Kapitel 11
Marlene im Büro von Dolce Vita
»Auch ein 80jähriger kann noch einen Orgasmus erleben«, grinste Erwin Bailauer und schaute verliebt auf seine 78jährige Geliebte Ida Kufstein. »Es dauert etwas länger bei uns, aber dafür sind wir dankbarer als das Jungvolk.«
Ende. Ausdrucken. Ich zog die schmerzenden Schultern hoch, ließ sie rotieren, holte mißmutig eine der Lakritzstangen, die ich mir als Nikotinersatz gekauft hatte, aus der Schreibtischschublade und kaute. »Sex im Altersheim« hieß die Reportage, die mir meine Ressortleiterin Jenna Wissbach aufs Auge gedrückt hatte.
»Du mußt von diesen ständigen Tittenstories runterkommen«, hatte sie streng gesagt, »das ist nicht mehr angemessen in deinem Alter. Wie alt bist du jetzt? 36? 38?«
»34«, antwortete ich, tief beleidigt.
»Trotzdem«, fuhr sie ungerührt fort, »je eher du was Anspruchsvolles machst, etwas mit Sozialmief, desto schneller wirst du von der Chefredaktion ernst genommen.« Ausgerechnet die Chefetage. Von der seit einer Woche preßluft-hämmrige Geräusche durchs gesamte Haus dröhnten, weil einer der stellvertretenden Chefredakteure ? es gab deren insgesamt vier ? festgestellt hatte, daß sein Büro zwei Quadratmeter kleiner war als das seiner Kollegen. So könne er nicht arbeiten, meinte er, diese Enge schnüre ihm die Kreativität ab. Da Michaelsen keinen Zoff wollte, kam ein Mensch von der Innenverwaltung und ließ drei Blaukittel alle vier Büros ausmessen. Die Trennwände wurden entfernt, wiederum mit viel Krach ? die kleinen Schreibgeister über, neben und unter ihnen seufzten und fluchten ?, bloß daß sich dann herausstellte, daß Klaus Schmalgruber, der Schönste und Dümmste des Quartetts, ein halbes Fenster weniger hatte, und das auch noch mit Nordlicht. Ergebnis: Wieder alle Wände raus.
Und dabei sollte einem etwas zum Thema Senilosex einfallen. Vierzehn Altersheime von Nord bis Süd hatte ich besucht und war mir ziemlich blöd vorgekommen, als ich in den Aufenthaltsräumen die Knittrigen nach ihrer Lust fragte. »Ich wollte nur wissen, ob Sie einen Freund haben?« brüllte ich einer fast haarlosen Greisin ins Hörgerät, dreimal, bis sie plötzlich weit und zahnlos lächelte: »Meinen Sie zum Kartenspielen oder zum Knutschen?« Da ich erst 34 und noch unsterblich bin, war mir der Gedanke, daß es alte, in diesem Falle uralte Menschen noch miteinander treiben, höchst unappetitlich; ich war fest davon überzeugt, daß ich spätestens als 60jährige mit dem Sex aufhören würde. Dann war mein Gatte 63, auch kein Alter mehr, in dem sich ein Mann noch nackt zeigen sollte.
Das Telefon klingelte. Jenna, meine Chefin, war dran. »Wie steht's?« fragte sie.
»Fix und fertig«, meinte ich. »Willst du mal draufschauen?« Sie saß in einem für ihren Posten winzig kleinen Zimmer (ein Fenster zur Hofseite), aber als Frau war sie über das wichtigtuerische Gedröhne ihrer Kollegen zum Glück erhaben. Um ihren Schreibtisch herum blühte das Chaos, auf ihrem Schoß saß Lola, ihre einjährige Tochter, und saugte hingebungsvoll an der Ressortleiterinnentitte. »Meinen Busen krieg ich nie wieder hin«, seufzte Jenna und schnullerte am Babyhaarflaum. »Laß mal sehen.« Da es mich extrem nervös macht, jemandem beim Lesen meiner Texte zuzuschauen, nahm ich ihr Lola ab und ging mit ihr zum Kaffeeholen in die Kantine.
