Schweitzer Fachinformationen
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Alle Hotels überfüllt, haben schon das 2te Logis. Herzlich Christian
(Ansichtskarte der Rüdesheimer Winzervereinigung, ohne Datum)
"Kommt, wir gehen oben auf die Brücke! Da kann man besser sehen!"
Eilig verließen vier junge Damen an diesem Sonntagnachmittag im Mai 1902 das Café auf dem Eiskellerberg direkt neben der Kunstakademie, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Ein leichter Wind wehte, aber wenigstens schien die Sonne, worüber man froh und dankbar sein konnte, denn in der letzten Zeit hatte es fast nur geregnet. Alle vier trugen weiße Kleider mit schlanker Taille und hochgeschlossenem Spitzenkragen, dazu passende große Hüte, verziert mit bunten Bändern und Blumen. Weil sie es eilig hatten, hielt jede mit einer Hand ihren Hut fest, während sie mit der anderen ein wenig durch die Luft ruderte, um beim Laufen bergab nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
"Nicht so schnell! Mein Gott, diese Jugend! Ümmer in Hast und Eile."
Eine ganz in dunkles Bordeauxrot gekleidete ältere Frau, der man manchmal noch anhörte, dass sie in Berlin aufgewachsen war, versuchte mit ihnen Schritt zu halten. In ihrem Bemühen warf sie die Arme ein wenig in die Höhe, während sie ihnen mit kurzen, schnellen Schritten über den Kiesweg folgte, vorbei an den voll besetzten Tischen der beiden großen Terrassen. Amüsierte Blicke - Herren zwirbelten Schnurrbärte, Damen hoben Augenbrauen - folgten der Gruppe bis hinunter auf die Alleestraße. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die ältere Dame die jüngeren wie eine Schar Gänse vor sich her scheuchte.
Sie war unschwer als Anstandsdame zu erkennen, ohne die sich kein Mädchen ab einem gewissen Alter auf den Straßen oder in Cafés bewegen durfte. Allzu leicht geriet es in den Ruf, liederlich, ja sogar lasterhaft zu sein, mithin ein Fall für die Sittenpolizei. Da es sich bei diesen jungen Damen jedoch um die Töchter wohlbekannter Düsseldorfer Familien handelte, hätte natürlich kein Polizeisergeant im Traum daran gedacht, ihnen Schwierigkeiten zu bereiten. Aber es schickte sich trotzdem nicht. Und so war "Tante Hedwig" eine Institution und bei jedem Ausflug dabei. Ihre Schützlinge allerdings allein deshalb für Gänse zu halten - nun, dieser Fehler war für jeden fatal, der ihn machte.
Sie passierten die Bendemannstraße, liefen durch den kleinen Park, der anstelle des zugeschütteten Sicherheitshafens entstanden war, und nahmen schließlich einen der Spazierwege die Brückenrampe hinauf. Oben blieben sie lachend und nach Luft schnappend einen Moment stehen, denn Tante Hedwig war inzwischen doch ein ganzes Stück zurückgefallen. Auf der anderen Seite konnte man am Fuß der Rampe das hohe Gittertor der Ausstellung erkennen. Menschen strömten hinein, wurden abgefangen und energisch zum Kassenhaus gewiesen, wo prompt Rangeleien entstanden.
Die jungen Damen oben auf der Brückenrampe warteten, bis der Wagen der Elektrischen aus Oberkassel vorbeigerasselt war, überquerten die Straße und blieben am schmiedeeisernen Brückengeländer stehen, um dem Trubel zuzuschauen.
"Papa sagt, sie hätten die Schranke am Eingang vergessen", lachte Johanna. "Mit einer Schranke müsste man einzeln hintereinander hergehen. Jetzt stürmen alle auf einmal hinein und streiten sich, wer zuerst da war, um Eintrittskarten zu kaufen."
Johannas Vater, Eduard Korn, war Zeitungsredakteur. Seit am 1. Mai die große Industrie-, Gewerbe- und Kunst-Ausstellung Düsseldorf 1902 eröffnet worden war, hatte er kaum einen Tag Ruhe gehabt. Täglich berichtete er über alles Wissenswerte oder Kuriose und war insgesamt bestens informiert.
"Wir haben Dauerkarten." Bertha seufzte unglücklich.
"Ja, wir auch!", rief Ilse. "Ist das nicht furchtbar praktisch? Man kann einfach hineingehen."
"Das ist nicht furchtbar praktisch, das ist furchtbar öde", maulte Bertha. "Es ist eine Dauerkarte, also meint Papa, man muss auch dauernd hingehen. Ich bitte euch! Maschinen, Kanonen, Automobile." Sie verdrehte die Augen. "Wie langweilig!"
Gertrud lächelte geheimnisvoll. "Ich sage nur: Halle II, Gruppe 11, 12 und 13."
"Was ist da?", wollte Bertha wissen. "Bergwerke? Eisenbahnen? Bitte nicht."
