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Inspektorin Dorothea Keusch ermittelt im katholischen Eliteinternat - ein Kufstein-Krimi, der unter die Haut geht
Die siebzehnjährige Elena wird tot im Foyer des katholischen Elitegymnasiums St. Sebastian aufgefunden. Schnell stellt sich heraus, dass sie schwanger war und genauso schnell ergeht von höchster Stelle die Anweisung, sämtliche Ermittlungen einzustellen. Doch weder die Polizistin Dorothea Keusch aus Kufstein noch ihr Kollege Konstantin Schmitt von der Mordkommission glauben an den offiziell deklarierten Selbstmord. Auf Schmitts Drängen beginnt Keusch, eigenmächtig zu ermitteln und setzt damit ihre Karriere aufs Spiel. Bei den Nachforschungen stößt sie auf haarsträubende Abgründe ganz unterschiedlicher Art. Um jedoch der Wahrheit wirklich auf den Grund zu gehen, muss sie sich ihrer eigenen Vergangenheit stellen.
»Welche Leiche beunruhigt Sie mehr? Die am Kreuz oder die darunter?«
Laut hallten die Worte durch die Stille in der eiskalten Schule, und Dorothea ahnte, dass der Kollege von der Mordkommission nun endlich eingetroffen war. Unter den Mief von vergilbten Büchern mischte sich ein Hauch von Hugo Boss, und Dorothea schnaubte leise. Es musste Chefinspektor Konstantin Schmitt sein. Sie wandte sich nicht um.
Überall wäre Dorothea an diesem Januarmorgen lieber gewesen als in dem Foyer eines katholischen Gymnasiums. Sie fröstelte in ihrer Uniform und lauschte Schmitts Schritten, die sich hinter ihr wieder entfernten. Dann betrachtete sie weiter das riesige Kruzifix, das in der Eingangshalle des Sebastianums thronte.
Die Leiche am Kreuz. Ein flaues Gefühl breitete sich in Dorothea aus. Wie ein böses Omen stand das Eichenkreuz in der Halle und versetzte sie zurück in ihre persönliche Hölle. Sie musterte den aufwendig geschnitzten Sohn Gottes, dann blickte sie auf den zerschmetterten Körper auf dem Marmorboden. Gegen den Leichnam Christi wirkte die Tote äußerst bescheiden. Demütig wie eine Büßerin lag sie unter dem Kruzifix. Das rote Kleid des Mädchens leuchtete wie das der Maria Magdalena, der Sünderin, der Prostituierten. Dorothea seufzte.
Keine Schulglocke schrillte an diesem Samstagmorgen, keine Pater, Schüler oder Lehrer hasteten zu den Klassen, dennoch kam Dorothea alles vor wie ein furchtbares Déjà-vu. Das Eichenkreuz, die ausgetretenen Marmorstiegen, die verschnörkelten Säulen. Wie damals im Stiftsgymnasium. Sie fragte sich, ob sich katholische Privatschulen glichen wie ein Gefängnis dem anderen, eine psychiatrische Anstalt der anderen.
Seit sie vor einer Stunde das Schulgebäude betreten hatte, versuchte Dorothea, diese Erinnerungen zu vertreiben, doch sie kehrten immer wieder zurück. Moby Dick. Sie hörte die Rufe ihrer Mitschüler, spürte die Papierkügelchen auf der Haut, schmeckte das Salz ihrer Tränen auf den Lippen. Ihr Gelübde kam ihr in den Sinn. Das Versprechen, das sie nun nach vierzehn Jahren gebrochen hatte.
Entschlossen versuchte sie, die Gedanken zur Seite zu schieben, merkte, dass sie ihre Schultern eingezogen hatte, und richtete sich auf. Noch einmal sah sie sich in der Halle um. Das Foyer des Elitegymnasiums glich dem Kreuzgang eines Klosters: Über drei Stockwerke erhoben sich altehrwürdige Säulengänge, die zu den Klassen führten. Ein muffiger Geruch nach altem Holz und gewienerten Böden stand in dem Saal. Hoch oben wölbte sich eine Kassettendecke, durch eine kreisrunde Öffnung fielen die Strahlen der Wintersonne auf das tote Mädchen.
