Schweitzer Fachinformationen
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Sie hatte alle Kisten aus dem Transporter ausgeladen, alle Waren sortiert, gestapelt und sorgsam arrangiert. Wie jeden Morgen, wenn sie ihren Marktstand aufgebaut hatte, hielt Ina einen Moment inne und betrachtete die Auslagen. Sie genoss den Moment der Stille, bevor die ersten Kunden eintrafen - den Anblick der bunt gemischten Obst- und Gemüsesorten und der von ihr selbst designten, mit frischen Waren prall gefüllten Papiertüten. Auch an den restlichen Ständen herrschte emsige Betriebsamkeit. Genau wie sie waren die meisten Händler noch weit vor Sonnenaufgang mit ihren Lieferwagen und Foodtrucks auf dem bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebten Marktplatz in Berlins Mitte eingetroffen. Ina winkte den Koreanerinnen von gegenüber zu. Um die Mittagszeit bildete sich vor dem Stand der beiden jungen Frauen stets eine lange Schlange. Ihr frisch zubereitetes Bibimbap aus Reis, Gemüse, Ei und wahlweise Fleisch oder Tofu erfreute sich großer Beliebtheit. Aber Ina wusste, dass auch die Waren der anderen Händler - vom italienischen Kaffee über den hausgebackenen Kuchen bis hin zur klassischen Currywurst mit Pommes - ihre Abnehmer fanden, selbst bei der aktuell herrschenden Wetterlage, einer meist ungemütlichen Mischung aus Nebel und Nieselregen, die eigentlich nicht zu einer Mahlzeit im Freien einlud. Ina liebte den Duft, der sich, von den verschiedenen Ständen aufsteigend, über dem Platz ausbreitete. Nach einem Blick auf die Uhr beschloss sie, dass noch genug Zeit für einen Espresso am Stand von Matteo blieb. Nur sein gleichermaßen üppiges wie köstliches Tiramisu, das er ihr gern zum Naschen anbot, würde sie sich verkneifen, zumindest jetzt, am frühen Morgen.
Neben ihr räusperte sich jemand. »Hübsch, hübsch hier.«
»Guten Morgen, Alex!«, begrüßte Ina ihren Standnachbarn, der genau wie sie in eine dicke Winterjacke gehüllt war und Mütze und Handschuhe trug, um der feuchten Kälte der letzten Novembertage zu trotzen. »Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.«
»Der Himmel reißt auf. Jetzt guck dir mal den Sonnenaufgang an!«
Ina hob den Kopf. »Wow!«
»Sieht aus wie eine riesige orange Weihnachtskugel, findest du nicht?«
»Passt doch.«
»Ich habe was Neues«, sagte Alex. »Willst du schnuppern?«
»Unbedingt!« Den Kaffee bei Matteo könnte sie sich genauso gut zum Ende des Markttages gönnen.
Ihr Nachbar griff nach einer der großen silbrigen Metalldosen an seinem Stand und öffnete vorsichtig den Deckel. Alex verkaufte Gewürze - von Klassikern bis hin zu selbst erdachten Mischungen. »Meine neueste Kreation. Die heißt Sunrise.«
Ina lachte. »Passt schon wieder. Und in der Dose sieht es genauso aus wie gerade am Berliner Himmel.« Sie beugte ihren Kopf über das Gefäß und sog den Duft der Gewürzmischung ein. »Mmh, was ist das?«
»Kurkuma, Ringelblumenblätter, Paprika, Koriander und Ingwer.«
»Absolut himmlisch. Und der Name ist auch so schön. Da kauf ich dir ein Tütchen ab.«
Alex zwinkerte ihr zu. »Ich schenk dir eins. Weil bald Weihnachten ist.«
Ina zwinkerte zurück. »Dann revanchier ich mich mit einem Müsli, einverstanden?«
»Deal.«
»Ich bin ab morgen im Urlaub«, sagte Ina.
»Weiß ich«, erwiderte Alex. »Hast du mir letzte Woche schon erzählt.«
»Wahrscheinlich vorletzte und vorvorletzte auch«, scherzte Ina. »Das liegt daran, dass ich eine Pause brauche. Und mich wie verrückt auf meine Hütte freue.«
Bevor Alex etwas erwidern konnte, begannen die Kunden sich an seinem Stand aufzureihen. Er bot zusätzlich zu seinem Standardsortiment verschiedene Sorten heißen gewürzten Tee an und zog damit jeden Morgen ein sichtbar müdes, aber kauffreudiges Stammpublikum an. Alex war leidenschaftlicher Gewürzverkäufer und kannte sich mit Herkunft, Anbau und Wirkweise eines jeden Produkts bestens aus. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, ließ sich auch Ina, wenn es die Zeit zwischen zwei Kunden erlaubte, gern ihren mitgebrachten Thermobecher mit duftendem Chai und einem guten Schuss frischer, cremiger Hafermilch füllen. »Ingwer, Nelken und Kardamom, die halten dir jeden Virus vom Leib«, erklärte Alex. »Versprochen.«
Eine Wirkung, die sie als im Winter stets durchgefrorene Markthändlerin durchaus brauchen konnte.
