Georg Lukács
(©rolandhoja2025)
Vor allem ist festzustellen: Freiheit bedeutet hier nicht die Freiheit des Individuums. Nicht als ob die entwickelte kommunistische Gesellschaft keine Freiheit des Individuums kennen würde. Im Gegenteil. Sie wird die erste Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit sein, die diese Forderung wirklich ernst nimmt und tatsächlich verwirklicht. Jedoch auch diese Freiheit wird keineswegs die heute von den Ideologen der bürgerlichen Klasse gemeinte Freiheit sein. Um die gesellschaftlichen Voraussetzungen der wirklichen Freiheit zu erkämpfen, müssen Schlachten geschlagen werden, in denen nicht nur die gegenwärtige Gesellschaft, sondern auch der von ihr produzierte Menschenschlag untergehen wird. (...) Das bewußte Wollen des 'Reiches der Freiheit' kann also nur das bewußte Tun jener Schritte bedeuten,die diesem tatsächlich entgegenführen.Und in der Einsicht,daß individuelle Freiheit in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft nur ein korruptes und korrumpierendes, weil auf die Unfreiheit der anderen unsolidarisch basiertes Privileg sein kann, bedeutet es gerade: den Verzicht auf individuelle Freiheit.
Es bedeutet das bewußte Sichunterordnen jenem Gesamtwillen, der die wirkliche Freiheit wirklich ins Leben zu rufen bestimmt ist, der heute die ersten, schweren, unsicheren und tastenden Schritte ihr gegenüber zu tun ernsthaft unternimmt. (.) Und wie jedes Moment eines dialektischen Prozesses enthält auch (dieses in seinem Ziel, rh) die Freiheit in ihrer Einheit mit der Solidarität. Die Einheit dieser Momente ist die Disziplin. (...) weil gerade die Disziplin auch für den Einzelnen den ersten Schritt zu der heute möglichen - freilich dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend auch noch recht primitiven - Freiheit bedeutet, die in der Richtung auf das Überwinden der Gegenwart liegt.32
Karl Marx hat, wie wir wissen, die Existenz einer ewigen menschlichen Natur immer abgelehnt. Er hat die ganze Geschichte als die fortgesetzte Umwandlung der menschlichen Natur charakterisiert. Die Natur des Menschen ist die Gesellschaftlichkeit, - wie wir es im Idealismus schon bei Fichte vorfinden -,die sich im Prozeß der Geschichte entfaltet, obwohl sie natürlich in einer naiven Form von den Anfängen an gegeben war. Die Grundlage der Entfaltung ist nun die ständige Steigerung des Arbeitsprozesses und die sich daraus verwirklichende menschliche Freiheit.
Daß die in der originären Arbeit errungene Freiheit noch eine primitive, beschränkte sein mußte, schreibt Lukács, ändert nichts an der Tatsache, daß die geistigste und höchste Freiheit mit denselben Methoden erkämpft werden muß wie die in der anfänglichsten Arbeit (...) In diesem Sinne, glauben wir, kann die Arbeit wirklich als Modell einer jeden Freiheit aufgefaßt werden.33
In einem Produktionssystem, das auf dem Zwang zur Arbeit und auf Arbeitsteilung beruht, sind entfremdete Verhältnisse vorherrschend. Die Freiheit der menschlichen Natur, der gesellschaftliche Fortschritt werden hier auf eine entfremdete und verdinglichte Weise verwirklicht. Diese Tendenz kulminiert im System des modernen Kapitalismus, wo .die Manipulation das ganze Leben des Menschen zu einem Teil des Reproduktionsprozesses des Kapitals verwandelt. Man kleidet sich, man raucht, man reist, man hat sexuelle Beziehungen unter diesen Umständen nicht um dieser selbst willen, sondern um im eigenen Lebenskreis das ,Image' eines als solchen geachteten Typus vorzustellen.34
So lebt zwar die Arbeiterklasse im modernen Kapitalismus tatsächlich viel besser als die im Kapitalismus des vorigen Jahrhundert oder um die Jahrhundertwende, ihre Entfremdung ist trotzdem tiefer. Dazu schrieb schon Marx:
Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung,Tradition,Gewohnheit, die Anforde rung jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jedenWiderstand, ... (und) der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über die Arbeiter.35
Die konkreten Bedingungen, unter denen das System der Entfremdung in Richtung der Verwirklichung einer echten menschlichen Gesellschaftlichkeit und Freiheit durchbrochen werden kann, erfordern eine detaillierte historische Analyse.
