Schweitzer Fachinformationen
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In den letzten Jahren wird zunehmend deutlich, dass der Verlust der Artenvielfalt die planetaren Grenzen längst überschritten hat. Wir befinden uns im Bereich der Alarmstufe Rot. Die Risiken für unsere Kinder und Enkel sind massiv, denn was wir unwiederbringlich zerstören, ist quasi die Festplatte des Lebens.
Der Verlust der sogenannten Biodiversität hat negative Folgen für unsere Lebensbedingungen. Um unsere Lebensmittel zu erhalten, bedürfen wir einer intakten biologischen Vielfalt. Der Wasserhaushalt, unser sauberes Trinkwasser, wird uns durch den Kreislauf der Natur zugänglich gemacht. Ein großer Teil unserer Kleidung, viele Arzneimittel, all das verdanken wir der Natur. Ökosysteme, also Seen, Flüsse, Meere, Wälder und Wiesen, bestimmen unsere Lebensbedingungen.[17]
Ein wesentlicher Grund für den Verlust der Artenvielfalt in Deutschland ist die Verkleinerung der Schutzgebiete für die Natur durch Versiegelung und Bebauung. Außerdem werden Gebiete für die Natur häufig zerschnitten, z. B. durch den Bau einer neuen Straße. Viele Arten brauchen ein Gebiet von einer gewissen Größe, um überleben zu können. Deshalb ist es notwendig, Biotope zu verbinden, wenn sie durch eine Straße zerschnitten werden. Dazu gibt es in den letzten Jahrzehnten einige Lösungsvorschläge, wie z. B. Grünbrücken.[18]
Daneben sind die Nährstoffe und Schadstoffe aus der intensiven Landwirtschaft, der Industrie und dem Verkehr eine weitere Ursache für den Verlust vieler Arten in Deutschland.[19]
Das bekannteste Beispiel für die katastrophalen Folgen, die »gut gemeinte« Eingriffe des Menschen in das komplexe Geflecht der Arten haben, kennen wir aus China. Mao Zedong verkündete 1958 den großen Sprung nach vorn, der China entwicklungsmäßig an die Industrieländer des Westens führen sollte. Dazu gehörte auch, die Ernährung für die Bevölkerung zu sichern und zu steigern. Ausgemacht wurden vier Feinde, die vier Plagen: die Ratten, die Fliegen, die Stechmücken, und vor allen Dingen die Spatzen. Die Vögel waren immer wieder dabei beobachtet worden, dass sie Körner aus der Ernte fraßen. Sie verringerten damit die Ernte für die Menschen. Also wurde die große Jagd auf die Spatzen ausgerufen. Das ganze chinesische Volk beteiligte sich. In einem Gedicht von Guo Moruo heißt es:
»Spatz, du bist ein Mistvogel, ein Verbrecher seit Tausenden Jahren. Heute rechnen wir mit dir ab. Wir schlagen dich und zerstören deine Nester. Am Ende werden wir dich verbrennen. Wenn du und alle vier Übel vernichtet seid, ist die Welt wieder in Harmonie.«
600 Millionen Chinesen begannen generalstabsmäßig an einem Tag Lärm zu machen, sodass der Spatz nicht landen konnte. Die Nester wurden zerstört, die Vögel, die nicht erschöpft vom Himmel fielen wurden mit Zwillen oder Gewehren erschossen. Zwei Milliarden Spatzen sollen so innerhalb weniger Tage verendet sein.
Die Folgen waren verheerend: Der Spatz fraß nämlich nicht nur Körner, sondern auch Heuschrecken und andere Insekten, die sich ohne ihren Feind sehr gut vermehren konnten. Heuschreckenschwärme verdunkelten den Himmel und fraßen viel mehr von der Ernte auf, als der Spatz vorher stibitzt hatte. Es kam zu Missernten. Um die Insekten zu reduzieren, wurden Insektizide eingesetzt. Diese Insektizide vernichteten nicht nur die Insekten, sondern auch die Bienen, die bisher z. B. die Obstbäume befruchtet hatten. Ohne Befruchtung jedoch können keine Früchte entstehen und heranwachsen. Die Folge ist eine erheblich verringerte Ernte. Es gibt auch Pflanzen, die sich durch den Wind bestäuben oder selbst Bestäuber sind, aber insbesondere die Obstbäume brauchen die Hilfe der Bienen. Circa 30 Prozent der Ernteerträge gehen auf die Bestäubung der Bienen zurück.[20] Tatsächlich war dieser Eingriff in die Natur neben vielen anderen Fehlentscheidungen mitverantwortlich für die große Hungersnot, die Millionen von Chinesen das Leben kostete.
Im Jahr 2019 hat der Weltbiodiversitätsrat (IPBES, Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) der Vereinten Nationen seinen globalen Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Mehrere Hundert Expert:innen aus 50 Ländern haben drei Jahre lang vorhandene Studien ausgewertet. Die Ergebnisse sind erschreckend. Bis zu eine Million Pflanzen- und Tierarten sind vom Aussterben bedroht - von schätzungsweise acht Millionen Arten, die es auf der Welt gibt. Das Aussterben ist heute zehn- bis einhundertmal höher als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre.
