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Dort dauerte es nicht lange, bis ich einen Anruf von Peter Heller bekam, einem damaligen Abteilungsleiter des Fiscal Affairs Department des IWF. »Robert, ich habe gehört, du bist zurück. Wir hätten einen Posten ausgeschrieben, willst du dich bewerben?« Das tat ich und wurde als »Senior Economist« genommen. Die Hauptaufgabe des IWF ist, finanziellen Beistand zu leisten, wenn ein Land in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Es gab noch einiges zu lösen, bevor ich anfangen konnte: Das Wissenschaftsministerium wollte mich zuerst nicht gleich noch einmal karenzieren. Nach einigem Hin und Her klappte das doch. Außerdem wollte ich diesmal meine Familie mitnehmen, die Vertragsdauer betrug drei Jahre. Am 2. Jänner 1988 ging es für mich los, Chantale und die Kinder übersiedelten im Sommer nach Schulende von Wien nach Washington DC, dort hatte ich ein Haus, nicht zu weit von der deutschen Schule entfernt und nahe der U-Bahn in Bethesda, zur Miete ausfindig gemacht.
Mein erstes Mandat führte mich gemeinsam mit einem akademischen Kollegen aus Holland und dem IWF-Missionsleiter (aus Indien) im Mai 1988 nach Polen, damals noch kommunistisch regiert. Das war kurz vor der Wende, ein Jahr später fanden bereits erstmals freie Wahlen in Polen statt. Das konnte ich mir noch gar nicht vorstellen, weil ich als Europäer so quasi mit dem Eisernen Vorhang aufgewachsen bin. Unser indischer Kollege meinte jedoch, dass für ihn eine Zeitenwende in der Luft liege und Deutschland bald wiedervereinigt werden könnte. »Vielleicht in zehn Jahren. Man merkt schon, dass du Inder bist, du hast keine Ahnung«, war unsere überzeugte - und grundfalsche - Antwort. Es kam bekanntlich anders. Wir blieben drei bis vier Wochen, um das polnische Steuersystem zu analysieren und einen Bericht für das polnische Finanzministerium zu erstellen. Die Polen hatten damals ein anderes ökonomisches Denken und dementsprechende finanzielle Probleme. Kurz nachdem wir das Land verlassen hatten, brachen die ersten großen Streiks unter dem Gewerkschaftsführer Lech Walesa aus.
Beim IWF hatte ich viel mit Entwicklungsländern zu tun. Die nächsten zwei Reisen führten nach Malawi. Das ist ein ostafrikanischer Binnenstaat, ungefähr dreimal so groß wie die Schweiz, zwischen Tansania und Mosambik gelegen. Der bekannte Malawisee ist der drittgrößte des Kontinents und hat eine Fläche, die ungefähr dem Hundertfachen des Neusiedlersees entspricht. Die frühere britische Kolonie hatte seinerzeit vielleicht zehn Millionen Einwohner, heute sind es doppelt so viele. Damals war die demokratische Regierung gerade dabei, eine Steuerreform durchzuführen.
Detail am Rande: Darüber schrieb ich einen Bericht, der meinem US-Missions-Chef zunächst gar nicht gefiel. Darin schilderte ich ausführlich die jüngste Steuerreform und kam dann erst gegen Ende auf das eigentliche Problem und die Schlussfolgerungen. Dieser »europäische« Schreibstil war nicht jener des IWF. Daher schrieb ich alles um, sodass die Schlussfolgerungen und Empfehlungen gleich zu Beginn standen. Das kam viel besser an. Zurück in Washington belegte ich gleich einen IWF-Schreibkurs, um die schriftlichen Präsentationsfähigkeiten zu verbessern.
Malawi hatte den IWF ins Land gerufen, da die Auslandsschulden explodierten und es mit seinem Budget nicht mehr zurechtkam. Üblicherweise wird daraufhin ein Hilfsprogramm aufgesetzt, das aber mit gewissen Auflagen verbunden ist. Den Großteil unserer Zeit verbrachten wir in der Business-City der Hauptstadt Lilongwe, da dort die ganzen Behörden ansässig waren. Sprachprobleme gab es keine, da die zuständigen Politiker aufgrund der Kolonial-Vergangenheit sehr gut Englisch konnten. Die Kommunikation mit der Außenwelt gestaltete sich hingegen schwierig, Internet oder E-Mail gab es damals nicht. Unser Missions-Chef hatte zumindest ein Faxgerät mit.
Obwohl es seither einen ständigen Austausch mit dem IWF gibt, hat sich bis heute nicht viel geändert. Erst vor Kurzem las ich einen Bericht über die wirtschaftlichen Probleme in Malawi - das waren eins zu eins die gleichen wie schon 1988. Gegen Ende meines zweiten Besuchs dort erreichte mich im Hotel doch ein Anruf aus Washington: Ich möge alles fertig machen und zur Übergabe abschließen, rasch zurückkehren und nach ein paar Tagen nach Ungarn weiterreisen. Meine zaghaften Proteste, dass ich bereits lange weg war und meine Familie mich kaum sah, wurden abgewiesen - sehr familienfreundlich waren diese Missionen des IWF nie.
