Schweitzer Fachinformationen
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1Zum ersten Mal seit Mai 1945 führte Norwegen Krieg. Die NATO hatte mit ihren Drohungen ernst gemacht, Slobodan Milosevics serbische Truppen sollten mit Gewalt aus dem Kosovo vertrieben werden. Die ethnische Säuberung, die sicher mehrere Tausend kosovo-albanische Leben gefordert und eine Viertelmillion Menschen heimatlos gemacht hatte, sollte beendet werden. Und Norwegen beteiligte sich an den Angriffen.
Es war nicht zu glauben. Es war die Nacht zum Sonntag, dem 28. März 1999, und Evald Bromo sah nirgendwo Anzeichen von ungewöhnlicher Unruhe. Er wanderte durch Oslos Straßen und trug in einer Tüte unter seinem Arm ein kleines Paket von an die fünfzehn mal fünfzehn Zentimetern.
Einige Rempeleien vor dem Eingang des Lokals Stortorvets Gjæstgiveri waren alles, was mit Gewalttätigkeit Ähnlichkeit hatte. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen, denen der Krieg offenbar egal war. Alle waren mit sich beschäftigt oder wollten noch schnell irgendein Lokal aufsuchen, ehe nichts mehr ausgeschenkt wurde.
Er hatte das Paket noch nicht geöffnet.
Der Inhalt konnte ja auch ganz harmlos sein.
Aber zugleich war er sich ganz sicher: Das Päckchen stammte von Pokerface, dem E-Mail-Terroristen. Wieso er das wusste, war ihm nicht klar. Es lag vielleicht an der neutralen Schrift. An dem graubraunen, nichtssagenden Papier. Daran, wie die Briefmarke in der Ecke aufgeklebt war - rechtwinklig und in genau derselben Entfernung zum oberen und zum seitlichen Rand des Umschlags; das alles verriet ihm, dass sich der Absender wirklich Mühe gegeben hatte. Aber seinen Namen hatte er nicht dazugeschrieben.
Es musste Pokerface sein.
Solange er das Päckchen nicht öffnete, konnte er auf einen harmlosen Inhalt hoffen. Auf Reklame. Die neutrale Verpackung sollte ihn vielleicht einfach veranlassen, es aufzumachen, statt es in den Abfall zu werfen, wo alle anderen grellbunten Sendungen landeten, ungeöffnet und ungelesen.
Ein schwarzes Taxi mit zwei dunkelhaarigen jungen Männern fuhr auf Grensen langsam vor ihm her. Er ging schneller, um sein fehlendes Interesse zu bekunden. Eine junge Frau musterte ihn, als ihm das Päckchen hinfiel und er sich blitzschnell danach bückte. Er erwiderte ihren Blick nicht, sondern zog seine Jacke fester um sich zusammen, starrte zu Boden und trabte weiter.
Bei Aftenposten war zu viel los, obwohl es doch die Nacht zum Sonntag war. Das lag natürlich an der Kosovo-Krise. Überall waren Leute. Früher an diesem Tag hatte er einen Artikel über die Folgen des Krieges auf die Börsen der Welt verfasst. Es war ein nachlässiger, oberflächlicher Artikel geworden, und der Redaktionschef hatte leicht mit dem Kopf geschüttelt, als er ihm mitgeteilt hatte, der Text sei unbrauchbar.
Dieser verdammte Krieg!
Evald Bromo verließ die Redaktion, zehn Minuten nachdem er dort eingetroffen war. Er hatte das Päckchen in seinem Büro in Ruhe und Frieden öffnen wollen. Aber Ruhe und Frieden waren dort nicht zu finden.
Er könnte sich ein Lokal suchen. Eine Kneipe, wo er sich in eine stille Ecke setzen konnte.
Solche Kneipen gab es nicht. Erst recht nicht samstagnachts um zwei Uhr.
Ziellos ging er durch die Akersgate.
Blassgrünes Licht leuchtete aus dem oberen Stock des Regierungsgebäudes. Justizministerin und Ministerpräsident waren offenbar noch bei der Arbeit.
Dieser verdammte Scheißkrieg.
Evald Bromo bog hinter der Abfahrt zum Ibsen-Tunnel nach rechts. Als er an der Bibliothek vorbeikam, konnte er nicht mehr. Sein Puls schlug beunruhigend schnell, obwohl er nicht gelaufen war. Im Gegenteil, seit er die Zeitung verlassen hatte, war er immer langsamer geworden. Ohne einen wirklichen Entschluss zu fassen, setzte er sich auf die Steintreppe. Die Kälte jagte seinen Rücken hoch, und er fröstelte. Dann riss er das Päckchen auf.
Es enthielt eine CD.
Musik?
Evald Bromo war ungeheuer erleichtert. Es war wie ein Rausch, sein Kopf fühlte sich leicht und warm an, sein Blick trübte sich, er atmete flach. Jemand hatte ihm eine CD geschickt. Das Cover war zwar ganz weiß, doch als er es öffnete, sah er eine ganz normale CD. So, wie er es erwartet hatte.
Und ein zusammengefaltetes Stück Papier.
Er hielt es einige Sekunden lang in der Hand, dann faltete er es langsam auseinander. Es war übersät von winzigen Buchstaben. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, die dicht beschriebenen Zeilen zu entziffern.