Für ein Baby, eine Menschenart, mit der ich möglichst wenig zu tun haben will, war Lola eine sehr niedliche Ausgabe, mit schwarzen Locken und braunen Kulleraugen. Über die Vaterschaft gab's wilde Spekulationen ? ein Samenspender namens Michael, über den sie mal eine Geschichte gemacht hatte (»Der namenlose Göttertropfen«), ein Fahrradkurier aus Puerto Rico, den sie offenbar in New York kennengelernt hatte, ein bisexueller Designer aus Mailand. Da ich erstens ? obwohl Frau ? Klatsch verabscheute, Jenna zweitens sehr mochte, kümmerte ich mich nicht um die Gerüchte. Jenna selbst sprach nur in vagen Andeutungen darüber: »Eine unmögliche Geschichte, ein guter Typ«, mehr war aus ihr nicht herauszulocken.
In der Kantine stand ich gerade mit zwei Vanilleschnitten und zwei Pepsi Light an der Kasse, als mich eine zutiefst verhaßte Stimme feucht im Nacken traf: »Hey, Marlene, zeig mir mal dein kleines, schmutziges Geheimnis«, rief Horst-Peter Stachniak, der schlitzohrschmierige, 55jährige Chefreporter, den Prieß für 20 Mille im Monat von Super weggelockt hatte, weil ihm ein legendärer Ruf als Sekretärinnen- und Witwenknacker vorauseilte. Wenn irgendwo auf der Welt ein Diktator oder ein Mafiaboß im Sterben lag, dann war Stachie, so raunte ehrfürchtig die Branche, der einzige, der die wachhabende Ärztin/Krankenschwester so becircen konnte, daß er sich ans Sterbebett schleichen und dem Fast-Toten noch ein paar schlagzeilenträchtige Worte ablauern konnte. So hatte er vor zwei Jahren von dem Mafioso Jeanmarie Gabriotti aus New York als einziger Reporter der Welt ein Interview aus der Psychiatrie bekommen, wohin der Staatsanwalt Gabriotti vor seinem Mordprozeß zur Begutachtung geschickt hatte. Das Interview unter dem Titel »Ich töte, wie andere Männer lieben« war weltweit abgedruckt worden und machte Herrn Stachniak über Nacht zur journalistischen Legende. Daß er aussah wie ein 56jähriger ? 43 gab er zu ? Schmiernippel mit gelverklebten, grauen Haaren an All-, einem etwas unglücklich angepaßten Haarteil an Sonn- und Feiertagen sowie jeder Menge Goldkettchen überm Brusthaar, störte offensichtlich nur so empfindliche Gemüter wie mich.
»Darf ich vorstellen, Lola, das ist Stachie, unser Altplayboy, der dir in fünf Jahren an die Wäsche will. Stachie, das ist Lola, Jennas Tochter, für die du 50 Jahre zu scheintot bist.«
Lola blinkerte und sagte: »Hmmgurgelhum« oder so ähnlich. Stachie strich ihr mit dem Zeigefinger über die Babywangen und murmelte: »So weiche Haut, das macht mich richtig an.«
»Stachie«, rief ich streng, »scheintot, habe ich gesagt.«
»Für die Mutter oder die Tochter?« fragte er.
»Für jede Frau, die ihre fünf Sinne beisammen hat«, sagte ich energisch.
