Sonntag, 18. März 2001
Eigentlich sollten wir jetzt schon längst mit dem Flugzeug abgehoben haben, wir standen jedoch immer noch in der Warteschlange vor dem Check-in-Schalter der DELTA-Airlines auf dem Stuttgarter Flughafen. Die Computer waren ausgefallen, und deshalb dauerte das Einchecken durch das Bodenpersonal wesentlich länger als geplant. Nur langsam bewegten wir uns auf den Schalter zu. Als wir endlich an der Reihe waren und der freundlichen Dame unsere Pässe und Flugscheine überreicht hatten, machte uns diese darauf aufmerksam, dass für uns vom Reisebüro keine Plätze reserviert waren und wir deshalb die Sitze zugewiesen bekämen, die übrig geblieben wären. Und die befanden sich ganz hinten in der allerletzten Reihe.
Wir baten die Dame, uns doch gleich die Plätze für den Rückflug im Mai zu reservieren, doch sie bedauerte. Durch den Computerausfall hatte sie dafür jetzt keine Zeit. Verständlicherweise hatte das Einchecken der nach uns kommenden Passagiere für diesen Flug Vorrang. Das war nicht ganz so tragisch, wir hatten ja immer noch die Möglichkeit, das auf irgendeinem Flughafen in den USA nachholen zu lassen.
Wir mussten durch das ganze Flugzeug durch bis zu unseren Plätzen in der 41., der allerletzten Sitzreihe. Der Abstand zum Vordersitz war extrem eng, wahrscheinlich hatte es in der hintersten Reihe nicht mehr für genügend Beinfreiheit gereicht. Deshalb hatte Willi auch enorme Schwierigkeiten, mich auf den Sitz zu heben. Wir kamen uns vor, wie auf die Notsitze abgeschoben.
Mit gut einstündiger Verspätung hob die Boeing 767 endlich in Richtung Atlanta ab. Wieder einmal lag ein rund zehnstündiger Flug vor uns. Wir hatten uns so gut es ging darauf vorbereitet, indem wir genügend Getränke, um den Durst zu löschen, sowie ein dickes Kreuzworträtselbuch und Spielkarten gegen die Langeweile eingepackt hatten. Ansonsten verbrachten wir die Zeit nur mit dem Warten auf das Mittag- und das Abendessen sowie mit dem Anschauen der beiden Videofilme, die in den kleinen, an der Decke hängenden Monitoren gezeigt wurden.
In Atlanta waren eigentlich zwei Stunden Aufenthalt bis zum Weiterflug nach Dallas eingeplant gewesen. Durch die Verspätung würde sich diese Zeit auf nur noch eine Stunde verkürzen. Hoffentlich reichte dies aus, um die Einreiseformalitäten am Immigrationsschalter zu erledigen und mit dem Gepäck den Zoll zu passieren. Wir würden sehen.
Nach diesem langen, mir endlos erscheinenden Flug in den knapp bemessenen Sitzen, der Abstand zum Vordermann war wirklich unverschämt eng, landeten wir endlich in Atlanta. Zum Glück hatte der Flugkapitän während der Überquerung des Atlantiks wieder einen Teil der Verspätung reingeholt, so dass die Zeit der Zwischenladung nicht ganz so knapp ausgefallen war.
Dafür musste am Zoll wegen der Maul- und Klauenseuche, die ein paar Wochen zuvor in Großbritannien ausgebrochen war, mit verstärkten Kontrollen gerechnet werden, was wiederum einen Teil der verbliebenen Zeit aufbrauchen würde. Wir hatten, was den Zoll betraf, sowieso ein schlechtes Gewissen, denn in unsere Koffer hatten wir Knäckebrot, Gemüsebrühwürfel und Honig eingepackt, die wir bei der Einreise verbotenerweise nicht deklariert hatten. Die Einfuhr jeglicher tierischer und landwirtschaftlicher Produkte war strengstens untersagt und dazu gehörte nun einmal zumindest der Honig. Klopfenden Herzens stellten wir uns in die Schlange, die sich vor dem Zollbeamten gebildet hatte, wurden jedoch, zu unserer großen Überraschung, ohne Kontrolle des Gepäcks durchgewunken. Unsere schauspielerischen Fähigkeiten schienen größer zu sein als von uns erwartet.
Mittels der ständig verkehrenden U-Bahn erreichten wir rechtzeitig die Maschine nach Dallas, die ganz am anderen Ende des flächenmäßig größten Flughafengeländes der USA starten sollte. Doch auch dieses Flugzeug hob erst mit Verspätung ab. Das konnte für uns jedoch gravierendere Folgen haben. Laut Flugplan sollten wir eigentlich um 18.39 Uhr auf dem Airport in Dallas landen, hätten dann also nur fünfzig Minuten Zeit gehabt, um das Gepäck abzuholen, ein Taxi zu finden, uns mit diesem zum Storage fahren zu lassen und dann das Wohnmobil aus dem eingezäunten Depot zu fahren, bevor dessen Tor automatisch für die Nacht geschlossen wurde. Das würde knapp werden.
Wie befürchtet kamen wir nach einem beinahe zweistündigen Flug mit rund zwanzigminütiger Verspätung auf dem internationalen Flughafen Dallas-Fort Worth an. Was sollten wir jetzt am besten tun? Sollte Willi versuchen, mit einem Taxi rechtzeitig zum Storage zu kommen, oder war es besser, uns gleich mit einem kostenlosen Shuttlebus in irgendein Hotel in der Nähe fahren zu lassen? Das Ganze war nicht nur eine Zeit- sondern auch eine Kostenfrage. Im schlimmsten Fall, sollte das Storage schon geschlossen sein, müsste Willi die Taxifahrt zum Depot und wieder zurück bezahlen. Und außerdem kämen die Kosten für die Übernachtung in einem Hotel noch hinzu.
