Schweitzer Fachinformationen
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»Wohlstand für Alle« ist nicht nur der Titel eines Ende der 1950er-Jahre veröffentlichten Buches, sondern auch das zentrale Versprechen der Wirtschaftsordnung, welche die Bundesrepublik Deutschland seitdem stark geprägt hat. Dieser Losung entsprechend soll die Soziale Marktwirtschaft wirtschaftliche Dynamik mit sozialem Ausgleich kombinieren. Die konkrete Ausgestaltung dieses normativen Fundaments muss allerdings - so argumentierten bereits jene, die dieses Leitbild entwarfen - ständig an aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen angepasst werden. Denn als lebende Systeme befinden sich Wirtschaft und Gesellschaft in einem stetigen Wandel. Von dieser Anpassungsfähigkeit hängt ab, ob und wie es auch in Zukunft gelingt, Lebensqualität und Teilhabechancen möglichst vieler Menschen sicherzustellen.
Die größte Herausforderung unserer Zeit ist zweifellos die Eindämmung der Klimakrise. Damit steht und fällt nicht nur der Wohlstand heutiger, sondern auch die Lebensgrundlage künftiger Generationen. Die Transformation hin zu einer Wirtschaftsweise innerhalb der planetaren Grenzen ist unausweichlich. Ökologische Nachhaltigkeit ist alternativlos und die Voraussetzung dafür, materiellen Wohlstand dauerhaft generieren und Teilhabe für breite Bevölkerungsschichten in allen Lebensbereichen verwirklichen zu können. Daher braucht es ein Update der aktuellen Wirtschaftsordnung hin zu einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft.
Das deutsche Bundesklimaschutzgesetz schreibt das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 vor - ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch der Weg in eine Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft ist gekennzeichnet von komplexen makroökonomischen Wirkungszusammenhängen und Zielkonflikten - diese auszutarieren, erfordert eine kluge wirtschaftspolitische Steuerung. Der gesetzliche Orientierungsrahmen zur Bewältigung dieser Herausforderung ist allerdings sehr alt.
»Wohlstand für alle« wird zunehmend schwer einlösbar
Vor mehr als 50 Jahren entstand mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (im Folgenden: Stabilitätsgesetz) das Leitbild der deutschen Wirtschaftspolitik, das für die Erfüllung der Ziele der Sozialen Marktwirtschaft jahrzehntelang handlungsleitend sein sollte. Demnach sollten angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum, ein hoher Beschäftigungsstand, ein stabiles Preisniveau und außenwirtschaftliches Gleichgewicht gleichrangig angestrebt werden (Meurers, Weinberg und Herzum 2015).
Im Laufe der Zeit erwies sich dieser Rahmen jedoch als immer weniger angemessen und Zweifel an seiner Praxistauglichkeit wuchsen. Die dynamischen Megatrends der Globalisierung und Digitalisierung sowie des demografischen Wandels stellten und stellen die Soziale Marktwirtschaft vor große Herausforderungen und machen das Versprechen, materiellen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit gleichzeitig zu erreichen, zunehmend schwer einlösbar (Petersen 2022).
Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise und der Zerstörung planetarer Lebensgrundlagen geraten vor allem die Bedürfnisse künftiger Generationen immer stärker in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen und politischen Debatten. Im März 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das bis dahin gültige deutsche Klimaschutzgesetz nicht grundgesetzkonform sei, da es die Pflicht zur Emissionsreduktion übermäßig auf den Zeitraum nach 2030 verschiebe, wodurch künftigen Generationen enorme Freiheitseinschränkungen entstehen können (Bundesverfassungsgericht 2021). Die ökologische Transformation der Wirtschaft, ihre Entkopplung vom Einsatz natürlicher Ressourcen und das Ende der Emission von Treibhausgasen werden immer dringlicher. Expert:innen sind sich einig: Das aktuelle Jahrzehnt ist entscheidend für den Erfolg der Klimaschutzanstrengungen (IPCC 2022).
Wohlstand meint auch ökologische und soziale Nachhaltigkeit
Diese Entwicklungen führten und führen immer wieder zu Bestrebungen, das allgemeine Verständnis von Wohlstand und die einseitige Fokussierung auf seine materielle Ausdehnung zu überdenken und schließlich auch das wirtschaftspolitische Zielsystem einer grundlegenden Erneuerung mit Blick auf die Vollständigkeit, Gewichtung und Messung der Parameter zu unterziehen, an denen es sich zu orientieren gilt. Neben verschiedenen parteipolitischen Initiativen in den 1990er-Jahren sind die Ansätze der Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft«, der Friedrich-Ebert-Stiftung und zuletzt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zur Erarbeitung einer umfassenderen Wirtschaftsberichterstattung hervorzuheben (ausführlicher in Kapitel 2).
Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Intention, eine gesamtheitliche Wohlstandsmessung etablieren zu wollen, die neben der traditionellen Betrachtung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als zentraler Gradmesser für Wohlstand und Lebensqualität auch die Dimensionen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit sowie der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen stärker berücksichtigt. Unterschiede zeigen sich bezüglich der Anzahl und Gewichtung von Zieldimensionen sowie der entsprechenden Indikatorik, die zur Messung vorgeschlagen wird. Trotz der weitgehenden Übereinstimmung bezüglich der Notwendigkeit einer zeitgemäßen Novellierung des Stabilitätsgesetzes hat sich bis heute noch kein Ansatz mit Gesetzeskraft durchgesetzt.
Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie bedeuten neue außenwirtschaftliche Ziele
Der von Russland geführte Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt in vielfacher Hinsicht eine Zeitenwende dar, die auch die Ziele der deutschen Außen-, Energie- und Wirtschaftspolitik erneut auf den Prüfstand stellt. Insbesondere außenwirtschaftliche Verflechtungen, Abhängigkeiten europäischer Volkswirtschaften sowie die Zukunft des globalen Handelssystems werden kontrovers debattiert. Dabei bekommen Konzepte wie Resilienz und Souveränität einen höheren Stellenwert und erfordern ein neues Verständnis des wirtschaftspolitischen Ziels eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Das Streben nach einer größeren wirtschaftlichen Sicherheit und Unabhängigkeit gegenüber geopolitischen Konflikten, Lieferkettenproblemen und Knappheiten wird dabei wiederum verbunden sein mit vielfältigen Folgewirkungen für unseren materiellen Wohlstand, die ökologische Nachhaltigkeit und weitere wirtschaftspolitische Parameter (Petersen 2022). Für die Beschreibung eines zeitgemäßen wirtschaftspolitischen Zielsystems und die Analyse seiner inhärenten Konflikte gilt es daher, über den erstrebenswerten Grad der außenwirtschaftlichen Verflechtung Deutschlands neu nachzudenken. Dieser sollte nicht nur ermöglichen, die ökologischen Ziele einzuhalten, sondern auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, die Risiken aus kritischen Abhängigkeiten zu minimieren und die Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland zu verhindern.
Postfossiles Zeitalter erfordert ein Update des wirtschaftspolitischen Zielsystems
Wenn »Wohlstand für alle« zu einem leeren Versprechen wird, kann dies die Stabilität des politischen Systems gefährden. Die Folgen des Klimawandels sowie andere globale Konflikte und Krisen sind in der Lage, dieses Problem zu verschärfen, da sie ökonomische Disparitäten tendenziell vergrößern. Materieller Wohlstand und sozialer Ausgleich sind untrennbar mit der erfolgreichen Eindämmung der Klimakrise verbunden (Chancel 2020). Doch auch die politisch forcierte Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise bringt Risiken mit sich, die sowohl den Wohlstand als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden können.
Für eine klug austarierte Steuerung dieser ökologischen Transformation bedarf es daher nicht nur eines Updates des wirtschaftspolitischen Leitbildes. Notwendig ist auch die Fähigkeit, die inhärenten Spannungsfelder und Zielkonflikte zu entschärfen und ihnen vorzubeugen. Nur so kann es gelingen, zu einer Wirtschaftsweise zu kommen, die das erneuerte Versprechen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft - »Wohlstand für alle innerhalb der planetaren Grenzen« - auch zukünftig einlösen kann.
Vor diesem Hintergrund widmet sich das vorliegende Buch nicht nur einer zeitgemäßen und praxistauglichen Neugestaltung des wirtschaftspolitischen Zielsystems, sondern nimmt explizit die makroökonomischen Wirkungszusammenhänge zwischen den verschiedenen Zielparametern einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft in den Blick. Der Fokus liegt auf theoretischen Wirkungskanälen und aktuellen empirischen Erkenntnissen zu den Wechselwirkungen zwischen der ökologischen Nachhaltigkeit und den anderen Zieldimensionen eines solchen Wirtschaftsmodells. Die Analyse dieser...
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