Rechts stand unter einem der Rundbögen eine Heiligenstatue, eine Messingtafel am Sockel trug die Aufschrift Katholisches Gymnasium St. Sebastian, die Uhrzeiten für Morgenandachten und Bußfeiern waren auf einer Anschlagtafel zu lesen. Jeden Freitagmorgen um 7:15 Uhr gab es die Möglichkeit zur Beichte. Dorothea fragte sich, ob einer der Schüler sie jemals nutzte.
Ein Gipsmodell zeigte Kufstein und die Festung, dahinter hingen die rot-weiße Flagge Tirols und ein Bild des Tiroler Adlers. Nur wenig wies darauf hin, dass sich an Wochentagen tatsächlich Schüler in dem alten Gemäuer aufhielten, doch links in der Ecke waren Plakatwände aufgestellt, auf denen Projekte der Abschlussklassen präsentiert wurden. Dorothea hatte sie aufmerksam angeschaut. Jugendliche mit leeren Augen.
»Stoppt sexuellen Missbrauch von Minderjährigen! - ein Projekt von Elena Goldschmied«, las sie laut. Verstümmelte Schamlippen, verprügelte Kinder. Jacqueline Winter befasste sich mit der Beschneidung von Mädchen, Simon Faber mit dem Thema Mobbing.
Mobbing. Als die Erinnerung plötzlich wieder wie eine Welle über Dorothea zusammenschlug, begann sich die Halle zu drehen. Sie hatte den widerlichen Geschmack des Schwamms auf ihrer Zunge, erstickte erneut fast an der Kreide, krampfte ihre Finger um das Notizbuch und holte tief Luft.
Für einen Moment schien es ihr, als hätte sie sich wieder unter Kontrolle, doch als sie die Aufschrift Zum Turnsaal sah, brach ihr der kalte Schweiß aus. Es war, als wäre sie erst gestern vor den Augen der versammelten Klasse wie ein nasser Sack vom Gerätekasten gefallen. Noch immer klangen ihr die Worte der Lehrerin im Ohr: Eine Klasse überspringen kann unsere Dorothea, aber den Kasten schafft sie nicht.
Mein Gottesgeschenk, meine kleine Göttin des Friedens, meine Spätgeborene. Dorothea, Irina, Cordula. Ihre Eltern hatten einen Pakt gehabt. Und da es ein Mädchen geworden war, hatte ihr Vater den Namen bestimmen dürfen. Und der besonnene Richter hatte sorgfältig ausgewählt für das lang ersehnte Kind, das er mit seiner Gattin nach so vielen Jahren der Unfruchtbarkeit doch noch bekommen hatte.
Dorothea. Irina. Cordula. Keusch. Dick. Dick. Moby Dick.
Sie schloss die Augen und hörte erneut die höhnischen Salven ihrer Mitschüler. Beständig, unerbittlich, täglich wiederkehrend wie das morgendliche Paternoster am Stiftsgymnasium. Rettet unsere Wale! Acht Jahre Hölle. Dorothea hatte die Qualen in die hintersten Winkel ihres Gehirns verbannt, zusammen mit ihrem Gelübde. Dem Versprechen an sich selbst, nie mehr eine Schule zu betreten.
Hinter ihr näherten sich Schmitts Schritte.
»Nun, was sagen Sie? Welcher Fall ist nun wichtiger? Der Tod unseres Heilands oder der eines jungen Mädchens in einem roten Minikleid?«
Dorothea öffnete die Lider und sah auf die tote Schülerin. Sie betrachtete das hübsche Gesicht, die langen dunklen Haare der Toten. Die weißen Stiefel, das rote Kleid, der helle Mantel, selbst die kleinen Ohrstecker und die hauchdünne Kette wirkten schlicht. Doch in der Stunde, die Dorothea bereits frierend in der Kälte verbracht hatte, war genug Zeit gewesen, die Leiche zu studieren und die Details zu bemerken. Das sauber eingenähte Innenfutter. Die Art, wie sich das Licht in den Steinen des Ohrschmucks brach. Die Beschaffenheit der Schuhe. Sie vermutete, dass die Kleidung der toten Schülerin aus der aktuellen Winterkollektion eines Modedesigners stammte, die Stiefel aus echtem italienischen Leder und die Schmuckstücke aus Diamanten gefertigt waren.
