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BARCELONA
EPT Barcelona. Ende August. Und zum ersten Mal sitze ich an einem Cash-Game-Tisch mit diesen enormen Einsätzen. Ich bin sehr müde, denn ich habe allein heute schon zehn Stunden Poker hinter mir. Aber nicht müde genug, um nicht weitere zehn Stunden durchzuspielen. Klar, ein Marathon oder eine patentreife Erfindung wären jetzt vermutlich nicht mehr drin, aber für ein Cash Game um Hunderttausende Euro muss meine Kondition jetzt funktionieren . Was habe ich noch mal für ein Blatt? Sieben, acht, suited. 'ne Straße ist möglich. Diese hätte ich, wenn die mir ausgeteilten Karten und drei weitere aus den insgesamt fünf Gemeinschaftskarten auf dem Tisch am Ende eine Reihe ergeben. Was gleich im Flop erscheint - das sind die drei ersten Karten, die nach den ersten Einsätzen aufgedeckt werden -, weiß ich noch nicht. Und mit meinen sieben, acht, suited - beides in Karo -, bin ich rein rechnerisch noch nicht im superprofitablen Bereich. Aber je nachdem, wie meine Gegner hier gleich agieren werden, könnte ich damit etwas reißen. Ja, eine Straße könnte ich damit bekommen. Auch wenn mir ein Bett gerade viel lieber wäre.
An Schlaf ist jetzt jedoch nicht zu denken. Beim Cash Game, in dem ich mich gerade befinde, steht verdammt viel auf dem Spiel. Leon, ein nicht unbekannter Name in der Pokerwelt, hat mich hierhin eingeladen, und jetzt sitze ich mit sechs weiteren Leuten am Tisch, die alle bereits länger als ich dabei sind. Drei professionelle Pokerspieler und drei Geschäftsleute mit so einigen Games auf dem Kerbholz. Und ich meine damit nicht den Kioskbesitzer aus der hübschen Seitengasse tief in der Altstadt von Barcelona. Mit mir am Tisch sitzen neben erfahrenen Profis ein Casino-Besitzer und andere Schwergewichte. Es ist erst meine dritte Hand hier an diesem Tisch, an diesem Abend.
Aus der möglichen Straße ganz am Anfang ist nichts geworden, und die Hand darauf war auch fruchtlos. Aber jetzt - das hier sieht besser aus. Sogenannte Pocket Jacks, also ein Bubenpaar, ausgeteilt auf die Hand. Und nur noch Tony G und ich sind im Spiel, alle anderen haben gefoldet, also in dieser Runde hingeschmissen. Die Blinds, das sind die Pflichteinsätze bei jeder Runde, werden im Cash Game im Gegensatz zu den Turnieren nicht regelmäßig erhöht und liegen hier von Beginn an bei 4000 und 8000 Euro, die zwei der Teilnehmer der Reihe nach in jeder Runde bezahlen müssen. Das ist schon nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass der Gesamteinkauf ins Main Event, bei dem man eine Million Euro gewinnen kann, 5300 Euro betrug. Überhaupt sind Cash Games in dieser Größenordnung eine absolute Ausnahme. Ansonsten kosten selbst die sogenannten High Stakes gerade mal 100 und 200 oder maximal 200 und 400 US-Dollar1 pro Blind. Beim Cash Game spielt man im Übrigen immer um die reale Geldmenge, das heißt exakt um die Beträge, die im Eins-zu-eins-Verhältnis als Chips eingesetzt werden. Bei Turnieren wird hingegen für Geld eine bestimmte Menge Chips eingekauft.
Ich erhöhe mit meinen Buben vom sogenannten Cutoff, von der zweitbesten Position am Tisch; an der besten - am Button - sitzt Tony. Ich erhöhe auf 20 000 Euro, Tony G auf 70 000. Ich bin jetzt an der Reihe und habe drei Möglichkeiten: Ich kann callen, also einfach mitgehen und den Flop - die ersten drei der fünf Karten - schon einmal aufdecken lassen, um von da aus neu zu evaluieren und die nächsten Entscheidungen zu treffen. Oder erhöhen, was besonders tricky ist, da ich mich damit in eine schwierig zu navigierende Situation bringen könnte. Oder ich kann aussteigen. Aussteigen kommt nicht infrage, denn jetzt habe ich schon quasi einen Neuwagen eingesetzt, und vor allem ist ein Bubenpaar ein recht ordentliches Blatt, zumindest wenn man es direkt auf die Hand ausgeteilt bekommt. Es ist schwer zu erraten, was Tony gerade hat, aber seine Kartenkonstellation lässt sich ein wenig eingrenzen. Hat er Damen, Könige, Asse? Ass-König? Gegen Ass-König liege ich mit meinem Blatt vor dem Flop in etwa bei einem »Coin Flip«, mein Gegner und ich haben dann also ungefähre Chancengleichheit. Und gegen die anderen drei Hände würde ich nur überleben, wenn ich einen dritten Buben träfe. Dafür liegt die Wahrscheinlichkeit immerhin bei etwa 20 Prozent. Er könnte beispielsweise mit einem Zehnerpärchen oder einfarbigen Sieben-Acht auch eine schwächere Hand als ich haben - das ist speziell bei ihm, da ich sein Spiel kaum kenne, schwer einzuschätzen. Oder ich fahre gegen einen wilden Bluff, was ich aber hier für weniger wahrscheinlich halte. Das erschwert mir die Entscheidung, zu raisen. Aber hey, wer nichts riskiert, der trinkt Tütenwein, oder wie war das noch mal? Noch nie zuvor habe ich an einem Cash Game teilgenommen, in dem es um solch hohe Summen ging, das macht Druck. Ich schiebe meinen Kragen zurecht, meine Gedanken beiseite und erhöhe auf 200 000 Euro.
