Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Sterne zwingen nicht, sie machen nur geneigt.
Johannes Kepler
Man schrieb den 11. November 1667. Martinitag im Bauernkalender. In Mittersill war Jahrmarkt. Die ersten Schneeflocken wirbelten lustig um die Buden und Stände. Der Duft gebrannter Mandeln vermischte sich mit dem Geruch heißer Maroni. Menschen drängten sich um die Schausteller und Spielleute. Ein Bänkelsänger erzählte schaurige Moritaten, die er mit dem Zeigestock an einer Bildtafel veranschaulichte. Eine Wahrsagerin in bunten Gewändern, das Kopftuch zum Turban gewickelt, war umringt von Bäuerinnen, die sich die Zukunft und andere Geheimnisse aus der Hand lesen ließen. Mit ängstlichen Blicken verfolgten Jung und Alt einen Seiltänzer, der hoch über ihren Köpfen seine todesmutigen Kunststücke vorführte. Keinen Glückstag hatte der Bärentreiber, dessen brauner Geselle nicht nach seiner Sackpfeife tanzen wollte.
Vor der Bühne einer Komödiantentruppe blieb Christoff stehen. Mit großen Worten kündigte der Theaterdirektor »die tragische Historia von dem Zauberer und Schwarzkünstler Doctor Johann Faustus« an. Der mit seinem Schicksal hadernde Gelehrte hat sich mit dem Teufel verbündet, damit dieser ihm verschaffe, was ihm bisher versagt blieb: Ruhm, Reichtum und schöne Frauen. Die Aufführung findet mäßigen Beifall. Der Doktor wird als übler Schelm und Scharlatan beschimpft, und der Teufel Mephisto mit Eiern beworfen, dass er schnell hinter die Kulissen flüchtet.
Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte Christoff gemächlich weiter. Vorbei an einem Kuriositätenkabinett, dessen Besitzer dem Publikum ein Kalb mit zwei Köpfen zu zeigen versprach, an einem Karussell mit hölzernen Fabelwesen, das von vier kräftigen Männern angetrieben wurde, und einem Zauberkünstler, der aus den Rocktaschen seines verblüfften Publikums jedesmal eine Silbermünze hervorholte. Er überlegte, wie die Münzen in die Taschen gekommen sein könnten, als ihn ein Schrei aus seinen Gedanken riss.
»Der Bär ist los! Der Bär ist los!«
Mitten durch die entsetzt zurückweichende Menge kam der Tanzbär gelaufen. Mit der abgerissenen Kette am Nasenring und seinem struppigen Fell bot das Tier einen erbärmlichen Anblick. Für die Menschen, die ihn furchtsam beäugten, schien sich der Bär nicht zu interessieren. Der zottelige Geselle trabte schnurstracks dahin, wo seine Nase Leckerbissen witterte. Am Stand des Zuckerbäckers angekommen, stellte sich der Bär auf die Hinterpfoten und langte mit der Tatze nach den Schmalzkrapfen, die er mit grunzendem Wohlbehagen verzehrte, bis sein Halter herbeigeeilt kam und den Reißaus fluchend wieder an die Kette legte.
Als der Bärentreiber abgezogen war, fiel Christoff ein, dass er seiner Schwester versprochen hatte, ihr einen Krapfen mitzubringen. Aber bitte den mit der Marillenmarmelade, hatte Barbara ihm eingeschärft. Wie er das weiß bestäubte Backwerk in Empfang nahm und sich umdrehte, stand sie plötzlich neben ihm. Schlank und schön. Er kam ins Grübeln. War das nicht die Kleine vom Rodelberg, die ihm so fröhlich zugewinkt hatte, damals vor vier Jahren? Ja, sie war es. Unverkennbar. Und doch wieder nicht. Die Augen waren dieselben, aber der Blick ein anderer. Rätselhaft.
Sie wandte sich um. Wie er sie anschaute. Durchdringend. Prüfend. Mit schmalen Augen, eine steile Falte zwischen den Brauen. Als würde er nach einem Wild spähen. Nicht mit diesem kindischen Grinsen wie die Burschen, die sie angafften oder ihr schöne Augen machten. Sie fühlte seinen Blick an sich herabgleiten, dass ihr ganz heiß wurde. Unwillkürlich zog sie ihren Schal fester um den Hals. Der große Kerl kam ihr irgendwie bekannt vor. Woher nur?
Sie sah sich wieder als Vierzehnjährige auf dem Schlitten. Mit Wollmütze, Schal und Handschuhen. Sie hatte ihn erst bemerkt. als er neben ihr fuhr. Er hatte flüchtig zu ihr herübergeschaut, ob er nicht in ihre Spur geriet. Sie hatte zu ihm geschaut, ob es keiner von den Schulbuben sei, der sie anrempeln wollte. Dabei hatte sie ihn angelächelt und ihm zugewinkt.
Warum eigentlich? Es war doch sonst nicht ihre Art, fremden Burschen zuzuwinken. Wer ist das, hatte sie ihre Freundin Veronika gefragt. Es wird einer vom Sonnberg sein, meinte die Scharlertochter abschätzig. Bestimmt ein Bauernknecht. Was willst du mit dem?
