2 - Herbst
»Mrs. Leary! Können Sie bitte mal in mein Büro kommen?!«
Allison stellten sich die Nackenhaare auf.
»Was er wohl will?«, flüsterte Allison ihrer Freundin und Kollegin Lily zu, die nur mit den Schultern zuckte.
Seit James Brandon, übergeordneter Abteilungsleiter, mit dem Manager der Bank of Scotland zusammen Golf spielte, hatte sich der Umgangston in der Etage deutlich abgekühlt. Die Kollegen redeten nicht mehr miteinander auf dem Flur, sie tuschelten nur noch ganz leise und verzogen sich schleunigst in ihre Zimmer, wenn Brandon nur die Tür zu seinem Büro aufriss. Allison eilte zu ihm.
»Schließen Sie bitte die Tür!«, herrschte er sie an und deutete auf den Besprechungstisch, »Nehmen Sie Platz.«
»Sie machen es aber spannend, Chef«, witzelte Allison in der Hoffnung, die angespannte Atmosphäre ein wenig zu entschärfen. Mit ein paar Papieren in der Hand kam er um seinen Schreibtisch herum und setzte sich Allison gegenüber.
»Mrs. Leary. Ich hatte Sie vor gut zwei Monaten gebeten, einen Abteilungsabend zu organisieren, ein Barbecue schwebte mir vor, Sie erinnern sich?«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Wieso muss ich heute erfahren, dass es bisher nicht einmal eine Terminauswahl für die Kollegen gibt?»
Allison wurde leicht rot, versuchte aber ihre Nervosität im Griff zu halten.
»Oh ja, ähm . nun ja.«
»Hören Sie auf, herumzustottern, Mrs. Leary. Sie sind doch sonst nicht so auf den Mund gefallen.«
Innerlich verdrehte Allison die Augen. »Naja. Es ist so. Bevor ich in die große Planung gehen wollte, habe ich den Großteil der Kollegen befragt. Und die haben allesamt signalisiert, dass sie keine Lust auf ein solches Treffen haben.«
»Aha.« Brandon war aufgesprungen und lief in seinem Büro auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Er bekam rote Flecken am Hals, die je nach Menge den Schweregrad seiner Aufregung dokumentierten. Er polterte weiter: »Gibt es dafür einen Grund? Haben Sie die Leute da«, er machte eine abfällige Handbewegung, »nach dem Grund gefragt?«
Allison schaute ihn mit großen Augen an. Ihr gefiel nicht, wenn er so herablassend von seinem Team sprach. Er trieb sie mit immer neuen Auswertungen und Analysen zu Höchstleistungen und drehte zum Dank die Schrauben der Annehmlichkeiten immer enger. Angeblich seien es Anweisungen von >ganz oben<, behauptete er dann. Allison atmete tief ein.
»Ja, den gibt es tatsächlich.«
»Dann raus mit der Sprache. Seien Sie nicht so zimperlich.«
»Die Kollegen haben keine Lust, ihre Freizeit für ein Barbecue zu opfern.«
»Dann machen wir eben etwas anderes. Vorschläge?«
»Nein, Sie verstehen nicht. Ich habe das alles gefragt. Aber die Leute haben keine Lust, ihre Freizeit mit dem Büro zu verbringen.«
Er blieb abrupt stehen und schaute Allison an. »Das verstehe ich wirklich nicht! Mit wem haben Sie denn alles gesprochen? Bestimmt mit Handerson und der Smith. Die machen Stimmung gegen mich. Ich sollte ernsthaft über eine Versetzung der beiden nachdenken. Sie untergraben meine Autorität!« James Brandon setzte sich wutschnaubend zu Allison an den Tisch. Die Flecken an seinem Hals waren in den letzten Minuten deutlich mehr geworden.
»Das geht jetzt aber zu weit, Chef. Ich werde Ihnen keine Namen nennen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass es kein Freizeit-Treffen mit der Abteilung geben wird. Wenn Sie trotzdem eines arrangieren wollen, bitte. Aber von den Kollegen kommt keiner.«
»Schon gut, schon gut - ich habe es verstanden«, blaffte er und starrte an Allison vorbei aus dem Fernster. »Sehr schade.«
Ganz offensichtlich wollte Brandon nicht verstehen, dass der eigentliche Grund für das Desinteresse an den Treffen er selbst und seine Art mit Mitarbeitern umzugehen war. Allison hatte keine Lust es ihm unverblümt auf die Nase zu binden. Noch nicht, jedenfalls.
»Ja, das ist es«, bestätigte sie sein Bedauern. »Es waren früher schöne Abende.«
»Die Leute haben immer weniger Zeit. Nun ja. Mir geht es ja genauso, seit ich mit dem Boss Golf spiele. Sie wissen schon. Eigentlich dachte ich immer, dieser Sport sei nur was für Rentner. Aber nun gewinne ich immer mehr Spaß daran. Mein Handicap .«
»Entschuldigung, Mr. Brandon, wenn ich Sie unterbreche. Aber es ist schon kurz vor Mittag und ich habe noch einiges zu erledigen bevor ich Feierabend mache. Wenn es Ihnen recht ist, reden wir ein anderes Mal über ihr Golf-Handicap.«
»Ja ja, gehen Sie. Ich vergesse immer, dass Sie sich Ihre Zeit einteilen müssen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie mir etwas verschweigen.«
Allison war, ohne auf seine kleine Stichelei einzugehen aufgestanden und hatte bereits die Tür geöffnet.
