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Commissar Jakob Hartenfels eilte mit gemischten Gefühlen zum Polizeibureau im Rathaus. Es war kaum ein halbes Jahr her, dass er in der Polizeihierarchie aufgestiegen war. Heinrich von Borcke, Präfekt des Departements Rhein, hatte ihn zum Commissar für das Arrondissement Düsseldorf ernannt. Jakob war zwar noch recht jung für einen Commissar, brachte aber die richtigen Eigenschaften mit, die ein neuer Zeitgeist inzwischen verlangte. Stockhiebe und Daumenschrauben galten zunehmend als unangemessene polizeiliche Maßnahme bei Verhören von Straftätern. Was nicht hieß, dass es sie nicht mehr gab, nur begann man wenigstens, darüber nachzudenken. Jakob war von Natur aus freundlich und ging verständnisvoll mit anderen um. Für ihn waren Menschen keine mechanischen Puppen, sondern vielschichtige Wesen mit Gefühlen und Befindlichkeiten, die man respektieren musste. Zumindest sollte man versuchen, sie zu verstehen. Seine Arbeit als Commissar gestattete ihm einen Einblick in die unterschiedlichsten Seelen, und darin lag sein eigentliches Interesse. Jeder Mensch war ein Individuum, ein unteilbares Ganzes, und in den Tiefen seines Innern verbarg sich Unbekanntes, oft auch Unheimliches. Manchmal trat dieses Unheimliche für andere sichtbar zu Tage, und dann waren Jakobs Fähigkeiten gefragt, denn dann war zumeist ein Verbrechen geschehen.
Seit einem Jahr wurde der gesamte Polizeiapparat im Großherzogtum an französische Verhältnisse angepasst. Als Commissar war er für die schweren Verbrechen zuständig und zusätzlich für Straftaten, mit denen die städtische Polizei überfordert war. Dadurch saß er mit seiner Arbeit zwischen zwei Stühlen, und genau deshalb hatte er sich unbeliebt gemacht. Der Wachtmeister und seine Polizeidiener sahen nicht ein, warum sein Amt überhaupt existierte. Sie fanden, dass er sich nur einmischte. Von Anfang an hatten sie sich ihm gegenüber unfreundlich verhalten. Bisher waren sie in allen Fällen ja auch sehr gut allein zurechtgekommen. Jetzt stand jedoch die Polizei sozusagen selbst unter Beobachtung. Sie war nicht mehr einem weit entfernten Kurfürsten unterstellt, sondern Personen direkt in der Stadt, nämlich dem Maire. So musste man jetzt zum Bürgermeister Freiherr von Pfeil sagen. Die nächsthöheren Instanzen waren der Präfekt von Borcke und der Innen-, Polizei- und Kriegsminister des Großherzogtums, Graf von Nesselrode-Reichenstein. Und gerade Letzterer hatte an diesem Morgen bei Bürgermeister von Pfeil für Aufregung gesorgt. Das hatte den Bürgermeister dazu bewogen, die Aufregung gleich an »den neuen jungen Commissar« weiterzugeben. Er hatte Jakob also damit beauftragt, die Polizeiwache von den dringenden Neuigkeiten des Innenministers in Kenntnis zu setzen - wohl wissend, was seine Männer davon halten würden.
Nun stand Jakob vor der Tür zur Wache und ärgerte sich, dass er sich von der Nervosität des Bürgermeisters hatte anstecken lassen. Das konnte er jetzt gar nicht brauchen. Dabei waren Aufregungen aller Art hier im Augenblick nichts Besonderes. Er fasste die Dinge gern in deutliche Worte, und die Situation war einfach zu beschreiben: Düsseldorf stand kopf. Kaiser Napoleon wollte auf seiner Reise durch das Großherzogtum Berg natürlich auch die Residenz besuchen, nur wusste niemand genau, wann. Letzten Gerüchten zufolge hielt er sich immer noch in Holland auf, obwohl sein Besuch zwischen dem 15. und 20. Oktober avisiert und damit eigentlich schon überfällig war. Die besten Köche der Stadt hatten den Eiskellerberg geplündert, um Zutaten und teilweise bereits hergestellte Speisen kühl lagern zu können. Handwerker und Dekorationsmaler hatten alles stehen und liegen lassen, um den Jägerhof für die erlauchten Gäste bewohnbar zu machen und außerdem zwei Säle der inzwischen leer stehenden kurfürstlichen Gemäldegalerie am Burgplatz für den geplanten großen Ball herzurichten. Schauspieler, Sänger und Musiker litten an permanentem Lampenfieber. Hoteliers mussten mehr Gäste unterbringen, als ihnen möglich war, und Lösungen dafür finden. Bürger, die trotz der Einquartierungen französischer Soldaten noch ein Zimmer übrighatten, waren nur zu gerne bereit, gegen entsprechendes Entgelt schaulustige Fremde zu beherbergen. Kurz, die gesamte Stadt hatte sich in einen Bienenkorb verwandelt. Und von allen Kräften der Polizei erwartete man, dass sie in dem Durcheinander den Überblick behielten. Jakob Hartenfels holte tief Luft und straffte den Rücken. Dann öffnete er die Tür zur Höhle des Löwen.