Das Casino mit der riesigen und seltsamen Metallskulptur auf dem Dach (ich denke dabei immer an einen Fisch), in dem ich gerade spiele, kenne ich bereits. Es ist eine der richtig schönen Poker-Locations. Und im spanischen Spätsommer sowieso. Grandioses Urlaubswetter umhüllt einen an diesem Strand mit angenehm warmer Luft, und wenn man dann von draußen die gleichmäßigen Treppenstufen in den Dungeon hinabsteigt - die Haupthallen des Casinos befinden sich unter der Erde -, wechselt man Klimazonen. Die Luft in den Hallen ist trotz der unglaublichen Menschenmassen richtig gut, die Räume sind hell (insbesondere um den TV-Tisch herum), und überall hängen stilvolle Banner von den hohen Decken. Die gut eineinhalbtausend Poker-Azubis und Pokerpros sorgen mit aufgeregtem Getümmel für eine auditive Atmosphäre, die nur von den Geräuschen der Chip-Shuffler übertönt wird - der Spieler, die ihre wertvollen Plastikplättchen sortieren, jonglieren und fingerfertig herumstapeln. Rhythmisch, hypnotisch und omnipräsent wirkt dieser unverwechselbare Sound auf mich. Ich mag dieses cosy Feeling hier und versuche, es in jeder Situation zu genießen. Grundsätzlich ist es schon so, dass je höher die Einsätze für ein Event ausfallen, desto besser die Casino-Räumlichkeiten ausgestattet sind. Aber ich habe auch schon so einige Ausnahmen gesehen und insbesondere in meiner Anfangszeit in Etablissements mit etwas geringerer Luftdurchsichtigkeitsquote gespielt als hier. Aber damals durfte man ja auch noch überall rauchen.
Ich bin seit Tagen ununterbrochen am Tisch. Am nächsten Vormittag geht es mit Tag drei des Main Events weiter, also des Turniers, das hier in Barcelona alljährlich von der European Poker Tour ausgetragen wird. Die Einsätze dort sind im Vergleich zum Cash-Game-Tisch, an dem ich gerade sitze, oder etwa zu Super High Rollern eher niedrig, doch für ein Turnierevent prestigeträchtig hoch. Mit 5300 Euro kauft man sich dort ein und spielt im Optimalfall über sechs Tage hochkonzentriert bis zu zwölf Stunden täglich, um entweder im Laufe des Turniers rauszufliegen oder im besten Fall am Ende als einer der Sieger eine Million Euro einzukassieren. Weil sich das Turnier über mehrere Tage erstreckt, schleppt man seine Chips, die man als Gegenwert für die Einsatzsumme bekommen hat, von Tag zu Tag mit. Ist man am Ende des jeweiligen Tages noch im Rennen, wirft man seine aktuelle Chipsmenge in einen dafür vorgesehenen Plastiksack und schöpft am nächsten Morgen daraus.
Der Cash-Game-Tisch, an dem ich gerade spiele, befindet sich am Rande des riesigen Hauptraums, unweit der Treppe, die aus der spanischen Urlaubshitze in diesen prachtvollen Money-Dungeon herunterführt. Als das Spiel gestartet ist, war es bereits später Abend, alles ist ruhig. Außer uns ist kaum jemand noch hier, und dennoch ist unser Platz durch rote Samtbänder abgegrenzt, vielleicht auch, um zu signalisieren, dass es hier um etwas geht. An diesem Tisch sind die Lichter gedimmter als beim geräuschvollen Main Event, die Einsätze aber um ein Vielfaches höher. Und nicht nur die Einsätze, denn ich spüre meinen Puls bereits in meinem Unterkiefer.
200 000 Euro habe ich soeben gegen Tony gesetzt und meinen eigenen Chipshaufen damit sichtbar geschrumpft. Um hier überhaupt mitspielen zu können, musste ich mit 800 000 Euro rein, einer Summe, die ich bis vor einigen wenigen Jahren nur von der gefühlten Anzahl meiner gescheiterten Online-Turniere kannte. Diese 800 000 habe ich nicht komplett selbst erbracht, sondern mich - so nennt man es in der Branche - teilweise staken lassen. Es haben also auch andere mit ihrem Geld in mich investiert und mir damit die Möglichkeit offeriert, in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld loszuwerden. Anders, als mich teilweise staken zu lassen, wäre das aktuell kaum möglich, da sich meine Bankroll2 halbieren würde, würde ich hier alles verlieren. Eine solche Halbierung hat schon mit 1000 Euro auf dem Konto sehr wehgetan - wie schlimm würde es sich jetzt mit über einer Million anfühlen? Und dann spüre ich auch noch die Müdigkeit heranrollen, denn ich habe ja bereits zehn Stunden Main Event hinter mir. Und das hat ordentlich Energie verschlungen.
200 000 Euro lege ich also zusätzlich in den Pot und drücke meine beiden Buben eine Nuance fester zusammen als sonst. Und was macht Tony?
Er geht »all...
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