Schweitzer Fachinformationen
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Als Wissenschaftler bin ich immer auf der Suche nach der Antwort auf die Frage nach dem «Warum». Warum sind manche Menschen so unglücklich? Warum ist Glück so zerbrechlich? Und warum greifen die Interventionen der Positiven Psychologie? Ich denke, die Antworten auf diese Fragen sind in der Kindheit zu finden.
In den meisten Familien stehen kleine Kinder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie werden noch nicht mit der wettbewerbsorientierten Welt der sozialen Beziehungen konfrontiert und kennen noch nicht das bedrängende Gefühl, das uns vom Jugendalter an die meiste Zeit begleitet: das Gefühl, von anderen bewertet oder beurteilt zu werden. Die meisten kleinen Kinder sind unbekümmert selbstbezogen oder egozentrisch, sie leben im Moment - mit wenig Raum für Reue oder für Sorgen um die Zukunft.
Wenn Kinder jedoch heranwachsen und in die wettbewerbsorientierte Welt der Schulprüfungen, Beziehungen, sozialen Medien und der Arbeit eintreten, stellen sie fest, dass sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Sie müssen lernen, mit anderen auszukommen, die ebenfalls um Status und Anerkennung ringen. Konflikte entstehen oft, wenn beide Parteien die Perspektive des jeweils anderen nicht würdigen. Wir wollen einen bestimmten Status haben und von anderen bewundert werden, aber auch dies führt zu Konflikten. Es ist schwierig, gleichzeitig Gewinner und Teamplayer zu sein. Man kann nicht die beliebteste Person sein, ohne dass andere weniger beliebt sind. Man kann nicht am meisten gemocht werden, ohne dass andere weniger gemocht werden. Man kann nicht am erfolgreichsten von allen sein, ohne dass - zumindest egozentrisch betrachtet - die anderen scheitern. Um mit anderen zurechtzukommen und gesellschaftlich akzeptiert zu werden, müssen wir einschätzen können, was andere möglicherweise denken, und uns entsprechend überlegen, wie wir uns angesichts dessen verhalten sollten. Aber das erfordert ein wenig Übung und Geschick. Diese Fähigkeiten entwickeln sich im Laufe der Kindheit. Bis wir das Erwachsenenalter erreichen, haben wir mehr Sorgen und Nöte angehäuft als unser jüngeres Ich. Wenn wir also in unserem eigenen selbstbezogenen Universum gefangen sind - was häufig der Fall ist -, kann es gut sein, dass sich dieser Selbstfokus auf unsere Probleme richtet und wir alles über Gebühr aufblähen. Betrachten wir einmal die folgende Darstellung des eigenen Ich in Relation zu anderen, zu unseren Problemen sowie zum Wechsel der Perspektiven.
Darstellung eines übermäßig egozentrischen sozialen Netzwerks
Wenn wir egozentrisch sind, stehen wir dominant im Zentrum unseres Universums und nehmen Beziehungen als tendenziell einseitig wahr. Wir wirken auf andere ein, und wenn andere auf uns einwirken, gibt es wenig gegenseitigen Austausch, weil wir die Perspektive des anderen kaum in Betracht ziehen. Anders als Kinder sind sich egozentrische Erwachsene sehr wohl der gegenwärtigen und potenziellen zukünftigen Probleme bewusst. Wir nehmen unsere Probleme als größer wahr, als sie tatsächlich sind; wir haben kein Verständnis dafür, dass andere eigene Probleme haben, und falls doch, so sind sie zumindest nicht mit unseren eigenen vergleichbar. Die Schwierigkeiten sind für uns die größten. Aber man kann die Welt auch anders sehen: aus einer Perspektive, die andere im Blick hat, mit einer allozentrischen Sicht, die zu größerem Glück beitragen kann. Eine allozentrische Sichtweise würdigt die Perspektiven anderer und die Verflechtungen der sozialen Welt.
Darstellung eines allozentrischen sozialen Netzwerks
Hier ist unser Selbst reduziert und daher mit anderen vergleichbar. Unsere Beziehungen sind eher reziprok, und wir erkennen, dass andere Probleme bewältigen müssen, die für sie bedeutender sind als unsere Probleme für uns. Diese Sichtweise relativiert die Probleme und lässt unsere eigenen Sorgen oft weniger schwerwiegend erscheinen. Ein Sprichwort sagt: «Geteiltes Leid ist halbes Leid.» Wenn wir allozentrischer denken und handeln, wird uns soziale Unterstützung zuteil, und wenn wir für andere da sind, stellt sich unverhofft Glück ein.
