Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Sommerfrische in Bayern, 1918. Die Familie Thomas Mann hat ein Haus am Tegernsee gemietet. Es sollen unbeschwerte Monate werden - doch die Welt verändert sich dramatisch, und auch der Schriftsteller wird bald ein anderer sein.
Die Kinder schwimmen und angeln Rotaugen, der Vater rudert, geht spazieren und besteigt erstmals einen Berg, die Mutter kümmert sich um das neue Baby, und Bauschan, der Hund, döst im Schatten, während ihn Thomas Mann gerade zum Helden seiner Erzählung »Herr und Hund« macht.
Ein Idyll, doch den Schriftsteller plagen Sorgen. Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg steht bevor, Revolution liegt in der Luft, und mit seinem antidemokratischen Manifest »Betrachtungen eines Unpolitischen« sitzt Thomas Mann historisch auf dem falschen Dampfer. Mit seinem Bruder Heinrich hat er sich deswegen überworfen, für die Arbeit am nächsten großen Werk »Der Zauberberg« fehlt ihm die Kraft, und dann fällt ihm auch noch ein Zahn heraus.
Kerstin Holzer schreibt mit Wärme und Humor über einen ganz besonderen Sommer im Leben des Literatur-Nobelpreisträgers, über dessen Ängste und Sehnsüchte. Eine federleichte Geschichte über den Mut zur Veränderung und die Kraft der Liebe.
Ein Idyll! Danach hat er sich gesehnt in diesem Sommer, das hat er gebraucht nach vier Jahren Krieg. Dem Krieg der Deutschen gegen die Welt, dem Krieg gegen den Bruder, dem Krieg gegen sich selbst.
Angekommen am Tegernsee sind sie am 15. Juli 1918. Aber schon der Aufbruch von Thomas Mann und den Seinen aus München war natürlich wieder: ein unglaubliches Chaos.
Kein Wunder bei der Größe dieses Schriftstellerhaushalts von Vater und Mutter, fünf Kindern zwischen zwölf Jahren und drei Monaten, einer Köchin, einem Haus- und einem Kindermädchen, einem nicht kleinen Hund und einem Gepäckgebirge von Bettwäsche, Garderobe, Büchern. Vor lauter »Abreise-Hetz« war Katia Mann, wie ihre Mutter Hedwig Pringsheim beim Abschiedsbesuch feststellen musste, schon »halb verrückt«.
Eines der fünf Kinder ist ja immer krank, diesmal war es die achtjährige Monika. Wegen ihrer hartnäckigen »Spanischen Krankheit«, womöglich auch nur eine Sommergrippe statt der seit Frühjahr 1918 weltweit wütenden Influenza, war ein Großteil der Familie von Thomas Mann in München festgehalten worden. Nur die älteste Tochter Erika und das »Fräulein« reisten zum geplanten Zeitpunkt mit der Eisenbahn voraus, im Schlepptau das Gepäck.
Der zwölfjährigen Großen konnte man die verantwortungsvolle Aufgabe, das Ferienhaus vorzubereiten und dort ein paar Tage auf den Rest der Familie zu warten, durchaus zutrauen, fand man. Hatte sich »die Eri« in den Kriegsjahren nicht als nervenstark und patent erwiesen? Einmal hatte sie nach der Schule Eltern und Geschwister verstört vor dem Mittagessen sitzend vorgefunden, einer ungenießbaren Pilzsuppe. Erika kostete, salzte kräftig nach, schon war das Kriegsessen essbar. »Die Eri muss die Suppe salzen!«, ruft ihr Vater seitdem, sobald sich eine knifflige Situation auftut.
Nun ist es also vorausgefahren, dieses zähe, schmale Mädchen mit den entschlossenen dunklen Augen, und mit vier Tagen Verspätung standen ebenfalls auf dem Bahnsteig: Familienoberhaupt Thomas, seine mittlerweile sehr erholungsreife Gattin Katia mit Elisabeth, dem heiteren, knapp drei Monate alten Baby auf dem Arm, die elf- und neunjährigen Buben Klaus und Golo, der eine keck, der andere scheu, die frisch genesene Moni, außerdem Hauspersonal, Hund, Handgepäck. »Manns endlich nach Tegernsee«, notierte Großmutter Hedwig Pringsheim kopfschüttelnd in ihrem Tagebuch, »unter peinlichsten Umständen«.