»Ach und, Mrs. Leary. Morgen früh brauche ich eine genaue Aufstellung, welche unserer Wertpapier-Anlagen in den letzten zwei Wochen Gewinne und welche Verluste gemacht haben.« Mühelos war er zum geschäftlichen Teil übergegangen.
»Kein Problem.« Allison schloss die schwere Bürotür etwas lauter als sonst und ging zurück zu ihrem Arbeitsplatz.
»Und?« Lily reckte neugierig den Kopf.
»Nichts Wichtiges. Es ging um die Abteilungstreffen.«
»Um die, die nicht mehr stattfinden?«
»Genau um die.«
»Ich hoffe doch sehr, dass er irgendwann kapiert, dass er so mit den Leuten nicht umgehen darf.«
»Tja, es bleibt zu hoffen. Ansonsten werden sich die Leute andere Jobs suchen.«
»Das können die wenigsten. Die meisten sind Spezialisten. Sie können nicht einfach mal so die Abteilung wechseln.«
»Aber sich schlecht behandeln lassen, das geht? Der Mann benimmt sich unmöglich. Sag mal Lily, hast du das Gefühl du wirst angemessen bezahlt, oder ist dein Gehalt eher Schmerzensgeld?«
»Schmerzensgeld!« Das war deutlich.
»Schöne Scheiße. Lily, ich glaube, wir sollten Lotto spielen. Dann können wir beide kündigen.«
»Das ist eine super Idee. Ich bringe gleich morgen einen Schein mit. Die nächste Ziehung ist am Wochenende. Da sind wir dann schon mit dabei.« Sie klatsche begeistert in die Hände. »Wir werden reich!«
»Das wäre toll. Dass ich den Job hinschmeiße, daran zweifele ich keine Sekunde. Auch wenn ich noch nicht weiß, was ich stattdessen machen soll, aber da findet sich schon was. Ich glaube, ich würde dann auch einfach mal einen langen Urlaub machen. Spanien, direkt ans Meer. Salzige Mittelmeerluft, herrliche Sonnenuntergänge, Sandstrand und vor allem Sonne und Wärme satt.«
»Klingt fasst nach abhauen, hab ich recht?«, fragte Lily mitfühlend, und Allison nickte. »Geht dir das mit dem Blödmann immer noch so nahe? Immerhin sind ein paar Wochen seitdem vergangen.«
»Ich habe mir nächtelang die Augen aus dem Kopf geheult. Einmal bin ich im Supermarkt bei einem Blick auf seine Lieblingsschokolade in Tränen ausgebrochen. Bescheuert! Ich weiß.« Fahrig malte sie Kreise auf ein Blatt Papier. »Aber das ist jetzt vorbei. Es geht wieder aufwärts. Manchmal tut es noch weh.«
»Ich verstehe dich. Ich hätte dir so gewünscht, dass es klappt.« Lily zuckte hilflos mit den Achseln. »Vielleicht ist es besser so. Wer weiß, was sonst noch alles gekommen wäre.«
»Ja vermutlich hast du recht. Dass er mir schon in der Woche, in der er angeblich so viel gearbeitet hat, nichts gesagt hat, war nicht fair.«
Die Tür wurde aufgerissen und Chris trat ein. »Sorry Ladies«, rief er abgehetzt, »aber der Drucker spinnt. Kann mir eine von euch zweien helfen? Ich brauche die Dokumente in zehn Minuten für meinen Termin. Ist echt dringend!«
Lily stand sofort auf und sagte zu Allison: »Wir reden später weiter«, flüsterte dann noch aufmunternd sodass Chris es nicht hören konnte, »dein Traumprinz kommt auch noch. Das weiß ich.«
***
Am Wochenende fuhr Allison mit Milla zusammen nach Edinburgh zum Einkaufen. Ihre Tochter brauchte dringend neue Hosen und Shirts, denn in ihrem Kleiderschrank türmten sich haufenweise Kleidungsstücke, die der Achtjährigen zu klein waren oder es in der nächsten Zeit sein würden. Mit Milla einkaufen zu gehen war für Allison immer eine besondere Herausforderung. Ihre Tochter konnte sich nie wirklich für etwas entscheiden und fand einfach alles schön. Das aber würde den finanziellen Rahmen sprengen.
Allison lenkte ihren Wagen in das Parkhaus des Gyle Shoppingcenters in die nächstbeste Parklücke.
»Mom, kann ich denn auch ein neues Winterkleid haben?«, Milla stieg aus und warf ihren kleinen Spielecomputer, mit dem sie sich während der Fahrt beschäftigt hatte, auf den Rücksitz.
»Wir sollten erstmal sehen, was es so alles gibt. Dann können wir immer noch entscheiden.« Sie nahm Milla an der Hand und sie verließen das Parkhaus.
»Wohin gehen wir denn zuerst?«, wollte die Kleine wissen.
»Ich hab mir keinen Plan zurechtgelegt«, gab Allison zurück, »lass uns reingehen und uns umschauen. Wir haben doch heute Zeit.«
»Aber um zwei Uhr will ich wieder zu Hause sein«, maulte Milla, da bin ich mit den anderen zum Spielen verabredet.«
»Das werden wir kaum schaffen.« Allison schaute ihre Tochter an. »Wann hast du das denn ausgemacht? Wir wollten einkaufen, noch eine Kleinigkeit essen gehen und wir müssen auch noch nach Hause fahren. Auf dem Parkplatz steht kein Hubschrauber, nur ein Auto.«
»Ach Mom, deine Witze sind blöd. Lass uns direkt da vorne in den Laden gehen, da haben wir im Frühjahr auch meine...