In diesem Kontext kritisiert Lukács besonders scharf eine sich mehr und mehr ausbreitende Entwicklung, in deren Verlauf die scheinbar als Selbstzweck und in Freiheit aufgefasste Wissenschaft und Technik einerseits traditionell zum Mythos gewachsen ist, andererseits die Hochschätzung des bloßen praktizistischen Wissens, die den Kult des völligen freiheitlichen Subjektivismus in der Wissenschaft im modernen Kapitalismus ermöglicht hat.
Lukács argumentiert also in seiner philosophischen Ontologie für den von Galilei stammenden wissenschaftstheoretischen Realismus, demgemäß die Wissenschaft zunehmend imstande sein wird, das So Sein der Dinge real zu beschreiben, sowie deren wirkliche Freiheit zu implementieren und er lehnt den im Geiste des Cardinals Bellarmin (der wichtigste Widersacher Galileis) sich entfaltenden wissenschaftstheoretischen, dem
Menschen entfremdeten Instrumentalismus ab. Der der Überzeugung galt, dass die Wissenschaft den Menschen lediglich nützliche Mittel (Instrumente) zur Handhabung und Manipulierung der Wirklichkeit bietet, diese aber nicht korrekt beschreiben könne. Die neuzeitliche, in jeder Hinsicht unbeschrankte Entwicklung der Wissenschaft hat dergestalt nicht immer zu unproblematischen Resultaten geführt.
Und hier handelt es sich nach Lukács gar nicht um Utopie im negativen bürgerlichen Sinne, sondern eher um die von Ernst Bloch gemeinte, nämlich als eine Hilfestellung zur Utopie, zur endlichen Menschwerdung des Menschen im Kommunismus, worin die Freiheit zur wirklichen Freiheit zu entwickeln sei. Dies im Anschluss an die berühmten Worte aus der 'Deutschen Ideologie':
Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich· zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.36
Dazu schreibt Lukács dann:
. die historische Perspektive von Marx ist kein utopisch vollendetes Sein des Menschen, sondern bloß das Ende seiner Vorgeschichte, d. h. der Anfang seiner eigentlichen Geschichte als Mensch, der sich in diesem Prozeß gefunden, in ihm sich selbst realisiert hat.37
Und an anderer Stelle die dazu wesentliche Betrachtung über den Gang der Freiheit aus den Fängen des falschen Bewußtseins der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft:
. Damit ist es klar geworden, daß die Formen der Freiheit in den bürgerlichen Organisationen nichts mehr sind, als ein "falsches Bewußtsein" von der tatsächlichen Unfreiheit; d.h. eine Struktur des Bewußtseins, wo der Mensch formal frei sein Eingefügtsein in ein System wesensfremder Notwendigkeiten betrachtet und die formale "Freiheit" dieser Kontemplation mit einer wirklichen Freiheit verwechselt.38
Danach - so Lukács - subsumiert der bürgerliche Staat als formales System des falschen Bewußtseins alle Facetten der kapitalistischen Produktionsweise (mithin auch die der Bourgeoisie selbst) seiner Herrschaft und gewährt ihnen die Verfolgung ihrer gegensätzlichen Interessen, indem er Freiheit und Gleichheit und - vor allem anderen - das Privateigentum an Produktionsmitteln garantiert. Mit der rechtsgewaltsamen Herstellung und Sicherung solcher allgemein geltenden Rechtsbedingungen schützt der Staat das Kapital und dessen Zu- und Angriff auf die Lohnarbeit, ohne dabei durch direkte Gewalt das Proletariat zu unterwerfen (so jedenfalls grundsätzlich und in der Regel).
Wenn dann also Lukács gemäß Marx' kategorischen Imperativ seiner Weltanschauung das Umwerfen aller Verhältnisse fordert, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes,ein verächtliches Wesen ist, so hat er den realen Zustand der Unterwerfung und Entfremdung im Blick, in dem, - damals wie heute -, der größte Teil der Weltbevölkerung lebt: Erniedrigung, Knechtschaft, Verlassenheit, Isolation, Verächtlichkeit, Verachtetsein (d.h. als wertlos, als Nichts angesehen und behandelt zu werden), körperlich, psychisch, geistig, ökonomisch,sozial, politisch, kulturell.
Das Gegenbild ist das eines Aufstands und Sichaufrichtens der Erniedrigten und Beleidigten, ihrer Verwandlung aus dem Zustand der Unterwerfung in den der Selbstbestimmung - des Ausgangs aus einer nicht selbstverschuldeten Unmündigkeit. Freiheit und Autonomie heißt dann: Bestimmung über sich selbst auf der Grundlage vernünftiger Prinzipien, aus der Partikularität zur Gesellung mit anderen nach frei gewählten Facetten, wozu auch gehört, sich frei vereinzeln zu können. Aufheben des Verächtlichseins meint den Gewinn eines Respekts, das ein jeder für die anderen hat...