Wie von Thomas Mann, jeglicher Unruhe abgeneigt, befürchtet, war die Reise mit der Eisenbahn zweiter Klasse »höllisch«; ihm hatte ja schon im Vorfeld davor gegraut, während der knapp dreistündigen Fahrt ins bayerische Voralpenland womöglich »stehen zu müssen«.
Am Bahnhof Tegernsee endete die Reise keineswegs: Weiter ging es mit dem Motorboot »Quirinus« hinüber ans gegenüberliegende Seeufer, Richtung Wiessee, zum Bauerndorf Abwinkl. Das eigentliche Ziel ist ein abgeschiedenes Haus am Ufer einer Bucht auf der Südwestseite des Tegernsees, Ringsee genannt. Es liegt von der Anlegestelle Abwinkl immer noch eine Ruderboot-, Kutschfahrt oder einen strammen Fußmarsch entfernt.
Sei's drum. Nun sind sie endlich da. In der Sommerfrische.
Und wo könnte sie schöner sein als hier? »Dies hier ist wirklich ein reizender Punkt«, schreibt Mann erfreut kurz nach der Ankunft an seinen Vertrauten, den Germanisten Ernst Bertram, »ich fand mich nicht enttäuscht.«
Dieses Fleckchen bayerischer Erde, es ist wirklich ein Idyll. Wenn Thomas Mann auf der Terrasse seiner Ferienvilla steht, die auf einer kleinen Anhöhe thront, blickt er über eine saftig grüne Wiese mit Löwenzahn und Gänseblümchen, über Fliederbüsche, Apfelbäume und einen kleinen Wald, der den abschüssigen und malerisch verwilderten Garten rechts begrenzt, dahinter erhebt sich ein Berg. Nach Süden sieht er weit in die Alpen, und gleich unten am Hang wartet die eigentliche Sensation: Der Tegernsee leuchtet. Zum Anwesen gehören ein schmaler, kiesgesäumter Badestrand (»Lido« nennt Thomas Mann ihn, das klingt mondäner) und ein Steg, ein kleines Bootshaus und ein Ruderboot. Ein eigenes Ruderboot! Die Kinder sind selig.
Für zwei lange Ferienmonate, von Mitte Juli bis Mitte September, hat die Familie Mann die »Villa Defregger« direkt am Ufer des Sees gemietet. Mehrere Jahre hatte sie ein Landhaus in der Nähe besessen, in Bad Tölz, dieses aber 1917 verkauft und den Erlös auf alleinigen Wunsch des patriotischen Schriftstellers, ach je, in Kriegsanleihen gesteckt.
Das gemietete Anwesen am Tegernsee ist ein dreigeschossiger Bau, mit Walmdach, weißen Sprossenfenstern und blumengeschmückten Balkonen herrschaftlich anmutend. Er gehört dem im Felde befindlichen Sohn des Malers Defregger, man kennt sich aus der besten Münchener Gesellschaft. Auch mit dem fünfzig Kilometer südlich von München gelegenen Tegernsee und den ihn umrahmenden Bergen ist man vertraut, zumindest Katia, geborene Pringsheim. Sie hat als Mädchen mit ihrer Familie dort regelmäßig die Ferien verbracht und ihre Mutter, Hedwig Pringsheim, bereits im April nach Abwinkl geschickt, um die Defregger-Villa »zu inspiciren«.
Als Millionärin und stilsichere Eigentümerin eines mit Gobelin-Teppichen und Lenbach-Gemälden eingerichteten Neorenaissance-Palastes in der Münchener Arcisstraße hatte Frau Pringsheim befunden, die ländliche Ferienresidenz sei »bezaubernd gelegen« und lasse sich »wol gut für die Mann'schen Bedürfnisse einteilen«. Soll heißen: Das Anwesen ist nicht nur komfortabel und geschmackvoll möbliert (sogar im Treppenhaus hängen hübsche Stiche), es bietet auch viel Platz und für den Schwiegersohn ein eigenes Schlaf- und Arbeitszimmer, dessen Tür sich entschieden schließen lässt. Das ist wichtig, denn der »Schwieger-Tommy« ist ruhebedürftig, delikat und überhaupt »ein rechter Pimperling«, wie ihn seine spöttische Schwiegermutter heimlich nennt.
