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Mittwoch, 28. Juli, 17:00 Uhr
»Mhm, nein, wir wollten mal wieder getrennt voneinander schlafen«, antwortete ich so beiläufig wie möglich und hoffte, dass die gespielte Lässigkeit meiner Antwort sämtliche drohenden Gegenfragen im Keim ersticken würde. Caro verzog kurz mitleidig ihre Mundwinkel, so als würde sie sofort spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, aber sie schien auch zu merken, dass ich auf keinen Fall darüber sprechen wollte. Malik widmete sich weiter dem Drehen der Joints, Sonny blickte zwar kurz auf, doch sobald sich unsere Augen trafen, schaute er sofort wieder weg. Thilo reichte mir mit der linken Hand die Kiste mit den Federmäppchen und mit der rechten den Schuhkarton mit den fertig gedrehten Joints.
»Umso besser, wir können jede Hilfe gebrauchen. Hier . Kannst die Dinger einsortieren. Zehn Stück in eins, wie immer«, erklärte Thilo.
Kennengelernt hatten wir uns in der Schule. Er war anfangs zwei Klassen über mir, das Jahr darauf nur noch eine und im dritten Jahr waren wir aufgrund seines schulischen Misserfolges sogar in derselben Stufe. Meine erste Begegnung mit ihm war skurril: Thilo hatte sich mit seiner Schulausweis-Fälschungs-Firma zur ersten Anlaufstelle für alle unter Sechzehnjährigen gemausert und erarbeitete sich eine Art Legendenstatus, indem er der gesamten Unterstufe den verfrühten Zugang zu Alkohol, Zigaretten und Großraumdiskotheken ermöglichte.
So stand ich also eines Nachmittags in der großen Pause in seinem »Büro« - dem Spindbereich. Ein mir damals noch völlig unbekannter Thilo reichte mir feierlich meinen neuen Schulausweis und ich ihm im Gegenzug die geforderten dreißig Euro. Als ich bei kurzer Begutachtung den von ihm entworfenen Fantasie-Schulstempel lobte, sagte er: »Ein Mann mit Blick fürs Detail, das gefällt mir!«, und von diesem Moment an wurden wir beste Freunde. Auch fast zehn Jahre später konnte ich mich noch genau an diesen Tag unseres ersten Zusammentreffens erinnern. Ich war so nervös, endlich »T-Low« zu treffen, wie er von meinen Klassenkameraden genannt wurde, dass ich an jenem Morgen sogar ein Taschenmesser in meiner Hosentasche mit mir führte. Wer weiß, was bei einer solchen Übergabe alles schieflaufen konnte. Doch dann stand da dieser gleich große (oder damals treffender: gleich kleine), leicht übergewichtige Bub vor mir, auf seiner Oberlippe der gescheiterte Versuch eines Schnauzbartes, seine Frisur ein Beatles-Gedächtnisschnitt. Im Minutentakt strich er bemüht die Stirnfransen der viel zu voluminösen Topffrisur aus seinem Gesicht, um überhaupt etwas sehen zu können.
Aus »T-Low« wurde wenig später »Thilo«, und auch rein äußerlich hatte er mit seinem sechzehnjährigen Ich kaum mehr Gemeinsamkeiten. Der Oberlippenflaum von damals reifte zu einem hippen Dreitagebart, er hatte eine sportliche Kurzhaarfrisur, und die lässige, übergroße Vintage-Jeansjacke, die er immer trug, täuschte beinah über sein »Wohlstandsbäuchlein« - wie er es immer lächelnd bezeichnete, während er mit seiner flachen Hand stolz darüberstrich - hinweg.
Gedankenverloren begann ich die Joints abzuzählen und sie mit großer Sorgfalt in die Mäppchen zu legen.
»Ich habe mir überlegt, dass wir die Trennwand quer durch diese Ecke beim Essbereich ziehen könnten, dann wäre die Bar groß genug.« Thilo legte den Joint, den er gerade fertiggestellt hatte, zur Seite, klappte sein MacBook auf und zeigte uns am Bildschirm den Grundriss der unteren Etage. Dann skippte er zu einem Foto des Essbereiches, das er bei unserer Führung gemacht hatte.
Auch wenn noch viel Fantasie und - zugegeben - einige Renovierungsarbeiten nötig waren, versetzte uns das Hotel »Bernadette« schon während der Besichtigung in pure Begeisterung. Vier Etagen, die durch eine wunderschöne Wendeltreppe verbunden waren, boten Platz für vierzig Zimmer. Die Decken waren mit Stuck verziert, die offene Fensterfront an der Südseite sorgte für ausreichend Tageslicht im Essbereich und der Lobby, sogar die auf den Fotos im Internet etwas zur Sorge anmutende Großküche wirkte in Realität nicht so schäbig wie befürchtet. Als der Verpächter uns durch die Räumlichkeiten führte, löcherte Thilo ihn mit Fragen. Ob man im Garten etwa eine Holzterrasse für Yoga-Sessions bauen dürfe, inwieweit man das angrenzende Waldstück für Gruppenwanderungen benutzen konnte, ob man im Lobbybereich eine Wand einziehen könne, um Platz für eine kleine Bar zu schaffen, und ob für diese dann eine andere Zulassung nötig sei, wenn sie auch für Besucher von außerhalb des Hotels zugänglich sein sollte. Der Verpächter stand Thilos Wissbegierde anfangs noch skeptisch gegenüber, aber je länger er uns Zimmer für Zimmer durch sein Hotel führte, desto mehr schwappte Thilos Begeisterung auf ihn über. Es wirkte fast so, als würde der alte Mann an seinen eigenen Berufsstart mit dem Hotel zurückdenken und sein damaliges Ich in Thilo wiedererkennen. Er begann sogar, alte Anekdoten auszupacken und Ratschläge zu geben. Es schien wirklich gut zu laufen zwischen den beiden und damit auch zwischen uns allen. Erst seine Aussage ganz zum Schluss der Führung, dass es noch einen anderen Interessenten gebe, versetzte unserer Freude einen Dämpfer. Er wolle sich für den schnelleren und wahrscheinlich auch höher bietenden Interessenten entscheiden, denn lange warten könne er nicht, er würde das Geld wirklich dringend für die Kosten des Heimplatzes seiner Frau benötigen. Die Moral in unserer kleinen Gruppe war augenblicklich gesunken, schließlich sah unser Businessplan den Projektstart erst im nächsten Sommer vor. So lange würden wir noch brauchen, um zu planen und zumindest das Mindestmaß an finanziellen Mitteln für unseren großen Traum aufzutreiben.
