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Die andere zentrale Jackensache war die mit der Jacke mit dem Springer am Rücken.
Ob es tatsächlich ein Springer war, habe ich nie ganz verstanden. Jedenfalls war es der Torso eines von hinten abgebildeten Wesens mit seitlich nach oben ausgestreckten Armen. Obwohl eigentlich in einer Gegend angesiedelt, die mir als Tiroler - mit den Deutschen hatten wir's nicht so - naturgemäß zuwider sein hat müssen, war ich vom Logo dieser Windsurfingleute dermaßen elektrisiert, dass ich es später flächendeckend auf die Motorhaube meines ersten Autos, einem von meiner Mutter übernommenen, weißen 1er Rabbit, geklebt habe. Quasi larger than life und schlimmer than a playboy bunny am Kühler.
Vielleicht hat mich der Springer auch deshalb so gefesselt, weil er mich unbewusst an Jesus am Kreuz erinnert hat, was meinen überzogenen Moralvorstellungen zupassgekommen ist.
Die Jacke jedenfalls war außen mittelaubergine- und innen osho-orangefarben, und hauchzartes Fleece, mit einem feinen Zip, Kapuze und der perfekten Passform für alle Eventualitäten. Ich habe sie immer getragen. Im Schnee, im Sommer, in der Disco. Die Disco war eher ein Gothikpunkkeller, wo man mir mit so einer Adjustierung normalerweise zur Begrüßung ein paar Jägermeister drübergegossen hätte. Nur war in unserer Stadt damals das Snowboarden größer als das Punksein, was im Punkkeller zu einer gewissen Ausgewogenheit zwischen Niete und Techwear geführt hat, zwischen Dead Kennedys und Beastie Boys. Ich mochte beides, und nachdem ich mindestens ein Jahr lang am Türsteher gescheitert war, hatte ich begonnen, dort Platten aufzulegen - in der Springerjacke, versteht sich.
Der Punkdiscokeller wurde ihr zweites Zuhause, ihr aber leider auch zum Verhängnis. Es war warm und feucht da unten, ich habe sie natürlich trotzdem nie ausgezogen, weil uncool, sie mir dafür aber, aufgrund aufgestauter bierinduzierter jugendlicher Überhitzung, direttissima im Nachtbus vom Leib gerissen - und liegen gelassen. Ich habe alles versucht, mit allen Busfahrern gesprochen und mit allen Verkehrsbetrieben in der kleinen Mittelstadt - es war einer - telefoniert. Nichts. Weg. Mordgelüste. Racheszenarien. Drei Tage wach. Weltschmerz. Selbstbezichtigung. Trübsal. Trauerflor.
Manchmal schaue ich immer noch auf den einschlägigen Sekundärmarkt-Websites nach, ob sie nicht doch noch wo auftaucht, oder zumindest eine wie sie.
Eine weitere Spezialität meiner Besessenheit war es, nach dem erfolgreichen Aufspüren eines Objekts der Begierde meine gesamte Familie - samt sämtlicher Großeltern, versteht sich - so lange zu quälen, bis ich ihre Gegenargumente (»Du hast doch schon eine Jacke«, »Für so etwas kann man nicht so viel Geld ausgeben«, »Du hast doch letztes Jahr schon eine bekommen«, »Wie viel? Auf keinen Fall«) erfolgreich zerschmettert hatte. Durch »Du bist so intensiv!«-Sein (so meine Mutter) und das Versprechen, mir nie wieder (vorsätzliche Lüge) etwas zu wünschen und auch sonst nichts anderes zu wollen dieses Weihnachten.
Am Schluss haben alle entkräftet zusammengelegt und ich habe die Jacke bekommen, immer. Hilfreich dabei war wohl auch, dass meine Schwester, bei der Weihnachten und Geburtstag zusammenfallen, sich jedes Jahr beschwert hat, dass sie zu wenig bekommt, was wiederum dazu geführt hat, dass unsere Eltern aus schlechtem Gewissen sichergestellt haben, dass es insgesamt auf beide Feste hochgerechnet bestimmt nicht zu wenig ist, im Gegenteil - und das hat wiederum zu dem schlechten Gewissen geführt, dass meine Schwester zu viel bekommen könnte und so wurde in den sauren Jackenapfel gebissen, um mir wiederum keine Argumente für die »Unfair, sie kriegt mehr als ich!«-These zu liefern.
Gewonnen. Jacke vom italienischen Jackendesignergott Massimo Osti bekommen. Recht groß zwar, aber war die letzte erhältliche Größe. Recht schwer zwar, weil ein herausknöpfbares Innenfutter aus Walk, das zugleich als eigenständige Jacke getragen werden konnte (ein wichtiges Argument für die Familie - würde nur nie passieren, weil allein hässlich). Recht steif zwar, weil Außenmaterial wie gefrorenes Öl, auch von der Farbe her. Ultrawasserdicht und auch ultraknirschig. Nichts für die Pirsch und nichts für ein unauffälliges Langsam-den-Arm-um-ein-Mädchen-Legen.
Bei nüchterner Betrachtung war von vornherein klar, dass die Jacke zwar ein Wahnsinn war, aber zu groß und für praktisch alles völlig ungeeignet. Sie ist deshalb auch fast volley im Archiv in der Garage unseres Hauses gelandet. Getragen habe ich sie damals nur aus schlechtem Gewissen und/oder damit nicht irgendwelche Verwandten sich fragen, warum ich denn die alte - oder besser eine alte - Jacke trage und nicht die tolle neue.