"Textil- und Bekleidungsindustrie, Galanterie und Kurzwaren, alles, was das Herz begehrt", schwärmte Gertrud. "Und Schuhe! Kinder, ich sage euch, so viele Schuhe habt ihr noch nie auf einmal gesehen."
"Ach was", schnaufte Tante Hedwig. Sie hatte die vier inzwischen eingeholt und den letzten Satz aufgeschnappt. "Firlefanz und Flausen!" Sie stützte sich auf das Brückengeländer und holte noch einmal tief Luft. "Diese Ausstellung soll lehrreich sein. Mit ihr wird nach dem Höchsten gestrebt, was man erreichen kann. Das hat der Geheime Kommerzienrat Lueg in seiner Eröffnungsrede gesagt." Und nach einem erstaunten Blick der jungen Damen fügte sie hinzu: "So stand es zumindest in der Zeitung."
Die Eröffnung der Ausstellung war geladenen Gästen vorbehalten gewesen, schließlich war sogar der Kronprinz anwesend gewesen, den alle gerne gesehen hätten. Da half nur eine Auswahl. Tante Hedwig und ihre Schützlinge hatten nicht dazugehört. Aber sie hatten sich damit getröstet, dass das Wetter ja ohnedies allzu fürchterlich gewesen war. Wem hätte es da schon Vergnügen bereitet, im strömenden Regen mitanzusehen, wie der Kronprinz die Ehrenkompanie abschritt, und sich danach im Matsch der neu angelegten Wege die Kleidung zu ruinieren?
"Ich finde die Textilindustrie sehr lehrreich." Gertrud nickte ernsthaft und sah ein bisschen so aus wie kurz vor Ostern, als sie alle noch in die zehnte Schulklasse gegangen waren, die Abschlussklasse. Aber das war jetzt zum Glück vorbei.
"Ja, und erst die Kurzwaren", sagte Ilse. "Die sind das Höchste! Ein wenig Spitze, ein wenig Litze ."
Tante Hedwig schaute sie vorwurfsvoll an. "Putzsüchtig. So nennt man das. Das leert den Geldbeutel eurer Väter und bringt sie früh ins Grab."
Johanna lachte übermütig auf. "Niemals. Es hilft dabei, ein altes Kleid wie neu auszustaffieren. Das spart doch sogar Geld, oder nicht, Tante Hedwig? Dann muss Papa mir kein neues kaufen. Das wäre nämlich viel teurer. Oder?"
"Firlefanz und Flausen", sagte Tante Hedwig noch einmal streng. Ihr wollte einfach keine Erwiderung einfallen. Mit Johanna passierte ihr das immer wieder. Sie war so ein kluges Mädchen. Tante Hedwig warf ihrer einzigen Nichte einen liebevollen Blick zu. Viel zu schade für ihr vorgezeichnetes Leben als Hausfrau und Mutter. Es war ein Jammer, dass sie kein Junge war. Aber diese Meinung behielt sie lieber für sich. Weibliche Wesen waren entweder verheiratet oder wurden alte Jungfern, so wie sie. Das war ehernes Gesetz. Tante Hedwig seufzte.
"Und wo ist nun Halle II?", hakte Bertha nach. "Die finde ich ja nie. Es sind einfach zu viele Gebäude."
"Ach, das ist doch ganz leicht", rief Johanna, "kommt mit, weiter nach oben auf die Brücke."
Sie liefen die Rampe hinauf und kamen einem der beiden riesigen Brückenpfeiler immer näher, die fast so aussahen wie Stadttore. Kutschen und Leute mit Handkarren auf dem Fahrweg hielten beim Schaffner an und bezahlten die Maut. Aus dem Kassenhäuschen im Brückenpfeiler schaute der Kopf einer Frau heraus, die Pfeile auf dem Schild neben ihr wiesen genau auf sie: Fussgänger, hier Scheine lösen.
"Wir müssen Brückenscheine kaufen", flüsterte Ilse.
"Aber wir wollen doch gar nicht über die Brücke", entrüstete sich Bertha.
"Eben." Johanna ging auf die Frau im Kassenhäuschen zu und sprach mit ihr. Die anderen blieben stehen und beobachteten gespannt, was passieren würde. Endlich nickte die Frau. Johanna kam strahlend zurück.
"Nicht weiter als bis zum Brückenpfeiler, sagt sie. Aber das reicht uns ja."
So dicht beim Pfeiler wie möglich stellten sie sich ans Geländer. Von hier hatten sie in Richtung Norden die Ausstellung auf ganzer Länge im Blick. Gleich vorne die Rotunde mit dem großen Panoramagemälde Blüchers Rheinübergang bei Caub, 1814, dann weiter zum Rhein hin der riesige Pavillon von Krupp, die "Kanonenburg", sogar ausgestattet mit einem funktionsfähigen Gefechtsmast. Gleich dahinter stand die Halle des Bochumer Vereins für Bergbau und Guss-Stahl mit ihrem Uhrenturm. Überall riesige Gebäude, Türme und Türmchen, verzierte Kuppeln. Und...
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