Nun stand er vor ihr. Groß und breitschultrig. Sein sonnengebräuntes Gesicht, über dessen linke Wange eine Narbe lief, erinnerte sie an den Stamm einer Wetterzirbe. Die widerspenstige Haarlocke, die ihm ins Gesicht fiel, verlieh ihm etwas Verwegenes. Ob die Falten um Augen und Mund vom Tagewerk oder vom Lachen kamen? Auf einmal erschien er ihr gar nicht mehr so alt. Und auch nicht mehr so groß. Mit der Stirn reichte sie ihm immerhin bis zum Kinn, wenn nicht darüber. Den Mund zu einem Lächeln verzogen, warf sie mit lässiger Gebärde ihre Zöpfe über die Schulter.
Wie angewurzelt blieb Christoff stehen. Verzaubert vom Liebreiz ihres Antlitzes, starrte er sie unverwandt an. Die langen dunklen Wimpern, die ihrem Blick etwas Sanftes gaben. Der große erdbeerrote Mund mit den bogenförmig geschwungenen Lippen. Die kurze, ein wenig himmelwärts gerichtete Nase. Die dichten dunklen Augenbrauen. Seltsam, die rechte Braue hob sich zu einem scharfen Winkel, während die linke einen sanften Bogen zeichnete. Als habe sie zwei verschiedene Seiten. Einen scharfen Verstand und ein sanftes Gemüt.
Die Farbe ihrer Augen erinnerte ihn an die Vergissmeinicht, die bei der Hausquelle blühten. Dort, wo sie das Wasser zur Brunnenstube ableiteten. Ein lichtes Himmelblau.
Etwas Strahlendes umgab dieses Mädchen. Es war, als ginge ein Leuchten von ihr aus. Ein inneres Leuchten. So musste eine Marienerscheinung auf den Wunderseher wirken. Diese Erscheinung allerdings war aus Fleisch und Blut. Mit rosigen Wangen und einem roten Mund. Mit der würde er auch - sofort.
Wie alt mochte sie wohl sein? Achtzehn? Neunzehn? In dem Alter hatte er noch keine gehabt. Die hatten meistens keine Erfahrung in der Liebe. Die meinten es ernst und ließen einen nicht mehr los.
Er gab sich einen Ruck und räusperte sich.
»Heute mal ohne Kavalier?«
»Er hat seinen freien Tag. Was dagegen?«, sagte sie mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Er hat sich wohl eher zu viel herausgenommen?«
»Nicht mehr als einer, der vor mir steht und neugierige Fragen stellt.«
»Du spielst wohl gern die Kühle?«, sagte er.
»Nur bei denen, die es verdienen.«
»Bist du nicht eine von den Tantzlehentöchtern - die Kleine vom Rodelberg?«
»Ja, die Cecilia Ronacherin. Aber klein nicht mehr, wie du siehst. Mit wem habe ich das Vergnügen?«
Genussvoll biss sie in einen Krapfen, dass der Staubzucker an ihrer Oberlippe kleben blieb. Gespannt, was er antworten würde, leckte sie langsam die Zuckerkrümel weg.
»Ich bin der Jenner - vom Gut Fronleiten.«
»Fronleiten am Sonnberg?«
»Ja. Der letzte Hof gegen das Mühlbachtal.«
»Ganz schön abgeschieden die Gegend.«
»Im Winter schon. Oft liegt der Schnee so hoch, dass man kaum vor die Tür kommt.«
»Hast du auch einen Taufnamen?«
»Christoff.«
Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Am liebsten wäre er seinen Händen gefolgt.
Sie bemerkte seine Verlegenheit. »Was machst du hier? Nur wegen des Schmalzgebäcks bist du doch nicht nach Mittersill gekommen?«
»Ich war auf dem Pflegamt. Zu Martini sind Zins und Zehent fällig. Und - wie kommst du hierher?«
Eine dümmere Frage fiel ihm nicht ein. Mit Fragen tröstet man Witwen. Damit erobert man keine Weiber. Die wollen zum Lachen gebracht werden. So hatte er es immer gehalten. Auf einmal war alles anders. Dieses Weibsbild zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Und machte ihn unsicher.
»Mein Vater hatte auch auf dem Pfleggericht zu tun. Jetzt sitzt er mit den anderen Bauern im Bräurup. Bist du mit dem Wagen da?«
»Wir haben keine Kutsche. Der Fahrweg auf den Sonnberg geht nur bis zum Haslachhof. Und das Mühlbachtal ist ab der Herrenmühle gesperrt für Gespanne.«
»Willst du mit uns fahren?«
»Danke. Ich gehe lieber zu Fuß.«
»Den weiten Weg und dazu in der Dunkelheit?«
»Na und?«, entgegnete er schulterzuckend.
Das Gespräch kam ins Stocken. Er hätte gern noch etwas gesagt. Aber es fiel ihm nichts ein. Er wischte sich mit der Hand über das schneenasse Gesicht. Gleich würde sie sich umdrehen und gehen. Dann war alles verspielt. Doch sie ging nicht.
»Fährst du immer noch Schlitten?«, fragte sie unvermittelt.
»Ab und zu den Hörnerschlitten mit einer Fuhre...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.