Schweitzer Fachinformationen
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Ich war sieben, als ich lernte, dass Aloe Vera das beste Mittel gegen Brandwunden ist. Von der Küchentür aus hatte ich meiner Mutter heimlich zugesehen, wie sie die Pflanze mit einem Messer in zwei Hälften schnitt, das feuchte Innere herauskratzte und es auf ihrem Oberarm verteilte. Die Brandwunde hatte fast drei Wochen gebraucht, um zu verheilen. Zuerst wurde sie in der Mitte dunkelgelb und weich, dann blieb eine kreisrunde Narbe zurück, die mir jeden Sommer erneut auffiel. Ich erwähnte nie, dass ich meine Mutter beobachtet hatte, war rasch aus dem Türrahmen gewichen, als sie sich umgedreht hatte.
Daher weiß ich, dass der Angeklagte wegen seiner Brandwunde lügt. Ich notiere meine Beobachtung auf einem Blatt Papier und schiebe es Charles Cole zu, der gerade das Kreuzverhör durchführt. Er wirft erst einen Blick darauf und dann zu mir. Ich bin sein aufstrebender Star, und nach kurzem Nachdenken bedeutet er mir, aufzustehen, während er selbst zurück zum Tisch der Staatsanwaltschaft geht.
Er übergibt den Gerichtssaal - unsere Bühne - an mich.
»Mr Jackson«, sage ich zu dem Angeklagten. Mein Lächeln ist nicht freundlich. Ich bin eine Wölfin in Anwaltsrobe. »Ich möchte noch einmal auf die Angaben zurückkommen, die Sie gerade gegenüber dem Gericht gemacht haben.« Ich deute zu den Geschworenen, damit sie verstehen, dass ich ihnen gleich demonstrieren werde, wie er sie belogen hat. Sie sollen sich persönlich getroffen fühlen. »Am zweiundzwanzigsten November letzten Jahres sind Sie in Peter Taylors Haus eingedrungen. Haben Sie da erwartet, dass er zu Hause ist?«
»Nein, das habe ich nicht.« Er schüttelt den Kopf, und mir ist klar, dass er keine Ahnung hat, worauf ich hinauswill. Er denkt, ich bin hilflos und spiele auf Zeit.
»Was ist passiert, als Peter dann aber doch daheim war und Sie in seiner Küche überrascht hat? Können Sie das dem Gericht noch einmal schildern?«
»Klar.« Er zuckt mit den Schultern. »Er hat mich angegriffen.«
»Würden Sie dem Gericht den Angriff bitte beschreiben?«
»Er hat mich wie beim Rugby zu Boden geworfen. Wir haben eine Weile miteinander gerungen, und er hat versucht, seine Hände um meinen Hals zu legen. Ich konnte mich losreißen, wollte fliehen und habe ihm dabei den Rücken zugedreht, da muss er das Bügeleisen vom Bügelbrett neben uns genommen haben. Dann habe ich einen brennenden Schmerz an der linken Schulter gespürt.«
»Er hat Sie mit dem Bügeleisen verbrannt?«
»Ja.«
»Aber geschlagen hat er Sie nicht damit? So ein Bügeleisen ist ja doch ganz schön schwer.« Ich sehe, wie sein Blick zu seiner Anwältin Rose Ballard zuckt, bevor er mir antwortet. Auf diese Fragen hatte sie ihn nicht vorbereitet.
»Also, er war nicht ganz nah an mir dran. Ich wollte abhauen. Ich schätze, er hat sich nach mir gestreckt und mich dann getroffen.«
»Und was ist dann passiert?«
»Ich bin herumgewirbelt. Da war er schon viel näher bei mir und hielt das Bügeleisen, als wollte er noch mal zuschlagen.«
»Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie gemerkt haben, dass er Sie verbrannt hat und das Bügeleisen noch in der Hand hielt?«
»Ich dachte, er würde mich umbringen.« Dabei sieht er mit gespielter Erschütterung und Welpenblick zu den Geschworenen. Ihm ist nicht klar, dass er mir die perfekte Antwort geliefert hat.
»Und wie genau haben Sie darauf reagiert?«
»Ich habe mit dem Messer auf ihn eingestochen.«
»Wie oft?«
»Fünfmal. In Notwehr.«
Ich lasse seine Worte wirken. Nicht nur ein Mal hat er zugestochen, sondern fünf Mal. »Okay. Können Sie bestätigen, dass Sie in Notwehr auf Mr Taylor eingestochen haben, weil er Sie mit dem Bügeleisen verbrannt hat?«
»Das stimmt. Ich hatte ihm den Rücken zugedreht und wollte abhauen. Ich sage Ihnen, er ist mir nach und hat mich angegriffen.«
Ich unterdrücke ein Lächeln, will mir noch nicht in die Karten sehen lassen.
»Haben Sie durch Mr Taylors Angriff Verletzungen davongetragen?«
»Das haben wir doch alles schon besprochen.« Er seufzt, sichtlich genervt von meinen Fragen. Gut. Je frustrierter sie sind, desto eher machen sie Fehler. Wir zermürben sie.
»Bitte beantworten Sie die Frage. Mir zuliebe.« Ich mache eine übertriebene Handbewegung, und ein paar Geschworene kichern.
»Ich habe eine Narbe auf dem Schulterblatt.«
»Und diese Narbe hatten Sie schon, als die Polizei Sie eine Woche, nachdem Peter Taylor in seiner Küche getötet wurde, festgenommen hat? Trifft das zu?«
»Das stimmt. Die Polizei hat Fotos gemacht. Ich lüge nicht.«
Ich hebe die Augenbrauen. Er beginnt zu schwitzen.
