Schweitzer Fachinformationen
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Seon-suk, die sich auf dem Weg zur Arbeit befand, bemerkte erst durch die vorwurfsvollen Blicke der Vorbeigehenden, dass sie vergessen hatte, ihre Maske aufzusetzen. Schnell lief sie zurück nach Hause. Im Flur direkt neben der Tür hatte sie die Maske aufgehängt, um sie ja nicht zu vergessen, und nun war es doch wieder passiert. Diese blöde Maske! So oft Seon-suk sie auch trug, sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt.
Auch an den Rest der ganzen Coronasache nicht. Dabei hieß es immer, der Mensch sei ein Gewöhnungstier. Vielleicht konnte man gegen diese Art von Virus ohnehin nichts ausrichten, aber die Wirkung des Impfstoffs ließ doch sehr zu wünschen übrig, und auch die Entwicklung anderer Heilmittel ging nur schleppend voran. Immer wieder gab es neue »Mutationen« oder was auch immer, die alle mit absonderlichen Bezeichnungen bedacht wurden, und dauernd musste man sich nachimpfen lassen, weil es wieder zu Durchbruchsinfektionen oder sonstigen Scherereien gekommen war. Dazu die Frage, ob man sich diesmal einen anderen Impfstoff spritzen lassen sollte als beim letzten Mal oder lieber nicht, und die Angst vor möglichen Nebenwirkungen sowie vor der erhöhten Gefahr für ältere Menschen, von der immer wieder die Rede war. In einer Welt, in der ein solches Virus wütete, waren kleine Leute wie Seon-suk einfach hoffnungslos überfordert.
Von ihrer Wohnung bis zum 24-Stunden-Laden waren es gerade einmal fünfhundert Meter zu Fuß, und trotzdem geriet Seon-suk außer Atem. Aufgrund ihrer korpulenten Statur war es für sie ohnehin mit Beschwernissen verbunden, wenn sie ihre Wohnung verließ, in der sommerlichen Hitze nun aber auch noch durch eine Maske atmen zu müssen, machte die Sache noch anstrengender. Ihre beiden Hunde Yeppi und Kkami waren wirklich zu beneiden. Die mussten keine Maske tragen, wenn sie von ihr Gassi geführt wurden. Ob sie heute überhaupt mit ihnen würde spazieren gehen können? Schließlich musste sie bis abends im Laden arbeiten.
Klingeling! Seon-suk öffnete die gläserne Ladentür, die mit Aushängezetteln zugekleistert war: »Verkaufsevent«, »Ladenhilfe gesucht«, »Betreten des Ladens nur mit Maske«. Drinnen war es kühl. Erst jetzt, da sie im 24-Stunden-Laden Always, ihrem Arbeitsplatz, angekommen war, konnte sie verschnaufen. Sie lächelte. Es war ein Gefühl der Behaglichkeit, wie sie es früher, als sie noch den Straßenimbiss und später das Bierlokal geführt hatte, nie gekannt hatte. Hier im Laden fühlte sie sich wohl. Warum war das so? Weil sie sich an die Arbeit hier gewöhnt hatte? Vielleicht eher, weil sie nun Filialleiterin war. Wenn man Geschäftsinhaber war, musste man sich ständig um den Absatz und verwaltungstechnische Dinge kümmern und stand täglich unter Druck. Als einfache Teilzeitkraft wiederum wurde man schlecht bezahlt und hatte wenig Sicherheit. Im Gegensatz dazu hatte sie Glück: Als Filialleiterin konnte man ein gutes Maß an Verantwortung übernehmen, aber der Lohn war höher und der Arbeitsplatz einigermaßen gesichert.
Dass sie dem Ort so verbunden war, lag wahrscheinlich einfach daran, dass dies hier der Laden war, in dem sie so lange Dienst geleistet hatte und immer eine wichtige Stütze gewesen war, der einzige Always-Laden im Viertel Cheongpa-dong. Mittlerweile machten in vielen Stadtteilen Filialen, die derselben Ladenkette angehörten, einander schon Konkurrenz, die Ladenkette Always allerdings befand sich eher auf dem Rückzug. Nachdem zu Beginn des Jahres die Filiale vor dem Haupteingang der Sookmyung-Frauen-Universität ihre Pforten dichtgemacht hatte, war der Laden, in dem Seon-suk arbeitete, als einziger in diesem Viertel übrig geblieben.
