Schweitzer Fachinformationen
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Michael Hendricks kippte seinen Shot und knallte das Glas auf den dunkelfleckigen Tresen. »Hey, Barkeeper, noch einen Whiskey.«
Die junge Frau sah von dem Tisch auf, den sie gerade abwischte. »Ich bin kein Barkeeper, ich bin Kellnerin.«
Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Sie war um die zwanzig, ungeschminktes, sommersprossiges Gesicht, die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ein hellgraues T-Shirt mit dem Logo des Restaurants und hoch über den Ballerinas umgeschlagene Jeans, sodass die Knöchel zu sehen waren. »Sie schenken mir doch schon den ganzen Nachmittags Drinks ein, oder?«
»Ja.«
Hendricks gähnte und kratzte sich müßig die Barstoppeln. Er hatte sich seit Wochen nicht rasiert. »Dann verstehe ich den Unterschied nicht.«
»Der Unterschied ist, dass ich keine Barkeeperin bin, sondern eine Kellnerin. Ich mache nur vertretungsweise die Bar, bis um fünf unser richtiger Barkeeper kommt.«
Sie wischte weiter. Hendricks sah sich im Speiseraum um. Die Wände waren mit Hummerfallen, bunt bemalten Bojen, lackierten Streifenbarschen und handgeknüpften, durch langen Gebrauch schlammgrün gefärbten Fischernetzen dekoriert. Alle Tische waren unbesetzt. Ein paar mussten noch abgewischt werden, aber die meisten waren schon fürs Abendessen eingedeckt - Besteck in weißen Stoffservietten, saubere Wassergläser, die nur darauf warteten, gefüllt zu werden. Der Mittagsandrang, wenn man die rund zwanzig Gäste so nennen konnte, war schon seit Stunden vorüber. »Entschuldigung, hält meine Bestellung Sie von all den anderen Gästen ab?«
»Nee. Ich sage nur, dass Drinks nicht wirklich mein Gebiet sind.«
»Ist ja nicht so, als wär Whiskey besonders schwer einzuschenken.«
»Jedenfalls ist er offenbar leicht zu trinken.«
»Ach so, verstehe. Sie finden, dass ich ein bisschen viel saufe.«
»Geht mich ja nichts an«, entgegnete sie.
»Dem widerspreche ich nicht.«
»Ich meine ja nur, ist halt noch ein bisschen früh. Die meisten Leute haben noch nicht mal Feierabend.«
Hendricks sah auf seine Uhr, nur um festzustellen, dass er keine trug. Scheinbar verwirrt runzelte er die Stirn. »Tja, hm, ich hab meinen Abschied genommen.«
»Abschied von was?«
Davon, Einsätze unter falscher Flagge für die US-Regierung durchzuführen, dachte er. Davon, meinen Lebensunterhalt mit dem Töten von Auftragskillern zu verdienen. »Davon, mich einen Dreck darum zu scheren, was andere davon halten, wenn ich mich mitten am Tag besaufe«, sagte er.
Seufzend änderte sie ihre Taktik. »Wie wär's dann wenigstens mit einem Happen zu essen?« Sie klang beflissen und optimistisch. Hendricks schätzte sie als chronische Streberin ein, die nicht an Misserfolge gewöhnt war.
»Wie wär's, wenn du mir einfach noch einen gottverdammten Whiskey eingießt?«
»Schön.« Sie holte eine Flasche »Early Times« hinter dem Tresen hervor und füllte sein Glas auf. Dann schenkte sie ihm eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne neben der Kasse ein. »Geht aufs Haus«, sagte sie.
»Hör zu, Mädchen .«
»Cameron«, sagte sie.
»Hör zu, Cameron, ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Aber du kennst mich nicht und hast keinen Schimmer von dem Mist, den ich durchgemacht habe. Du weißt nicht, warum ich hier bin oder was ich alles verloren habe.«
»Ich habe auch keinen Schimmer, weshalb Sie noch aufrecht sitzen können. Trinken Sie einfach den Kaffee, okay?«
Hendricks nahm die Tasse und trank einen Schluck. Die Brühe war lauwarm und schmeckte nach Plastik. Er verzog das Gesicht, stellte sie ab und prostete Cameron mit dem randvollen Glas zu.
»Zum Wohl«, sagte er. Doch ehe er den Whiskey an die Lippen führen konnte, war sie schon kopfschüttelnd davonmarschiert.
Er sah, wie sie am anderen Ende des Tresens um die Ecke bog und außer Sicht verschwand. Sekunden später hörte er, wie die Schwingtür zur Küche mit einem Knall aufgestoßen wurde. Nachdem sie sich klackend wieder hinter ihr geschlossen hatte und er sicher sein konnte, dass sie nicht zurückkehren würde, ohne dass er es mitbekam, kippte er den Whiskey in die Ficus-Topfpflanze neben ihm.
Er kam schon seit drei Wochen ins »Salty Dog«, ein pittoreskes Fischlokal mit Holzschindelfassade und Blick über den Hafen von Port Jefferson auf Long Island. Pflanzte seinen Hintern immer auf denselben Barhocker, von mittags bis sie zumachten. In all dieser Zeit hatte der Ficus ihn drei zu eins unter den Tisch getrunken. Es wunderte ihn, dass er das Ding nicht schon umgebracht hatte. Hin und wieder verschüttete er auch mit viel Aufhebens einen Shot Whiskey auf dem Tresen, teils, um sich als abgehalfterten Säufer auszuweisen, teils, um eine Erklärung für den Geruch zu liefern, den seine Ecke angenommen hatte. Anscheinend wirkte es, denn niemand in dem Laden hatte auch nur fünf Worte mit ihm gewechselt - bis heute, bis dieses neue Mädchen plötzlich beschlossen hatte, sich seiner zu erbarmen. Und selbst sie hatte eine Woche gebraucht, um den Mut aufzubringen.