Die meisten Erwachsenen können bei Bedarf aus ihrem Ich heraustreten und eine allozentrische Perspektive einnehmen. Dies zu lernen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Erwachsensein, aber es ist nicht leicht, spontan so zu denken. Wir sind uns selten der Schwierigkeiten anderer bewusst, es sei denn, sie stehen uns nahe oder wir werden speziell auf ihre Nöte aufmerksam gemacht. Zu sehr sind wir in unserer eigenen Weltsicht gefangen. Selbst wenn wir von den Problemen anderer hören, betrachten wir sie, wenn wir zu egozentrisch sind, als weniger schwerwiegend als unsere eigenen.
Wie sagte doch der griechische Stoiker Epiktet: «Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen.»[*1]
Mit anderen Worten: Zwei Menschen können mit demselben negativen Lebensereignis konfrontiert werden, aber der eine zieht weiter, während der andere tagelang darüber nachgrübelt. Warum ist das so? Wie kommt es, dass für jemanden das Glas halbvoll und nicht halbleer ist? Warum sind manche Menschen glücklicher als andere? Werden wir so geboren oder werden wir erst im Laufe des Lebens so?
Es stimmt, dass glückliche Kinder in der Regel zu glücklichen Erwachsenen heranwachsen. Teilweise hängt unser Glücksempfinden von den Genen ab, die wir von unseren Eltern geerbt haben. Um herauszufinden, inwieweit die Unterschiede durch die Gene einerseits und durch Umwelteinflüsse andererseits bedingt sind, führt man in der Wissenschaft Messungen zum Glücksempfinden bei eineiigen, also genetisch vollkommen identischen Zwillingen durch, und ebenso bei zweieiigen Zwillingen, die die Hälfte ihrer Gene gemeinsam haben. Dies wird als Erblichkeit bezeichnet, und wenn man die Werte zum Wohlbefinden vergleicht, so sind im Durchschnitt höchstens 40 bis 50 Prozent der Unterschiede und Ähnlichkeiten auf die Gene zurückzuführen[1] - ganz ähnlich wie bei der Intelligenz.[2] Einen Teil unserer Veranlagungen, gute wie auch schlechte, erben wir von unseren Eltern, aber eben nicht alle. Wie andere Aspekte der Persönlichkeit lässt sich auch das Glücksempfinden nicht ausschließlich genetisch erklären.
Das britische Amt für nationale Statistik hat Gruppen von Jugendlichen im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren dazu befragt, was sie glücklich macht.[3] Es war nicht etwa ihre PlayStation, die Anzahl ihrer Instagram-Follower, Geld, Ferien oder gute schulische Leistungen, sondern «das Gefühl, geliebt zu werden, und gute Beziehungen, insbesondere zu Freunden und zur Familie; Beziehungen, in denen man Unterstützung erfährt, und jemanden zu haben, mit dem man reden und auf den man sich verlassen kann». Dies waren für die befragten Jugendlichen durchweg die wichtigsten Faktoren für ein glückliches Leben, und das ist insofern bemerkenswert, als eine andere Umfrage unter mehr als 17.000 Erwachsenen des Jahrgangs 1970 mit der Frage «Wie unzufrieden oder zufrieden sind Sie mit ihrem bisherigen Leben?»[4] ergab, dass der wichtigste Prädiktor für die Zufriedenheit eines Erwachsenen im Alter von zweiundvierzig Jahren war, wie gut es ihm als Kind hinsichtlich seiner emotionalen Gesundheit ging. Unsere sozialen Interaktionen in der Kindheit legen den Grundstein dafür, wie wir uns als Erwachsene verhalten, und dies wirkt sich wiederum auf unser Glücksempfinden aus. Wenn wir Anschluss an andere haben, lernen wir, mit den Rückschlägen und Herausforderungen des Lebens besser umzugehen. Von allen Umwelteinflüssen, die zur Lebenszufriedenheit beitragen können, wie zum Beispiel Gehalt, Ehe oder Liebesbeziehungen, ist die Frage, wie gut wir uns als Kinder mit anderen verstanden haben, der wichtigste Prädiktor für unser Wohlbefinden als Erwachsene.
Heißt das, wenn wir eine unglückliche Kindheit hatten, können wir als Erwachsene nicht glücklich sein? Nicht unbedingt. Meine eigene Kindheit war unglücklich. Ich wuchs in einer Familie auf, die ständig von einem Land ins andere zog, weil der unglückliche, alkoholkranke Vater auf der Suche nach Arbeit, nach einem Lebensziel und Lebenssinn war. Er starb, als ich fünfzehn Jahre alt war, und als meine Mutter zwei Jahre später ...
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