»Mösjö le Commissaire! Welche Ehre!«
Wachtmeister Overheid grinste maliziös auf ihn herunter. Er besaß eine imposante Gestalt und war sich seiner einschüchternden Wirkung auf andere wohl bewusst. In seinem Beruf kam sie ihm auch zugute. Jakob hatte ihn jedoch beobachtet und gemerkt, wie gerne er mit der Verunsicherung anderer spielte, nur um zu sehen, wie sie reagierten. Er brauchte diese kleinen Scharmützel. Jakob war mittlerweile sicher, dass man von Overheid nur respektiert wurde, wenn man sich eben nicht einschüchtern ließ.
»Ihnen auch einen guten Morgen!«, antwortete er ruhig und versuchte, so freundlich wie möglich zu bleiben. »Ich komme im Auftrag des Bürgermeisters und muss mit Ihnen und Ihren Polizeidienern sprechen. Es hat mit dem Besuch Napoleons zu tun. Es ist dringend.«
»Und warum informiert uns der Bürgermeister nicht selbst?«, fragte Overheid pikiert. »Immerhin geht es um seine Leute. Aber wenn es denn sein muss, bitte schön! - Männer!«, donnerte er in den Raum. »Der Herr Commissar hat euch etwas mitzuteilen. Also hört zu!«
Die Reaktion war so, wie Jakob sie erwartet hatte. Gleichgültig.
»Will er sich endlich verabschieden?«, fragte Polizeidiener Finck zur allgemeinen Erheiterung.
Jetzt wurde Overheid doch ungehalten, schließlich hatte man seinen Anordnungen Folge zu leisten. Er reckte sich zu seiner vollen Größe empor, stützte die Hände in die Seiten und zog seine buschigen Augenbrauen drohend zusammen. Jakob betrachtete ihn fasziniert. Es wirkte tatsächlich. Die Polizeidiener schwiegen auf der Stelle und schauten Jakob aufmerksam an. Mit einer auffordernden Handbewegung erteilte Overheid ihm das Wort.
»Ich habe Neuigkeiten vom Innenminister in puncto des kaiserlichen Besuchs in Düsseldorf für Sie«, begann er. »Sie wissen alle, dass es nicht wenige Unzufriedene in unserem Großherzogtum gibt, die mit den Änderungen durch die französische Politik nicht einverstanden sind und damit für Unruhe sorgen. Ich nenne nur die hohen Zölle und das Verbot von Handelswaren aus England.«
Von einigen Männern war aufgebrachtes Murmeln zu hören.
»Das kann man ja auch verstehen«, rief Polizeidiener Peters. »Das Brot ist dreimal so teuer geworden wegen der hohen Zölle. Ist doch alles französisch jetzt, drüben auf der anderen Rheinseite. Da kommt aber unser Getreide schon immer her!«
Seine Kollegen gaben ihm lautstark recht.
Jakob hob die Hand, damit wieder Ruhe einkehrte. »Das ist richtig, aber im Moment nicht das Problem der Polizeikräfte. Wir müssen uns um Folgendes kümmern: Beim Besuch Seiner Majestät des Kaisers gilt möglichen Unruhestiftern besonderes Augenmerk. Das ist schwierig, weil schon jetzt zu viele Menschen in der Stadt sind, die wir nicht kennen und daher nicht einschätzen können. Aus diesem Grund hat Seine Exzellenz der Innenminister heute Morgen persönlich ein Dekret vom Präfekten des Rhein-Départements an uns weitergegeben. Demnach muss nunmehr für jeden Fremden in der Stadt eine Sicherheitskarte ausgestellt werden. Diese hat der Fremde immer bei sich zu tragen und Ihnen bei Aufforderung zu zeigen. Wenn ein Fremder keine Karte besitzt, wird er umgehend zur Anzeige gebracht und überprüft. Bei Befinden der Unbedenklichkeit wird ihm eine Karte ausgestellt, ansonsten bleibt er für die Zeit des kaiserlichen Besuchs in Haft. Dieses Dekret gilt vorerst bis zum 1. November. Je nachdem, wann Napoleon kommt, wird eine Verlängerung nötig. Haben Sie dazu Fragen?«
Polizeidiener Bruck meldete sich zu Wort. »Wer stellt die Karten aus?«
»Grundsätzlich obliegt dies der Polizei«, antwortete Jakob. »Die Organisation liegt bei Wachtmeister Overheid.«
»Wir können das machen«, rief Klöckner, »Deyter und ich.«
Jakob schaute den Wachtmeister fragend an.
»Warum nicht! Ihr beiden übernehmt das«, nickte Overheid.
»Und noch etwas«, fuhr Jakob fort. »Die Sicherheitskarte bekommt keinen Stempel und ist deshalb unentgeltlich. Sie gilt nur im Zusammenhang mit einem Pass nach den Richtlinien von 1809. Sie müssen sich also den Pass einer Person zeigen lassen, bevor Sie eine Karte ausstellen. Sind Ihnen die französischen Formulierungen in Pässen...
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