Schweitzer Fachinformationen
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Am Wochenende hätte es in Geröllharting beinahe eine Leiche gegeben.
Aber leider nur beinahe.
»Der Herzstillstand vom Hausberglift ist über den Berg!«, ruft meine Kollegin Walburga Angerer und lehnt sich an den Türrahmen von meinem Büro. Als hätte ich sie hergebeten. Hab ich aber nicht.
»Über den Berg? Ich dachte, das heißt: über den Jordan?«, frage ich und schau von meinen Recherchen hoch, Thema »Plötzlicher Herztod«.
»Ach, Lämmermeier, Sie wieder. Nein, im Gegenteil! Der Herr Käsner hat im Sankt Ignaz in Rosenheim angerufen. Und die Ärzte haben gesagt, diese Frau Heilmüller aus Rosenheim ist außer Lebensgefahr. Und zwar, weil der Günter von der Liftstation sie reanimiert hat, gleich nachdem sie in der Gondel zusammengebrochen ist!«
Da sieht man gleich den großen Unterschied zwischen der Angerer und mir: Sie liebt nämlich gute Nachrichten. Ich nicht.
»Wollen Sie damit sagen, Frau Kollegin, dass jetzt die Leiche keine Leiche mehr ist, sondern aus dem Gröbsten raus? Und das habe nicht ich herausgefunden, sondern der Herr Käsner, der bei Ihnen in der Abteilung Praktikant ist?«
Weil ich nämlich gar keinen Praktikanten habe, als Ein-Mann-Abteilung. Und obwohl mir die Mama immer sagt, ich soll froh sein, dass ich eine Arbeit habe, so schön nah von daheim, halte ich der Angerer meine Visitenkarte hin.
»Was steht da? Chiemseewoche Presse GmbH, Lucky Lämmermeier. Und dann nicht Redakteur für Garten und Dorfleben, sondern: Po-li-zei-re-por-ter!«
Die Angerer gratuliert mir dazu, dass ich so eine aufregende Stellung habe bei unserer schönen Geröllhartinger Regionalzeitung. Und fragt mich dann zuckersüß, ob ich denn weiß, wer die Titelstory von heute geschrieben hat. Dabei liegt die heutige Zeitung vor mir auf dem Schreibtisch, und neben dem Artikel »Richtfest für die neue Mehrzweckhalle« ist ein kleines Foto von einer Frau mit schattigem Gesicht und sehr kurzen Haaren abgedruckt. Und das ist, wie unschwer zu erkennen, die Angerer höchstpersönlich.
Wenigstens kommt der Attila an und stellt sich auf die Hinterbeine, damit ich ihm die Ohren durchzwiebeln kann. Wir mögen uns nämlich, der Attila und ich, was man von seinem Frauchen und mir nicht behaupten kann. Die dreht sich um und geht weg. Und ich sehe leider erst jetzt, dass hinter ihr der Chef gestanden hat - und es ist nicht so, dass der Chef eine halbe Portion ist. Und jetzt steht er da, und zwar mit den Lauschern weit offen.
»Spielen Sie sich nicht so auf, Lämmermeier! Fahren Sie lieber ins Krankenhaus und finden heraus, wann der Herzstillstand wieder entlassen wird!«
Er nimmt sich einen Kugelschreiber von meinem Schreibtisch und rührt damit in seinem Kaffee herum.
»Und dann berichten Sie, wie diese, diese .«, er schaut auf den Zettel, den die Angerer mir auf den Schreibtisch gelegt hat, ». diese Kräuterhexe dem Günter von der Liftstation ein paar Pralinen überreicht. Am besten oben auf dem Hausberg, mit Gipfelkreuz im Hintergrund.«
»Genau das mache ich. Und am nächsten Tag schreibe ich: Der Günter hat sich an den Mon Cheri überfressen, aber ansonsten ist alles wunderbar.«
»Dass Sie immer so negativ sein müssen, Lämmermeier!«
Der Chef wirft den Stift zurück auf meinen Tisch.