Diese Jacke hat die geleugnete und permanente Altkleiderentsorgungsmanie meiner Mutter überlebt. Wahrscheinlich auch, weil mein mich quälendes Gewissen mich dazu veranlasst hat, sie überallhin mitzuschleppen, und wenn ich nur ein paar Tage auf Trainingslager für irgendeinen der vielen Sporte war, die ich damals betrieben habe und zu betreiben hatte. In den 80er-Jahren gab es keinen jugendlichen Müßiggang!
In meiner Zeit des Ausgestattetwerdens von der amerikanischen Snowboard-Marke, die sich in unserer kleinen Mittelstadt angesiedelt hatte, hatte die eine Linie entwickelt, die hieß »Analog«. Der Plan war, glaube ich, Streetwear und Funktionsgewand zu kombinieren und mit Lustigkeiten wie Kopfhörerkabeltunnel, die von der Innentasche in die Kapuze reichten, auszustatten, oder gleich die Kopfhörer miteinzubauen und ganz viele Taschen mit ganz vielen Funktionen anzubringen, von denen keiner wusste, was die Funktionen eigentlich genau waren und in welche Tasche der Skipass sollte, weswegen man dauernd herumsuchen musste oder sich verbiegen, damit das Liftdrehkreuz aufging. Von denen bekam ich auch welche. Mir waren die aber ein bisschen zu firlefanzig. Schick ja, aber auch ein bisschen affig. Oder ich hab mich einfach nicht getraut, zum Beispiel eine superfette, kurzgeschnittene, rotschwarze XXL-Daunenjacke mit abzipbaren Ärmeln oder einen taubengrauen Daunensteppparka mit metallenem Riesenanalogschriftzugabzeichen auf der Brust zu tragen.
Damit kein Problem hatte, weil wurscht, mein Vater. Ich habe ihm die Jacken vermacht und er hat sie geliebt. Und ich habe mich gefreut, dass er sie liebte, viel mehr, als wenn ich sie gehortet und in der Dunkelheit eines überfüllten Jackenschrankes vor Motten abgeschirmt hätte. Es gibt viele Familienbilder von meinem Vater mit Kindern und Enkelkindern, auf denen er diese Jacken trägt. Sie waren ihm alle ein wenig zu groß, aber das war egal, ihm sowieso und auch überhaupt. Irgendwann war er dann zu schwach dafür, die Jacken ihm zu schwer, und er ist auf Softshell und leichte Daune oder Mantel umgestiegen. Jetzt ist er tot und die Jacke wieder bei mir, und wenn ich angeln gehe, trage ich sie, denke manchmal an ihn und er ist dabei, irgendwie.
Wahrscheinlich hat sich das mit den Jacken bei mir eingeschlichen, weil ich meiner Mutter nah sein wollte. Die hat auch viele zusammengesammelt. File under »Jet Set«.
Der Gedanke ist mir aber erst sehr viele Jahre nach der Entsorgung meiner Jacken durch meine Mutter gekommen und unter tatkräftiger Zuhilfenahme professioneller Lebensdurchleuchter.
Wie auch immer, die nächsten 30 Jahre habe ich weniger den multifunktionalen Jacken der amerikanischen Snowboard-Marke gewidmet, als darauf verwendet, mich der recht großen, ultraknirschigen Jacke vom Jackendesignergott in unregelmäßigen Abständen und auf unterschiedliche Weise anzunähern. Innenjacke raus, allein tragen probieren, nur Außenhülle tragen probieren, dekorativ wo hinhängen, Freunden borgen, reinigen und auf beginnende Brüchigkeit untersuchen, sie mir schönreden zwecks behalten (»Die bekomme ich nie nie wieder. Jetzt habe ich sie schon so lange aufgehoben. Vielleicht wird sich unser Kind ja doch irgendwann einmal für Mode interessieren.«) oder schlechtreden zwecks hergeben (»Ich wusste es ja eigentlich schon immer, sie ist mir zu groß und sauunpraktisch. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sie zu verkaufen, die Marke wird gerade wieder gehypt.«). Schönreden hat gewonnen, sie ist über 30 Jahre an mir klebengeblieben wie die Feder auf dem Teer, wie die Eintagsfliege auf dem geringelten Klebestreifen.
Bis zum Tag X. Die ehemalige Plattform meiner Träume, deren einer der allerersten Nutzer ich war (deshalb ist mein Nutzername dort auch einstellig und ohne Sonderzeichen), hatte gerade begonnen, die Archivteile meines Lieblingsjackendesigners Massimo Osti teuer werden zu lassen, und ich war massiv geldlos.
Die ewige Amplituden-Wippe Indie-Musiker vs. Designerware-Lebemann hatte mich wieder einmal ganz nach unten befördert, ins Tal der brotlosen Musikanten, bis ganz knapp vor den Fahrstuhl zum Schafott.
Also Bilder von der Jackengott-Jacke gemacht, mittelschlechte, möglichst irrsinnige und größenwahnsinnige Beschreibung verfasst, »unique«, »once in a lifetime«, »grail«, »iconic« ., monströsen Preis ausgerufen, auf die Lauer gelegt, in der leisen Hoffnung, dass keiner anbeißt, und das hat dann auch keiner, so lange, bis die Wippe sich schon fast wieder aufgemacht hatte, Richtung Gleichgewicht zu schwingen (Komponierauftrag, für eine Werbung Astronaut gespielt, andere Jacke gut verkauft .), und dann plötzlich ging doch einer ins Netz, vermeintlich. Diese Designerwaren-Dealerei ist wie Angeln. Warten, warten, warten, hoffen, warten, warten, Hoffnung aufgeben, Biss, Fang. Oder auch nicht.
Da war schnell klar, dass der Interessent, ein englischer Fuchs, selber ein Angler war....
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