtige Passau (Castra Batava), wo, dem alten Boiodurum gegenüber, die batavische Kohorte den Altstadthügel besetzte. Nördlich der Donau erwuchsen zwei größere Orte mit Nassenfels an der Schutter (Vicus Scuttarensium) und Faimingen bei Dillingen (Ponione?). Im südlichen Donauhinterland aber lagen die offenen Handelsorte wie Pons Aeni (Pfaffenhofen-Pfunzen) am Inn, Bedaium (Seebruck) am Chiemsee, Iuvavum (Salzburg) an der Salzach, das als Stadt nicht viel hinter Augsburg zurückstand.
Ein großartiges Straßennetz verknüpfte diese Orte untereinander und mit dem fernen Italien. Die berühmte Via Claudia Augusta lief von Augsburg über Füssen und Reutte, den Fernpaß und den Reschenpaß, nach Italien hinunter; eine zweite Alpenstraße ging durch das Inntal und über den Brenner. Ebenso wichtig war die Straße, die Gallien mit den Donauprovinzen verband und über Augsburg-Seebruck-Salzburg quer durch Südbayern zog. Dazu kamen eine Straße von Augsburg über Oberföhring zum Inn, die Donaustraße und das dichte Wegnetz hinter dem Limes. Wo sie der Pflug nicht eingeebnet hat, kann man diesen »Hochstraßen« heute noch auf Meilen folgen. Zu der großzügigen Planung kam die Technik der römischen Ingenieure, die alle natürlichen Gegebenheiten ausnutzten und an Stelle der primitiven Karrengeleise den festen Unterbau aus Bruchstein und Schotter setzten. Es klingt unglaublich, aber man konnte zur Römerzeit schneller und gefahrloser von Paris nach Konstantinopel reisen als etwa um 1800.
Nach dem Zeugnis des heiligen Hieronymus wurde noch im 4. Jahrhundert in der Kaiserstadt Trier Keltisch gesprochen, und in Augsburg wird es kaum anders gewesen sein. Im übrigen aber legte der Kelte, immer neuerungssüchtig und begierig aufs Fremde, erstaunlich schnell sein eigenes Volkstum ab und ließ sich romanisieren. Das Latein war auch in den Donauprovinzen Amtssprache, und die ausgedienten Soldaten, die man allerorts ansiedelte, trugen die römische Zivilisation in den letzten Landeswinkel hinaus. Noch eine kleine Provinzstadt wie Kempten (Cambodunum) wollte den staunenden Barbaren ein kleines Rom vorexerzieren; man hatte auch hier Forum und Ratsgebäude, Markthalle, Tempel, öffentliche Bäder - mit einem Wort städtische Kultur. Auf dem flachen Lande gab's dafür römische Gutshöfe, mitunter auch die luxuriöse Villa eines reichen Geldsacks oder eines hohen Beamten.
Die eingesessene Bevölkerung aber nahm von den Römern an, was ihr gut dünkte. Wenn auch die Kelten tüchtige Ackerbauern waren, so brachten die neuen Herren dafür die Gartenkultur, die Obstbaumzucht und den Weinbau mit. Ähnlich war's mit dem Mauerwerk, das die Kelten bisher nur für Befestigungen verwendet hatten. Nun kamen italische Architekten, entstanden bei Abbach an der Donau römische Ziegeleien, baute man mit Quadersteinen und mit Ziegeln. Freilich haben sich von alledem nur im alten Regensburg die Reste der Stadtmauer und eines mächtigen Torbaues (Porta praetoria) über der Erde erhalten.
In bescheidenem Umfang blühte sogar die Kunst. Wenn auch die großen Standbilder der Götter und Kaiser aus Italien geholt wurden, die ganze Alltagsplastik ging aus heimischen Werkstätten hervor. Eine Fülle von Weihealtären, Denksteinen und Grabmälern, die uns hier überkommen ist: meist biederes Handwerk - keltische Steinmeißel, die mühsam genug die fremde Form suchen und das naive Abbild des Menschen und seiner Tätigkeit. Daneben kam die Keramik in Schwung, und schon im zweiten Jahrhundert konnten die Werkstätten von Westerndorf bei Rosenheim ihr hartgebranntes, hellklingendes Terra-Sigillata-Geschirr im ganzen Binnenland vertreiben. Mosaikböden römischer Villen hat man vor allem im bereits norischen Chiemgau ausgegraben. Der schönste - teppichartig bunt, mit springenden Hirschen und spielenden Delphinen - wurde in Westerhofen bei Ingolstadt gefunden.
Zur römischen Kultur kam der römische Kult mit seiner Kaiserverehrung und seinen Reichsgöttern, der das Druidenwesen nicht mehr dulden konnte. Nachsichtiger als mit den keltischen Priestern aber war man mit den keltischen Göttern, die man ohne weiteres ins römische Pantheon einließ - so etwa Epona oder die drei großen Mütter. Zum heiltätigen Grannus wallfahrtete man nach Faimingen; Bedaius war wohl der Gott des Chiemsees selber; der gutmütigverschmitzte Genius cucullatus konnte sogar noch als »Goggolori« an die Baiwaren übergehen. Kleine und kleinste Heiligtümer lagen über die ganze Siedelflur verstreut, und der Kult der heiligen Quellen und Bäume muß bereits jetzt angeklungen sein.
Mit der flackernden Religiosität der späten Kaiserzeit kam auch die Verehrung des persischen Lichtgottes Mithras nach Rätien, und Kaufleute, Handwerker und Legionäre trugen das junge Christentum ins Land. Noch war es die Zeit der Christenverfolgungen, von denen die Martergeschichten der heiligen Afra in Augsburg und des heiligen Florian in Lorch erzählen können. Auch in...