Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Rückblick: Vor Ostern in Paris, als commissaire Papperins Urlaubspläne zerplatzten
Papperin griff nach den beiden Zeitungen, die auf seinem Schreibtisch lagen und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Er überflog die Titelseite des Figaro: „Vernichtender Schlag gegen das organisierte Verbrechen – PJ zerschlägt Mädchenhändlersyndikat“. Auch Le Monde – wie stets etwas dezenter und zurückhaltender in ihrem Aufmacher – berichtete auf der ersten Seite: „Der police judiciaire gelang es gestern unter der Leitung von commissaire Jean-Luc Papperin eine international agierende und von Paris aus gelenkte Menschenhändlerorganisation zu sprengen. Commissaire Papperin und sein Team konnten nach monatelangen und schwierigsten Recherchen den Zeitpunkt und den Ort ermitteln, an dem sich der Kopf des Syndikats zur Vorstandssitzung treffen wollte. In einem spektakulären Einsatz wurde die gesamte Organisationsstruktur zerschlagen. Alle führenden Köpfe des Verbrecherrings konnten inhaftiert werden. Wie aus dem Polizeipräsidium mitgeteilt wurde, lief die Operation unter strengster Geheimhaltung. Offensichtlich waren nicht einmal die Vorgesetzten von commissaire Papperin informiert. Papperin sagte kurz nach dem erfolgreichen Zugriff dem Korrespondenten unserer Zeitung, man habe hundertprozentig sicher sein wollen, dass die Pläne seines fünfköpfigen Teams nicht nach außen dringen und den erhofften Erfolg gefährden würden. Dies entspräche zwar nicht den Dienstvorschriften, aber der Erfolg gebe ihm und seinem Team wohl Recht. Dennoch fürchte er etwas die Reaktion seiner Chefs. Nach diesem kurzen Interview wurde er vom Polizeiarzt und den Sanitätern unserem Korrespondenten entrissen, die ihn in das Rettungsfahrzeug führten, um dort seine Schussverletzung zu behandeln.“
Papperin betrachtete den Verband an seinem linken Arm. Der Schmerz war eigentlich ganz gut zu ertragen – ob das von den Schmerzmitteln kam, die ihm der Polizeiarzt verabreicht hatte? Vielleicht hatte deren Wirkung aber auch schon nachgelassen, und das war der beim Heilen einer Wunde normale Schmerz? Zum Glück waren die Bodyguards so überrascht gewesen, dass sie kaum Zeit gehabt hatten, ihre Waffen zu ziehen und schon gar nicht, präzise zu zielen. So hatte ihn nur ein Schuss leicht am linken Arm gestreift. „Na ja – jetzt kommen bald die Osterfeiertage, und mit den zusätzlichen vier Urlaubstagen, die ich genommen habe, können Nia und ich mal wieder so richtig ausspannen“. Er freute sich auf die geplante Reise in die Karibik nach Martinique zu den Eltern seiner Lebensgefährtin.
Er nahm – mehr im Unterbewusstsein – das Blinken des kleinen roten Lämpchens an seinem Diensttelefon wahr, dann gellte auch schon der penetrante Computerton in seinen Ohren. „Telefone klingeln heutzutage nicht mehr so schön wie früher“, dachte er wehmütig und schaltete den Lautsprecher ein. „Oui“, gähnte er müde. „Jean-Luc, komm in mein Büro – s’il te plaît!“ Das war die Stimme seines Chefs, Dr. Malleraux, Präsident der police judiciaire von Paris, der ihn in sein Allerheiligstes zitierte.
* * *
Papperin klopfte und trat ein. Dr. Malleraux kam hinter seinem großen Schreibtisch hervor. „Mein lieber Jean-Luc, das habt ihr großartig gemacht, ich gratuliere dir und deinen Leuten!“, begrüßte ihn sein Chef. „Ich wurde auch schon aus dem Innenministerium angerufen. Der Minister ist sehr zufrieden mit dem effizienten und erfolgreichen Vorgehen seiner Polizei.“ Dr. Malleraux ging mit gewichtigen Schritten wieder hinter seinen Louis XVI-Schreibtisch zurück und nahm in seinem ledernen Chefsessel Platz. Er lächelte in der ihm eigenen Art, mehr mit dem Mund als mit den Augen. Langsam zogen auf seiner Stirne kleine Sorgenfältchen auf, die sich peu à peu vertieften, bis sein Gesicht zweigeteilt erschien: Unten ein freundlich lächelnder Mund und nach oben zu ein strenger und sorgenvoller Blick. Papperin kannte dieses Mienenspiel von früher und ihm war klar, die freundlich lächelnden Lippen waren nur die äußere Fassade. Innerlich kochte sein Chef. „Allerdings war monsieur le Ministre etwas ungehalten, dass er bei einer so wichtigen Aktion nicht in die Planung einbezogen, ja nicht einmal informiert worden ist. Nun aber wirklich, monsieur le commissaire“, verschärfte Malleraux den Ton. „Sie hätten wenigstens mich vorher unterrichten müssen. In Ihrem Interview mit Le Monde wird mein Name überhaupt nicht erwähnt. Wie stehe ich denn vor dem Minister und dem Staatssekretär da – ganz zu schweigen von der Presse?“