»Titeln Sie doch einfach: >Der Lebensretter von der roten Gondel<, >Schutzengel im Einsatz< oder etwas Ähnliches.«
»Das sind keine Schlagzeilen, das sind Kitschpostkarten«, murmle ich.
»Ach, und noch was, bevor Sie nach Rosenheim fahren.« Der Chef wedelt mit einem rosa Flyer. »Schauen Sie am Marktplatz vorbei. Da ist nämlich heute Eröffnung!«
Ich nehm den Flyer ungern, denn Informationen auf rosa Papier bedeuten meistens nichts Gutes. Jedenfalls nicht für einen Polizeireporter wie mich.
»Gmahde Wiesn, Gutschein für einmal Bikinizone, Wert: zwanzig Euro. Was soll das sein?«, frage ich misstrauisch.
»Ein Waxing-Studio! Ganz was Neues hier in der Gegend. Da machen Sie mir einen flotten Sechszeiler, ja?«
»Die Eröffnung von so einem Beautyschmarrn fällt nicht in mein Ressort. Das betrifft eindeutig die Abteilung Garten und Dorfleben!«
»Ich bitte Sie, Lämmermeier. Die Frau Angerer und Herr Käsner haben mehr als genug zu tun, jetzt vor dem 1. Mai. Was man von Ihnen nicht behaupten kann, Lämmermeier.«
»Was kann ich dafür, wenn in diesem Scheißkaff nie etwas Gescheites passiert?« Das sage ich zwar so leise, dass es der Chef es nicht versteht, aber gesagt werden muss es trotzdem, und nehme mir die alte Strickjacke mit den Hirschhornknöpfen von der Stuhllehne, die mir die Mama heute früh nachgetragen hat, wegen der Eisheiligen.
Die Sonne scheint durch die gläserne Eingangstür und wirft die Schatten der Klebebuchstaben auf die Spitzen meiner Cowboystiefel: Chiemseewoche Presse GmbH, spiegelverkehrt. Ich schaue kurz darauf, um mich zu sammeln.
»Geht's los?«, fragt mich die Gitti vom Empfang, ich nicke und starte durch.
Die Jolly steht mit dem Heck zur Hauswand, und ich muss zum Losfahren nicht wenden. Bei Sekunde fünf lande ich mit Powerslide auf der Hausbergstraße und biege nach ein paar Hundert Metern rechts ab. Weil ich in den Haarnadelkurven Richtung Panoramagaststätte in den Ersten runterschalte, schaffe ich die Strecke bis nach Hause unter viereinhalb Minuten. Trotz der sechshundert Höhenmeter.
Der Milchreis ist schon fertig, genau wie ich ihn mag: ohne Rosinen, aber mit einem Stück Zitronenschale. Die Mama bringt ihn mir in den Biergarten, wegen tipptopp Frühlingswetter - fast zu warm für die Jahreszeit und mit einem Stich ins Schwüle.
Nach dem Essen poliere ich der Jolly noch schnell ein paar tote Fliegen weg von dem grünen Streifen an der Seite. Und weil ich es heute einfach mal nicht eilig habe, bügle ich der Mama noch die Schürzen, zwei fürs Dirndl, zwei zum Bedienen. Beim Huberwirt wohnen ist für uns beide nämlich eine feine Sache. Die Mama hat es nicht weit zur Arbeit, und ich habe es nicht weit zur Mama. Danach mache mich auf den Weg zum See.
»Servus, Uwe!«, brülle ich aus dem Fenster und drehe im Kreisverkehr nach dem Ortsschild noch eine Runde mehr, vorbei an den drei Wegweisern nach Osten, Süden und Norden. Traunstein, Salzburg, Rosenheim. Da sieht man gleich, wo unser Geröllharting liegt, mitten im Bermudadreieck der Sommerfrische.
