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Freiheitsverzichte um der Freiheit willen: Die Welt des Rechts
Wir beginnen mit einer Welt, die uns von Grund auf und umfassend bestimmt. Es ist die Welt des Rechts, die sich als die Kerngrammatik unseres Lebens und vor allem Zusammenlebens beschreiben lässt. Für sie ist jenes eigentümliche, uns selten hinreichend klare Muster von Verzichten charakteristisch, bei dem der einleitend genannte innere Übergang der dunklen in die helle Seite besonders deutlich zutage tritt: Im Recht verzichten die Menschen in elementarer Weise auf Freiheit, und zwar eben um dieser Freiheit willen.
Bevor wir uns mit diesen für Menschen unerlässlichen Form des Verzichtens befassen, werfen wir einen Blick auf das ursprüngliche, gegen den Unterschied von dunkler und heller Seite neutrale Grundverständnis des Begriffs. Es gehört freilich schon zur Welt des Rechts.
Der wichtigste Grund für den verbreiteten Vorbehalt gegenüber Verzichten liegt in ihrer dunklen Seite: Verzichte sind unbeliebt und ungeliebt, weil sie weh tun und schmerzlich sind, mit einem Wort: weil sie Frustrationen schaffen. Eine Möglichkeit, diesen Vorbehalt zu überwinden, haben wir im Vorwort erwähnt: Man zeige, wie die negative Seite des Verzichts aus sich heraus eine positive Seite herausfordert, die in der Bilanz von Nachteil und Vorteil des Verzichts sogar als die gewichtigere Seite erscheint.
Allerdings gibt es ein noch überzeugenderes Argument. Es besteht im Nachweis, dass das Wehtun zum Wesen des Verzichts nicht notwendig gehört. Dann entfällt nämlich die dunkle Seite, was offensichtlich die Rehabilitierung des Verzichts erleichtert. In der Tat gibt es diesen von aller Frustration freien Begriff. Man muss ihn nicht einmal in entlegenen Bereichen suchen. Denn er trifft auf das ursprüngliche, für etliche Jahrhunderte geltende Verständnis zu.
Bis weit ins 18. Jahrhundert hat der Verzicht eine von aller negativen Bewertung freie, in normativer Hinsicht vollständig neutrale Bedeutung. Ihr zufolge kann der Verzicht weder einen schlechten noch einen guten Ruf haben, er ist reputationsindifferent. Denn früher bestand der Verzicht, belehrt uns der für die deutsche Wortgeschichte einschlägige Grimm (Deutsches Wörterbuch, Bd. 25, Sp. 2578 ff.), fast ausschließlich in einem förmlichen Willensakt, mit dem man einen Rechtsanspruch aufgibt.
Wie dieser Rechtsakt näher zu verstehen ist, erörtert das nächste Kapitel. Hier genügt der Hinweis, dass diese ältere, rechtssprachliche Bedeutung - der Verzicht als eine freie, frustrationsunabhängige Willenshandlung - in abgeschwächter Form bis heute fortbesteht: Von Verzichten sprechen wir nämlich auch dort, wo etwas, obwohl es im Bereich des Möglichen liegt, nicht getan wird, oder wo man sich mühelos damit abfindet, etwas Erwünschtes nicht zu erlangen oder zu verwirklichen. Wer einen Wunsch oder eine Absicht, wer ein Amt oder finanzielle Ansprüche, etwa ein Honorar oder seine Rente beziehungsweise Pension, aufgibt, verzichtet auf sie. Die Gründe dafür sind offensichtlich so vielfältig und so verschieden wie die Menschen mit ihren Interessen, Persönlichkeitsmerkmalen und ihrem sozialen und kulturellen Umfeld.
Es empfiehlt sich, dieses neutrale Grundverständnis nicht zu eng zu fassen. Dort, wo man zwar ein gewisses Opfer bringt, dies aber so selbstverständlich und ohne große Mühen vornimmt, erscheint das Beharren auf dem Phänomen der «dunklen Seite» als ein Rechthabenwollen, das der Sache des betreffenden Verzichts nicht gerecht wird. Dies dürfte beispielsweise auf Forderungen zutreffen, die jemand um eines höheren Zieles oder Wertes willen an sich stellt. Wer beispielsweise sportliche, künstlerische oder wissenschaftliche Spitzenleistungen erreichen will, ebenso wer lediglich seine Talente möglichst weit und vielfältig zu entwickeln sucht, der verzichtet um dieser Ziele willen in aller Freiheit auf viele der für andere Menschen üblichen Annehmlichkeiten. Insbesondere wer damit schon gemäß dem Sprichwort «Früh übt sich, wer ein Meister werden will» in der Kindheit und Jugend beginnt, kommt ohne viele Annehmlichkeiten aus, die für andere Personen üblich sind. Er empfindet das aber kaum als Verzicht vom Rang eines Opfers, das er für seine Ziele bringt.
