1 Physiotherapie in Human- und Tiermedizin
Mima Hohmann
Jeder Mensch kennt Physiotherapie oder Krankengymnastik und hat sie vielleicht schon am eigenen Körper erfahren können. Die genauen Inhalte dieser Behandlungsform sind jedoch oft unklar. Selbst gelernten Physiotherapeuten fällt es schwer, in wenigen Sätzen den Begriff der Physiotherapie bzw. der physikalischen Therapie näher zu erklären.
1.1 Definition und Anwendungsgebiete
Über die Begriffe der Physiotherapie bzw. physikalischen Therapie herrscht viel Verwirrung. Sie werden auch häufig synonym verwendet. Der griechische Wortteil physio bedeutet "Natur, natürlich, die natürlichen Lebensvorgänge betreffend". Die Physiologie ist die Lehre der normalen, natürlichen (physiologischen) Lebensvorgänge.
Definition
Die Physiotherapie bedeutet Naturheilbehandlung oder anders ausgedrückt: Physiotherapie ist die Behandlung gestörter Körperfunktionen mittels natürlicher Therapieformen.
Der Begriff physikalische Therapie beschreibt die Behandlung mit physikalischen Mitteln. Sie ist somit nur als ein Teilgebiet der Physiotherapie zu verstehen.
Zur physikalischen Therapie zählen zum Beispiel die Thermotherapie, Hydrotherapie, Elektrotherapie, Ultraschalltherapie und Magnetfeldtherapie. Unter den Begriff der Physiotherapie fällt folglich sowohl die Behandlung mit physikalischen Techniken als auch der Einsatz der "therapeutischen Hände" und aktiver Bewegungsübungen.
Die Physiotherapie wird in der Humanmedizin in folgenden Bereichen eingesetzt: Innere Medizin, Traumatologie, Orthopädie, Chirurgie, Neurologie, Geriatrie, Gynäkologie, Pädiatrie, Sportmedizin/Sportphysiotherapie und medizinische Trainingstherapie.
In der Veterinärmedizin beschränken wir uns zurzeit auf die Bereiche Orthopädie, Geriatrie, Pädiatrie, Sportmedizin/Sportphysiotherapie, Traumatologie und Neurologie. Beim Tier setzt man Physiotherapie ein:
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zur Wiederherstellung oder Annäherung an einen physiologischen Zustand, zum Beispiel an ein physiologisches Gangbild
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zur Verbesserung der Beweglichkeit (Gelenke, Bänder, Sehnen, Muskeln)
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zur Verbesserung der Muskelfunktion und des Muskelaufbaus
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zur Schmerzlinderung
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zum Konditionstraining
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um die Heilungszeit zu verkürzen bzw. die Heilung insgesamt zu optimieren
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zur Erhaltung des gesunden Körpers (psychische Wirkung auf das Tier)
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zur Vorbeugung bei vorzeitigen Alterungsprozessen, erblich bedingten Anfälligkeiten etc.
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um bei bestimmten Erkrankungen den Erkrankungsstatus zu halten oder zu verbessern
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bei sportlich aktiven Tieren
Man sollte jedoch die anderen Gebiete nicht aus den Augen verlieren (z. B. Atemtherapie bei chronischen Atemwegserkrankungen, Kolonmassage bei Obstipationen und Megakolon, Betreuung von Sporthunden usw.).
1.2 Übersicht über physiotherapeutische Techniken
Man unterscheidet in der Physiotherapie zwischen:
Je nach Autor kann die Einteilung in die verschiedenen Therapieformen etwas unterschiedlich vorgenommen werden.
Das genaue Erlernen der einzelnen Techniken erfordert den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen, die sich teilweise über mehrere Jahre erstrecken. Auch in der Tiermedizin lernt man nur über Jahre die Physiotherapie mit ihren verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten kennen und anwenden.
In ? Tab. 1.1 wird mit den unterschiedlichen humanmedizinischen Behandlungstechniken deutlich, dass es den Begriff Physiotherapie als klar umrissene Therapieform nicht gibt. Es handelt sich vielmehr um ein riesiges Gebiet mit verschiedenen Behandlungsvarianten, die kein Physiotherapeut in seinem Leben alle beherrschen wird.
Tab. 1.1 Übersicht über verschiedene Techniken der Physiotherapie. Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen Eindruck davon vermitteln, dass die Physiotherapie ein sehr umfangreiches und abwechslungsreiches Tätigkeitsfeld ist, das zum Teil sehr spezielle Kenntnisse erfordert.
Typ
Techniken
Basistechniken
aktive Techniken (z.B. aktives Bewegen, aktives Bewegen gegen manuellen Widerstand und unterstütztes Bewegen), passive Techniken (z.B. Lagerung, Traktion und passives Bewegen), Mobilisationstechniken (z.B. Bewegen unter Traktion, Querfriktion nach Cyriax und Dehnen), Gangschulung (u.a. Hilfsmittel- und Orthesenversorgung), Haltungsschulung, Atemtherapie (z.B. Grifftechniken zur Sekretolyse und Drainagelagerungen), Prophylaxe (z.B. Kontraktur-, Pneumonie- und Dekubitusprophylaxe)
Spezielle Techniken
Alexander-Technik nach Frederik Matthias Alexander, Bobath, Brügger, Brunkow, Bad-Raggazer-Ringmethode, kraniosakrale Therapie, Cyriax, Eutonie, Feldenkrais, progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Klapp-Kriechübungen, Funktionelle Bewegungslehre nach Klein-Vogelbach, Maitland, Manuelle Therapie, McKenzie-Methode, Halliwick-Schwimmtherapie, Osteopathie, PNF (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation), Psychomotorik, Rückenschule, Schaarschuch-Haase-Lösungstherapie, dreidimensionale Skoliosetherapie nach Schroth, Vojta-Methode
Massagetherapie
klassische Massage, Unterwasser-Druckstrahlmassage, Lymphdrainage, Bürstenmassage, Kolonmassage
Reflexzonentherapie
Bindegewebsmassage (BGM), Reflexzonenmassage am Fuß (RFZ), Akupunktmassage nach Penzel, Akupressur
Hydro- und
Balneotherapie
Kneipp-Anwendungen (Waschungen, Wickel, Güsse), Bäder, hydroelektrische Bäder, Abreibungen, Abklatschungen, Bürstungen, Badetherapie mit künstlichen Zusätzen, Bewegungsbad, Unterwasserlaufband, Schwimmtherapie
Thermotherapie
Kryotherapie, Wärmetherapie
Elektrotherapie
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