Viele Experten sprechen deshalb vom sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte.
Insekten, Vögel, Meerestiere und Säugetiere sind vom Aussterben bedroht. Die Ursache ist in der menschlichen Zivilisation zu finden. Es ist die Übernutzung durch unsere Wirtschaftsweise. Die Meere werden überfischt, die Landflächen degradiert. Dadurch sind inzwischen 75 Prozent aller Landflächen und 66 Prozent der Ozeane negativ verändert worden.
Hinzu kommen invasive Arten: In großen Mengen von einer Erdregion in die andere verschleppt, verdrängen sie heimische Arten.[21]
Die Ausbeutung der Natur, die Klimakrise, die Verschmutzung der Umwelt, das alles führt dazu, dass sich die Lebensbedingungen der Pflanzen und Tiere in der Natur und letztlich auch für den Menschen selbst verschlechtern.
Wenn indigene Völker vertrieben und Wälder gerodet werden, immer mehr Düngemittel und Pestizide die Umwelt belasten, um noch mehr Profit zu erzielen, dann verlieren wir unseren großen Schatz, die Natur. Wenn immer mehr Wälder abgeholzt werden, steigt die Gefahr neuer Krankheiten und Pandemien, wie eine Studie des WWF Brasilien zeigt.[22]
Wenn Fischer immer weniger Fisch nach Hause bringen, weil die Küsten überfischt werden, suchen sie nach anderen tierischen Lebensmitteln. Sie verdrängen andere Menschen, die ebenfalls wieder nach neuen Nahrungsquellen suchen müssen. Letztlich dringen Menschen immer weiter in Waldgebiete vor, kommen wilden Tieren und damit auch Krankheiten immer näher, für die wir Menschen bisher keine Immunität aufgebaut haben.
Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung, insbesondere in Asien, leben viele Menschen mit ihren Tieren eng unter einem Dach zusammen. Auch hierdurch steigt das Risiko der Übertragung von Krankheiten der Tiere auf den Menschen.
Der Weltbiodiversitätsrat ist nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie dieser Frage nachgegangen und kommt in seiner Studie im September 2020 zu dem Schluss, dass es durch die dramatische Naturzerstörung ein wachsendes Risiko neuer Pandemien gibt. Wenn hier nicht gegengesteuert wird, werden solche Pandemien häufiger auftreten, sich schneller verbreiten und möglicherweise tödlicher sein als die Covid-19-Pandemie.[23]
Auf der Weltnaturschutzkonferenz im Dezember 2022 wurden wieder einmal gute Ziele verabschiedet:
Mindestens 30 Prozent der Landschaft und der Meere sollen bis zum Jahr 2030 zu Schutzgebieten erklärt werden.
Es soll mehr Geld in den Schutz der Artenvielfalt investiert werden. Dazu verpflichten sich die Länder. Damit das auch ärmere Länder leisten können, sollen reichere Länder die ärmeren bis 2025 mit rund 20 Milliarden Dollar jährlich unterstützen.
Die Risiken, die durch den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln für die Natur entstehen, sollen halbiert werden.
Tatsächlich gibt es, wenn man den dramatischen Verlust von Arten betrachtet, große Parallelen zur Klimakrise. Das Problem sowie die Ursachen sind seit Jahrzehnten bekannt. Die Ziele werden international gemeinsam verabschiedet. Der Verlust der Artenvielfalt geht jedoch weiter und verstärkt sich sogar. Die EU-Staatschefs hatten sich auf ihrem Gipfeltreffen in Göteborg 2001 das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 den Verlust der biologischen Artenvielfalt zu stoppen.[24]
Das wurde nicht erreicht.
2010 wurde der nächste Versuch unternommen. Auf der UN-Konferenz zum Schutz der Biodiversität in Nagoya beschlossen die Unterhändler in den beiden Kernzielen (Aichi-Ziele) 12 und 13 das Artensterben bis 2020 zu stoppen und die genetische Vielfalt von Nutzpflanzen und -tieren zu erhalten.[25]
Wieder blieben bis zum Jahr 2020 selbst minimale Erfolge aus, die für das Jahr geplante UN-Konferenz fand wegen Corona gar nicht statt und wurde auf 2022 verschoben. Jetzt soll der Verlust der biologischen Vielfalt bis 2030 gestoppt werden. Erneut fragt man sich, ob auch diese Beschlüsse wieder nur Absichtserklärungen bleiben oder ob den Beschlüssen endlich Taten folgen.
Den Verlust der Artenvielfalt scheinen wir noch viel weniger aufhalten zu können als die Klimakrise, weil die Ursachen so vielfältig sind. Neben der intensiven Landwirtschaft in Europa sind die Hauptursachen in Südamerika die Abholzung des Regenwaldes und in Asien und Afrika das Bevölkerungswachstum. Mit Blick auf die Meere kommt neben der Überfischung hinzu, dass die Ozeane zunehmend als Müllkippe für Abfälle und Plastik dienen.[26]
Solange wir das nicht ändern, werden wir in unserem auf Geld und Profit basierenden...
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