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Es fragt sich allerdings, ob die Welle des Rechtspopulismus mit dem kulturellen und wirtschaftlichen Wandel allein hinreichend erklärt ist. Solche Veränderungsprozesse hat es schließlich schon immer gegeben. So bedeutete die Mechanisierung nicht weniger eine Epochenwende als die Digitalisierung, und auch in ihrem Verlauf kam es zu massiven politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen. Außerdem hat der digitale Wandel nicht erst im vergangenen Jahrzehnt begonnen. Selbst die heute in Rente gehende Generation verfügt in der Regel durch ihre berufliche Tätigkeit zumindest über minimale Erfahrungen mit digitalen Anwendungen. Deren privater Gebrauch wird von den allermeisten sogar als Bereicherung ihrer Möglichkeiten empfunden. Und Arbeitsplatzverluste, die direkt auf Digitalisierung zurückführt werden können, sind selten, konnten bislang zumindest zumeist durch andere Tätigkeiten ausgeglichen werden.
Auch kultureller Wandel ist natürlich kein exklusives Phänomen des letzten Jahrzehnts. Ende der 1960er Jahre fanden in vielen westlichen Gesellschaften gravierende Umwälzungen statt, die heftige gesellschaftliche Konflikte zur Folge hatten. Sie mündeten jedoch nicht im Aufkommen rechtspopulistischer Parteien. Im Gegenteil, in der Folge wurden häufig konservative Strömungen zurückgedrängt, liberale oder, wie es damals hieß, fortschrittlich-progressive Kräfte übernahmen das Ruder. Von einem Erstarken des Nationalismus konnte keine Rede sein, vielmehr war es ein Markenzeichen dieses kulturellen Wandels, dass er als ein länderübergreifend gemeinsamer erfahren wurde. Der Protest gegen das Bestehende wurde zumeist von Studentenbewegungen getragen, die sich aufeinander bezogen, global ausgerichtet waren und mehr das Zusammenführende als das Abgrenzende betonten.
Das alles ist heute anders. Selbst wenn sich die rechtspopulistischen Parteien aufeinander beziehen, sogar gemeinsame Treffen abhalten und sich wechselseitig beraten, geschieht dies in der Absicht, die allseitige nationale Abgrenzung zu fördern und sich insbesondere in der Abwehr des Zustroms von Migranten gegenseitig zu unterstützen. Aber warum ist es heute so anders? Wenn die fundamentalen kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungsprozesse als Erklärung nicht ausreichen, hilft vielleicht der Blick auf die Wirtschaftspolitik der jüngeren Vergangenheit weiter.
In den vergangenen Jahrzehnten durchlief die Wirtschaftspolitik der Industrieländer mehrere Paradigmenwechsel. Vorangegangen waren jeweils entsprechende akademische Diskussionen, den Anstoß gaben jedoch in der Regel singuläre Ereignisse, die erst viel später eintraten. Zwei davon stechen ins Auge: die Ölpreiskrise in den 1970er Jahren und die Finanzmarktkrise 2007 / 2008. An der ersten Wegmarke schwenkte die Wirtschaftspolitik in vielen Ländern sukzessive auf einen neoliberalen Kurs ein; an der letzten geriet dieser in Verruf, auch wenn der Prozess der Neuorientierung bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Hier soll zunächst der Wechsel zum Neoliberalismus geschildert werden, denn seine Konsequenzen sind bis heute spürbar. Will man das vorherrschende Grundgefühl verstehen, kann man nicht über sie hinwegsehen.
Die Bedeutung des Neoliberalismus erschöpft sich nicht in einzelnen politischen Maßnahmen, wie der Verabschiedung der Agenda 2010 in Deutschland, auch wenn diese in vielen politischen Debatten eine prominente Rolle spielt. Zwar hat die Agenda, insbesondere Hartz IV, zu spektakulären politischen Verwerfungen in der Parteienlandschaft Deutschlands geführt. Dennoch erscheint es überzeugender, den Neoliberalismus in einem weiteren Kontext zu sehen. Schließlich gab es nicht in jedem Land, in dem heute rechtspopulistische Parteien einflussreich sind, etwas Vergleichbares wie die Hartz-IV-Reform, beispielsweise in Österreich nicht.
Es geht also nicht um einzelne Maßnahmen, sondern, wie es der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister nennt, um eine veränderte »Spielanordnung«.12 Das Spiel ist das Wirtschaftsgeschehen, das in einem von der Politik definierten institutionellen Rahmen unter bestimmten Regeln stattfindet. Beides zusammen, institutioneller Rahmen und Regeln, definieren die Spielanordnung. Diese festzulegen, ist also eine eminent politische Aufgabe. Schließlich wird innerhalb dieser Anordnung nicht zuletzt die Balance zwischen Marktkräften und gesellschaftlichen Zielen austariert. Es ist offenkundig, dass hierin ein enormes Konfliktpotenzial liegt.
