Schweitzer Fachinformationen
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~ Gegenwart ~
Genau in dem Moment, als Khais Laufschuhe den rissigen Beton der Einfahrt zu seinem renovierungsbedürftigen Haus in Sunnyvale berührten, zu dessen Renovierung er nie kam, piepste der Timer seiner Uhr. Exakt fünfzehn Minuten.
Ja.
Nichts war so befriedigend wie perfekte Zeitabschnitte. Außer beim Tanken ganze Dollarbeträge zu erwischen. Oder wenn die Restaurantrechnung eine Primzahl oder ein Segment der Fibonacci-Folge war oder nur aus Achten bestand. Acht war so eine elegante Zahl. Wenn er zu seiner Laufstrecke noch eine Minute hinzufügte, dann könnte er einen Kontrollpunkt in der Mitte einbauen. Das wäre unterhaltsam.
Während er im Geiste eine neue Route für seinen täglichen Arbeitsweg plante, bemerkte er die schwarze Ducati, die neben seinem mit Vogelkot übersäten Porsche an der Bordsteinkante parkte. Quan war da, und er war damit gefahren, obwohl ihre Mom es hasste und Khai ihm schon mehrfach sämtliche Statistiken über Todesfälle und Gehirnschäden erläutert hatte. Er machte einen großen Bogen um das Motorrad, trabte zu seiner Vordertür, wobei er dem dornigen Unkrautbusch auswich, der im Schatten des Vordachs gedieh, und betrat sein Haus.
Drinnen zog er die Schuhe und sofort auch seine Socken aus. Es war himmlisch, mit nackten Füßen in dem flauschigen Hochflorteppich seines Hauses aus den Siebzigern zu versinken. Anfangs hatte er ihn gehasst - die erbsengrüne Farbe war widerlich -, aber darauf zu laufen fühlte sich an, als würde man wie Mary Poppins über Wolken wandeln. Er hatte komisch gerochen, aber das hatte sich mit der Zeit gegeben. Entweder das, oder Khai hatte den Geruch nach Mottenkugeln und alten Damen so verinnerlicht, dass er ihn nicht mehr bemerkte. Er würde den Teppich behalten, bis das Haus vom Santa Clara County offiziell für abbruchreif erklärt wurde.
Da war Quan, er saß auf Khais Sofa mit den Füßen auf Khais Couchtisch und schaute irgendeine Finanzsendung auf CNBC, während er Khais einzige kalte Dose Coca-Cola trank. Er konnte die Kondenswassertropfen über den geschwungenen Schriftzug laufen sehen wie in einem Werbespot. Der Rest seiner Getränke hatte Zimmertemperatur, weil in seinen Kühlschrank immer nur eine einzige Dose passte. Den übrigen kostbaren Raum nahmen Frischhaltedosen mit Essen seiner Mom in Beschlag. Sie dachte, dass er verhungern würde, wenn sie ihn nicht persönlich fütterte, und in wahrer Mom-Manier machte sie keine halben Sachen.
«Yo, du bist daheim. Wie läuft's?» Quan trank einen tiefen Schluck Cola und stieß dann zischend den Atem aus, als die Flüssigkeit seine Kehle hinunterprickelte.
«Gut.» Mit schmalen Augen sah Khai seinen Bruder an. Das Prickeln einer kalten Cola gehörte zu Khais Lieblingsdingen, und jetzt musste er vier Stunden warten, bis eine neue Dose so weit war. «Warum bist du hier?»
«Keine Ahnung. Mom hat gesagt, ich soll herkommen. Anscheinend ist sie unterwegs hierher.»
Ah, Scheiße, er sah unsinnige Aufgaben in seiner nahen Zukunft auf sich zukommen. Was würde es diesmal sein? Bis nach San Jose in den Supermarkt fahren, um reduzierte Orangen zu kaufen? Oder Seetang-Extrakt in gewerblichen Mengen aus Japan importieren, um den Krebs seiner Tante zu heilen? Nein, es musste etwas Schlimmeres sein, weil sie ihre beiden Söhne dafür brauchte. Er konnte sich nicht mal ansatzweise vorstellen, was es sein könnte.
«Ich muss duschen.» Seine Kleider waren nass und klebrig, und er wollte raus aus ihnen.
«Mach lieber schnell. Gerade hab ich jemanden in der Einfahrt parken hören.» Dann sah Quan sich Khai genauer an und zog die Augenbrauen hoch. «Bist du gerade in einem Anzug nach Hause gejoggt?»
«Ja, das mache ich jeden Tag. Der hier ist extra für sportliche Betätigungen ausgelegt.» Er zeigte auf die elastischen Bündchen an seinen Knöcheln. «Und der Stoff ist wirklich atmungsaktiv. Außerdem kann man ihn in der Maschine waschen.»
Quan grinste und trank einen weiteren Schluck seiner gemopsten Cola. «Also rennt mein Bruder durch die Straßen von Silicon Valley wie ein böser asiatischer Terminator. Gefällt mir.»
Die seltsame Vorstellung ließ Khai zögern, und gerade als er den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern, verkündete eine vertraute Stimme vor dem Haus auf Vietnamesisch: «Hier, hier, hier, hier, ich habe jede Menge Essen. Helft mir, es reinzutragen.» Seine Mom sprach nie Englisch, außer wenn es absolut notwendig war. Im Grunde sprach sie nur mit dem Hygienekontrolleur in ihrem Restaurant Englisch.