Wir einigten uns schließlich darauf, dass Willi, trotz der knappen Zeit, versuchen sollte, mit einem Taxi zum Wohnmobil zu fahren. Ich würde mich in der Zwischenzeit alleine um unser Gepäck kümmern. Wir spurteten aus dem Flugzeug in die Ankunftshalle, soweit ein Spurt überhaupt möglich war, da wir, wie immer, erst als letzte Passagiere das Flugzeug verlassen konnten. Gleich am Ausgang erblickten wir das Zeichen für den Taxistand und Willi machte sich, begleitet von meinen guten Wünschen, alleine auf den Weg.
Bis er wieder zurück kommen würde, hatte ich mich um unser Gepäck zu kümmern. Auf dem Weg zum Ausgabeband sah ich mich schon einmal nach einer kräftigen Person um, die mir mit dem schweren Koffer und den beiden Taschen behilflich sein konnte. Ich entdeckte einen jungen Mann, der schon am Stuttgarter Flughafen in der Warteschlange hinter uns gestanden und sich mit uns unterhalten hatte. Ich bat ihn, mir diesen Gefallen zu tun, was er freundlicherweise nicht ablehnte.
Wie immer kamen unsere Gepäckstücke unter den letzten auf das Gepäckband gepurzelt. Ich dachte schon, die kleine Tasche, in welche ich die für mich äußerst wichtigen Bücher gepackt hatte, mehr als zehn Kilogramm Reiseführer und Urlaubsliteratur, wäre verloren gegangen. Die anderen Passagiere hatten das Flughafengebäude schon längst schwer bepackt verlassen, als endlich auch die heißersehnte Tasche erschien. Ich bedankte mich bei dem jungen Mann für das Herunterhieven vom Gepäckband und verabschiedete mich von ihm.
Jetzt konnte ich nur noch, keines der Gepäckstücke aus den Augen lassend, auf die Rückkehr meines Mannes warten. Grob überschlagen hatte ich mit maximal eineinhalb Stunden gerechnet, eine halbe Stunde für die Hinfahrt, eine halbe Stunde um den Camper startklar zu machen und eine halbe Stunde um zurück zu fahren. Doch nach zwei Stunden war immer noch kein Willi zu sehen. Auch nach zweieinhalb Stunden wartete ich noch immer, ohne mich von der Stelle bewegt zu haben. Ich machte mir Gedanken, was wohl der Auslöser dieser Verspätung sein könnte. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war, dass Willi gerade noch rechtzeitig in das Storage hineingekommen war, sich das Tor jedoch automatisch geschlossen hatte bevor er wieder rausgefahren war. Das wäre natürlich besonders dösig gewesen. Ich wusste wirklich nicht, was in diesem Fall zu tun gewesen wäre. Mir blieb also nichts anderes übrig, als einfach weiter zu warten und zu hoffen.
Nach rund drei Stunden erschien Willi dann doch noch, nur aus einer ganz anderen Richtung als ich ihn eigentlich erwartet hatte. In der Eile hatte er sich nicht gemerkt, von welchem Flugsteig er losgefahren war. Er hatte sich nur so schnell wie möglich ein Taxi gesucht, und ab ging die Post. Doch diese Suche innerhalb des Gebäudes konnte ja nicht so viel Zeit in Anspruch genommen haben, was also war geschehen? Ich wollte mich nicht länger auf die Folter spannen lassen und bat ihn, mir alles genauestens zu erzählen, während wir uns, vollbeladen mit unserem Gepäck, auf den Weg zu unserem ganz in der Nähe geparkten Wohnmobil machten.
Willi war gerade noch rechtzeitig, zehn Minuten vor dem Schließen des Tors, zum Lagerraum gekommen. Er hatte das Taxi bezahlt und wieder weggeschickt. Doch als er, schon im Wohnmobil sitzend, den Schlüssel umdrehen und starten wollte, gab der Anlasser keinen einzigen Mucks mehr von sich. Die Batterie schien vollkommen leer zu sein. Eigentlich hätte so etwas nicht passieren dürfen, denn Willi hatte extra ein Relais eingebaut, das den Strom von den Solarbatterien des Innenraums zur Starterbatterie fließen lassen sollte, falls in dieser die Spannung einmal nachlassen sollte. Anscheinend schien dieses Relais jedoch defekt zu sein, trotz der grün leuchtenden Lampe, die eigentlich eine korrekte Funktion anzeigte. Für Willi gab es zwar die Möglichkeit, eine der Solarbatterien, die dank der Sonnenkollektoren auf dem Dach eigentlich gefüllt sein sollten, auszubauen und sie anstelle der defekten Starterbatterie einzusetzen, doch das hätte zu lange gedauert. Er musste zusehen, dass er so schnell wie möglich, mitsamt dem Wohnmobil, aus dem Storage herauskam, bevor das Tor automatisch verriegelt wurde.
Weiter hinten auf dem Platz waren ein paar Männer damit beschäftigt gewesen, etwas aus einer der Garagen in ihren gemieteten Lieferwagen zu packen. Willi ging zu den beiden hin und fragte, ob sie zufällig ein Kabel dabei hätten, um ihm Starthilfe geben zu können, was diese jedoch verneinten. Wer hat schon ein Überbrückungskabel in einem Mietwagen? Die zweite Möglichkeit war, den Camper aus dem Storage hinaus zu schleppen. Sie entgegneten, dass sie leider auch kein Abschleppseil dabei hätten, doch da konnte Willi für Abhilfe sorgen. Er hatte, noch am Tag bevor er das Auto...