Man kann sich die Bedeutung der Spielanordnung anhand der zwei möglichen Extremfälle klarmachen. Der erste ist, dass die Marktkräfte den gesellschaftlichen Zielen völlig zuwiderlaufen. In diesem Fall wäre das Unterbinden von Marktprozessen oder zumindest deren nachträgliche und möglichst vollständige Korrektur anzustreben. Also müsste eine Spielanordnung geschaffen werden, in der die Marktkräfte möglichst wenig zur Geltung kommen. In einer solchen würde man auf zahlreiche strikte Regulierungen und im Zweifel hohe Steuern treffen. Es bedürfte zudem eines mächtigen und aktiven Staates, der dies alles durchsetzt.
Der andere Extremfall wäre, wenn Marktgeschehen und gesellschaftliche Ziele weitgehend übereinstimmen. In diesem Fall sollte die Spielanordnung den Marktkräften möglichst freien Lauf lassen. Hier wird man einen Staat finden, der sich kaum in das Marktgeschehen einmischt. Seine Rolle ist eher passiv und beschränkt sich darauf zu garantieren, dass sich die Marktkräfte ungehindert entfalten können. Die Prämisse ist hierbei, dass der Markt an sich stabil ist und der Staat deshalb nur aktiv werden muss, falls es zu selbstzerstörerischen Fehlentwicklungen kommt. In dieser Umgebung dürfte man auf sparsame Regulierung und niedrige Steuern treffen.
Die beiden Extrembeispiele umgrenzen die in der Realität anzutreffenden Gegebenheiten, und diese sind nicht statisch. Veränderungen im gesellschaftlichen Diskurs können immer wieder zu veränderten Spielanordnungen führen - je nachdem, wer sich in diesem Diskurs durchsetzt.
So haben sich die Spielanordnungen in den westlichen Industriegesellschaften von Mitte der 1970er Jahre bis zum Beginn der Finanzkrise teilweise massiv geändert. Gesellschaftliche Zielsetzungen wurden immer stärker im Einklang mit dem Markt gesehen. Treibende Kräfte waren zum einen Ökonomen, die - wie Friedrich von Hayek oder Milton Friedman - aus primär akademischen Überlegungen von der positiven Kraft des Marktes überzeugt waren. Zum anderen machten sich Vertreter von Unternehmensverbänden sowie wirtschaftsliberale Politiker diese Überlegungen wirtschaftspolitisch zu Nutze, um zu einer ihren Interessen stärker dienlichen Gesellschaft zu gelangen. Damit waren sie erfolgreich. Die Balance verschob sich zugunsten von Marktkräften und zu Lasten von Regulierungen. Und auch die Steuern für Unternehmen und Vermögende wurde immer wieder gesenkt. Zwar wurde nirgends eine marktwirtschaftliche Extremlösung etabliert, und Wirtschaft und Gesellschaft veränderten sich in den einzelnen Ländern durchaus in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Aber das Pendel schwang allerorts in die gleiche Richtung. Deutschland gehörte dabei eher zu den Nachzüglern, insbesondere im Vergleich zu den USA und Großbritannien.
Für diese veränderte Spielanordnung wurden in den öffentlichen Debatten im Kern drei miteinander verschränkte Argumente ins Feld geführt: mehr Freiheit, mehr Wachstum, weniger Staat. Das erste Argument, das vor allem von liberal-konservativen Politikern und Ökonomen gepflegt wurde, besagte, dass eine Entfesselung der Marktkräfte nicht nur den Handlungsspielraum der Unternehmen, sondern auch den jedes Einzelnen erweitern werde, so dass alle ein besseres Leben führen könnten. Dies basierte auf der insbesondere von dem österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek propagierten Sichtweise, dass die größte Bedrohung der Freiheit vom Staat ausgehe. Ihn zurückzudrängen, indem man seine Möglichkeiten durch die Wegnahme von Regulierungskompetenzen und geringere Steuereinnahmen beschränkt, werde zwangsläufig zu mehr und gesicherterer Freiheit führen.
Das zweite Argument, das stärker von liberalen Ökonomen vertreten wurde, lautete, dass deregulierte Märkte bessere wirtschaftliche Ergebnisse hervorbringen würden. Das war Mitte der 1970er Jahre insofern ein Argument von hoher Durchschlagskraft, als die wirtschaftliche Lage alles andere als befriedigend war. Nach der allgemeinen Prosperität in der Nachkriegszeit hatte sich durch monopolistische Absprachen der Erdölproduzenten (OPEC) der Preis für den Treibstoff der westlichen Industrie drastisch verteuert. Die Unternehmen wälzten die Mehrkosten auf ihre Kunden ab und lösten so allseits einen markanten Inflationsschub aus. Die Zentralbanken wussten sich keinen anderen Rat, als die Zinsen deutlich anzuheben, was die Investitionen zum Erliegen brachte und in einer ausgeprägten...
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