Schweitzer Fachinformationen
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"Jawohl, auch ein Fötus hört gewisse Töne bereits im Mutterleib: das Pumpen des Herzens seiner Trägerin: ein Grundrhythmus, und, wenn er hellhörig ist, auch Töne von Musik; in der Nähe einer Kirche die Glocke und in der Nähe der Kaserne den Zapfenstreich - vorausgesetzt, dass das Wachsen und Gedeihen in dem mütterlichen Dunkel auf dem Gebiet der Monarchie stattfindet, und vor allem in Ungarn, das nach 1918 noch bis Kriegsende 'Monarchie spielte', eine eigenartige Monarchie ohne König, doch mit einem Marine-Admiral an ihrer Spitze, dies in einem Land ohne Meer." Aus G. M. Hofmann: "Der Auftritt des linkshändigen Dichters Alexander Galajda"
Teleky Straße
Von den Geschwistern meiner Mutter war mir damals Eva die liebste. Sie war die jüngste ihrer Schwestern, nur elf Jahre älter als ich, ein fröhliches, junges Mädchen. Sie bastelte mir einen lustigen Kasperl. Ich liebte diesen Kasperl sehr und zerrte ihn überallhin mit, vor allem in den Hof der Wohnung in der Teleky Straße, der mit seinen zahlreichen Löchern, Pfützen und gespenstischen Gebilden eine große Anziehung auf mich ausübte. Aber auch gefährlich war der Hof, und zwar wegen der vielen größeren Burschen, größer als ich. Sie waren die Söhne unserer Nachbarn. Besonders erinnere ich mich an die Brüder Dominik, die zu dritt waren und an dem Holzverbau vor unserem Fenster ständig auf und ab rannten und dabei einen Höllenlärm erzeugten. Gyurika, mein Vater, versuchte sie zur Ruhe zu bringen und deutete immer auf mich, was mir besonders peinlich war. Instinktiv wollte ich bei den Dominik- und Tobias-Brüdern als grobschlächtig und robust gelten. Auch dachte ich, dass das zielführender wäre. Denn Gyurikas Mahnungen zeigten keine Wirkung. Überhaupt, Gyurika ...
Mir kam es so vor, dass die wilden Knaben auf unserem Hof keinen Respekt vor ihm hatten. Auf dem einzigen Tisch in unserer Küche badete er in einer Blechschüssel die Schreibmaschinen - die Continentals, auch die Adlers, die Underwoods - in Benzin. In dieser Küche wurde er immer wieder von den bösen Buben gestört, wenn sie nach einer unheilschwangeren Ruhe plötzlich in ein Siegesgeschrei ausbrachen, was in ihm eine närrische Angst um sein Kind, um mich, erweckte, da er glaubte, dass sie in mir ein ohnmächtiges Opfer, ein Mädchen - das Mädchen als Steigerung der Ohnmacht - entdeckt hätten, das sie jetzt quälen konnten. So stürzte er aus der nach Benzin stinkenden Küche und schrie: "Jetzt habe ich euch erwischt!" oder "Wartet mal, wartet mal!", und mit einem Sprung stand er im Hof. Retten konnte er mich allerdings nicht, denn ich war, meiner harmonischeren Natur gemäß, wahrscheinlich auf der Flucht vor dem verhassten Benzingeruch, schon über alle Berge.
Von der Teleky Straße aus gesehen war die Neue Welt Straße nur ein Katzensprung entfernt. Hier wohnte meine Oma. In der Zeit, die ich hier beschreibe, war sie noch bei der Post als Telefonfräulein, dabei war sie damals schon um die sechzig. Ein sechzigjähriges Fräulein nach acht Geburten, mit sieben lebenden Kindern. Als wenn die Sprache nur zur Verspottung meiner Oma da wäre.
Seitdem ihr Mann im Krieg war, verdiente sie allein für die Familie Geld, nahm die lächerliche Berufsbezeichnung Telefonfräulein auf sich, steckte die erbärmliche Bezahlung Monat für Monat ein und bestritt aus dem Minimalbudget ihren Haushalt. Nur am Ende eines jeden Monats schickte sie die älteste Tochter (meine Mutter) zu der Spezerei runter und ließ sie um Stundung bitten, und zwar für 1 dkg Fett. Wirklich für 1 dkg Fett, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wofür sie allerdings von meiner Mutter gehasst wurde.
Großmutter mütterlicherseits
Aber die Geschwister Lichter waren noch ärmer als sie. Die Lichter-Geschwister mit ihrem Leiterwagen, auf den sie alles aufhäuften, was sie mit ihren Händen erreichen oder vom Boden aufheben konnten. Denn die Geschwister Lichter waren sehr klein, wahrscheinlich auch sehr alt damals. Aber was auf mich den meisten Eindruck machte, war ihre totale Stimmlosigkeit, mit der sie, jeder Verständigungsmöglichkeit bar, ihren Leiterwagen mit großem Geschick vor sich herschiebend und hinter sich herziehend, eine tänzerische Darbietung vortäuschten. Meine Oma schätzte diese Darbietung sehr, und wenn sie an ihrem Fenster vorbeifuhren, klopfte sie an das Glas. Die Geschwister Lichter blieben stehen, und meine Oma steuerte auf der Neuen Welt Straße auf sie zu. Ich bin sicher, dass sie einen guten Bissen mitnahm, den sie ihnen dann diskret zusteckte. Diese bedankten sich durch eifriges Kopfnicken.