Obwohl sie noch nicht lange in Kufstein lebte, war Dorothea das offene Geheimnis bekannt: Das Sebastianum war eine private Bildungsanstalt für katholische Söhne und Töchter. Und für jene, die zu schlechte Manieren für andere Schulen, aber genug Geld für diese hier hatten.
»Beantworten Sie nun meine Frage?«
Langsam wandte sie sich zu Schmitt um.
Er grinste und deutete auf die Statue. »Oder interessieren Sie sich einfach mehr für nackte Päpste als für mich?«
Dorothea spürte, wie das Blut in ihre Wangen stieg, doch sie war nicht gewillt, sich von Schmitt in die Enge treiben zu lassen.
»Märtyrer.«
Sie starrte auf die Skulptur des Heiligen, der mit Pfeilstichen übersät an einen Baum gebunden war.
»Wie bitte?«
»Er war kein Papst. Das ist das Bildnis des heiligen Sebastian - ein römischer Soldat, der der Legende nach zum Märtyrer wurde.«
Für einen Moment stutzte Schmitt, dann blickte er auf seine Kollegin herab und musterte sie eingehend.
Dorothea erwiderte seinen Blick. Sie sah sein kantiges Gesicht, die dunklen Haare, den sportlichen Oberkörper im modischen Wintermantel. Ein Mann wie auf einem Werbeplakat. Plötzlich spannte die makellose Uniform an ihrer Brust und den Schenkeln. Neben dem hochgewachsenen Kollegen fühlte sie sich noch kleiner, korpulenter, gedrungener. Ihr dicker Zopf hing auf einmal tonnenschwer bis zu ihren Hüften.
»Von Blondinen lasse ich mich natürlich immer gern belehren. Vor allem, wenn sie so schöne blaue Augen haben.« Er zwinkerte Dorothea zu und streckte die Hand aus. »Chefinspektor Schmitt, Abteilung Leib und Leben. Unfall? Selbstmord? Mord? Die Mordkommission ist stets zu Ihren Diensten.«
Dorothea ignorierte seine Hand und nahm die Finger nicht von ihrem Notizbuch. »Inspektorin Keusch. Stadtpolizei Kufstein.«
Sein Lächeln verschwand.
Sie hatte ihn bereits einmal getroffen, in ihrem Abschlussjahr an der Polizeischule. In einem Waldstück war die Leiche eines erstochenen Mannes gefunden worden, die Mordkommission hatte Polizeischüler rekrutiert, um den Hain nach der Mordwaffe zu durchkämmen. Chefinspektor Schmitt war derjenige gewesen, der wie ein Pfau an der langen Reihe der Polizeischüler vorbeistolziert war, hochmütig seine Anweisungen gegeben und eine Fahne Aftershave hinter sich hergezogen hatte. Er hatte die Neulinge kaum eines Blickes gewürdigt, es überraschte Dorothea nicht, dass er sich nicht an sie erinnerte.
Wieder schnaubte sie. Konstantin Schmitt, Sohn des legendären Polizeichefs Ernst Schmitt. Mitglied der Abteilung Leib und Leben in Tirol. Eine Position, die ihm sein Vater höchstpersönlich verschafft hatte.
Aber egal, wie er zu der Position gekommen war, jetzt gehörte er zur Mordkommission. Mordkommission. Lautlos formten ihre Lippen die magischen Worte, denn in der Abteilung Leib und Leben war derzeit eine Stelle frei. Eine Stelle, die Dorothea wollte. Mehr wollte als alles andere, wonach sie sich jemals gesehnt hatte. Eine Stelle, die sie vielleicht auch bekommen würde. Falls, ja, falls ihr Fuhrmann eine gute Empfehlung schrieb.
Sie dachte an den Tag, der alles verändert und ihr ihren einzigen sicheren Hafen genommen hatte. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie. Noch immer wusste niemand genau, was damals wirklich passiert war. Wer ihren Vater getötet hatte. Aber sie würde es herausfinden....
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