»Immer diese scheiß Immobilienhaie!«
Thilo musste kurz selber über die Absurdität seiner Aussage lachen.
»Ist das nicht wieder ein blödes Klischee? Der reiche Investor, der nicht mal Bock auf das Hotel hat, sondern einfach irgendwo sein Geld anlegen will?«, fragte er in die Runde.
»Also wir entsprechen auf jeden Fall nicht dem Klischee. Vier Teenies aus Wien, die mit einem Großinvestor in Konkurrenz stehen.« Sonny schichtete eine Handvoll Joints in ein präpariertes Buch.
»Ach was, wir sind keine Teenies. Weißt du überhaupt, was >Teenager< bedeutet?«, entgegnete Thilo und winkte mit einer Hand ab.
»Na klar, das war doch nur überspitzt ausgedrückt, aber du weißt, was ich meine. Ich meine - wer sind wir?«
»Tweenager«, sagte ich und meine Freunde schauten mich überrascht an. »Ist so. Wegen twentytwo, twentyfour.«
»Seid ihr beide bescheuert? Ihr habt wohl zu viel Gras eingeatmet und seid passiv high.« Thilo musste lachen. »>Wer sind wir?< Was ist das denn hier plötzlich für eine philosophische Frage zu dieser Stunde?«, schob er nach.
»Du weißt schon, wie ich das meine. Wie hat das wohl auf den Typen gewirkt, als da plötzlich vier Studenten vor seiner Tür standen?«
»Wir sind doch keine Studenten«, sagte Thilo trocken.
Wir sahen ihn verwirrt an.
»Also ich habe jetzt schon seit einem Jahr keine Uni mehr von innen gesehen und ihr drei seid ja auch eher, ich sag mal, die gemäßigt Motivierten?«, lachte er.
Sonny, Malik und ich schmunzelten, blickten uns dann aber kurz an, als würden wir uns beim jeweils anderen die Bestätigung dafür abholen wollen, dass wir uns durchaus okay fleißig durch unser Studium quälten.
»Aber wie wirkte das denn? Wir vier lassen uns von ihm durch das Gebäude führen. Das war doch schon ein bisschen komisch, nicht?« Sonny blickte, nach Unterstützung suchend, zu Malik und mir. Ich wusste, was er meinte. Auch ich hatte mich wie ein absoluter Blender, wie ein Hochstapler gefühlt.
»Der dachte bestimmt, ihr seid irgendwelche Start-up-Unternehmer«, warf Caro ein und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie das ernst oder ironisch meinte.
»Was auch immer er dachte, Mann, der will Geld. Für das Heim seiner Frau. Der Frau, nach der er sein Hotel benannt hat! Ob der jetzt das Geld von einer Gruppe motivierter junger Männer oder von einem Investor bekommt, ist doch völlig egal. Im Gegenteil: Hast du seinen traurigen Blick gesehen, als ich meinte, es wäre echt schade, wenn sein Lebenswerk irgendwann einer unpersönlichen Hotelkette weichen muss?«, fragte Thilo.
Ich hatte den Blick gesehen und er gab mir tatsächlich Hoffnung.
Thilo holte eine Flasche Rotwein aus unserer Küche. Seit einigen Wochen fand sich dort ein schräges Bild wieder: Thilo kaufte zahlreiche höherwertige Weine und sogar unterschiedliche Weingläser. Diese vornehmen Utensilien standen nun inmitten unseres Küchenchaos, zwischen dem dreckigen Geschirr, den unzähligen leeren Plastikpfand- und Bierflaschen. Er griff in seinen neuen Weingläservorrat, die Gläser waren verschieden dünn, die Stiele verschieden lang. Vor einer Woche hatte er ausführlich über Form und Handlichkeit referiert und wie sich beides auf den Geschmack des Weines auswirken würde. Jedes Detail, so betonte er immer wieder, müsste im zukünftigen Barbereich stimmen, denn »glücklich ist, wer glücklich trinkt«, schob er gerne schmunzelnd nach.
Er reichte uns feierlich seine neuen Versuchsgläser und öffnete den Wein. Zuerst goss er sich selbst einen Schluck ein und streckte das Glas leicht geneigt der Deckenlampe entgegen, um dessen Inhalt genau zu inspizieren. Dann roch er daran, schwenkte das Glas und probierte schließlich mit prüfendem Gesichtsausdruck einen kleinen Schluck. Er nickte zufrieden.
»So wie ich das...
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