Mein Großvater indessen schaute aus dem Fenster wie aus einer Loge zu. Damals kam es mir so vor, dass eigentlich er der Auftraggeber dieser Aktion sein musste. Warum? Mein Großvater, der entflohene Banater-Schwabe, der daheim auf dem Hof seines Vaters in Perjamos nicht arbeiten durfte, weil er zu klein und zu schwach war, der in die weite Welt ging ...
Mein Großvater ging auf seiner Wanderschaft exakt bis Györ/Arrabona. Da verliebte er sich in meine Oma.
Mein Großvater, der ehemalige Frontsoldat, der keinen Pfennig Entschädigung bekommen hatte für die verlorene Zeit, für die verschiedenen Gebrechen, die er in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges bei Przemysl, Isonzo, Verdun zusammengesammelt hatte. Und jetzt, da langsam der Krampf der Kriegserinnerungen nachließ, heute bequem beim Fenster sitzend, zu seiner Gattin mit einem überlegenen Lächeln runterschauend, während sie, meine Oma, inzwischen eine teigige Frau, ganz in Trauer um ihre einstige Schönheit, ihm alles, aber auch alles erlaubte, weil er einmal so ein schöner kleiner Mann gewesen war.
Nach der Schlacht um Przemysl brachte meine Oma ihren Gatten im Militärspital unter.
Ich unterbreche dich. Großvater! Rede nicht daneben! Wo ist deine überlegene Klugheit? Wo ist unser Eckhaus, das du uns bauen wolltest? Was ist aus deinem geerbten Vermögen geworden? Kriegsanleihen! Angelegt zu Gewinn - alles dahin. Ja, Win-Win ...
Das Kind mit Tante Rosa
Und hier sah ich meinen Großvater, wie er sich nasse Lappen um die rechte und linke Hüfte wickelte. Das war eine pseudomedizinische Selbstbehandlung gegen Rheumatismus. Hast du uns wirklich nur Gewinn eingebracht, Großvater? Nur Gewinn, deiner Familie, deinen Kindern, deinen Kindeskindern?
Mit meinen drei Jahren kletterte ich die Treppe hinauf, zur Wohnung meiner Großmutter in der Neuen Welt Straße. Rechts war die Tür zu ihrer Wohnung, links die Tür der "schlechten Tanten". Das waren, wie ich später erfuhr, Prostituierte. Geradeaus war das einzige Klo der Etage. Das tröpfelte. Die Tropfen fielen auf den darunterliegenden offenen Hof und mitunter auf den Kopf der unten Vorbeigehenden. Dieses Klo benutzte ich nie. Das war für mich wie ein Gesetz.
Wenn ich bei meiner Oma klopfte, machte meist meine Mutter die Tür auf. Im Hintergrund stand Tante Rosa. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mit verweinten Augen traurig dreinschaute. "Hältst du es noch aus?", fragte Tante Rosa sie sehr besorgt. "Soll ich Anya etwas sagen?"
"Ach nein .... Ich habe Gyurika nun einmal geheiratet. Mitgegangen, mitgefangen. Anya, mit ihren acht Geburten. Ich bin da total allein. Und du kannst mir auch nicht helfen", sagte sie plötzlich ganz feindselig. "Vergiss nicht, was du mir selbst erzählt hast. Das respektlose ... Grapschen an deinem Hintern. Nur weil du meine Schwester bist." Und die zwei Schwestern umarmten sich und weinten einträchtig und hoffnungslos.
Eva, die jüngste Schwester meiner Mutter, hatte mir also einen prächtigen Kasperl gebastelt. Den hatte ich wirklich gern. Mit den sechs Puppen, die Gyurika mir mittlerweile geschenkt hatte, wollte ich nicht spielen. Den Kasperl aber, den zerrte ich überall mit mir. Es war kein Wunder, dass die Leute bald merkten, dass der Kasperl und ich dicke Freunde waren. Eines Tages war der Kasperl plötzlich weg. Ich konnte das nicht verstehen. Tagelang habe ich nach ihm gesucht. Auch in unserem Hof. Umsonst. Gyurika ging mir aus dem Weg. Meine Mutter dagegen war mir immer im Weg. Ich bin mir sicher, dass sie in diesen Tagen nicht einmal zur Wohnung meiner Oma ging, um sich bei Tante Rosa auszuweinen. Meine Mutter sagte zu mir in den Tagen des ewigen Suchens scheinheilig und belehrend in einem fort: "Siehst du, das kommt dabei heraus, wenn man schlampig ist." Ich war aber nie schlampig, das wusste ich ganz bestimmt. Ich war total betreten und suchte weiter.
Das Kind im Hof der Czuczor Gergely Straße
Was wirklich geschehen war, erfuhr ich allmählich, besonders durch ein Gespräch der Eltern im Schutze der Nacht. "Doch du willst nicht zugeben, dass du den Kasperl des Kindes verheizt hast." Hier folgte trotziges Schweigen. Nach diesem...
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