Schweitzer Fachinformationen
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Jill war fünf, als sie aufwachte und ihr Vater weg war. Sie rollte sich in seinem Bett zusammen, wickelte die Laken um sich, die so trügerisch nach seinen Achselhöhlen rochen, und schlief weiter, bis er zurückkam.
Im Morgengrauen schlich er auf Zehenspitzen ins Zimmer und weckte sie. »Wie wär's mit Frühstück, Kleines?«, pustete er ihr ins Ohr. Kein Wort darüber, wo er gewesen war. Sie fragte auch nicht. Er war enttäuscht, dass sie keine Angst gehabt hatte allein.
Trotzdem, in Zukunft wollte er vorsichtiger sein. Ein- oder zweimal die Woche, je nachdem, wie er sich fühlte, stakste sein Pferd, die Hufe in lautdämpfende Zuckersäcke gehüllt, den Weg in Richtung Stadt. Leise klappernd trabten sie am Bach entlang und schlängelten sich durch die frisch gepflanzten Weiden, die verloren zwischen den geringelten einheimischen Hölzern standen.
Douggie band sein Pferd an einem Zaunpfosten fest, zog die Stiefel aus und lief zum Haus des Polizisten, wo er mit einem leisen, liebevollen »Kuckuuu« nach der Frau rief. Seine nackten Zehen leuchteten kreideweiß im Mondlicht, als er sie in die Dunkelheit hinter den Rhododendronsträuchern am Gartentor trug. Sie wechselten nur wenige Worte. Wenn er tagsüber an sie dachte, hatte er Mühe, sich an ihren Namen zu erinnern. Er liebte ihr rundes, ausdrucksloses Gesicht, die kühl-klaren blauen Augen, die weichen rosigen Lippen, den breiten weißen Rücken und ihre feuchte Fülle auf dem ausgetrockneten Boden in der von schnappenden Zweigen umrahmten Dunkelheit der Nacht. Ja, wirklich, er liebte sie.
Hin und wieder gab er ihr Geld, von dem sie sich etwas kaufen sollte. Einmal, der Polizist jagte gerade flüchtige Bankräuber durch den Busch, hatte sie ihn ins Haus und in ihr Bett gelockt. Es hatte ihm nicht gefallen. Ihre Hemmungslosigkeit machte ihn nervös, Schuldgefühle nagten an ihm. Seither blieb er mit ihr in den Büschen und schob das Kind als Entschuldigung vor. Er wollte es sich nicht zu gemütlich machen und in Versuchung kommen, bis zum Morgen zu bleiben.
Jill erwischte ihn nie wieder und hatte deshalb auch nie wieder das Vergnügen, sich wohlig in seinem zerwühlten Bett zu wälzen. Enttäuscht musste sie zurück in ihr Zimmer schleichen, wo sie mit einem steingefüllten Socken Moskitos an der Wand zerquetschte, bis sie wieder müde wurde. Spaß war in ihrem Leben knapp bemessen.
Vormittags knisterte die Stimme des Fernschullehrers durch den Äther. Jill jammerte, dass sie lieber draußen mit Douggie Nägel einschlagen würde oder alles andere. Immer öfter schwänzte sie und versteckte sich draußen im Busch. Schließlich bekam er Wind davon und sperrte sie mit dem Funkgerät ein. Täglich kontrollierte er, was sie gelernt hatte. Wenn er nicht zufrieden war, kniff er ihr in die Ohrläppchen, bis sie praktisch durchbohrt waren. Alles nur, weil er sie liebte und sich nicht von irgendwelchen Besserwissern Nachlässigkeit vorwerfen lassen wollte. Er bestellte Bücher in Sydney, die in verschnürten Paketen eintrafen. In einer Zimmerecke setzte ein Stapel Dickens Staub an und wartete darauf, dass Jill alt genug für ihn wurde. Sie kratzte das Blattgold von den Einbänden und aß es. Anschließend betrachtete sie fasziniert ihre spektakulär glitzernde Zunge im Spiegel. Der Höhepunkt der Woche war, wenn sie ihren Flaschenbürstenkopf auf eine alte Ausgabe des Sydney Morning Herald auskämmten und die Ausbeute - allerlei Kreuchendes und Fleuchendes, das sie sich im Vorbeigehen aus Büschen und Bäumen einfing - verbrannten.
Douggie gab sein Bestes, und er arbeitete hart. Jill und ihre Bedürfnisse trieben ihn sogar zu so verzweifelten Maßnahmen, dass er Stricken lernte. Und dann gab es noch den Hof, den er fast ganz allein betrieb. Wenn es eng wurde, heuerte er einen von den Männern an, die durch die Gegend vagabundierten. Sie arbeiteten ein oder zwei Tage lang bei ihm und zogen dann weiter. Im Radio hörte Douggie, wie schlecht es um das Land stand. Die arbeitswilligen Wanderarbeiter wurden mehr. Jeder hatte seine eigene traurige Geschichte im Gepäck, in der es um verlorene Jobs, Warteschlangen vor dem Arbeitsamt, Tage ohne Steak und die schweren Zeiten ging. Wenn sie von ihren notleidenden Frauen und Kindern daheim erzählten, grinste Jill ihren Vater an und machte sich hinter den unmännlichen Rücken der Kerle über sie lustig. Sie traute den Taugenichtsen nicht über den Weg und behielt sie aus Baumkronen heraus im Auge, um ihnen bei passender Gelegenheit Laub in den Nacken zu werfen.
Doch dann kam Jack.