Warum man ausgerechnet mich nach Ungarn beordert hatte, wurde bald klar: Die Politiker dort hatten natürlich gewisse Vorbehalte gegen Amerikaner, immerhin war das Land Teil des Ostblocks. Ein ungarischer Senior Manager im Währungsfonds hatte schon von mir gehört. Dass der IWF ihnen einen Österreicher schickte, verbesserte die Stimmung in den Verhandlungen mit dem kommunistischen Regime. Die wurden von der Regierung gemeinsam mit dem Länder-Department des IWF geführt, das schon länger dort tätig war. Man hatte mich als Experte des Fiskal Affairs Department hinzugezogen. Durch meine Erfahrungen in Polen wusste ich schon ein wenig, wie die Ostblock-Länder tickten. Die Budget-Unterlagen der Ungarn waren so verfasst, dass man mit ihnen analytisch wenig anfangen konnte. Ich habe sie auf eine Art und Weise quasi »übersetzt«, damit wir die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser verstanden. Das Erste, auf das ich gestoßen bin, waren übrigens die Pensionsausgaben. Dieses Thema schien mich irgendwie zu verfolgen.
Es gab zunächst die einfachste Form der Unterstützung für die Ungarn, einen sogenannten »Stand by«-Kredit. Das ist eine kurzfristige finanzielle Hilfe mit Devisen für Länder mit Zahlungsbilanzproblemen. In unserem Team befanden sich viele hervorragende Ökonomen. Einer davon war Mohamed El-Erian, halb Ägypter und halb Amerikaner, von dem ich viel lernte, weil er ein umfangreiches Finanzwissen hatte. Seine Karriere im Anschluss war beachtlich: Er wechselte nach 15 Jahren IWF zur Investmentgesellschaft Pimco, einem der größten Fonds der Welt. Er brachte es dort bis zum CEO, dazwischen war er noch Geschäftsführer der Harvard-Stiftung, die das Vermögen der Elite-Uni verwaltet. Nach seinem Ausscheiden beriet er unter anderem Barack Obama und ist heute Präsident an der Universität Cambridge. Wir sind uns bis heute freundschaftlich verbunden, erst letztes Jahr habe ich ihn besucht.
Ungarn war das erste Ansuchen eines Ostblock-Staates, der sich Geld ausleihen musste. Man stand kurz vor dem Staatsbankrott, das Wasser stand ihnen bis zum Hals (in Polen ging es davor nur um technische Assistenzleistungen). Das war schon eine große Herausforderung, ich musste dort viel Zeit verbringen. Die ungarischen Banken hatten eine spezielle Struktur, es gab viele staatliche und halbstaatliche Institutionen. Das alles war nicht vergleichbar mit westlichen Standards. Dazu kamen massive Budgetprobleme. Ich kam schließlich mit nahezu detektivischem Spürsinn darauf, dass die Zinszahlungen, die der Staat angegeben hatte, mit der Höhe der offiziellen Schulden nicht zusammenpassten. Schließlich musste die Regierung zugeben, dass sie uns bei diesem Punkt belogen hatte und wesentlich höhere Auslandsschulden vorhanden waren.
Neben der Stand-by-Mission hatte ich eine erstmalige »Technische-Assistenz-Mission« initiiert, welche sich mit den Sozialausgaben (vor allem Pensionen, Krankenversicherung und Familienförderung) beschäftigte. Es war die Erste dieser Art im IWF und sehr erfolgreich in der Analyse, aber weniger in der Beeinflussung der Reformentscheidungen. Sie diente aber als Blaupause für künftige Missionen dieser Art. Die Verhandlungen zogen sich dann in die Länge. Erst etwas später erhielt Ungarn Kredite des IWF und der Weltbank, um wirtschaftlich überleben zu können. Im September 1989, als die Wende begann und die Grenzen zu Österreich aufgingen, wurde ich nach Washington zurückbeordert und übergab die ungarischen Agenden an einen Kollegen. Man wollte nämlich, dass ich mich wieder um Polen kümmerte.
Von September bis Weihnachten blieb ich fast durchgehend in Warschau, lediglich Thanksgiving konnten wir mit meinen amerikanischen Cousinen und der Familie in deren Ferienhaus in Vermont feiern (und dort nach einem internen American-Football-Spiel die örtliche Notambulanz bevölkern). Meine Frau, die mich zu dieser Zeit sehr wenig gesehen hatte, drohte meinem Chef Peter Heller schon mit einer »Bombe«, wenn ich nicht bald wieder auftauchte. Wir hatten Ende Dezember gemeinsam mit Freunden einen Urlaub in der Karibik geplant, den wollten wir nicht ins Wasser fallen lassen. Die drei Monate in Warschau waren aber sehr intensiv. Es gab eine Hyperinflation und die Frage war, ob die Maßnahmen reichen würden, einen Budgetüberschuss zu...
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