»Das Bügeleisen hat Sie also so stark verletzt, dass Sie eine Narbe zurückbehalten haben. Diese Brandwunde war dann innerhalb einer Woche verheilt, und die Polizei konnte bei Ihrer Festnahme die Fotos davon anfertigen, die dem Gericht präsentiert wurden?«
»Ähm.«
»Bitte beantworten Sie die Frage. Einfach mit Ja oder Nein.«
»Haben Sie in der Zeit, die zwischen der Verbrennung und Ihrer Festnahme - ich betone, nur eine Woche - vergangen ist, medizinische Beratung oder Behandlung bekommen? Haben Sie selbst recherchiert, wie Sie eine Verbrennung behandeln müssen? Haben Sie den Heilungsprozess irgendwie unterstützt?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Mr Jackson, eine Verbrennung zweiten Grades - diese Schwere müsste Ihre Verletzung gehabt haben, damit eine Narbe wie auf den Fotos zurückbleibt - benötigt mindestens zwei bis drei Wochen zur Heilung, selbst mit den besten Behandlungsmöglichkeiten.«
»Na ja, bei mir ging es schneller«, erwidert er feindselig, und der Hundeblick wird bedrohlicher. Ganz genau, ich habe dich durchschaut. Das Adrenalin pumpt durch meine Adern. Dieses Gefühl macht süchtig.
»Nein, auch bei Ihnen hat die Wunde auf dem Schulterblatt zwei bis drei Wochen gebraucht, bis sich eine Narbe gebildet hat. Und deshalb kann sie nicht von dem angeblichen Angriff durch Mr Taylor stammen, sondern Sie müssen sich die Verletzung vor dem Einbruch in sein Haus zugezogen haben. Sonst wäre sie zum Zeitpunkt der Verhaftung noch eine offene Wunde gewesen.
Wie auch immer Sie sich die Verletzung zugezogen haben, es muss sich mindestens - mindestens! - eine Woche vor dem Vorfall ereignet haben, wegen dem Sie heute vor Gericht stehen. Nachdem Sie außer dieser Narbe keine anderen Verletzungen durch Mr Taylor vorweisen können, hat das Opfer Sie vermutlich überhaupt nicht angegriffen, und Sie haben es grundlos in seinem eigenen Haus ermordet.« Ich mache eine kurze Pause. »Sie haben Mr Taylor nicht aus Notwehr heraus getötet, sondern einfach nur, weil Sie es konnten.«
Er starrt mich wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht an.
»Mr Jackson«, ich hebe die Stimme, »habe ich recht? Haben Sie sich die Brandwunde vor der betreffenden Nacht zugezogen?«
Er reibt sich das Gesicht mit den Händen, so fest, dass rote Spuren auf der Haut zurückbleiben. Bald ist es so weit.
Wir werden gewinnen.
Das Ankleidezimmer klingt sehr viel hochtrabender, als es in Wirklichkeit ist, doch sollte man die mitschwingende Romantik nicht unterschätzen. Ich brauche die Zeit und die Gemeinschaft in diesem Raum, selbst wenn man auf gegensätzlichen Seiten steht, um von einer abgebrühten Anwältin wieder zu einem funktionierenden menschlichen Wesen zu werden. Ohne diesen Übergangsraum hätte meine Ehe sicher nicht so lange gehalten. In mir existieren zwei Seiten, die ständig in entgegengesetzte Richtungen gezerrt werden. Eine Seite will um jeden Preis gewinnen, die andere sucht verzweifelt nach Stabilität. Und irgendwie weiß ich immer noch nicht, was »Erfolg« für mich eigentlich ist.
Deshalb zögere ich, als Rose mich fragt, ob ich später mit ihnen ins The Ship gehe, um Laras Geburtstag zu feiern. Lara arbeitet für dieselbe Anwaltsgemeinschaft - eine sogenannte Chamber - wie Rose, und ich kenne sie ursprünglich aus Pubs wie dem Ship, in denen sich die Londoner Anwältinnen und Anwälte regelmäßig nach der Arbeit herumtreiben. Im Gerichtssaal sind wir uns auch ein paarmal über den Weg gelaufen. Ich würde wetten, dass ein Großteil der Leute, mit denen ich arbeite, heute Abend dort sein wird.
Jeder weiß, dass im Pub mindestens genauso wichtige Arbeit wie im Büro oder vor Gericht erledigt wird. So ist es einfach, auch wenn man denken könnte, dass es sich mittlerweile geändert haben sollte. Das Problem ist nur, dass man nie weiß, wann genau die wichtigen Gespräche stattfinden. Man kann also nicht gezielt irgendwo auftauchen und danach schnell wieder verschwinden. Zehn Uhr abends, ein Uhr morgens, oft auch erst um drei Uhr morgens. Nie vor neun. Entweder hält man durch oder bleibt gleich zu Hause.
Deshalb entschuldige ich mich lieber mit meinem freundlichsten Lächeln bei der Frau, die gerade sechs Stunden meine Gegnerin im Gerichtssaal gewesen ist. Ich nehme meine Perücke ab, die die gleiche schmutzig weiße Farbe hat wie die Wände, und hole meine Sachen. Ich sage Rose, dass Noah und ich unseren fünften Hochzeitstag feiern, unterschlage aber, dass er sich in Paris auf Geschäftsreise befindet. Wir werden uns bei unserem gemeinsamen Abendessen auf eine wacklige Wi-Fi-Verbindung verlassen müssen und Hunderte Kilometer voneinander getrennt sein, während wir...
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