Sebastian Homann
(Aus)geträumt?
Mein Jahr in Afrika
Abflug
Nun ist es endlich so weit! Es ist der Tag nach den Weihnachtsfeiertagen 2020. Der Tag, auf den ich so lange gewartet habe, ist gekommen. Aber die Gefühle, die sich gerade in meinem Kopf drehen, sind komplett andere als die, auf die ich mich ursprünglich gefreut habe.
Ich sitze allein am Flughafen Hamburg im Abfluggate und stelle mir die Frage, ob das, was ich vorhabe, tatsächlich das Richtige ist. Klar wusste ich, dass genau diese Gefühle des Zweifels, kurz bevor es losgeht, kommen werden. Aber dass sie so stark sein werden, damit habe ich nicht gerechnet.
Die Musik aus meinen Kopfhörern lässt den Kopf noch einmal zusätzlich Karussell fahren. Bei jedem Song, den Spotify mir von meiner Playlist in die Ohren spielt, kommen andere Gefühle hoch. Zu jedem Lied gibt es irgendwelche Erinnerungen, die wieder eine andere Emotion hervorrufen: Freude, Angst, Spannung, Zweifel, Traurigkeit . alles dabei.
Genau wie die letzten Tage zu Hause. Im Grunde sogar schon die letzten zwei Wochen. Es wechselten lustige, feuchtfröhliche Abende mit Freunden, die ich teilweise lange nicht gesehen habe, mit darauffolgenden verkaterten Morgen, an denen ich, wie auch jetzt, all meine Pläne angezweifelt habe.
Eine aufregende Zeit. Wie eigentlich schon die vergangenen zwei Jahre. Warum ich jetzt eigentlich hier sitze? Gute Frage .
Zum einen ist es wohl die Liebe zu Afrika, die mich jetzt gerade an diesen Ort und in diese Situation gebracht hat. Seit ich 2008 ein halbes Jahr in Südafrika war, um mit Schulle, einem meiner liebsten Kommilitonen und Freunde, ein Praktikum zu machen, hat mich dieser Kontinent in seinen Bann gezogen. Auch die Tatsache, dass Harald, einer meiner besten Freunde, eine Farm in Namibia hat, verstärkte die Liebe zu Afrika noch mehr. Seit 2008 war ich gefühlt jedes Jahr ein bis zwei Mal dort unten. Jedes Mal, wenn ich dachte, nun könnte man aber auch mal woanders Urlaub machen, landete ich am Ende wieder im namibischen Omitara auf der Farm und fand mich am Abend beim Feierabendbier am Küchentisch wieder. Dort fühle ich mich einfach wohl.
Und dann kam vor zwei Jahren irgendwie alles zusammen. Die Trennung von Sam, meiner Verlobten, mit der ich seit sieben Jahren zusammen war. Den Heiratsantrag habe ich ihr passenderweise in Kapstadt auf dem Lion's Head gemacht. Leider haben wir uns zuletzt so weit auseinandergelebt, dass am Ende die Trennung stand. Somit dann auch die Absage der bereits zu etwa 80 Prozent geplanten und fest gebuchten Hochzeitsfeier.
Zusätzlich kam dann auch mein Arbeitgeber auf die Idee, man könnte ja mal wieder neue Umstrukturierungsmaßnahmen einleiten. Das hat man ja schon ewig, also seit gefühlt einem Jahr, nicht mehr gemacht. Dass dieses Mal auch meine Stelle betroffen sein wird, war eigentlich keine Überraschung. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es so weit sein würde. Entsprechend war ich darüber weder überrascht noch traurig. Denn der Job hat mir schon seit Jahren keinen Spaß mehr gemacht. Ich bin eher des Geldes und der Kollegen wegen hingegangen, als dass die Arbeit an sich wirklich erfüllend gewesen wäre. Also nahm ich die Chance an, eine Abfindung zu kassieren, um damit neue Pläne zu schmieden.
Afrika . Was könnte man da machen? Ideen hatte ich einige: Autovermietung, einen Campingplatz eröffnen oder Tiny Houses aus Containern mitten in der Wildnis vermieten. Bis dann eines Tages ein Werbespot der Lufthansa im Fernsehen lief. Eine junge Frau berichtete dort über ihr Reiseziel und was sie dort gemacht hat, nämlich eine Ausbildung zum Professional-Field-Guide. So lautet der Fachbegriff. Einfacher gesagt: zum Safari Guide. All ihre Erfahrungen und Erlebnisse hat sie in einem Buch niedergeschrieben. Nachdem ich das gelesen hatte, war für mich dann auch klar, wohin mein Weg gehen soll: Ich werde eine einjährige Ausbildung zum Safari Guide in Südafrika machen! Und hier sitze ich nun.
Inzwischen war Boarding und ich bin im Flieger. Eine sehr kontaktfreudige Frau im Alter meiner Mutter sitzt neben mir. Ich fühle mich zum ersten Mal seit einigen Stunden wohl. Sie hat nach fünf Minuten im Flieger ihr Handy verlegt und ich helfe ihr bei der Suche. Wir unterhalten uns über dieses und jenes. Auch über unsere Hunde. Eines der härtesten Themen für mich an diesem Tag und im Grunde auch schon die ganzen letzten Wochen. Ich weiß nicht, ob ich einen Menschen in nächster Zeit so sehr vermissen werde wie meine Hündin Sunny. Das mag für einen Außenstehenden vielleicht komisch klingen, schließlich ist es nur ein Hund. Aber für mich war dieser kleine Vierbeiner, den Sam und ich vor zwei Jahren aus Namibia mitgebracht haben, wie eine beste Freundin. Sie hat mich durch all das eben Geschilderte begleitet, mich seelisch unterstützt und mir Halt gegeben. Mit all meinen geliebten Menschen, die ich in Deutschland zurücklasse, kann ich jederzeit chatten, telefonieren oder mich per Video austauschen. Nicht aber mit Sunny. Sie wird wohl kaum verstehen, warum ich plötzlich nicht mehr für sie da bin, wo sie doch zuletzt jederzeit für mich da war. Zum Glück weiß ich, dass sie bei Sam und Happy, unserer anderen gemeinsamen Hündin, in sehr guten Händen sein wird. Trotzdem tut es sehr weh.