Der Markttag verging wie im Fluge. Die Käufer standen Schlange. Für einen Tee blieb an diesem Vormittag keine Zeit. »Also, diese Sorte ist ja schon ziemlich lecker, aber die Rosinen .«, sagte eine Kundin, nachdem Ina ihr eine kleine Portion ihres selbst kreierten Adventsmüslis zum Kosten angeboten hatte.
»Das sind Cranberrys.«
»Das ist doch alles das Gleiche.«
»Na ja, das kann man so nicht sagen«, erwiderte Ina lächelnd.
Möglichst unauffällig trat sie fröstelnd von einem Bein auf das andere. Nicht nur, weil sie langsam, aber sicher zu frieren begann, sehnte sie das Ende des heutigen Markttages herbei. Auch die Kundschaft schien ihr zu Beginn der Adventszeit besonders anspruchsvoll zu sein. Was sie in gewisser Weise verstand, zum Fest gehörten Gaumenfreuden so unabdingbar dazu wie der geschmückte Tannenbaum. Vielleicht war sie auch einfach nur müde. Und urlaubsreif.
Der Gedanke, dass sie nach diesem Markttag in die langersehnten Ferien aufbrechen würde, hob ihre Stimmung. »Ich kann Ihnen das Schokoladenmüsli empfehlen, da sind weder Cranberrys noch Rosinen drin.«
»Ja, aber das ist wahrscheinlich viel zu süß. Und mein Mann mit seinem Diabetes . wissen Sie?«
Ina blieb geduldig und warf einen beruhigenden, mit einem Lächeln gepaarten Blick zu den hinter der Dame wartenden Leuten. Sie war seit Jahren Markthändlerin, und im Umgang mit ihren Kunden hatte sie schon so ziemlich alles erlebt. Natürlich gab es genug Menschen, die einfach an ihren Stand kamen, eines ihrer selbst gemachten Müslis und eine Tüte Obst dazu kauften, bezahlten und sich mit einem kurzen Dank verabschiedeten. Aber die weitaus meisten verweilten ein wenig, einige von ihnen, um beraten zu werden, andere, um über Gott und die Welt zu plaudern oder sogar ihr Herz auszuschütten.
Ihr Stand, mit dem sie elf Monate im Jahr über die verschiedenen Berliner Marktplätze zog, erfreute sich reger Stammkundschaft. Ihr Verkaufsschlager waren die sorgsam zusammengestellten Smoothietüten - auf verschiedene Geschmäcker und Bedürfnisse abgestimmte Obst- und Gemüsemischungen, vom grünen Smoothie aus Grünkohl, Gurke, Ananas und Apfel bis hin zum sämig süßen Mix aus Bananen, Mango und Papaya mit einem leisen Hauch von scharfem Ingwer.
Die Kundin ging schließlich, ohne etwas mitgenommen zu haben. Dafür waren die nächsten Besucher umso kauffreudiger. Ihr nach Zimt und Marzipan duftendes Adventsmüsli, von dem sie nur eine kleine Menge produziert hatte, war eine Stunde vor Schließung des Marktes ausverkauft, worüber sich Ina freute, wäre sie es doch bei Wiedereröffnung ihres Standes im Januar höchstens noch zum halben Preis, wenn überhaupt, losgeworden. Die letzten Smoothietüten erwarb eine ihrer Stammkundinnen, der Ina einen stattlichen Rabatt gewährte.
Punkt vierzehn Uhr begann sie, die verbliebene Ware - lediglich etwas loses Obst und Gemüse - einzupacken und in ihren Transporter zu laden. Sie und Alex tranken schließlich mit Matteo vom Kaffeestand einen Espresso und teilten sich lachend und fröhlich schwatzend das letzte übrig gebliebene Stück Tiramisu.
Feierabend! Urlaub! Beinahe hätte sie vor Freude gejauchzt. Zu Hause würde sie das Auto ausladen, sich ein Bad einlassen und während langsam die Wärme in ihren ausgekühlten Körper zurückkehrte, realisieren, dass nun knappe fünf Wochen Freizeit vor ihr lagen. Was für ein Fest! Weihnachten begann für sie genau jetzt.
Bin in einer Stunde zu Hause, schrieb sie in einer WhatsApp-Nachricht an ihre Mutter.
Die beiden teilten sich ein Haus mit kleinem Garten im gemütlichen Stadtteil Lichterfelde - Ina wohnte oben, ihre Mutter Margarete unten. Wenn Ina vom Markt kam, half ihre Mutter, den Transporter auszuleeren. Danach aßen sie zusammen ein spätes Mittagessen, das Margarete täglich frisch für sie beide zubereitete.
Heute hatte Ina sich eine heiße Suppe gewünscht. Der Berliner November war bisher nur nasskalt gewesen, keine einzige Schneeflocke hatte sich blicken lassen. Dafür umso mehr Regen. An manchen Tagen hatte Ina das Gefühl, nie mehr warm werden zu können, auch wenn Thermounterwäsche und dick gefütterte Stiefel ihr die schlimmste Kälte vom Leibe hielten.
Sie war gerne Händlerin, die Kunden goutierten ihr sorgsam ausgetüfteltes Konzept, zeitsparende Lebensmittelpakete anzubieten, gesund und vollwertig und immer frisch. Angefangen hatte sie ausschließlich mit Obst und Gemüse. Müsli zu mischen war anfangs mehr ein Versuch gewesen, weil sie Freude daran hatte, kreativ mit verschiedenen...
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