Hatte sich die Geschäftslage dadurch verbessert? Keineswegs. Wenn es der Zentrale schlecht ging, schlug sich das immer auch auf die Bilanz der Filialen nieder. Die Läden der erfolgreichen Franchise-Unternehmen veranstalteten regelmäßig Rabattaktionen und hatten zahlreiche preiswerte Produkte der eigenen Marke im Angebot, während der hiesige Laden nun sogar die Sammelpack-Aktionen für Bier einschränken und infolgedessen vor Kurzem auch den Verlust eines Stammkunden hatte verkraften müssen, der es immer auf »vier Dosen für zehntausend Won« abgesehen gehabt hatte. Ein Kunde der besonderen Art, der jeden Abend nach der Arbeit einen kurzen Zwischenstopp hier im Laden eingelegt, vier Dosen Bier sowie Knabberkram gekauft und stets auch noch ein paar Hamburger oder Sandwiches, die kurz vor Ablauf des Verfallsdatums standen, mitgenommen hatte. Irgendwann hatte er dann angefangen, sich nach seltsamen Biermarken zu erkundigen, die von Unternehmen herausgebracht wurden, die eigentlich auf Mehlproduktion, Schuhcreme-Herstellung oder eingelegte Wellhornschnecken spezialisiert waren. Seon-suk, die von der Existenz dieser Marken noch nie gehört hatte, aber ohnehin nicht damit hätte dienen können, blieb schließlich nur ein beschämtes Kopfschütteln. »Schade« war das letzte Wort, das sie noch zu hören bekam, bevor er den Laden verlassen und sich seitdem nie wieder gezeigt hatte. Als Seon-suk darüber nachgrübelte, ob sie diese eigentümlichen Biermarken nun in ihr Sortiment aufnehmen solle, kam ihr der Gedanke, dass sie in dieser Angelegenheit doch einmal ihren Sohn um Rat fragen könnte.
»Das ist halt was Neues. Was für Insta. Soll auch ganz gut schmecken«, meinte der.
»Du hast das schon mal getrunken?«
»Mama! Ich bin doch Soju-Trinker. Das Zeug glänzt nur am Anfang, also mach dir keine Sorgen.«
Die Worte ihres Sohnes beruhigten sie. Sicher, den Bierfreak hatte sie nicht zufriedenstellen können, aber wir alle mussten uns doch mit dem Unzureichenden begnügen, um irgendwie durchs Leben zu kommen. Außerdem war ihr Laden ja ohnehin für seine zahlreichen Unzulänglichkeiten bekannt - diesem Image sollte man treu bleiben. Und so entschloss sich Seon-suk dazu, anstatt sich Sorgen zu machen, einfach weiterhin jeden Tag den Kunden gegenüber ihr Bestes zu geben.
Vielleicht war das der Grund, weshalb es ihr hier so gut gefiel: weil der Laden mit all seinen Mängeln und Schwachstellen ihrem eigenen Leben in vieler Hinsicht ähnelte. Das Geschäft mit Hängen und Würgen durch die Wirtschaftskrise zu manövrieren, passte irgendwie zur Normalbürgerin Oh Seon-suk, die in Zeiten roter Zahlen selbst darum kämpfte, weiter durchs Leben zu gehen.
Sie hatte die Kassenprüfung abgeschlossen und wollte gerade mit der eigentlichen Arbeit beginnen, da kam in kurzärmligem Hemd - die Mitarbeiterweste hatte er schon ausgezogen - Ladenmitarbeiter Gwak zu ihr herüber. In die Müdigkeit, die oberhalb der Maske aus seinen Augen sprach, mischte sich der Ausdruck von Scham. Seon-suk war alarmiert. Gwak zeigte sonst nie eine Gefühlsregung.
»Frau Oh, darf ich kurz mit Ihnen sprechen?«
Wenn Gwak, der für gewöhnlich so einsilbig war, als hätte die Maske ihm den Mund versiegelt, nun von sich aus ankam, musste es ernst sein. Seon-suk versuchte, ihr ungutes Gefühl zunächst beiseitezuschieben, und blickte ihm ins Gesicht.
»Natürlich. Was gibt es?«
»Ich . ähm . Ich kann nur noch eine Woche hier arbeiten, also bis nächsten Donnerstag. Tut mir leid.«
Aha! Irgend so etwas hatte ja kommen müssen. Vor ein paar Tagen hatte er sich plötzlich einen Tag freigenommen, und schon da hatte sie vermutet, dass etwas passiert sein musste.
»Herr Gwak, haben Sie denn eine neue Arbeit gefunden?«
Ihre Frage war von aufrichtiger Sorge begleitet. Zwar hatte Gwak nun seit über einem Jahr die Nachtschicht hier im Laden inne, aber dass er jetzt problemlos eine andere Arbeit würde übernehmen können, erschien ihr angesichts seines Alters und seiner eingeschränkten Fähigkeiten doch fraglich. Immer wieder war es vorgekommen, dass er sich bei der Kassenabrechnung geirrt oder die jeden Monat wechselnden Rabattaktionen durcheinandergebracht hatte, und mit den Zusatzfunktionen des Kartenterminals kam er auch noch immer nicht richtig klar. Wenn es etwas gab, das er gut konnte, so bestand es darin, Ladendiebe dingfest zu machen. Dass es ihm immerhin dreimal gelungen war, Kunden zu stellen, die zu nächtlicher Stunde versucht hatten, Waren aus dem Laden mitgehen zu lassen, war in Anbetracht seines früheren Jobs als Polizeiinspektor allerdings auch einleuchtend.
»Ja, ich geh runter in die Provinz. Da ist eine Stelle als...
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