Die erste Flugetappe ist inzwischen geschafft und ich sitze am Frankfurter Flughafen. Für diese Reise habe ich mir nochmal den Luxus gegönnt, mit der Business-Class zu fliegen. Wohl dem, der tolle Freunde hat, die einem das ermöglichen. Ich habe das Gefühl, ich brauche gleich erstmal Alkohol. Meine Gesprächspartnerin aus dem ersten Flieger hat mir noch den Tipp gegeben, dass in der Business-Class richtiger Champagner ausgeschenkt wird, sobald der Flieger in der Luft ist. Vorher am Boden gibt es aber auch schon leckeren Schaumwein. Langsam werde ich auch müde. Nach den Drinks brauche ich wohl erstmal ein bisschen Schlaf.
Die letzte Nacht vor meiner Abreise war zwar sehr schön, aber auch irgendwie anders und mit wenig Schlaf verbunden. Sam und Happy waren da. Zum Glück sind wir als sehr gute Freunde aus der Beziehung gegangen, so dass wir auch danach noch viel Zeit miteinander verbracht haben. Ich wollte am letzten Abend gerne noch einmal meinen Lieblingsdöner essen. Danach haben wir auf dem Sofa einen Film gesehen und mit den Hunden gekuschelt. Nachdem jeder von uns zwischendurch während des Films eingeschlafen war, haben wir uns zusammen mit den Hunden das Sofa als nächtlichen Schlafplatz auserkoren. Dort kam dann erst der eine Hund zum Kuscheln, dann der nächste. Immer weiter im Wechsel. Im Verlauf der Nacht ging es ständig hin und her, so dass von wirklich tiefem Schlaf nicht die Rede sein konnte. Die Hunde haben wohl auch gemerkt, dass große Veränderungen anstehen.
Nun sitze ich auf meinem Business-Class-Klappstuhl in der Boeing 747 nach Johannesburg und es scheint irgendwie, als wäre mein zukünftiger Weg wie vorherbestimmt. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind gespielt habe, ich hätte eine Truppe von Superhelden, die versuchen, gefährdete Tiere zu retten und zu beschützen. Nun sitze ich hier mit meinem Champagner und finde im Entertainmentprogramm diese Dokumentation über Jane Goodall. Ich weiß nicht viel über sie, die Doku startet gerade erst, aber was ich weiß, ist, dass sie das Leben der Schimpansen in Afrika erforscht und sich deren Schutz zur Lebensaufgabe gemacht hat. Wenn man mich bislang gefragt hätte, ob es eine Person gibt, mit der ich gerne einmal zusammen zu Abend essen würde, dann wäre als Antwort gekommen: Nelson Mandela. Nachdem ich 2008 sein Buch "Der lange Weg zur Freiheit" gelesen habe, bewundere ich diese Persönlichkeit. Sein Versuch, ein Land zu einen, welches völlig zerrüttet war, ohne Groll gegen diejenigen zu hegen, die ihn über 20 Jahre ins Gefängnis gesperrt haben, ist wirklich beeindruckend. Aber nun ist eine weitere Persönlichkeit zu unserem Dinner dazugekommen: ebendiese Jane Goodall. Für mich ist klar, dass ich nach diesem Jahr Ausbildung nicht zwingend in Südafrika im Tourismus arbeiten möchte. Ich kann mir vorstellen, dass mein Weg eher in Richtung Naturschutz und vor allem Schutz stark gefährdeter Arten gehen könnte. Vielleicht ist am Ende alles Fügung?! Zu folgendem sehr schönen Leitsatz von Jane Goodall schlafe ich auf meinem inzwischen zur Liegefläche umfunktionierten Sitz ein:
"I truly believe that only when head and heart work in harmony, we can achieve our own human potential."
Was ein guter Schlaf ausmachen kann! Ich habe rund sechs Stunden tief und fest geschlafen. Der erste verschlafene Blick aus dem Fenster zeigt: Es ist inzwischen wieder hell. Der zweite etwas klarere Blick offenbart mir nun endlich wieder die Weite und Schönheit der afrikanischen Landschaften. Das, was mich wahrscheinlich am meisten an diesem Kontinent fasziniert. Ich habe das Gefühl, je weiter sich der Flieger von meinem bisherigen Zuhause entfernt, desto weiter weg sind auch die belastenden Gedanken des Abschieds von meinen Liebsten. Zwar ist immer noch ein bisschen Bauchschmerz da, der bezieht sich aber aktuell eher auf die Ungewissheit über das, was mich die nächsten Tage, Wochen und Monate erwartet. Ganz tief in mir drin erwächst nun auch langsam wieder die Vorfreude auf all das, was kommt: Freiheit, neue Menschen, spannende Begegnungen mit der Wildnis. Das Gefühl, was mich ursprünglich genau diesen Weg einschlagen ließ. Ein Weg, dessen Beginn sich doch ziemlich in die Länge zog und der mit einigen unvorhersehbaren Ereignissen gepflastert war.
Als im März 2020 die Corona-Pandemie in Deutschland ausbrach, konnte man noch nicht erahnen, wie sich diese neuartige Krankheit entwickeln wird. Vermutlich die wenigsten haben sich ausmalen können, was für globale...