In diesem Sommer hat sich seine Empfindlichkeit aufs Äußerste gesteigert. Denn Thomas Mann, gerade 43 Jahre alt, berühmter Autor des Sensationserfolgs »Buddenbrooks«, Verfasser aufsehenerregender Novellen wie »Tonio Kröger« und »Tod in Venedig«, steckt in einer handfesten Krise.
Zu den kleineren Malaisen gehört, dass er in den ersten Tagen am Tegernsee nur schwer in den Erholungsmodus findet. Hinderlich sei, klagt er, dass der See ihn irgendwie aufrege, weswegen er schlecht schlafe. »Unwohl« fühlt er sich, »infolge verfrühter körperlicher Anstrengungen (ohne die Akklimatisation abzuwarten)«. Die »körperlichen Anstrengungen« bestehen aus Rudern und aus therapeutischen, die Seele beruhigenden und das Denken fördernden Spaziergängen, zwei Aktivitäten, die er schon als junger Mann für sich entdeckt hat. Ein großer Schwimmer ist er, im Gegensatz zu seiner Frau, jedenfalls nicht.
Dann das Wetter. Mitte Juli herrscht in Bayern erst »blödsinnige Hitze« (Hedwig Pringsheim), dann ziehen schwarze Wolken auf. Sommer in Oberbayern, das heißt eben auch: Kalt kann es werden, saukalt, so dass über dem abendlichen Ringsee, wenn das Wasser wärmer ist als die Außentemperatur von zehn Grad Celsius, weiße, gespensterhafte Schleier liegen. Und regnen kann es wie aus Kübeln. Hier erlebt man nicht nur Kurzgewitter als Abschluss eines heißen Tages, bei denen ein Platzregen herunterbricht, als wäre oben ein Damm gebrochen - und trotzdem ist anderntags herrlicher Sonnenschein. Nein, es gibt auch den berüchtigten Schnürlregen, einen fiesen, dampfigen, minimaldosierten Spielverderber, der einen auf Tage im Haus gefangen hält. Dann kann man schlecht mit dem Hund vor die Tür, das trübt die Laune.
Auch die katastrophale Ernährungslage beschäftigt nun sogar den Familienvater, der mit den praktischen Dingen des Lebens sonst wenig zu tun hat. Die Not ist groß im Hungerjahr 1918. Dünn sind sie geworden, die Manns, die Erwachsenen wie die Kinder. Klaus' und Golos Beine ragen aus ihren zu klein gewordenen Lederhosen wie dürre Stecken. Mit ihren Schwestern klauben sie bei Regenwetter dicke Schnecken von der Wiese, um die karge Verpflegung aufzubessern. Die Weichtiere schmecken zwar nicht besonders, doch der Hunger ist größer als der Widerwille. Thomas Mann wird dieser Fleischersatz allerdings nicht vorgesetzt. Er erhält immer das Beste, was seine patente Frau an Essbarem auftreiben kann, bei Bettelgängen zu den umliegenden Bauernhöfen, den mageren, barfüßigen Nachwuchs mit den hungrigen Augen im Schlepptau. Oft hilft auch eine diskret zugesteckte Goldmünze.
Die kriegsbedingten Verpflegungsschwierigkeiten auf dem Land sind enorm. Die Tegernseer »Seegeist«-Zeitung meldet eine Abgabepflicht für Beeren, deren vitaminreicher Saft Lazarettkranken vorbehalten ist, und empfiehlt Rezepte für Brennnesseln (die jungen, hellgrünen Blätter sind essbar, aus den gröberen wird Nesselstoff gewoben). Fleisch lässt sich auf offiziellem Wege kaum ergattern. Selbst primitiver Weißkohl ist für Familie Mann, die sich auch Schwarzmarktpreise leisten kann, so unverschämt teuer geworden, dass der Vater brieflich darüber schimpft.
Aber derzeit kann Thomas Mann sowieso nicht unbeschwert zubeißen. Seit Tagen quält ihn der Schneidezahn, der linke ist es. Zahnschmerzen! Das fehlte noch.
Seine größte Sorge aber dreht sich um das Vaterland. Genauer: um seine Rolle als Autor, der sich in den letzten Jahren ganz in dessen Dienst gestellt hat. Denn seit die militärische Niederlage der Deutschen im Ersten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.