Eines Abends stand er in der Tür. Sie waren gerade beim Essen, und der heimelige Geruch von gebratenem Hammelkotelett hing in der Luft. Die abgenagten Knochen schleuderten sie für die Hunde in den Hof, wo die Fliegen sich darauf stürzten. Sie wimmelten so dicht, dass die Knochen schwarz waren und sich zu bewegen schienen. Jacks Nase zuckte genießerisch. Sein gleichgültig wirkender Blick registrierte alles: Das dünne, etwas verwahrlost wirkende Kind und sein Vater saßen sich am Tisch gegenüber und stocherten mit ernsten Mienen in ihren Zähnen herum. Sie machten den Eindruck von zwei Menschen, die überlegten, was sie mit dem Rest ihres Lebens anstellen sollten. Und sahen aus, als könnten sie Hilfe gebrauchen.
Jack räusperte sich, trat ein und stellte sich vor.
Er hatte einen guten Zeitpunkt erwischt, denn obwohl er es mit keiner Miene verriet, trug Douggie sich bereits mit dem Gedanken, jemanden einzustellen. »I love a sunburnt country - Ich liebe ein sonnenverbranntes Land« -, zitierte er leise eine Zeile aus dem bekannten Gedicht und blickte nachdenklich über seinen Besitz. Vielleicht konnte man es besser machen. Vielleicht war der schmutzige junge Mann in der Tür die Lösung für seine Probleme.
Er gab sich einen Ruck und erklärte sein Anliegen: Er brauche einen anständigen Arbeiter, damit etwas vorwärtsginge auf der Farm.
Jack versicherte ihm, dass er anständig sei. Jung, kräftig und arbeitswillig noch dazu. Er hatte sich von Melbourne aus - ausgerechnet Melbourne - auf den Weg gemacht, um sich etwas zu suchen, das zu einem echten Kerl passte.
So viel Strebsamkeit beeindruckte Douggie. Jack baute sich gegenüber vom Haus eine Hütte auf den Hof. Sie schleppten einen Sessel für ihn hinein, damit er sich nach dem Abendessen irgendwo hinsetzen konnte. Er machte es sich gemütlich, riss Bilder aus Zeitschriften und nagelte sie an die Wand. Douggie hoffte nur, dass die Kleine sie nicht zu Gesicht bekam. Er warnte Jack: Wenn er seine Tochter in der Hütte erwische, werde er ihn erst bei lebendigem Leib häuten und dann zusammentreten, bis ihm Hören und Sehen vergehe. Doch Jill war schüchtern und voller Bewunderung. Sie zollte Jack Respekt, indem sie ihm aus dem Weg ging.
Jill hatte ein Pferd. Douggie hatte es eines Samstagmorgens an einem Seil heimgeführt. Sie galoppierte in wilden Runden über den Hof, bis Jack, der hinter einem Holzstoß stand und dem vergnügten Treiben zusah, das Gefühl hatte, dass sie sich zu sehr verausgabte. Douggie bekam feuchte Augen vor Freude.
Es war die Woche, in der die Brücke eröffnet wurde - der alte Kleiderbügel, wie Jack sie in seiner gepflegten Ausdrucksweise nannte. Das Radio lief schon seit den frühen Morgenstunden. Douggie, der die Sache für ein historisches Ereignis hielt, hatte ihnen freigegeben, damit sie zuhören konnten. Der große Moment rückte näher. Die Stimme des Reporters überschlug sich vor Aufregung und wurde immer lauter. Douggie stand auf, um besser zu hören. Ein Mann kam vor die bereits in Positur stehenden Honoratioren galoppiert, hielt an und schlug vor Premier Langs staunenden Augen das Band durch. Douggie regte sich fürchterlich auf. »Solche Typen sollte man erschießen!«, schrie er und lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. Was Jack eigentlich im Haus zu suchen habe, brüllte er weiter, während draußen der Hof im Chaos versinke? Jill war sehr beeindruckt. Sie lag ihrem Vater den Rest des Tages quengelnd in den Ohren, bis er ihr befahl, den Mund zu halten.
Jill wollte das Meer sehen und tat das aller Welt kund. Douggie vermutete die Brückengeschichte dahinter, sie hatte das Kind auf dumme Gedanken gebracht. Um sie bei Laune zu halten, kramte er ein paar verblichene Ansichtskarten heraus, die er vor Ewigkeiten von einem entfernten englischen Verwandten bekommen hatte. »Was sagen die wilden Wellen?« Jill konnte die verblasste Schriftzeile unter einer Sepiafotografie der Seebrücke von Brighton gerade noch entziffern, aber nicht viel damit anfangen. Sie wollte wissen, wie das Meer sich anfühlte, wenn man in ihm saß. Douggie schlug vor, sie solle einfach nach draußen gehen und den Kopf in den Sand stecken. Allmählich verlor er die Geduld.
Jill machte sich einen Spaß daraus, stundenlang im Hof zu sitzen und ihren braun gebrannten Arm in einen Wassereimer zu halten. Tagaus, tagein, bis Douggie über sie stolperte und sich das Fußgelenk brach. Das Schwein, das er auf dem Arm getragen hatte, lag mit verrenkten Gliedern da, und Jill war zu Tode erschrocken.
Jack holte den Arzt aus der Stadt, der versprach, Krücken zu schicken, doch die kamen nie an. Douggie war an den Sessel gefesselt und konnte Jack nur noch Befehle erteilen. Den ganzen Tag saß er da und war davon überzeugt, dass der Kerl sich draußen, wo er ihn nicht sehen konnte, alles erlaubte. Jill gab ihr Bestes, um Douggie abzulenken, doch er weigerte sich, die alten Ausgaben der Australasian Post aus Jacks Beständen auch nur anzusehen. Er meckerte an Jills Essen herum und warf es unangerührt den räudigen Hunden vor, die ergeben neben ihrem kranken Herrchen ausharrten.
Wenn ihr alles zu viel wurde, wendete Jill sich Jack zu....
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