«Was?», fragte Khai auf Englisch. Er konnte tatsächlich kein Vietnamesisch sprechen, auch wenn er es einigermaßen verstand. «Ich habe doch noch jede Menge Essen. Ich werde anfangen, Obdachlose damit zu verköstigen, wenn du -»
Seine Mom erschien mit einem stolzen Lächeln und drei Kisten Mangos in der Tür. «Hi, con!»
Weil er nicht wollte, dass sie sich das Kreuz brach, stopfte er seine Socken in die Tasche und nahm ihr die Kisten ab. «Ich esse kein Obst, schon vergessen? Das wird schlecht werden.»
Er war schon fast wieder aus der Tür und auf dem Weg zu ihrem Wagen damit, als sie sagte: «Nein, nein, die sind nicht für dich. Die sind für M?. Damit sie ihr Zuhause nicht zu sehr vermisst.»
Er hielt inne. Wer zum Teufel war M??
Quan kam auf die Füße. «Was ist los?»
«Hilf mir zuerst, das restliche Obst reinzutragen.» An Khai gewandt sagte sie: «Stell die in die Küche.»
In einem Zustand völliger Verwirrung trug Khai die Kisten in seine Küche. Warum war dieses Obst in seinem Haus, wenn es doch verhindern sollte, dass M?, wer auch immer sie war, Heimweh bekam? Er stellte die Kisten auf seine Arbeitsplatte, dabei bemerkte er, dass es drei verschiedene Sorten Mangos waren. Da waren große rot-grüne, mittlere gelbe und kleine grüne in den Kisten mit thailändischer Beschriftung. Hatte seine Mom ihm irgendein obstfressendes Dschungeläffchen gekauft? Warum sollte sie so was tun? Sie mochte doch nicht mal Hunde oder Katzen.
Und warum brauchte Quan so lange, um weitere Kisten reinzutragen? Khai machte sich daran, nachzuforschen, und fand seinen Bruder und seine Mom in eine Diskussion vertieft draußen neben ihrem verbeulten Camry. Khai und seine Geschwister hatten letztes Jahr zum Muttertag zusammengelegt, um ihr einen Lexus-SUV zu kaufen, aber sie bestand darauf, diesen zwei Jahrzehnte alten Toyota zu fahren, außer es war ein besonderer Anlass. Ihm fiel auf, dass niemand drinsaß. Keine M?.
«Mom, das ist falsch. Das hier sind die Vereinigten Staaten. Hier macht man so was nicht.» Quan klang noch frustrierter über ihre Mom als gewöhnlich.
«Ich musste etwas unternehmen, und du musst mich unterstützen. Auf dich hört er.»
Quan verdrehte die Augen zum Himmel. «Auf mich hört er, weil ich vernünftig bin. Das hier ist es nicht.»
«Du bist genau wie dein stinkender Vater. Ihr lasst mich beide im Stich, wenn ich euch brauche», sagte ihre Mom. «Auf deinen Bruder kann man sich immer verlassen.»
Quan gab einen schnaubenden Laut von sich und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und die kurzgeschorenen Haare, bevor er drei weitere Kisten Obst aus dem Kofferraum hob. Als er Kh?i sah, hielt er mitten in der Bewegung inne. «Mach dich auf was gefasst.» Dann trug er die Kisten hinein.
Na, das ließ nichts Gutes ahnen. In Kh?is Kopf verwandelte sich das theoretische Dschungeläffchen in ein riesiges Gorillaweibchen. Das ganze Obst würde so einem Vieh vermutlich einen Tag lang reichen. Von der positiven Seite betrachtet, würde er kein Geld dafür ausgeben müssen, sein Haus dem Erdboden gleichmachen zu lassen, und er könnte den Schaden vielleicht sogar noch gegenüber seiner Gebäudeversicherung geltend machen. Schadensursache: wildgewordener Gorilla im Mangorausch.
«Schnapp dir die Jackfrucht und komm rein. Ich muss mit dir reden», sagte seine Mom.
Er hievte die stachlige Jackfrucht hoch - heilige Scheiße, die wog locker an die fünfzehn Kilo - und folgte ihr in seine Küche, wo Quan die neuen Kisten neben die Mangos gestellt und sich mit seiner Cola an den Küchentisch gesetzt hatte. Um die Stabilität seiner Arbeitsplatte besorgt, legte Khai die Jackfrucht vorsichtig neben den anderen Früchten ab. Als die Küchenzeile nicht sofort zusammenbrach, seufzte er erleichtert auf.
Stirnrunzelnd musterte seine Mom seine Siebziger-Jahre-Küche. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war Missfallen, wie er im Buche stand. Wenn er seine alten Übungskarten mit Gesichtsausdrücken jetzt neben ihr Gesicht halten würde, dann würden sie einander perfekt entsprechen.
«Du brauchst ein neues Haus», sagte sie. «Das hier ist zu alt. Und du musst diese ganzen Sportgeräte aus dem Wohnzimmer schaffen. Nur Junggesellen leben so.»
Zufällig war Khai Junggeselle, also verstand er nicht, wo das Problem lag. «Ich komme von hier aus schnell zur Arbeit, und ich trainiere gern, wo ich fernsehen kann.»
Mit einem gemurmelten «Dieser Junge» wischte sie seine Bemerkungen fort.
Es folgte langes Schweigen, nur unterbrochen von gelegentlichem Cola-Schlürfen - Khais Cola, verdammt. Als er es nicht länger aushielt, schaute er von seinem Bruder zu seiner Mom und sagte: «Also . wer ist M??» Soweit er wusste, bedeutete m? so viel wie schön, aber so sagte man auf Vietnamesisch auch Amerika. Wie auch immer er es betrachtete, es schien ein komischer Name für einen Gorilla zu sein, aber was wusste er schon?
Seine Mom...
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