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Fin
Die letzte halbe Stunde war Fin ruhelos in seinem Wohnzimmer herumgetigert. Ihm war klar, dass das kein angenehmes Gespräch werden würde, doch obwohl ihm mindestens eine Million anderer Arten einfiel, wie er seinen Silvesterabend verbringen wollte, führte kein Weg daran vorbei. Wann würde er es endlich lernen? Ließ man die Dinge schleifen, konnten sie im Handumdrehen aus dem Ruder laufen und hässlich werden. Wie hatte er überhaupt in diesen Schlamassel geraten können? Den Kopf in den Sand zu stecken, mochte eine Zeit lang funktionieren, nur brauchte man sich nicht zu wundern, wenn einem das ganze Chaos irgendwann um die Ohren flog.
Fin hörte den Schlüssel im Schloss.
»Cam?«, rief er nervös.
»Hey, Babe!«, antwortete Camilla überschwänglich in ihrem typischen L.A.-Singsang.
Fin setzte sich auf die Sofakante.
»Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, aber der Verkehr war die absolute Katastrophe!«, hörte er sie gut gelaunt fortfahren. Dann verstummten ihre Schritte abrupt. Fin spürte, wie ihm das Herz ein Stück weiter in die Hose rutschte.
»Wieso steht dein Koffer im Flur?« Das harte Klackern ihrer Stiefelabsätze wurde lauter. »Fin, hörst du mich?«
Beim Anblick seiner Miene veränderte sich ihr Tonfall schlagartig. Fin spürte förmlich, wie die Temperatur im Raum fiel. Camilla verschränkte die Arme. »Was ist hier los? Wieso ist dein Koffer gepackt?«
»Ich .« Er holte tief Luft und zwang sich, es einfach auszuspucken. »Ich fliege morgen zurück nach London.«
Camilla sah ihn verwirrt an. »Nach London? Sag bloß, das ist wieder einer von Robs superdringenden Aufträgen in letzter Minute«, stieß sie verächtlich hervor.
»Nein, es ist nichts Geschäftliches.«
»Aha, was dann?«, fragte sie barsch. Fin spürte, wie sich ihr ohnehin dünner Geduldsfaden weiter straffte.
»Meiner Mutter geht es nicht gut, deshalb fliege ich zu ihr.«
»Deiner Mum?« Camillas Verwirrung wuchs mit jeder Sekunde. »Ich dachte, du redest nicht mit ihr.«
»Tue ich auch nicht.«
»Wieso willst du dann hinfliegen?«, herrschte sie ihn an.
»Weil es sich sehr schlimm anhört . also, nach Endstadium.«
Camillas Miene wurde eine Spur weicher. »Aha, das ist natürlich nicht optimal.« Verärgert warf sie ihr langes goldblondes Haar über die Schulter. »Wie lange bist du weg?«
»Das ist ja der Punkt.« Fin erhob sich und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Was heißt das, du weißt es nicht?«, brauste sie neuerlich auf. »Du hast doch wohl einen Rückflug gebucht, oder?«
»Nein«, murmelte er, den Blick auf die Tür gerichtet. »Noch nicht.«
»Wieso nicht?« Wieder wurde ihre Stimme laut.
»Weil es blöderweise keinen festgelegten Zeitablauf gibt, wenn jemand stirbt, Cam«, blaffte er.
»Kein Grund, mich so anzuschnauzen«, erwiderte sie schmollend. »Ich sage es ja nur . heute ist Silvester, verdammt.« Frustriert stampfte sie mit dem Fuß auf.
»Ich wünschte, ich hätte dir früher Bescheid geben können, aber ich habe es selbst erst vor zwei Tagen erfahren. Es ist nicht meine Schuld, dass meine Mum an Demenz leidet und bereits in einem Pflegeheim lebt und dann auch noch Krebs im Endstadium bei ihr diagnostiziert wurde.« Es war nicht seine Absicht gewesen, so die Beherrschung zu verlieren, doch ihm schwirrte dermaßen der Kopf, deshalb schien die Wut nicht länger kontrollierbar zu sein. »Für mich ist das alles auch nicht so einfach.«
Camilla wich ein paar Schritte zurück und starrte ihn aus ihren dunkelbraunen Augen bestürzt an. »Wieso hast du mir nicht schon früher davon erzählt?«
Fin zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich musste ich erst mal in Ruhe über alles nachdenken.« Natürlich war die Antwort lächerlich, doch Problemgespräche waren noch nie seine Stärke gewesen.
»Aha. Aber jetzt kannst du es mir erzählen, wo du alles stehen und liegen lässt, um auf die andere Seite des Erdballs zu fliegen und dich auf die Bettkante einer Frau zu setzen, die du seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hast.« Sie hielt inne. »Du erwartest doch wohl nicht, dass ich mitkomme, oder? Bei der Arbeit geht es gerade drunter und drüber.«
»Nein. Das erwarte ich nicht von dir.«
»Gut.« Ihre Züge entspannten sich sichtlich. »Dann also Fernbeziehung. Aber wenn es so schlecht um sie steht, wird es wohl nicht allzu lange dauern, bis du zurück bist.«
Fin biss angesichts ihrer Taktlosigkeit die Zähne zusammen, bemühte sich jedoch um einen möglichst ruhigen Tonfall. »Das will ich auch nicht.«
»Wie bitte?« Camilla wandte abrupt den Kopf.
