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Ein Bücherpaket aus Berlin war in der Münchner Franz-Joseph-Straße 2, III. Stock, abgegeben worden. Der hier wohnende Empfänger Thomas Mann fand es bei seiner Rückkehr von einer kurzen Vortragsreise nach Basel vor, seiner ersten Autorenreise ins Ausland. Eigentlich gab es gerade etwas sehr Ärgerliches beim Verlag zu monieren, doch die eingetroffenen Neuerscheinungen des Hauses hoben weit darüber hinweg und hellten die Stimmung auf: »bin voller Bewunderung«, wird er seinem Verleger Samuel Fischer am 6. Februar 1906 gleich mitteilen. »Blitzkerle«, diese Österreicher. Hofmannsthals Oedipus, »eine herrliche Arbeit«, sie gehe ihm sogar näher als dessen Elektra; und Schnitzlers Zwischenspiel erst: »entzückt« habe er es schon im hiesigen Residenztheater aufgeführt gesehen. »Ist es sehr frivol, dass ich es dem neuen Hauptmann bei Weitem vorziehe?«
Frivol war nur die Koketterie, mit der er rhetorisch fragte und bei seinem Verleger die Am-Podest-rüttelnde-Wenigkeit spielte. Sein lübisches Gefieder, er hatte es noch nicht abgelegt seit seinem Ritterschlag zum Autor des Fischer Verlags - »im Gegenteil, ein bisschen kokette Pose war mir immer ganz recht beim Künstler«[1]. Hier musste sie der Selbstaufrichtung dienen, denn am Ehrgeiz des jungen Bestseller-Autors nagte eine erste, lang anhaltende Krise. Und in seinen frühesten gedruckten Geschichten traf es schicksalhaft auch immer Dreißigjährige .
Buddenbrooks mit dem Untertitel Verfall einer Familie standen zwar bald fünf Jahre nach ihrem Erscheinen im Oktober 1901 in zwei Bänden und drei Jahre seit der verkaufsfördernden einbändigen Neuausgabe beim 38. Tausend. Und daran konnte man sich, auch finanziell, gewöhnen. Doch der zweite Roman, die so wichtige Bestätigung als Autor gerade nach einem von der Kritik weithin beachteten Debüt, lastete als unerwartete Mühsal auf seiner werkshypochondrischen Seele; und die befürchtete ohnehin jedes Mal, »das nicht mehr zu können«[2], was ihr zuvor gelungen war.
Das zuvor Gelungene wiederum verlangte jetzt von seinem Autor eine große Verteidigungsschrift, Bilse und ich. In zehn Tagen würde sie in den Münchner Neuesten Nachrichten erstabgedruckt und dann wohl auch im nordisch-protestantischen Lübeck gelesen werden, denn dort hatte man sich unangenehmst wiedererkannt und lautstark per Annonce über Buddenbrooks als Nestbeschmutzung beklagt.
Das gleiche peinliche Ärgernis jetzt auch hier in München mit seiner im jüdischen Milieu der neuen Familie angesiedelten Inzest-Novelle Wälsungenblut: In allerletzter Minute vom Druck für S. Fischers Zeitschrift Die Neue Rundschau zurückgezogen, geisterten einzelne Bögen gerade dennoch bis »in die weitesten Kreise« (so die Schwiegermutter) als Packpapier im Samisdat, neugierig umwittert als »antisemitisch«.
Schließlich das nicht recht durchschlagende Drama Fiorenza, Manns (einmaliger) Ausflug in die Bühnenprosa, 1905 erschienen, jetzt immerhin im 2. Tausend (viel für so ein Stück, wie der Verleger beruhigte) - eine Kritik am hedonistischen Schönheitskult, an der beharrlichen Renaissanceschwärmerei (auch im katholischen München) und zugleich »die Darstellung eines heroischen Kampfes zwischen den Sinnen und dem Geist«, wie sein Autor meinte. Tatsächlich waren die drei Akte eine handlungsarme, schwere Kost antithetischer Beredsamkeit rund um den asketisch-machtbewussten Prior Girolamo Savonarola und den genießerisch-lebensfreudigen Fürsten Lorenzo de Medici im Florenz von 1492: bisher nirgendwo aufgeführt, wobei Mann ohnehin glaubte, einen Aufschrei der papsttreuen, der »ultramontanen Presse« befürchten zu müssen.
Protestanten, Juden, Katholiken - er schonte offenbar keinen.
Doch Fiorenza war bisher leider ebenso ohne Besprechung geblieben vom Großkritiker Kerr. (Glück für Mann, denn als er es tut, 1913, wird es ein unerhört grausamer Verriss.) Über das Glashüttenmärchen in vier Akten allerdings, Und Pippa tanzt! (Erstauflage 5000), dieses Thomas Mann aus der eigenen Bewunderung für Gerhart Hauptmann heraus grämende neue Stück des bei weitem angesehensten Autors von S. Fischer, über Pippa also habe Alfred Kerr ja angeblich »enthusiastisch« im Tag geschrieben, setzte der Dreißigjährige seinen Brief nach Berlin an der Stelle fort. Da lasse er sich dann gern belehren - belehrte aber nun sicherheitshalber noch einmal seinen Verleger Samuel Fischer auf ganzen elf Zeilen über die eigene Fiorenza, wie ja durchaus für dieses Stück »leidenschaftlich Zeugnis« abgelegt worden sei, es sei »durchgesetzt«, und besonders zu empfehlen übrigens die Dresdener Montagszeitung.