Papperin registrierte den Wechsel vom freundschaftlich- kollegialen tu zum amtlichen vous, auch dass er jetzt nicht mehr ‚mein lieber Jean-Luc’, sondern ‚monsieur le commissaire’ war. All das versetzte ihn in leichte Unruhe. Papperins Gesichtsaudruck jedoch blieb unbewegt: Freundlich, amtlich und ein bisschen unterwürfig. In ihm aber arbeitete es. Was würde sein Chef jetzt tun? Ihm eine offizielle Rüge erteilen? Das war eher unwahrscheinlich – bei dem Erfolg – und würde Dr. Malleraux auch nicht aus seinem Dilemma retten, als Chef der Polizeibehörde nicht informiert gewesen zu sein. Aber offensichtlich widerstrebte es ihm auch, Papperins Leistung in aller Öffentlichkeit anzuerkennen. Andererseits konnte er den Erfolg auch nicht mehr auf seine eigenen Fahnen schreiben nach dem ersten kurzen Interview von Papperin. Und selbst wenn er sich in den Vordergrund schieben würde, er konnte ja nicht wissen, was er, Papperin, den Reportern erzählen würde, wenn sie sich wieder auf ihn stürzten. Dr. Malleraux war ein Karrierebeamter, der – so wurde er von seinen Untergebenen eingeschätzt – weniger durch eigene Leistungen, als vielmehr durch geschicktes Taktieren und gute Beziehungen auf der Erfolgsleiter nach oben geklettert war. Als Absolvent der ENA, der Ecole Nationale d’Administration, der Elitekaderschmiede Frankreichs schlechthin, hatte er einen weiten und einflussreichen Bekanntenkreis. Er konnte natürlich nicht zugeben, dass er nichts von dieser spektakulären Polizeiaktion gewusst hatte. Die Lage war mehr als schwierig. Ausgeschlossen war, seinem Chef zu gestehen, man habe ihn bewusst nicht informiert, weil man befürchtet hatte, er würde sich bei seinen vielen hochkarätigen Freunden im Golfclub oder im Rotary-Club damit hervortun, welch wichtigen Einsatz er plane. Natürlich hätte er hinzugefügt: „… aber das muss unter uns bleiben, das ist ein hochbrisanter top-secret-Plan. Streng vertraulich! Aber ich weiß, dass ich dir vertrauen kann“. So oder so ähnlich war das schon gelegentlich geschehen, und das hatte einige Erfolg versprechende Einsätze behindert oder sogar vereitelt.
Dr. Malleraux schaute Papperin mit ungeduldiger, etwas ungehaltener Miene an, gerade so, als warte er darauf, dass Papperin eine Lösung aus diesem Dilemma fände. Einige ungemütliche Sekunden lang herrschte Schweigen. „Monsieur le Président – Chef – das war ein Riesenproblem für uns, wir waren in einer verzweifelten Lage: Die Zeit drängte so sehr. Ihr Handy war offensichtlich ausgeschaltet – wir hatten mehrmals versucht Sie anzurufen. Bis wir Sie an diesem Wochenende in Ihrer Hütte in den Bergen endlich erreicht hätten, wäre möglicherweise die günstige Gelegenheit vorüber gewesen.“ Papperin wusste genau, dass das eine Notlüge und Dr. Malleraux am fraglichen Abend zu Hause und erreichbar gewesen wäre.
„Wenn wir Sie erreicht hätten“, fuhr Papperin schon etwas selbstsicherer fort, „dann hätten Sie natürlich von Ihrem Wochenenddomizil aus die Aktion per Handy geleitet.“
An Malleraux’ Gesichtsausdruck konnte Papperin verfolgen, wie sein Chef den ihm zugespielten Ball langsam erkannte und aufzufangen begann. Seine Stirnfalten entkräuselten sich mehr und mehr, der unfreundliche Blick wurde zunehmend entspannter. Man spürte förmlich, wie sich Erleichterung im Polizeipräsidenten ausbreitete. „Jean-Luc, das ist die Lösung! Ihr konntet mich zunächst nicht erreichen, weil ich auf einer wichtigen dienstlichen Besprechung war und deshalb mein Handy nicht eingeschaltet hatte. In einer Besprechungspause habe ich dich angerufen, ihr hattet gerade mit der Aktion begonnen. Und ab da habe ich den Einsatz per Handy aus der Ferne persönlich geleitet. Die ad-hoc-Entscheidungen vor Ort hat mein bewährter Mitarbeiter commissaire Papperin getroffen. Nur durch diese langjährig eingespielte Zusammenarbeit konnte es gelingen, diesen großartigen Erfolg zu erzielen.“ Papperin registrierte mit innerlichem Schmunzeln, wie sein Chef bereits in die Diktion einer Presseverlautbarung hinüber glitt. Auch entging ihm nicht, dass er jetzt nicht mehr monsieur le commissaire war, sondern wieder mit dem kollegial-freundschaftlichen du und mit seinem Vornamen Jean-Luc angesprochen wurde.
Dr. Malleraux bedeutete ihm mit einer lässigen Handbewegung, doch auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. „Mein lieber Jean-Luc, als erstes solltest du deine Verletzung vollständig auskurieren“, schlug er einen väterlichen Ton an. „Hierzu und natürlich auch als Anerkennung für deine Leistung bekommst du ab sofort drei Wochen Sonderurlaub – natürlich nicht zusätzlich zu den vier Tagen, die du bereits beantragt und bewilligt bekommen hast.“
Über die Gegensprechanlage gab er seiner Sekretärin Jaqueline die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.