Als er den langen Brief zweimal gelesen hatte, faltete er ihn langsam zusammen. Es fiel ihm nicht leicht, ihn dann wieder im engen Cover zu verstauen, aber endlich klappte es doch. Mehr als eine halbe Stunde saß er dann noch auf der Treppe der alten Osloer Zentralbücherei. Er war allein. Er wurde in Ruhe gelassen. Auch vier junge Männer von vielleicht zwanzig würdigten ihn nur eines kurzen Blickes und einiger frecher Sprüche, als sie grölend vorübertorkelten. Evald Bromo schloss die Augen. Der Inhalt des Briefes war so überraschend, so sensationell und so katastrophal, dass er in vieler Hinsicht Erleichterung empfand.
Er erhob sich langsam, steckte die CD in die Innentasche seiner Lederjacke, holte tief Atem und wusste, dass er das Ende seines Weges erreicht hatte. Ihn überkam eine seltsame leere Ruhe. Er wusste, was er zu tun hatte. Er würde sich ein wenig sammeln, zwei Tage vielleicht, und dann mit Kai reden.
Kai konnte ihm helfen.
Kai hatte ihm schon früher geholfen und Kai würde wissen, wie Evald mit den soeben erhaltenen Auskünften umgehen sollte.
2»Das Türschild ist schön«, Cecilie lächelte.
Hanne zuckte verlegen mit den Schultern.
»Es sieht ein bisschen blöd aus mit dem blassen Rand drumherum«, sagte sie. »Das alte war ein bisschen größer. Ich hätte es ausmessen sollen, ehe ich das neue bestellt habe.«
»Cecilie Vibe & Hanne Wilhelmsen« teilte das neue Messingschild an der Wohnungstür mit. Hanne hatte schon befürchtet, Cecilie habe es nicht gesehen. Sie hatte nichts gesagt, seit sie aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war. Und das war jetzt vier Tage her.
»Woran denkst du?«, fragte Cecilie.
Sie hatten am frühen Morgen einen kleinen Spaziergang durch die Nachbarschaft gemacht. Cecilie wurde müde und sagte nicht mehr viel. Aber sie lehnte sich im Gehen an Hanne und nahm ihre Hand, als sie zwanzig Minuten später ihr Haus erreichten und die steilen Treppen hochgehen mussten. Jetzt lag sie mit einer Decke und einer Tasse Tee auf dem Sofa. Hanne saß ihr gegenüber im Sessel und spielte mit einem Apfel.
»An das Türschild«, sagte Hanne.
»Es ist schön. Irgendwie elegant. Schöne Schrift.«
»Ich meine nicht unseres, sondern das, was wir zu Hause hatten. Bei meinen Eltern.«
»Ach.«
Cecilie versuchte, die Tasse auf den Couchtisch zu stellen. Ihre Hand zitterte, und alles floss auf den Boden. Hanne lief in die Küche, um Papier zum Aufwischen zu holen. Als sie zurückkam, blieb sie mit dem Papier in der Hand stehen und schaute zu, wie das Sonnenlicht sich einen Weg durch die Balkonmarkise suchte.
»Ich war nicht dabei. Meine Eltern und meine beiden Geschwister hatten ihre Namen auf dem Schild. Oben stand der von meinem Vater. Dann der meiner Mutter. Darunter Inger und Kaare, in kleinerer Schrift. Ich war überhaupt nicht erwähnt.«
»Aber du - du hast doch auch da gewohnt?«
»Ich war doch ein Nachkömmling. Das Schild war schon da. Als ich dazukam, meine ich. Für einen weiteren Namen war kein Platz mehr. Und offenbar kam niemand auf die Idee, ein neues zu besorgen. Das Seltsame ist .«
Sie ging in die Knie und wischte den Tee mit harten, wütenden Bewegungen auf.
»Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir etwas ausgemacht hätte. Damals, meine ich. Erst, als ich unser neues bestellt habe, ist mir aufgegangen, dass es eigentlich . doch ein wenig seltsam war.«
Sie ächzte leise, als sie sich erhob, und blieb mit dem feuchten Papier in der Hand stehen. Tee tropfte auf ihre Jeans, aber das schien sie nicht weiter zu stören.
»Warum hat es mir nichts ausgemacht?«, fragte sie leise. »Kannst du mir erklären, warum es mich nie gestört hat, dass ich nicht mit auf unserem Türschild stand?«
»Setz dich her.«
Cecilie klopfte sich auf den Oberschenkel und rutschte dichter an den Sofarücken. Hanne starrte das tropfende Papier an, legte es in die Obstschale auf dem Tisch und setzte sich auf den schmalen Streifen neben Cecilies Hüfte.
»Du hast es einfach vergessen«, sagte Cecilie. »Du hast vergessen, dass es dich verletzt hat.«
Sie legte ihre rechte Hand auf Hannes. Cecilies Haut war trocken und warm, und sie verflochten ihre Finger miteinander.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es mir sehr wehgetan hat. Es war genau wie damals . Als ich auf die Polizeischule gegangen bin, waren meine Eltern so enttäuscht. Aber das hat für mich gar keine Rolle gespielt. Trotzdem .«
Cecilie lachte kurz.
»Wenn deine Eltern Juraprofessor und Zoologieprofessorin sind, ist es vielleicht kein Wunder, dass sie es bedenklich finden, wenn ihre Tochter für den Rest ihres Lebens Räuber und Gendarm spielen will. Aber sie haben es doch überlebt.«
»Nicht ganz. Anfangs war es sicher ein bisschen aufregend. Ich hatte bei Familienessen immer die spannendsten Geschichten zu erzählen. In gewisser Weise war ich das wirklichkeitsnahe Alibi...
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