Abb. 1 Der junge Nietzsche-Leser Thomas Mann, um 1903.
Gab es noch einen anderen Autor bei S. Fischer, den es so sehr drängte, das Heft in die eigene Hand zu nehmen, auch Kontroversen nicht scheuend? Der seinen Werken bei Veröffentlichung oder auch später gern die eigene Interpretation beigesellte, sie in Kernpunkten den ihm vertrauten Rezensenten diktierte oder im Nachhinein manchem Kritiker, Leser oder Germanisten des In- und Auslands in langen Schreiben auseinandersetzte? Nein!
»Thomas Mann hat dem Kritiker, dem Literarhistoriker vieles vorweggenommen, weil er wie wenige geneigt und geübt ist, sich selbst historisch zu nehmen und seine Ursprünge zu ergründen, die ihm Ziel und Wirkung gaben.« Hieß es auf halber Strecke, 1925, bei Arthur Eloesser, seinem ersten Biographen bei S. Fischer, aus Anlass des Mann'schen 50. Geburtstages.[3]
So oder so zeugte es von starkem Durchsetzungswillen. Von einem Bedürfnis nach Deutungshoheit. Von Auszeichnungsehrgeiz. Von geradezu missionarischem Mitteilungsdrang und oft genug von Kennerschaft seiner selbst.
Zeitlebens kam Thomas Mann mit kritisch wachendem Interesse auf sich selbst zurück. Legte er gezielt oder freigiebig Spuren auch zu seinen eigensten und innersten Motiven, im literarischen Werk selbst sowie durch direkte oder indirekte Bezugnahmen jeder Art. Für Arthur Eloesser lag es 1925 nahe, dies spielerisch mit dem Rechenschaftsethos der Mann'schen Vorfahren, der »Kaufherren«, in Verbindung zu bringen.
»Sehen Sie, - ich bin nun schon mal so einer, der immer gleich alles sagen muß .«, sagt 1895 ein Protagonist von Thomas Mann in der später nicht mehr gemochten, erstmals gedruckten Novelle Gefallen. Und: »Wie weh es tat, dies alles durchschauen zu müssen!«, ergänzte bald darauf sein Tonio Kröger (1901).[4]
Abb. 2 Mit dem kritischen Dichterfreund Kurt Martens (li.), 1900, späterer Feuilleton-Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten.
Las man die Briefe des Zwanzig- bis Dreißigjährigen, insbesondere an den Lübecker Vertrauten Otto Grautoff, an den Bruder Heinrich oder auch den frühen Münchner Duz-Freund Kurt Martens, ließ sich bei alledem noch ein tieferes Bedürfnis hören, ein wohl älteres, quälendes Ohnmachtsgefühl, aus dem es rief: So sieh mich doch . versteh doch! Und verkenne nicht, wer ich bin. Wenn man dies einmal vernommen hat, hört man parallel zu allem Streben nach Dominanz in der Deutung dies Appellierende immer wieder heraus - auch in Briefen an seinen Verleger.
Und wie auch nicht. Der sechzehn Jahre ältere Samuel Fischer, ein Mann von eigener Autorität und damals schon mit dem Nimbus des neuen, maßgeblichen deutschen Literaturverlegers versehen, hatte es fertiggebracht, den Besserwisser mit einem Hang zur »zersetzenden« Selbstanalyse, aber auch zur herrischen Selbstbehauptung, einen Zweiundzwanzigjährigen »ungesicherten Gemütes« also (Heinrich Mann), in der ihm wichtigsten Hinsicht, der künstlerischen, genauer zu erfassen als der sich selbst. So etwas vergaß Thomas Mann nicht.[5]
Gegen Ende der 1890er Jahre hielt er Novellen - die psychologische short story - für seine eigentliche literarische Form, als Fischer in seinen Geschichten Roman-Reife erkannte und ihn zu einem »grösseren Prosawerk« für seinen Verlag einlud. Das war für den - ob nun in Lübeck von Lehrern und Eltern oder vom Umfeld in München - stets unterforderten Hochbegabten etwas gänzlich Neues. »Das Neueste ist, dass ich einen Roman vorbereite, einen großen Roman - was sagst Du dazu?« - »Ich selbst hatte eigentlich bislang nicht geglaubt, dass ich jemals die Courage zu einem solchen Unternehmen finden würde. Nun aber habe ich, ziemlich plötzlich, einen Stoff entdeckt, einen Entschluß gefaßt .«[6] Die Courage finden. Wie viel leichter war das unter dem Zustrom der Erwartung von der richtigen Seite.
Jeder wollte zu S. Fischer, wird Thomas Mann später einmal sagen. »Es ist so!« - hier ein Roman, und man war sichtbar, neben die Besten eingereiht und geradezu offiziell in den Rang eines Autors versetzt. Doch für den strengen Selbsterzieher, der er war, für den erklärten »Helden der Schwäche« bedeutete es mehr: Steigerung seines Leistungswillens, persönliche Bildungs- und Selbstbildungsinstitution, Bewundernswertes (oder durch ihn Besser-zu-Machendes) in unmittelbarer Reichweite, fördernde Obhut,...
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