»Lucky, wohin geht die Reise?«, schreit der Mann mit der schwarzen Wollmütze und der orangefarbenen Latzhose zurück und winkt aus dem Blumenbeet in der Mitte vom Kreisel.
»In die Mittagspause.«
Der Uwe schaut kurz auf die Uhr und streckt den Daumen nach oben. »Respekt! Heute Abend dann bei mir, ja?«
Nach zwei weiteren Runden im Kreisverkehr habe ich mit unserem Gemeindediener geklärt, welchen Tatort wir uns später mit dem Highspeedinternet vom Uwe aus dem Netz holen wollen, und biege ab, die einzige Ausfahrt ohne Wegweiser. Es ist eigentlich ein schöner Tag, links von mir leuchten die Berge in der Sonne, silbern wie die Schultersterne von einem Polizeihauptkommissar. Rechter Hand ziehen sich die Felder grün und gelb bis zum Chiemsee, dazwischen immer mal wieder ein Bauernhof, seit dem Wochenende mit roten Geranien an den Balkonen.
Die Straße gabelt sich nach ein paar Minuten und führt zwischen ein paar dünnen Birken zum See hinunter. Ich fahre ein kurzes Stück am Ufer entlang und rolle mit der Jolly zum Wasser.
Mit einem Ratsch fährt der Fahrersitz in die hinterste Position, damit ich die Füße auf das Armaturenbrett legen kann. Ich klebe zwei extralange Zigarettenpapiere zu einem L zusammen und drücke beim Soundsystem der Jolly auf Play und Repeat. Die Bläser setzen ein. Weil man unmöglich den Eröffnungssong der Blues Brothers dreimal hintereinander hören kann, ohne Luftsaxophon zu spielen, will ich gerade zum Solo ansetzen. Aber leider bekomme ich Besuch.
»Servus, Steff«, sage ich und versuche etwas zu spät, den Joint nach unten zu halten.
»Lucky, was macht du denn hier?«
»Stress in der Arbeit.« Ich drehe die Musik ein bisschen leiser.
»Ah. Sieht man gleich«, bemerkt der Steff.
»Wusste gar nicht, dass du noch hierher an den See kommst. Hast dich gut eingearbeitet?« Direkt höflich klingt die Frage - für meine Verhältnisse. Also für das Verhältnis vom Bruckner Steff und mir. Der poliert erst einmal einen unsichtbaren Fleck an meinem Außenspiegel weg, bevor er antwortet.
»Na ja, weißt du, in München war schon mehr los bei der Polizei. Aber wenn die Babsi hier einen Job kriegt, war doch klar, dass ich mich nach Geröllharting versetzen lasse.«
»Hast du denn für heute schon frei?«
»Frei? Nein. Ja, doch. Ich, wir, äh, die Babsi hatte einen Arzttermin in Traunstein. Und danach wollt ich irgendwie an den See. Wie früher.«
Das Wort »Arzttermin« sagt er so, dass ich auf seine Hand schauen muss, die immer noch auf dem Außenspiegel liegt, und auf den Ehering daran.
»Was ist denn mit der Babsi?«, frage ich und schaue wieder geradeaus. »Kann der Doktor Sprengel seine Sprechstundenhilfe nicht selber untersuchen?«
Weil - er hat schon recht, der Steff. Hier am See war früher unser Lieblingsplatz. Bis ich der Babsi nähergekommen bin. Und dann die Babsi dem Steff nähergekommen ist. Und der Steff in der Polizeischule genommen worden ist und ich nicht. Und dann keiner von uns mehr irgendwohin gegangen ist mit dem anderen.
»Eigentlich nicht. Sie ist ja auch gar nicht richtig krank.« Ich sage nichts, und der Steff druckst ein bisschen herum. »Es ist nur so, also, wir kriegen ein Baby.«
Das haut bei...
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