Doch Abwehrmechanismen subtilerer Art prallten an Stachie ab wie Öl auf der Regenhaut. »Hast du Lust, mit mir in die Karibik zu fliegen?« fragte er und schaute mir tief in die Augen, Kleines, nur leider war er nicht Humphrey Bogart. »Ich bin 'ner heißen Drogenkiste auf der Spur, du könntest mein Lockvogel sein.«
Die Versuchung fand ? sekundenlang ? im Kleinhirn statt, aber dann stellte ich mir Stachie nackt vor, schauderte, und es war vorbei. Schließlich war ich Ehefrau, mein Reporterehrgeiz mußte hintanstehen. »Danke«, flötete ich, »dann schon lieber Klos in Wanne-Eickel schrubben.«
Doch Stachie blieb völlig ungerührt: »Schade, ich hätte dich gern dabeigehabt. Ist als achtteilige Serie schon fest eingeplant. Du wärest natürlich Co-Autorin. Tschüs, Lola. Melde dich wieder, wenn du vierzehn bist.«
Zurück in Jennas Büro, mußte ich erst mal Luft holen. Dieser Stachie! Warum verspürte ich jedesmal, wenn ich ihn sah, diese Mischung aus Ablehnung und leichter Aufgeregtheit, obwohl er weder optisch noch sonstwie meine Duftmarke war? Perversion? Karrieregeilheit? War nicht auszuschließen . Als Mittelaltredakteurin verdiente ich 5 000 ? brutto, Joachims Finanzen waren eine Katastrophe ? und ich schließlich von meinem Daddy was anderes gewöhnt. Als einzige Tochter eines wohlhabenden Proktologen (den ich, als ich begriff, was das Wort bedeutete, sofort in Urologe umtaufte) hatte ich die ersten 26 Jahre meines Lebens eine Prinzessin-auf-der-Erbse-Existenz geführt, und da ich Arztsein mit Mercedesstern, Villa im Grünen und jährlich drei (Weihnachten, Geburts- und Hochzeitstag) Geschmeiden aus Platin oder Weißgold gleichsetzte, war ich unangenehm überrascht, wie finanziell kümmerlich meine Ehe bisher verlaufen war. »Wir müssen sparen, Liebling« ? wie ich diesen Satz aus tiefster Kapitalistenseele haßte!
»Warum suchst du dir deine Männer nicht nach der Größe ihres Geschlechtsteils aus, sondern nach der Kleinheit ihres Geldbeutels?« hatte mich eine Freundin mal gefragt. Gute Frage. Keine Antwort.
Denn Sparen war ein Fremd- und Schimpfwort für mich, so unerotisch wie Kaulquappen oder Mundgeruch. Mein Mann, der ewige Sparhansel, wurde deshalb auch nach besonders schlimmen Ausfällen auf sexuelle Sparflamme gesetzt. »Kopfweh«, flüsterte ich dann schadenfroh, »die Geldsorgen machen mich fertig.«
»Marlene, hörst du eigentlich zu?« drang Jennas Stimme an mein Ohr. »Wie sieht's mit der Optik zum Alterssex aus?« Lola war schon wieder am Nuckeln, und Jenna sah dabei ganz verklärt aus. Ob sie sich beim Stillen heimlich aufgeilte, wie ich es mal in der Brigitte gelesen hatte ? Überschrift: »Die stille Lust beim Stillen«? Jedenfalls wollte ich lieber nicht wissen, wie wohl ihr Busen nach all dem Gezerre aussehen würde, wahrscheinlich pendelte er dann in Bauchnabelhöhe wie bei einer Hottentottenfrau.
»Die Fotos sind eher still«, meinte ich vorsichtig, denn ich wollte mir meine Story nicht versauen. »Alte Leute eben, die machen natürlich nicht mehr soviel her.«
Jenna seufzte. »Da wird die Chefredaktion ja nicht so begeistert sein, mal sehen, was ich mir für 'ne Strategie überlege. Vielleicht ein paar junge Altenpflegerinnen dabei, mit engen Kitteln oder so. Okay, zurück an die Front.«
Ich war verabschiedet. Vom Büro aus versuchte ich meinen Mann zu erreichen, gegen den erbitterten Widerstand seines Rezeptionszerberus, Frau Verena Kullnermeyer-Schwarzen-brück, einer frustriert Geschiedenen mit Damenbart und schlecht gemachter Dauerwelle.
»Kann ich bitte meinen Mann...