»Ich .« Er hielt inne und sammelte sich, um die Worte über die Lippen zu bringen, vor denen ihm graute. »Ich will keine Fernbeziehung.«
»Was soll das heißen?« Sie trat einen Schritt näher und starrte ihn aus ihren perfekt geschminkten Augen an. »Machst du etwa gerade Schluss mit mir?«
Fin zwang sich, den Blick nicht abzuwenden, obwohl sich die Last der Konfrontation wie ein Zentnergewicht auf ihn zu legen schien.
Sag es einfach.
Sei erwachsen und spuck's aus.
»Ja.« Das kurze Wort kam kaum hörbar über seine Lippen. »Ich denke schon.«
»Willst du mich verdammt noch mal verarschen?«, schrie Camilla, deren gesamter Körper vor Wut zu beben schien. »Ist das irgendein kranker Scherz?«
Fin versuchte zu schlucken, doch seine Kehle war wie ausgedörrt.
»Gib mir wenigstens eine Antwort, Fin!«, kreischte sie.
»Nein.« Er ließ den Kopf hängen. »Es ist kein Scherz.«
Ehe er sich's versah, bewarf Camilla ihn mit allem, was sie in die Finger bekam.
»Ich bitte dich, Cam«, begann er beschwichtigend. »Du weißt doch selbst, dass es in letzter Zeit nicht gut zwischen uns lief. Wir sehen uns kaum, und wenn, reden wir doch gar nicht miteinander, es sei denn, wir streiten.«
Ein unheilvoller Ausdruck spiegelte sich auf ihrer Miene.
»Dir auch ein gutes neues Jahr, du Riesenarschloch!«, brüllte sie, schnappte ihre Handtasche und stürmte ins Schlafzimmer.
Türenknallen hallte durch die Wohnung, während eine Woge widerstreitender Gefühle in seinem Innern aufwallte: Schuld und Wut, Bedauern und Erleichterung, alles wirbelte in ihm auf und schlug in einer Welle über ihm zusammen.
Es ist das Beste.
Du weißt selbst, dass es letztlich das Beste ist.
***
Innerhalb kürzester Zeit hatte Camilla ihre Sachen zusammengesucht und war gegangen. Ohne sie erschien ihm die Atmosphäre in der Wohnung mit einem Mal viel weniger drückend, als könnte er plötzlich wieder durchatmen. Schon seit Wochen hatte es zwischen ihnen gekriselt, und die ständigen Streitereien waren unerträglich geworden.
Verdammt, dann mal einen fröhlichen Silvesterabend.
Fin ließ sich aufs Sofa fallen und reckte das Gesicht den letzten Sonnenstrahlen entgegen, die durchs Fenster hereinfielen. Trotz seines roten Haars und seiner zahllosen Sommersprossen schien seiner Haut das heiße Klima zu bekommen. Wie um alles in der Welt sollte er mit dem trübselig grauen Wetter Londons leben?
Sein Handy vibrierte. Widerstrebend zog er es aus der Hosentasche - hoffentlich nicht Camilla. Noch mehr von ihrem Gezeter hielte er jetzt nicht aus - und lächelte, als er den Namen seines besten Freunds auf dem Display sah.
»Schönen letzten Abend des alten Jahres, Kumpel«, rief Rob gut gelaunt.
»Wie geht's dir so?« Fin zwang sich, so etwas wie Begeisterung in seine Stimme zu legen.
»Gut, Mann, gut. Ich zische noch ein paar Bierchen, bevor wir heute Abend zu Nick gehen. Bist du sicher, dass du und Cam nicht mitkommen wollt?«
Fins Magen verkrampfte sich. »Nein, aber danke, dass du fragst. Wir haben schon etwas vor.« Die Lüge schmeckte bitter auf seiner Zunge.
»Das Angebot steht, falls ihr es euch noch anders überlegt.«
»Danke, Rob.«
»Ist alles okay bei dir?«, hakte Rob nach. »Du klingst irgendwie komisch.«
»Ja, ja, alles in Ordnung. Nur das mit meiner Mutter bringt hier gerade alles aus dem Tritt.« Wieder verspürte Fin einen Anflug von Gewissensbissen. Er wollte seinem Freund nichts vorenthalten, doch allein die Vorstellung, ihm die Trennung von Camilla im Detail darzulegen, war viel zu anstrengend. Es blieb ihm noch mehr als genug Zeit, um der Frage auf den Grund zu gehen, weshalb er nicht in der Lage zu sein schien, länger als zwei Jahre mit einer Frau zusammenzubleiben, und weshalb es idiotisch gewesen war, sich trotzdem mit einem weiteren anstrengenden und neurotischen L.A.-Society-Girl eingelassen zu haben.
»Klar. Muss echt hart sein. Kein Wunder, dass du ein bisschen von der Rolle bist. Solltest du reden wollen . ich bin hier.«
»Danke, Kumpel.« Fin war bewusst, dass Problemgespräche ebenso wenig zu Robs Stärken gehörten wie zu seinen, trotzdem war er seinem Freund dankbar für das Angebot. »Und bist du sicher, dass es okay ist, wenn ich in deinem Apartment wohne?«
»Aber klar! Mi casa, su casa und so. Außerdem steht die Wohnung seit Monaten leer, deshalb ist es gut, wenn jemand mal wieder nach dem Rechten sieht«, gestand Rob.
»Klar, so eine Zweitwohnung in London am Hals zu haben, ist ja auch lästig«, neckte Fin. So gern Rob den Eindruck vermitteln wollte, aus bescheidenen Verhältnissen zu stammen, erinnerte Fin ihn regelmäßig...
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