Schweitzer Fachinformationen
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»Hallo? Ist dort -«
»Einen Augenblick, bitte.« Ich legte den Hörer weg, ging ein paar Schritte auf und ab, streckte mich, gähnte und trank ein Glas Grapefruitsaft. Die Säure zog mir das Gesicht zusammen, doch die Zunge war danach beweglicher.
»Ich bin wieder da.«
»Spreche ich mit Herrn . Paul Mazurka?«
»Am Apparat.«
»Hier ist >Das Freie Wort<, Redaktionssekretariat. Ich verbinde Sie mit Herrn Dr. Frank.«
Ich wartete. Eine scharfe, kühle Stimme meldete sich, nicht eigentlich unsympathisch, aber befehlsgewohnt und mit einem militärischen Touch, der mir zu dieser frühen Stunde Sodbrennen verursachte.
»Frank«, knurrte die Stimme. »Ich habe gehört, dass Sie Auftragsreportagen übernehmen.«
So. Hatte er gehört.
»Was ist, sind Sie noch dran?«
»Sicher, sicher«, beeilte ich mich zu sagen.
»Gut. Was ich Ihnen anbiete, ist ein Interview. Ein Interview mit Bischof Konrad Immermann.«
Oh nein. »Herr . äh . Dr. Frank. Es muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bin vor fünfzehn Jahren aus Ihrem Verein ausgetreten und habe mein letztes Interview mit der gegnerischen Mannschaft gemacht, um präzise zu sein mit -«
»Karlheinz Deschner, ich weiß. Ich habe natürlich Erkundigungen über Sie einholen lassen. Es verhält sich so, dass der Bischof im Juni in den Medien hart angegriffen wurde, was Ihnen kaum entgangen sein dürfte. Ich will ihm im >Freien Wort< die Gelegenheit geben, seine Sicht der Zusammenhänge darzulegen.«
Wer von uns beiden war wohl verrückt geworden? »Das Freie Wort« war eine betont konservative Tageszeitung, die es traditionell seit ihrer Gründung kurz nach Kriegsende mit der Amtskirche hielt und daraus niemals einen Hehl gemacht hatte. Erst vor drei Wochen hatte der Herausgeber im Editorial verkündet, das Volksbegehren zur Liberalisierung der Kirche sei überflüssig. »Viele«, hatte er damals allen Ernstes geschrieben, »machen nur aus der Hetz' mit, das Fundament eines katholischen Staates zu zerstören.« Das war ungeschickt formuliert, aber es traf schon den Kern dessen, was er eigentlich meinte: dass nämlich trotz aller anderslautender Versicherungen seitens der Regierung die Trennung von Kirche und Staat in Österreich niemals ganz vollzogen worden war. Grunert, Immermann und Konsorten hatten jedenfalls im »Freien Wort« immer Gelegenheit gehabt, ihre Sicht der Zusammenhänge darzulegen - dazu brauchten sie mich nicht.
Frank missdeutete mein Schweigen. »Wir zahlen ein angemessenes Honorar; die Hälfte als Vorschuss bar oder auf Ihr Konto, den Rest nach Abgabe des Interviews.«
Das klang zu schön, um wahr zu sein. Mein Misstrauen begann zu knurren wie ein alter Kettenhund, den man zur Unzeit mit einem Fußtritt aus dem Schlaf gerissen hat. »Warum setzen Sie nicht einen Ihrer Redakteure darauf an?«
»Der Bischof wünscht einen . einen außenstehenden Gesprächspartner. Sehen Sie's als einen Akt der Toleranz gegenüber Andersdenkenden.«
»Das haben Sie schön gesagt. Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte ich und nahm noch einen Schluck Grapefruitsaft. »Wieso sind Sie so sicher, dass Immermann sich dazu breitschlagen lässt?«
Frank räusperte sich. »Das hat er bereits getan, und zwar nachdem er Ihr Deschner-Interview gelesen hat. Er will mit Ihnen reden.«
Ich schluckte, diesmal ohne Saft, und nahm Notizblock und Bleistift zur Hand. Es war acht Uhr dreizehn, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er in Zement verpackt. »Die konkreten Themen, bitte. Worüber will der Bischof sprechen, und was lassen wir besser von vornherein weg?«
»Die Causa Grunert und das Volksbegehren«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Dann bleibt nicht mehr viel übrig«, warf ich ein.
»Wie?« Frank lachte, so kurz und trocken wie ein Schlüsselbeinbruch. »Da haben Sie wohl etwas missverstanden. Das sind die Themen. Darüber wird Bischof Immermann mit Ihnen reden. Was ist, nehmen Sie an?«
»Wenn ich die redigierte Fassung vor der Drucklegung zu lesen bekomme.«
»Das ist bei uns nicht üblich.«
»Das ist nirgends üblich. Doch in diesem Fall ist es meine Bedingung.«
»Ich werde sehen, was sich tun lässt. Ihr Termin ist Mittwoch, elf Uhr vormittags im erzbischöflichen Palais. Noch Fragen?«
Mittwoch - das war morgen. Es blieb wenig Zeit. »Ja. Würden Sie mir eine Pressemappe zusammenstellen? Ich brauche alle Interviews, die der Bischof in letzter Zeit gegeben hat, Abschriften von Hörfunk- und Fernsehaufnahmen, wenn solche existieren, ansonsten Videos und Tonbänder. So vollständig wie möglich.«
»Kein Problem. Kommen Sie heute in der Redaktion vorbei, sagen wir um . halb elf, wenden Sie sich an Frau Peichl. Das Material wird bereitliegen.«
»Und der Vorschuss? Ich hätte ihn gerne bar.«
Seine Stimme klang jetzt, als würde er grinsen. »Und ein Barscheck. Ach ja, ehe ich's vergesse: Wer wird die Fotos machen? Arbeiten Sie mit einem Fotografen zusammen, den Sie bis morgen -«
»Im Augenblick leider nicht. Wenn Sie niemanden auftreiben, werden wir wohl auf bereits vorhandenes Material zurückgreifen müssen.«
Einen ausgewachsenen Kater zu beschwichtigen ist eine Sache, die Know-how, Fingerspitzengefühl und Zeit erfordert. Letztere stand mir nicht zur Verfügung. Ich ließ den obligaten Early-Morning-Espresso ausfallen, hielt das Duschen kurz und vergaß, den Anrufbeantworter anzuschalten. Um zwei Minuten vor neun schlugen die Schwingtüren des »Café Landtmann« hinter mir zu.