Hendricks hielt sie für eine von diesen übereifrigen Studentinnen, putzmunter und idealistisch, die noch lernen mussten, dass die kaputten Menschen auf dieser Welt sich nur selten helfen lassen wollten. Er selbst war ziemlich kaputt, doch das lag an einem Leben voller Gewalt, nicht am Alkohol.
Nachdem er seinen Shot und die Kellnerin losgeworden war, betrachtete er die draußen vor Anker liegenden Segelboote, die wie Seevögel auf den Wellen der Bucht schaukelten. Er war froh über die momentane Ruhe. Sie hielt nicht lange an.
Ein Schatten fiel über die Fensterfront des Restaurants. Hendricks drehte sich samt dem Barhocker um und sah einen schwarzen Range Rover am Straßenrand halten. Ein dosengebräunter Muskelprotz mit Panoramasonnenbrille stieg hinten aus und kam ins »Salty Dog«.
Er trug ein zwei Nummern zu kleines Polohemd zu grellbunten Madras-Shorts. Leinenslipper groß wie Kähne saßen an seinen Füßen. Falls er bezweckte, mit dieser Aufmachung zur Jachtclubszene zu passen, hatte er ziemlich danebengehauen. Seine Nase war schief und krumm, und er hatte ausgefranste Ohren. Für Hendricks bestand kein Zweifel daran, dass er ein Berufsschläger war.
Der Typ nahm seine Sonnenbrille ab und sah sich im Lokal um. Hendricks gab sich gleichgültig, schwankte scheinbetrunken auf seinem Hocker und drehte sein Glas auf dem Tresen herum wie einen Kreisel. Der Mann musterte ihn, seine ausgefransten Kakishorts, das zerknitterte Hemd und die schweißfleckige Titleist-Golfkappe und tat ihn offenbar als uninteressant ab. Hendricks sah aus wie fast alle Säufer in den Bars der Nobelbadeorte von Long Island bis Hilton Head.
Der Gorilla drehte das Schild im Fenster auf »Geschlossen«, zog die Vorhänge zu und baute sich neben dem Eingang auf. Ein zweiter Typ von derselben Machart kam herein und ging wortlos auf die Küche zu. Unterwegs klopfte er an die Türen zu den Toiletten und sah prüfend hinein. Als er die Küche betrat, hörte Hendricks, wie die momentane Überraschung des Chefkochs rasch in freundliche Begrüßung überging. Sie unterhielten sich einen Moment - Hendricks verstand nicht genau, was sie sagten, aber es klang, als würde der Koch die neue Kellnerin vorstellen -, dann kam der Typ zurück in den Gastraum und nickte seinem Kumpel an der Tür zu.
Der öffnete den Vorhang einen Spalt und winkte jemandem draußen zu. Die Tür ging erneut auf, und Hendricks rechnete halb und halb mit einem weiteren künstlich gebräunten Fleischberg, doch stattdessen kam ein gut aussehender, schlanker Mann um die dreißig in Leinenhemd, Seersuckershorts und ledernen Flipflops herein. Sein Gesicht hatte eine mediterrane Färbung, und mit seinen hohen Wangenknochen, den stylisch verwuschelten Haaren und dem gepflegten Dreitagebart schien er geradewegs einem Männermagazin entstiegen zu sein. Sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, fuhr der Range Rover davon.
»Guten Tag«, begrüßte er Hendricks. »Ich heiße Nick Pappas.«
»James Dalton«, sagte Hendricks. »Aber meine Freunde nennen mich Jimmy.« Den Namen hatte er, als Verneigung vor einem alten Freund, von Patrick Swayzes Rolle in dem Film Road House entliehen. Früher hatte er sich nie sonderlich viel Mühe mit der Erfindung von Aliassen gegeben, während sein Kumpel und ehemaliger Komplize Lester ziemlichen Ehrgeiz dabei entwickelt hatte. Jeder seiner Namen hatte irgendeinen Insiderwitz, eine Anspielung enthalten.
Lester war vor knapp einem Jahr ermordet worden. Seine Tradition fortzuführen war eine von Hendricks' Methoden, ihn zu ehren. In dieser schicken Touristenfalle auf Pappas zu warten war eine weitere.
»Und wie soll ich Sie nennen?«, fragte Pappas. »James oder Jimmy?«
»Die Entscheidung steht noch aus«, antwortete Hendricks. »Schließlich haben wir uns gerade erst kennengelernt. Aber eins muss ich Ihnen lassen, Nick, Sie legen einen verdammt beeindruckenden Auftritt hin.«
Nick lachte. »Nicht überall, leider. Hier kann ich es mir leisten, weil mir der Laden gehört.«
Hendricks wusste, dass das streng genommen nicht stimmte. Auf den Papier war das »Salty Dog« eines von zahlreichen Restaurants im Besitz einer Firma namens Aegeus Unlimited, die eine Briefkastenadresse in Delaware hatte, ein Bankkonto auf den Caymans und einen Vorstand, der ausschließlich aus Leuten bestand, die vor dem Erreichen der Volljährigkeit gestorben waren - zumindest, wenn man nach den Sozialversicherungsnummern auf den Gesellschaftsverträgen ging. Doch es waren natürlich jede Menge Gründe vorstellbar, weshalb der Kopf der Gangsterfamilie Pappas Wert darauf legen sollte, seinen Namen aus den Unterlagen...
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