Ähnliches dürfte auf eine Charaktereigenschaft zutreffen, die wir noch näher untersuchen werden, die Besonnenheit. Besonnen ist, wer sich nicht seinen jeweils vorherrschenden Bedürfnissen und Wünschen sklavenartig unterwirft, sie vielmehr so weit einschränkt, wie es für das eigene, aber nicht kurz-, sondern langfristige Wohl als erforderlich erscheint. Anfangs mag die Einschränkung noch gewisse Mühen bereiten. Erlebt man jedoch bei sich oder bei anderen, wie man mit einem Nichteinschränken sich selbst schadet, dann lässt man sich auf das Gegenteil, die Einschränkung, ein, wird nach einiger Zeit daran gewöhnt und erwirbt eine vorbildliche Charaktereigenschaft, eine Tugend. Wer sie, die Besonnenheit, einmal erworben hat, dem macht dann das dem «nachhaltigen» Eigenwohl dienende Verhalten keine Mühen. Es bereitet ihm viel eher eine innere Freude, weshalb von einer dunklen Seite keine Rede sein kann. Entsprechend, werden wir sehen, verhält es sich bei anderen Tugenden wie der Tapferkeit, der Freigebigkeit und der Gerechtigkeit.
Nicht so einfach sieht es dort aus, wo jemand Funktionen und Ämter aufgibt, obwohl sie ihm bislang Macht und Ansehen, oft auch finanzielle Vorteile gegeben haben. Zu seinem Bedauern, also nicht ohne Frustration, muss er jedoch feststellen, dass ihm die Menge der Aufgaben und die Fülle der Verantwortlichkeiten zu viel geworden, dass sie ihm sprichwörtlich «über den Kopf gewachsen» sind. Dann wirft er zwar freiwillig, aber doch ungern, in gewisser Weise sogar gezwungenermaßen Ballast ab. Wer jedoch über entsprechende Lebensklugheit verfügt - eine weitere Tugend, die wir kennen lernen werden -, der übernimmt von vornherein nicht mehr Aufgaben, als er, ohne sich zu schaden, bewältigen kann.
Das Muster für ein freiwilliges und doch erzwungenes Abwerfen von Ballast bietet ein Beispiel, das schon in der Antike erörtert wurde, sinngemäß aber auf heute leicht übertragen werden kann: Ein Kapitän wirft aus freien Stücken einen Teil seiner Ladung über Bord. Er tut dies aber nicht rein freiwillig, sondern weil er wegen eines extremen Sturms, eines Orkans, nur durch den Verzicht auf Ladung sein Schiff mitsamt Besatzung zu retten vermag. Hier erfolgt der Verzicht von außen erzwungen und doch freiwillig: Weil der Kapitän seine Besatzung, und allgemeiner: weil ein entsprechend Verantwortlicher das Menschenleben für weit wichtiger als materielle Güter hält, verzichtet er auf einen Teil der Güter, gegebenenfalls sogar auf sie alle, um dadurch weit höhere Güter, eben Menschenleben, zu retten.
Bekanntlich kann sich die Sachlage verschärfen. Wenn die Situation es nötig macht, mehr als nur die Ladung, nämlich das Schiff selbst aufzugeben und die an Bord befindlichen Personen in die Rettungsboote zu befördern, dann pflegt man Kindern und Frauen den Vorrang zu lassen. Damit verzichten, freilich meist unausgesprochen, die Erwachsenen und unter ihnen die Männer auf ihre vorrangige Rettung. Dieser Verzicht setzt sich im Gebot fort, als erstes die Passagiere zu retten, und in dem weiteren Gebot, dass von der Besatzung der Kapitän das Schiff als letzter verlässt.
In derartigen Fällen darf man durchaus frustriert sein, da einem die materiellen Güter oder das eigene Leben nicht so gleichgültig sein müssen, dass man deren Verlust als unerheblich empfindet. Was man behält, erscheint aber als so entschieden wichtiger, dass die dunkle Seite verblasst: Wer Ballast abwirft, rettet das eigene Leben; wer hinsichtlich der Rettungsbote Kindern und Frauen den Vortritt lässt, behält seine Selbstachtung; und der Grundsatz «der Kapitän geht als letzter von Bord» erkennt das weite Aufgabenfeld an, das man mit dem bloßen Kapitänsein übernommen hat.
Vergessen wir nicht eine Extremform des freiwilligen und doch erzwungen Verzichts. Sie findet dort statt, wo ein Elternteil, klassischerweise die Mutter, sich für das Kind aufopfert. Dem kommen auch Bergretter oder Feuerwehrleute nahe, da sie ihre Aufgaben oft unter Lebensgefahr wahrnehmen. In all diesen Fällen hat jemand die Verantwortung für jemand anderen übernommen, die außer den jeweils nötigen Fähigkeiten die Bereitschaft einschließt, sich gegebenenfalls äußersten Gefahrensituationen, Gefahren auf Leib und Leben, auszusetzen.
Zur übernommenen Verantwortung gehört zwar nicht wie beim...
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