Ich hatte es nicht für nötig gehalten, mit Günther Abfalter ein Erkennungszeichen auszumachen; immerhin war der Mann einige Wochen lang in den Medien fast so präsent wie der Kardinal gewesen. Trotzdem machte ich zweimal die Runde, ehe ich ihn erkannte. Ein Gesicht, dem jedes Extrem fehlte. Wie es wohl ausgesehen haben mochte, als er noch Zögling im Hollabrunner Internat gewesen war? Ich stellte mich vor, reichte ihm die Hand und setzte mich. Dann legte ich die Spielregeln fest: »Wir können jederzeit unterbrechen, Herr Abfalter. Wenn Sie eine Frage nicht beantworten wollen, sagen Sie es einfach. Dieses Gespräch wird nicht veröffentlicht werden; trotzdem würde ich es gern auf Band aufzeichnen. Stört Sie das?«
Es störte ihn nicht. Stockend begann er, über seine Treffen mit Sarah Ortbauer zu berichten. Bemüht, ihn nicht zu verschrecken, verkniff ich mir die Zwischenfragen, tat so, als machte ich mir hin und wieder Notizen, und nickte verständnisvoll. Er selbst war es, der auf den Fall Grunert zu sprechen kam.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich einfach aufgelegt hab«, sagte er und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Aber meine Frau und ich, sogar unsere Kinder, sind in letzter Zeit so oft belästigt worden, dass . Ich habe dann den Anrufbeantworter gekauft, damit das aufhört. Diese ständigen Drohanrufe und Beschimpfungen . Sie finden das vielleicht lächerlich .« Er lachte und brach ab.
»Ich finde daran gar nichts lächerlich, Herr Abfalter. Sind es verschiedene Anrufer?«
Er warf mir einen verwirrten Blick zu, doch bevor ich die Frage anders formulieren konnte, sagte er: »Dass wir alle exkommuniziert werden und in die Hölle kommen. Er sagt, dass wir alle in die Hölle kommen.«
»Wer? Wer sagt das?«
»Meine Frau ist damit zur Polizei gegangen, doch die haben ihr erzählt, das ist nur ein Verrückter, der wird sich schon beruhigen.« Abfalter lachte wieder, doch sein Gesicht sah so aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Kennen Sie die Stimme?«
»Ob ich . Wissen Sie, ich glaube, ich bring den Menschen Unglück. Dem Fräulein Ortbauer hab ich es gesagt, und jetzt .«
Jetzt kamen sie wirklich, die Tränen, und liefen ihm die Wangen runter.
Scheiß auf das Interview. Der Mann war fertig. Man tritt nicht auf jemand, der am Boden liegt. Ich stand auf, ging zum Ober, der gerade in die »Neue Post« vertieft war, und bestellte zwei Fernet-Branca. Ich schob einen über den Tisch und sagte: »Trinken Sie das.«
Widerspruchslos kippte er den Schnaps. Sehr geübt war er nicht in dieser Disziplin; ein Hustenanfall beutelte ihn. Als ich mit der Linken zum Diktafon griff, um es abzuschalten, sagte er: »Nein, lassen Sie nur, es geht schon. Ich fühle mich so schuldig am Tod -«
»Jemand hat Sarah ermordet«, sagte ich, schärfer, als es in meiner Absicht lag. »Wer es auch war, ist schuldig. Nicht Sie.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist es, was mir gestern mein Beichtvater gesagt hat . und fast in denselben Worten.«
»Dann ist er zumindest kein Dummkopf.«
»Er ist ein guter Mann.«
Beichte - mit zwölf konsumierte ich diese katholische Dienstleistung zum letzten Mal; eine Art Generalservice, der mich von all den großen und schweren Sünden reinwusch, die einem Zwölfjährigen so auf die Seele drücken. Darauf folgte die Firmung und hinterher der Austritt .
»Sie gehen nach dem, was passiert ist, immer noch zur Beichte?«
»Natürlich«, sagte Abfalter, als wäre es natürlich. »Gumpoldskirchen ist zwar nicht gerade in der Nähe, aber ich mag die Fahrt, und .« Er starrte mich an, als ich mir eine Zigarette ansteckte.
»Möchten Sie eine?«, fragte ich und schob ihm die Packung hin.
»Nein danke, ich rauche nicht. Es ist nur so .«
Ich trank meinen Fernet und wartete ab, was er mir zu sagen hätte.
»Es ist das Feuerzeug«, sagte er plötzlich. »Er benützt...
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